Zur Lage der Kirche – eine neue Kolumne

60 Jahre nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil


Katho​li​sches​.info beginnt heu­te die neue Kolum­ne „Zur Lage der Kir­che“ des öster­rei­chi­schen Prie­sters Micha­el Gurt­ner. Des­sen Auf­satz: „Die aktu­el­le Glau­bens­kri­se der Kir­che hat ihren Grund in der neu­en Mes­se“, eine ein­drucks­vol­le Apo­lo­gie des über­lie­fer­ten Ritus, fand inter­na­tio­na­le Beach­tung. Nun legt der Autor nach. Er ant­wor­tet auf 70 Fra­gen, die ihm in jüng­ster Zeit in Gesprä­chen und Dis­kus­sio­nen gestellt wur­den. Er selbst schreibt dazu:

Anzei­ge

„Von Zeit zu Zeit ist es nötig, einen nüch­ter­nen, kri­ti­schen Blick auf die Lage der Din­ge zu wer­fen und die objek­ti­ve Sach­la­ge zu ana­ly­sie­ren. So haben sich im Lau­fe der Zeit in den Mon­ar­chien die gro­ßen Thron­re­den, und in Anleh­nung an die­se, die berühm­te ‚Rede zur Lage der Nati­on‘ in den Ver­ei­nig­ten Staa­ten von Ame­ri­ka entwickelt.“

Die brei­ten­wirk­sam­ste Schrift von Joseph Kar­di­nal Ratz­in­ger, dem spä­te­ren Papst Bene­dikt XVI., war das 1985 erschie­ne­ne Gesprächs­buch „Zur Lage des Glau­bens“. Es war dann auch der Tod von Bene­dikt XVI., der den Start der neu­en Rei­he etwas ver­zö­ger­te. Doch nun ist es soweit. Der gott­se­li­ge Bene­dikt XVI. war es auch, der mit sei­nem Motu pro­prio Sum­morum Pon­ti­fi­cum der über­lie­fer­ten hei­li­gen Mes­se, die mar­gi­na­li­siert wor­den war, in der Kir­che wie­der recht­lich eine Heim­statt gab, die ihr zusteht. Seit­her ist viel gesche­hen und sei­ne Bemü­hun­gen schei­nen durch die jüng­sten Ereig­nis­se in wei­te Fer­ne gerückt. Don Micha­el Gurt­ner unter­nimmt den Ver­such, die Lage der Kir­che sech­zig Jah­re nach dem Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zil „nüch­tern“ und „kri­tisch“ in den Blick zu neh­men und nach der objek­ti­ven Sach­la­ge zu ana­ly­sie­ren. Katho​li​sches​.info schließt sich dem Wunsch des Autors an, den er mit die­ser Kolum­ne und dem damit ver­bun­de­nen Buch verknüpft:

„Möge es gege­ben sein, daß die­ses Büch­lein dazu bei­zu­tra­gen imstan­de ist, sich der Ursa­chen und Zusam­men­hän­ge der der­zei­ti­gen Schief­la­ge der katho­li­schen Kir­che bes­ser bewußt zu wer­den, und möge es auch ganz beson­ders dazu die­nen, gewis­se Erkennt­nis­se aus der durch ‚eccle­sia­sti­cal cor­rect­ness‘ ver­schlei­er­ten Ecke des Unsäg­li­chen her­aus­zu­ho­len. Denn das Her­ren­wort ‚Veri­tas libera­bit vos‘ ist uns nicht bloß Ver­hei­ßung, son­dern eben­so auch Weg­wei­sung und Auftrag.“

Ab dem 28. Janu­ar wird jeden Sams­tag eine Fra­ge und die Ant­wort dar­auf ver­öf­fent­licht. Die Rei­he ist durch das ein­heit­li­che Titel­bild gekenn­zeich­net; die Fra­gen wer­den fort­lau­fend nume­riert. Heu­te aber umreißt der Autor als Ein­füh­rung kurz die gene­rel­le Situa­ti­on. Die gesam­te Rei­he ist inzwi­schen auch in Buch­form erschie­nen. Die ent­spre­chen­den Anga­ben fin­den sich jeweils am Ende eines jeden Beitrags.

