Von Don Michael Gurtner*
Frage 7: Und der Vorwurf der Kritiker, die alte Liturgie sei die Liturgie einer kulturellen Elite?
Antwort: Nun, der Kult – ein jeder Kult – muß zwangsläufig kulturelle Güter hervorbringen, wenn er wirklich ernstgemeint ist. Daß Kultur aus dem Kult fließt, das geht ganz automatisch und ist ein gesunder und natürlicher Prozeß, der letztlich unvermeidlich ist, selbst wenn man ihn vermeiden wollte. Denn ein jedes Tun, auch ein geistliches, geschieht eben auf eine gewisse Art und Weise, und was sich vermeintlich oder tatsächlich bewährt, das bewahrt sich auch und tradiert sich weiter. Was als gut und fruchtbar befunden wird, das wird gepflegt, wiederholt, verbessert, und wird somit auch (ohne das negativ zu meinen oder der Essenz Abbruch zu tun) auch in einem gewissen Maß zu einer „Kultur“, d. h. zu etwas, das man pflegt, zu einer „guten Gewohnheit“ eben und zu einem sichtbaren oder hörbaren Ausdruck einer Überzeugung. Ja auf längere Sicht gesehen braucht der Kult letztlich sogar die Unterstützung der Kultur. Er kommt ohne sie nicht auf Dauer aus. Glaube und Liturgie gehören von daher untrennbar zusammen, und beide gründen auf Überzeugungen, die letztlich ineinander zusammenfließen und eins werden: Liturgie ist gelebter Glaube, und Glaube lebt umgekehrt in ganz besonders verdichteter Form in und durch Liturgie. Wo aber Überzeugungen herrschen, dort strahlen sie auch in andere Lebensbereiche herein und formen auch das ganz Menschliche in unserem Leben: womit wir uns umgeben, wie wir unsere Wohn- und Arbeitsstätten gestalten, wie wir unsere Zeit verbringen, aber gerade auch in die künstlerischen und gestalterischen Bereiche wirken Überzeugungen sehr stark hinein. Wo Religion kulturprägend ist (also die Gesamtheit prägt), dort ist sie dies nur, weil sie zuvor lebensprägend war und ist (also den Einzelnen prägt), und das ist positiv. Denn umgekehrt hat ja auch das kulturell Hochstehende eine positiv prägende Wirkung auf den Menschen, die seinen Sinn für das Religiöse stärkt und auf seine ihm eigene Weise zu höheren Gütern hinführt. Wenn viele einzelne in etwas übereinstimmen, dann wird es plötzlich zum Allgemeingut.
Von daher würde ich mich dagegen verwehren, das Sakrale und das Kulturelle gegeneinander auszuspielen, nahezu so, als würde das Kulturelle unweigerlich vom Glauben fernhalten oder unvereinbar mit diesem sein. Ganz im Gegenteil: Wenn Liturgie also mit Kunst und Kultur in Verbindung gebracht wird, und sei es nur, um es zu kritisieren, dann ist das zunächst einmal ein gutes Zeichen. Man muß sich viel eher Sorgen darüber machen, daß dies als Kritikpunkt angesehen wird. Denn einem kulturlosen Glauben, der von vielen sozusagen als reiner und gereinigter Glaube proklamiert wird, würde ohne die kulturelle Komponente (die in Wirklichkeit auch eine geistliche Dimension in sich birgt) sowohl ein Transport- als auch ein „Werbemittel“ fehlen. Auch wenn es wahr ist, daß die Seele über dem Leib steht, so ist das Leibliche nun einmal eine zum Menschen gehörige Wirklichkeit, die nicht ungestraft übergangen werden kann.
Und was den zweiten Punkt angeht, der angesprochen ist, nämlich das Elitäre, so sind zwei Dinge festzuhalten: Zunächst einmal sind Eliten noch nicht per se etwas Schlechtes, sondern sagt an sich nur aus, daß es sich um eine Gruppe handelt, die in einem bestimmten Bereich (wirklich oder vermeintlich) qualitativ besonders hochstehend ist und das Umfeld prägt. Das ist einmal die Grundbedeutung von „elitär“. Dies als beinah schon negativ abzutun und von daher als Vorwurf zu verwenden ist sehr befremdlich, da es in der gesunden Menschennatur ja geradezu verankert ist sich nach oben hin auszustrecken, Großes zu erreichen und Gutes zu leisten. Es ist im Menschen grundgelegt, daß er versucht nach seinen Überzeugungen zu leben, die er als gut qualifiziert, und diese auch zu verbreiten. In diesem Sinne sollte jeder danach trachten, sein als gut empfundenes Denken als allgemein akzeptiert zu etablieren, eben „elitär“ zu sein.
Auch in der Schule sehen wir immer wieder Kinder, die gute und sehr gute Leistungen in manchen Gebieten erbringen und deshalb von Mitschülern oder sogar von Lehrern gemobbt werden. Dieses Verhalten von mehr oder minder subtilem Mobbing gegenüber altrituellen Gemeinschaften oder Gläubigen hat eine starke Verbreitung gefunden und ist sozusagen kirchengesellschaftlich weitgehend akzeptiert: „Ihr nehmt es ernst, und rückt allein dadurch uns andere in ein schlechtes Licht“. Anstelle daß man selbst danach strebt, zu einer Elite zu gehören, versucht man andere, die in einer solchen wirklich oder vermeintlich sind, sozusagen „runterzuziehen“. Es ist nämlich weniger aufwendig, als wenn man mühsam nach oben streben und an sich manche Fragen stellen müßte.
