Von Don Michael Gurtner*
Frage: Und was ist der Grund dafür, daß die alte und die neue Liturgie nicht austauschbar sind? Es sind doch dieselben Sakramente und ebenso gültig, oder?
Antwort: Ja, gültig sind sie, die neue Liturgie hat sich sozusagen die Gültigkeit erhalten (was im Falle der Hl. Messe im übrigen auch einmal auf der Kippe stand: Die ursprünglich geplante Version des neuen Meßbuches wurde nie in Kraft gesetzt, sondern mußte bereits vor der Einführung schon durch eine Überarbeitung ersetzt werden, weil bei der eigentlich geplanten Version die Gültigkeit in Frage stand!), aber der „Mantel“ und damit auch das Gesamtverständnis wurde komplett verändert.
Das Problem bei der erneuerten Liturgie ist nämlich, daß sie an vielen Stellen ambivalent und mehrdeutig ist und dort sehr viel Interpretationsspielraum läßt, wo sie eigentlich ganz klar sein müßte. An manchen Stellen ist (oder übersetzt) sie auch falsch. Das kann mitunter noch fataler sein als der offene Irrtum, der für alle sichtbar ist, denn ein offener Irrtum wird leichter von vorneherein abgelehnt. Wo aber der Irrtum nicht offen zutage tritt, sondern lediglich impliziert ist oder diesen nur indirekt fördert, anstatt selbst klar vorhanden zu sein, wird dieser nicht so leicht als drohende Gefahr erkannt. Man fährt folglich die Schutzschilde nicht hoch und läßt ihn dadurch langsam einsickern, bis er sich einnisten und ungehindert ausbreiten kann, bis er als das Normale gilt und sogar verteidigt wird. Wir dürfen uns allein schon deswegen nicht mit einer minimalistischen Sicht begnügen und sagen: Solange es gültig ist, paßt es, und wir sind zufrieden.
Wenn man also die alte Liturgie abschafft und durch die neue „ersetzt“, so streicht man bestimmte Dinge ersatzlos und verändert andere substantiell. Es ist so, als würde ich ein Auto nicht durch ein anderes, gleichwertiges Auto ersetzen, sondern durch ein Fahrrad. Freilich kann ich sagen: Beides ist ein Fortbewegungsmittel, beide haben Räder und beschleunigen die Fortbewegung, beide kann ich lenken, beide haben Licht und ein akustisches Warnsignal. Das sind alles wahre Aussagen, die niemand vernünftigerweise widerlegen könnte. Aber niemand würde auf die Idee kommen und behaupten, das Fahrrad wäre ein „Ersatz“ für das Auto, schon gar ein gleichwertiger. Es gibt bei aller Ähnlichkeit verschiedener Elemente zu viele Eigenschaften des Autos, die gegenüber dem Fahrrad entweder verändert sind oder aber gänzlich fehlen. Das Fahrrad ist gegenüber dem Auto reduziert: Wenn ich das Auto durch das Fahrrad ersetze, so werden mir wesentliche Dinge ersatzlos weggenommen, über die ich nicht mehr verfüge. Dasselbe gilt analog auch für die alte und neue Liturgie: Die neue Liturgie hat Elemente ersatzlos gestrichen, die nun fehlen. Man hat den Leuten das Automobil weggenommen und ihnen ein Fahrrad als Ersatz gegeben und erwartet jetzt, daß sie dieses mit großer Begeisterung annehmen und sogar noch viel besser finden als ihr Auto.
Die neue Liturgie ist von daher sehr wohl gültig, aber auch sehr ungenügend, und das Gute ist von Mangelhaftem und gar Falschem durchwachsen. Aber gerade weil Mangelhaftes und Schlechtes in das Gute eingewoben sind und nicht einfach klar dastehen und in ebensolches Mangelhaftes und Schlechtes eingewoben sind, ist es auch so gefährlich und wirksam: Das Irrige wird viel leichter fälschlich als wahr angenommen und in das Denken der Gläubigen assimiliert.
Wenn wir sagen, daß die alte Liturgie gegenüber der neuen „höherwertiger“ und „besser“ ist und beide Riten daher nicht einfach gegeneinander austauschbar sind, so ist genau das gemeint: Sie ist nicht „gültiger“, aber sie ist vollständiger und wird ihrem Wesen und Auftrag gerechter.