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Zur Lage des Glaubens – die generelle Situation

Von Don Micha­el Gurtner*

Wenn man die glo­ba­le Situa­ti­on der Kir­che im Gesam­ten qua­li­ta­tiv beschrei­ben will, so wird man nicht umhin­kom­men, jenes Urteil in heu­te noch um ein Viel­fa­ches ver­stärk­te Wei­se zu wie­der­ho­len, wel­ches die Kir­che seit min­de­stens dem 2. Vati­ka­ni­schen Kon­zil beglei­tet: Sie steckt in einer tie­fen Kri­se, die mitt­ler­wei­le am Eska­la­ti­ons­punkt ange­kom­men ist. War dies anfangs viel­leicht noch nicht allen deut­lich ersicht­lich und sag­ten dies wäh­rend und unmit­tel­bar nach dem Kon­zil erst eini­ge weni­ge hel­le Gei­ster, so ist die­se Erkennt­nis mitt­ler­wei­le der­ma­ßen offen­kun­dig gewor­den, daß sie selbst von libe­ra­len Den­kern zuge­ge­ben wird. Wür­de heu­te jemand behaup­ten, daß die Kir­che eine Blü­te­zeit erlebt oder daß der vom Zwei­ten Vati­ka­num ver­hei­ße­ne „neue Früh­ling der Kir­che“ ein­ge­tre­ten ist, so wür­de das nur Unver­ständ­nis und Kopf­schüt­teln her­vor­ru­fen. „Eis­wü­ste“ wür­de die Gegen­wart der Kir­che wohl viel treff­li­cher beschrei­ben. Der­wei­len wer­den in vie­len Diö­ze­sen des­halb gra­vie­ren­de Maß­nah­men getrof­fen, um auf die­se Kri­se zu reagie­ren – und man sagt es auch ganz offen, weil es mitt­ler­wei­le offen­sicht­lich ist. Ob vie­le die­ser getrof­fe­nen Maß­nah­men nicht viel eher das Gift als die Medi­zin sind, wäre eigens zu dis­ku­tie­ren, aber unge­ach­tet des­sen ist klar: Es wird alles weni­ger, es ist alles in einem – mensch­lich gedacht – unauf­halt­bar erschei­nen­den Selbst­zer­set­zungs­pro­zeß befind­lich, und als Ant­wort dar­auf muß man not­ge­drun­gen und von den Umstän­den gezwun­gen vom All­tags­ge­schäft zur Ver­wal­tung des Abbru­ches und des Nie­der­gangs über­ge­hen. In gewis­ser Wei­se gleicht die Kir­che heu­te einem Kon­kurs­ver­wal­ter, der eben­so ver­zwei­felt wie auch ver­ge­bens ver­sucht, vor der Öffent­lich­keit das offen­sicht­li­che Schei­tern als gro­ßen Erfolg und sat­ten Gewinn dar­zu­stel­len, weil sonst noch mehr Leu­te absprin­gen: Kei­ner stellt sich ger­ne auf die Ver­lie­rer­sei­te, und kei­ner heu­ert frei­wil­lig auf einem sin­ken­den Schiff an. Das Schiff­lein Petri hat mit dem letz­ten Kon­zil und allem, was danach noch kam, eine schwe­re Hava­rie erlit­ten, und ist nun seit Jahr­zehn­ten dabei, lang­sam, aber sicher in Unglau­ben und Bedeu­tungs­lo­sig­keit zu ver­sin­ken. Die Rat­ten ver­las­sen das sin­ken­de Schiff, und kei­ner kann es ihnen wirk­lich ver­übeln: Es geht um das geist­li­che Über­le­ben in einem glau­bens­feind­lich gewor­de­nen kirch­li­chen Ambi­en­te. Die Kir­che gleicht der Tita­nic, auf der die Musik auch wäh­rend ihres Unter­gangs ein­fach wei­ter­spiel­te, als sei nichts gesche­hen, um die Tra­gö­die zu ver­schö­nern und vom unmit­tel­bar bevor­ste­hen­den Unter­gang abzulenken.