Weiters ist zu sagen: Nicht alle Eliten sind einem bestimmten Kreis vorbehalten. Gerade jene Eliten, wo es um Kunst, Kultur oder eben gerade auch um Religion geht, stehen ja allen offen – ganz im Gegensatz etwa zu politischen oder wirtschaftlichen Eliten, die oft sehr in sich selbst geschlossene Zirkel sind. Von daher ist gerade hier ein weit offener Bereich zu sehen, wo sozusagen auch „der kleine Mann“ Zugang zum wirklich Hochstehenden hat. Denn während manche Eliten tatsächlich ungesunde Züge in sich tragen (auch wenn dies, wie gesagt, nicht automatisch zu deren Grundeigenschaften gehört) und manchmal objektiv vielleicht auch gar nicht wirklich so „elitär“ sind, wie sie es subjektiv vielleicht meinen, und dann auch eher unter sich bleiben wollen, weil sie sich selbst für besser halten, sind die traditionsverbundenen Kreise hierin geradezu gegenteilig: Sie sind viel eher darauf bedacht, daß sich möglichst viele selbst zu ihnen zählen. Jedenfalls versuchen sie immer auch, den Grundwasserspiegel im gesamten hoch zu halten und nicht unter ein bestimmtes Maß sinken zu lassen, wie es andernorts schon lange geschehen ist, so daß der Glaube in weiten Landstrichen wirklich schon ausgetrocknet ist und man auch eine religiöse Bildungswüste feststellen muß.
Wenn der Gegenentwurf, der Zerstörtes wieder aufbauen will, dann als elitär gilt und dies wiederum als so negativ gesehen wird, daß man manche Gruppen dessen sozusagen anklagen muß, dann ist auch klar von welcher Seite diese „Vorwürfe“ kommen. Es ist ein wenig so, als würde nach einem Erdbeben den Menschen, die ihre Häuser wieder aufbauen wollen, vorgeworfen werden, sie seien versnobt und sich wohl zu gut, um in Baracken leben zu wollen.
Und letztlich ist noch zu sagen: Europa ist de facto nun einmal auf der Säule des katholischen Glaubens aufgebaut, der einst so viel Überzeugungskraft hatte und das alltägliche Leben der Menschen derart prägte, daß er sogar in Musik, Malerei, Architektur und der Schriftstellerei tief verankert war. Es zeigt, daß der Glaube nicht nur eine Sache des Sonntags war, sondern wirklich das ganz normale Leben prägte und bestimmte.
Heute würde wohl kaum mehr ein neu entstandenes Dorf nach einem Heiligen benannt, und auf den Plätzen bauen wir nach wie vor gerne Brunnen, aber keine mehr, die mit Heiligen in Verbindung stehen. War in alten Filmen ganz selbstverständlich der Herrgottswinkel in den Häusern präsent, ebenso wie der sonntägliche Kirchgang und andere religiöse Dinge, so fehlt all dies heute nahezu vollkommen, weil es zum einen nicht mehr das durchschnittliche Leben widerspiegelt, und zum anderen, weil es vielfach nicht einmal mehr gesellschaftlich akzeptiert wird: Es gilt als sonderbar und skurril. Der Glaube, so meint man, ist nichts für den ernsthaften Menschen. Es sind mir Familien bekannt, die mit den Kindern nur deshalb nicht mehr in die Kirche gehen, damit diese nicht von den Lehrern und Mitschülern gemobbt werden. Oder von Leuten, die zwar sozusagen heimlich in die Kirche gehen, aber nicht am eigenen Ort, weil sie am Montag in der Arbeit sagen, sie hätten den Sonntagvormittag ganz anders verbracht, mit Sport oder Schlafen oder Freizeitaktivitäten, weil sie sonst in der Arbeit nicht akzeptiert würden und in der Karriere nicht vorankämen. Auch diese Aspekte, die im übrigen die neue Liturgie in gleichem Maße betreffen wie die alte, entkräften sofort das ohnedies falsche Argument, man würde sich „elitär“ fühlen. Dieses Argument verwenden nahezu ausschließlich kirchliche Bedienstete, die gegen die alte Liturgie sind und denen meist selbst die neue Liturgie, so wie sie vorgesehen ist, noch zu „altmodisch“ ist, und kaum von säkularisierten, neuheidnischen Durchschnittsbürgern, die hier wesentlich toleranter sind. Aber vor der „Durchschnittswelt“ würden diese Kirchenangestellten sich selbst genauso dem Vorwurf ausgesetzt sehen, ob sie „meinten, sie seien etwas Besseres“. Der Durchschnittsbürger kritisiert vielleicht die Religiosität an sich, aber gewiß nicht eine alte liturgische Form davon: Im Gegenteil, gerade die neuen Formen gelten in kirchenfernen Kreisen als besonders skurril und unnormal. Diese Traditionskritiker würden in einem normalen Betrieb als ebenso „unheutig“ gelten und deren Kinder würden in der Schule nicht besser akzeptiert, egal ob sie in einen „thematischen Aktionsgottesdienst“ gehen oder in ein hochfeierliches Levitenamt. Von daher würde ich meinen, wer sowas behauptet, schießt mit Pfeilen auf diejenigen, mit denen er im selben Schlauchboot sitzt.
*Mag. Don Michael Gurtner ist ein aus Österreich stammender Diözesanpriester, der in der Zeit des öffentlichen Meßverbots diesem widerstanden und sich große Verdienste um den Zugang der Gläubigen zu den Sakramenten erworben hat. Die aktuelle Kolumne erscheint jeden Samstag.
Das Buch zur Reihe: Don Michael Gurtner: Zur Lage der Kirche, Selbstverlag, 2023, 216 Seiten.
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