Die neue Liturgie hingegen ist nicht unbedingt häretisch im strengen Sinne, d. h. sie leugnet nicht direkt katholische Glaubenswahrheiten. Aber sie entwuchs aus einem Denken heraus, das nicht das katholische war, und dieses Denken trägt sich in die neue Liturgie hinein, wo es sich dann entfaltet, einerseits indem es wichtige Dinge ausläßt, andererseits weil es häretische Ansichten und Denkweisen eindeutig begünstigt, ja geradezu nach ihnen drängt, auch wenn es diese nicht unbedingt deutlich sagt.
Eine klare, deutliche und vollständige Aussage (in Wort und Ritus) des katholischen Glaubens wäre aber von der Liturgie der heiligen katholischen Kirche verpflichtend geschuldet, und zwar in einem doppelten Sinne: sowohl gegenüber Gott als auch gegenüber den Menschen.
In diesem Sinne ist die Liturgiereform bzw. deren faktische Resultate also tatsächlich „schlecht“: Nicht, weil sie den katholischen Glauben in direkter Weise explizit leugnet, sondern weil sie durch Wort und Gestalt dem Geschuldeten in schwerer Weise nicht gerecht wird und dadurch aktiv und direkt zu einem Irrglauben verleitet.
*Mag. Don Michael Gurtner ist ein aus Österreich stammender Diözesanpriester, der in der Zeit des öffentlichen Meßverbots diesem widerstanden und sich große Verdienste um den Zugang der Gläubigen zu den Sakramenten erworben hat. Die aktuelle Kolumne erscheint jeden Samstag.
Das Buch zur Reihe: Don Michael Gurtner: Zur Lage der Kirche, Selbstverlag, 2023, 216 Seiten.
Bisher erschienen:
- Zur Lage der Kirche – eine neue Kolumne
- Zur Lage der Kirche – Frage 1
- Zur Lage der Kirche – Frage 2
- Zur Lage der Kirche – Frage 3
- Zur Lage der Kirche – Frage 4
- Zur Lage der Kirche – Frage 5
- Zur Lage der Kirche – Frage 6
- Zur Lage der Kirche – Frage 7
- Zur Lage der Kirche – Frage 8
- Zur Lage der Kirche – Frage 9
- Zur Lage der Kirche – Frage 10
- Zur Lage der Kirche – Frage 11
- Zur Lage der Kirche – Frage 12
- Zur Lage der Kirche – Frage 13
- Zur Lage der Kirche – Frage 14
- Zur Lage der Kirche – Frage 15
- Zur Lage der Kirche – Frage 16
- Zur Lage der Kirche – Frage 17
- Zur Lage der Kirche – Frage 18
- Zur Lage der Kirche – Frage 19
- Zur Lage der Kirche – Frage 20
- Zur Lage der Kirche – Frage 21
- Zur Lage der Kirche – Frage 22
- Zur Lage der Kirche – Frage 23
- Zur Lage der Kirche – Frage 24
- Zur Lage der Kirche – Frage 25
- Zur Lage der Kirche – Frage 26
- Zur Lage der Kirche – Frage 27
- Zur Lage der Kirche – Frage 28
- Zur Lage der Kirche – Frage 29
- Zur Lage der Kirche – Frage 30
- Zur Lage der Kirche – Frage 31
- Zur Lage der Kirche – Frage 32
- Zur Lage der Kirche – Frage 33
- Zur Lage der Kirche – Frage 34
- Zur Lage der Kirche – Frage 35
- Zur Lage der Kirche – Frage 36
- Zur Lage der Kirche – Frage 37
- Zur Lage der Kirche – Frage 38
- Zur Lage der Kirche – Frage 39
- Zur Lage der Kirche – Frage 40
- Zur Lage der Kirche – Frage 41
- Zur Lage der Kirche – Frage 42
- Zur Lage der Kirche – Frage 43
- Zur Lage der Kirche – Frage 44
- Zur Lage der Kirche – Frage 45
- Zur Lage der Kirche – Frage 46
- Zur Lage der Kirche – Frage 47
- Zur Lage der Kirche – Frage 48
- Zur Lage der Kirche – Frage 49
- Zur Lage der Kirche – Frage 50
- Zur Lage der Kirche – Frage 51
- Zur Lage der Kirche – Frage 52