Zur Lage der Kirche – Frage 53

Mit der neuen Liturgie wurde das Gesamtverständnis komplett verändert


Don Michael Gurtner: Zur Lage der Kirche

Von Don Micha­el Gurtner*

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Fra­ge: Und was ist der Grund dafür, daß die alte und die neue Lit­ur­gie nicht aus­tausch­bar sind? Es sind doch die­sel­ben Sakra­men­te und eben­so gül­tig, oder?

Ant­wort: Ja, gül­tig sind sie, die neue Lit­ur­gie hat sich sozu­sa­gen die Gül­tig­keit erhal­ten (was im Fal­le der Hl. Mes­se im übri­gen auch ein­mal auf der Kip­pe stand: Die ursprüng­lich geplan­te Ver­si­on des neu­en Meß­bu­ches wur­de nie in Kraft gesetzt, son­dern muß­te bereits vor der Ein­füh­rung schon durch eine Über­ar­bei­tung ersetzt wer­den, weil bei der eigent­lich geplan­ten Ver­si­on die Gül­tig­keit in Fra­ge stand!), aber der „Man­tel“ und damit auch das Gesamt­ver­ständ­nis wur­de kom­plett verändert.

Das Pro­blem bei der erneu­er­ten Lit­ur­gie ist näm­lich, daß sie an vie­len Stel­len ambi­va­lent und mehr­deu­tig ist und dort sehr viel Inter­pre­ta­ti­ons­spiel­raum läßt, wo sie eigent­lich ganz klar sein müß­te. An man­chen Stel­len ist (oder über­setzt) sie auch falsch. Das kann mit­un­ter noch fata­ler sein als der offe­ne Irr­tum, der für alle sicht­bar ist, denn ein offe­ner Irr­tum wird leich­ter von vor­ne­her­ein abge­lehnt. Wo aber der Irr­tum nicht offen zuta­ge tritt, son­dern ledig­lich impli­ziert ist oder die­sen nur indi­rekt för­dert, anstatt selbst klar vor­han­den zu sein, wird die­ser nicht so leicht als dro­hen­de Gefahr erkannt. Man fährt folg­lich die Schutz­schil­de nicht hoch und läßt ihn dadurch lang­sam ein­sickern, bis er sich ein­ni­sten und unge­hin­dert aus­brei­ten kann, bis er als das Nor­ma­le gilt und sogar ver­tei­digt wird. Wir dür­fen uns allein schon des­we­gen nicht mit einer mini­ma­li­sti­schen Sicht begnü­gen und sagen: Solan­ge es gül­tig ist, paßt es, und wir sind zufrieden.

Wenn man also die alte Lit­ur­gie abschafft und durch die neue „ersetzt“, so streicht man bestimm­te Din­ge ersatz­los und ver­än­dert ande­re sub­stan­ti­ell. Es ist so, als wür­de ich ein Auto nicht durch ein ande­res, gleich­wer­ti­ges Auto erset­zen, son­dern durch ein Fahr­rad. Frei­lich kann ich sagen: Bei­des ist ein Fort­be­we­gungs­mit­tel, bei­de haben Räder und beschleu­ni­gen die Fort­be­we­gung, bei­de kann ich len­ken, bei­de haben Licht und ein aku­sti­sches Warn­si­gnal. Das sind alles wah­re Aus­sa­gen, die nie­mand ver­nünf­ti­ger­wei­se wider­le­gen könn­te. Aber nie­mand wür­de auf die Idee kom­men und behaup­ten, das Fahr­rad wäre ein „Ersatz“ für das Auto, schon gar ein gleich­wer­ti­ger. Es gibt bei aller Ähn­lich­keit ver­schie­de­ner Ele­men­te zu vie­le Eigen­schaf­ten des Autos, die gegen­über dem Fahr­rad ent­we­der ver­än­dert sind oder aber gänz­lich feh­len. Das Fahr­rad ist gegen­über dem Auto redu­ziert: Wenn ich das Auto durch das Fahr­rad erset­ze, so wer­den mir wesent­li­che Din­ge ersatz­los weg­ge­nom­men, über die ich nicht mehr ver­fü­ge. Das­sel­be gilt ana­log auch für die alte und neue Lit­ur­gie: Die neue Lit­ur­gie hat Ele­men­te ersatz­los gestri­chen, die nun feh­len. Man hat den Leu­ten das Auto­mo­bil weg­ge­nom­men und ihnen ein Fahr­rad als Ersatz gege­ben und erwar­tet jetzt, daß sie die­ses mit gro­ßer Begei­ste­rung anneh­men und sogar noch viel bes­ser fin­den als ihr Auto.