Das gilt, wenn­gleich in etwas abge­schwäch­ter Wei­se, auch für jene Gebie­te der Erde, wo die Gläu­bi­gen zah­len­mä­ßig am Wach­sen sind: Das hat teils demo­gra­phi­sche Grün­de, teils ist es noch immer auf die Prä­senz guter Mis­si­ons­ge­mein­schaf­ten und see­len­eif­ri­ger Mis­sio­na­re alter Zei­ten, wie Exzel­lenz Lefeb­v­re einer war, bevor er Ordens­obe­rer und Bischof wur­de, zurück­zu­füh­ren. Jedoch die Quan­ti­tät allein als Maß­stab für die kirch­li­che Situa­ti­on vor Ort her­an­zu­zie­hen wäre töricht und unrea­li­stisch. Denn in die Beur­tei­lung der Lage darf nicht nur mit ein­flie­ßen, wie vie­le Men­schen ein Kir­chen­ge­bäu­de betre­ten, son­dern es muß auch Ein­gang fin­den, was sie glau­ben, wie sie es mit der hei­li­gen Lit­ur­gie hal­ten, ob sie ihr Leben nach Chri­stus aus­rich­ten und wie ihr Den­ken geformt ist. Wenn an einem Ort etwas vor­erst noch ein wenig „bes­ser“ läuft als anders­wo, so heißt dies noch lan­ge nicht, daß es „gut“ läuft, und aufs gesam­te gese­hen sich nicht auch in die­sel­be Rich­tung ent­wickelt und der Auf­lö­sung ent­ge­gen­geht, wenn­gleich viel­leicht in ande­rer Wei­se und mit einem ande­ren Tem­po. Oft hat eine Ent­wick­lung ledig­lich spä­ter ein­ge­setzt, ist aber die­sel­be, nur eben noch nicht so weit fort­ge­schrit­ten, und des­halb erscheint man­ches man­chen­orts „noch etwas bes­ser“, wobei der Schein trügt, weil man in ein paar Jah­ren am sel­ben Punkt sein wird. Die­ser Umstand wird heu­te lei­der oft übersehen.

Die Kri­se erstreckt sich dabei auf das gesam­te kirch­li­che Leben. Ange­fan­gen bei und mit dem Her­zen der Kir­che, der hei­li­gen Lit­ur­gie, die im argen liegt, über die Glau­bens­in­hal­te und die Glau­bens­pra­xis, bis hin zu den phi­lo­so­phi­schen Grund­la­gen, die still­schwei­gend aus­ge­tauscht wur­den, und der Per­so­nal­po­li­tik, über wel­che die Kir­che ja im wesent­li­chen regiert wird, gibt es kei­nen ein­zi­gen gesun­den Bereich mehr, der wenig­stens noch eini­ger­ma­ßen in Ord­nung ist.

  • Näch­sten Sams­tag folgt Fra­ge 1

*Mag. Don Micha­el Gurt­ner ist ein aus Öster­reich stam­men­der Diö­ze­san­prie­ster, der in der Zeit des öffent­li­chen Meß­ver­bots die­sem wider­stan­den und sich gro­ße Ver­dien­ste um den Zugang der Gläu­bi­gen zu den Sakra­men­ten erwor­ben hat.


Das Buch zur Rei­he: Don Micha­el Gurt­ner: Zur Lage der Kir­che, Selbst­ver­lag, 2023, 216 Seiten.

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