Die neue Lit­ur­gie ist von daher sehr wohl gül­tig, aber auch sehr unge­nü­gend, und das Gute ist von Man­gel­haf­tem und gar Fal­schem durch­wach­sen. Aber gera­de weil Man­gel­haf­tes und Schlech­tes in das Gute ein­ge­wo­ben sind und nicht ein­fach klar daste­hen und in eben­sol­ches Man­gel­haf­tes und Schlech­tes ein­ge­wo­ben sind, ist es auch so gefähr­lich und wirk­sam: Das Irri­ge wird viel leich­ter fälsch­lich als wahr ange­nom­men und in das Den­ken der Gläu­bi­gen assimiliert.

Wenn wir sagen, daß die alte Lit­ur­gie gegen­über der neu­en „höher­wer­ti­ger“ und „bes­ser“ ist und bei­de Riten daher nicht ein­fach gegen­ein­an­der aus­tausch­bar sind, so ist genau das gemeint: Sie ist nicht „gül­ti­ger“, aber sie ist voll­stän­di­ger und wird ihrem Wesen und Auf­trag gerechter.

Die neue Lit­ur­gie hin­ge­gen ist nicht unbe­dingt häre­tisch im stren­gen Sin­ne, d. h. sie leug­net nicht direkt katho­li­sche Glau­bens­wahr­hei­ten. Aber sie ent­wuchs aus einem Den­ken her­aus, das nicht das katho­li­sche war, und die­ses Den­ken trägt sich in die neue Lit­ur­gie hin­ein, wo es sich dann ent­fal­tet, einer­seits indem es wich­ti­ge Din­ge aus­läßt, ande­rer­seits weil es häre­ti­sche Ansich­ten und Denk­wei­sen ein­deu­tig begün­stigt, ja gera­de­zu nach ihnen drängt, auch wenn es die­se nicht unbe­dingt deut­lich sagt.

Eine kla­re, deut­li­che und voll­stän­di­ge Aus­sa­ge (in Wort und Ritus) des katho­li­schen Glau­bens wäre aber von der Lit­ur­gie der hei­li­gen katho­li­schen Kir­che ver­pflich­tend geschul­det, und zwar in einem dop­pel­ten Sin­ne: sowohl gegen­über Gott als auch gegen­über den Menschen.

In die­sem Sin­ne ist die Lit­ur­gie­re­form bzw. deren fak­ti­sche Resul­ta­te also tat­säch­lich „schlecht“: Nicht, weil sie den katho­li­schen Glau­ben in direk­ter Wei­se expli­zit leug­net, son­dern weil sie durch Wort und Gestalt dem Geschul­de­ten in schwe­rer Wei­se nicht gerecht wird und dadurch aktiv und direkt zu einem Irr­glau­ben verleitet.

*Mag. Don Micha­el Gurt­ner ist ein aus Öster­reich stam­men­der Diö­ze­san­prie­ster, der in der Zeit des öffent­li­chen Meß­ver­bots die­sem wider­stan­den und sich gro­ße Ver­dien­ste um den Zugang der Gläu­bi­gen zu den Sakra­men­ten erwor­ben hat. Die aktu­el­le Kolum­ne erscheint jeden Samstag.


Das Buch zur Rei­he: Don Micha­el Gurt­ner: Zur Lage der Kir­che, Selbst­ver­lag, 2023, 216 Seiten.


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