Zur Lage der Kirche – Frage 7

60 Jahre nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil – Eine Analyse


Don Michael Gurtner: Zur Lage der Kirche

Von Don Micha­el Gurtner*

Anzei­ge

Fra­ge 7: Und der Vor­wurf der Kri­ti­ker, die alte Lit­ur­gie sei die Lit­ur­gie einer kul­tu­rel­len Elite?

Ant­wort: Nun, der Kult – ein jeder Kult – muß zwangs­läu­fig kul­tu­rel­le Güter her­vor­brin­gen, wenn er wirk­lich ernst­ge­meint ist. Daß Kul­tur aus dem Kult fließt, das geht ganz auto­ma­tisch und ist ein gesun­der und natür­li­cher Pro­zeß, der letzt­lich unver­meid­lich ist, selbst wenn man ihn ver­mei­den woll­te. Denn ein jedes Tun, auch ein geist­li­ches, geschieht eben auf eine gewis­se Art und Wei­se, und was sich ver­meint­lich oder tat­säch­lich bewährt, das bewahrt sich auch und tra­diert sich wei­ter. Was als gut und frucht­bar befun­den wird, das wird gepflegt, wie­der­holt, ver­bes­sert, und wird somit auch (ohne das nega­tiv zu mei­nen oder der Essenz Abbruch zu tun) auch in einem gewis­sen Maß zu einer „Kul­tur“, d. h. zu etwas, das man pflegt, zu einer „guten Gewohn­heit“ eben und zu einem sicht­ba­ren oder hör­ba­ren Aus­druck einer Über­zeu­gung. Ja auf län­ge­re Sicht gese­hen braucht der Kult letzt­lich sogar die Unter­stüt­zung der Kul­tur. Er kommt ohne sie nicht auf Dau­er aus. Glau­be und Lit­ur­gie gehö­ren von daher untrenn­bar zusam­men, und bei­de grün­den auf Über­zeu­gun­gen, die letzt­lich inein­an­der zusam­men­flie­ßen und eins wer­den: Lit­ur­gie ist geleb­ter Glau­be, und Glau­be lebt umge­kehrt in ganz beson­ders ver­dich­te­ter Form in und durch Lit­ur­gie. Wo aber Über­zeu­gun­gen herr­schen, dort strah­len sie auch in ande­re Lebens­be­rei­che her­ein und for­men auch das ganz Mensch­li­che in unse­rem Leben: womit wir uns umge­ben, wie wir unse­re Wohn- und Arbeits­stät­ten gestal­ten, wie wir unse­re Zeit ver­brin­gen, aber gera­de auch in die künst­le­ri­schen und gestal­te­ri­schen Berei­che wir­ken Über­zeu­gun­gen sehr stark hin­ein. Wo Reli­gi­on kul­tur­prä­gend ist (also die Gesamt­heit prägt), dort ist sie dies nur, weil sie zuvor lebens­prä­gend war und ist (also den Ein­zel­nen prägt), und das ist posi­tiv. Denn umge­kehrt hat ja auch das kul­tu­rell Hoch­ste­hen­de eine posi­tiv prä­gen­de Wir­kung auf den Men­schen, die sei­nen Sinn für das Reli­giö­se stärkt und auf sei­ne ihm eige­ne Wei­se zu höhe­ren Gütern hin­führt. Wenn vie­le ein­zel­ne in etwas über­ein­stim­men, dann wird es plötz­lich zum Allgemeingut.

Von daher wür­de ich mich dage­gen ver­weh­ren, das Sakra­le und das Kul­tu­rel­le gegen­ein­an­der aus­zu­spie­len, nahe­zu so, als wür­de das Kul­tu­rel­le unwei­ger­lich vom Glau­ben fern­hal­ten oder unver­ein­bar mit die­sem sein. Ganz im Gegen­teil: Wenn Lit­ur­gie also mit Kunst und Kul­tur in Ver­bin­dung gebracht wird, und sei es nur, um es zu kri­ti­sie­ren, dann ist das zunächst ein­mal ein gutes Zei­chen. Man muß sich viel eher Sor­gen dar­über machen, daß dies als Kri­tik­punkt ange­se­hen wird. Denn einem kul­tur­lo­sen Glau­ben, der von vie­len sozu­sa­gen als rei­ner und gerei­nig­ter Glau­be pro­kla­miert wird, wür­de ohne die kul­tu­rel­le Kom­po­nen­te (die in Wirk­lich­keit auch eine geist­li­che Dimen­si­on in sich birgt) sowohl ein Trans­port- als auch ein „Wer­be­mit­tel“ feh­len. Auch wenn es wahr ist, daß die See­le über dem Leib steht, so ist das Leib­li­che nun ein­mal eine zum Men­schen gehö­ri­ge Wirk­lich­keit, die nicht unge­straft über­gan­gen wer­den kann.

Und was den zwei­ten Punkt angeht, der ange­spro­chen ist, näm­lich das Eli­tä­re, so sind zwei Din­ge fest­zu­hal­ten: Zunächst ein­mal sind Eli­ten noch nicht per se etwas Schlech­tes, son­dern sagt an sich nur aus, daß es sich um eine Grup­pe han­delt, die in einem bestimm­ten Bereich (wirk­lich oder ver­meint­lich) qua­li­ta­tiv beson­ders hoch­ste­hend ist und das Umfeld prägt. Das ist ein­mal die Grund­be­deu­tung von „eli­tär“. Dies als bei­nah schon nega­tiv abzu­tun und von daher als Vor­wurf zu ver­wen­den ist sehr befremd­lich, da es in der gesun­den Men­schen­na­tur ja gera­de­zu ver­an­kert ist sich nach oben hin aus­zu­strecken, Gro­ßes zu errei­chen und Gutes zu lei­sten. Es ist im Men­schen grund­ge­legt, daß er ver­sucht nach sei­nen Über­zeu­gun­gen zu leben, die er als gut qua­li­fi­ziert, und die­se auch zu ver­brei­ten. In die­sem Sin­ne soll­te jeder danach trach­ten, sein als gut emp­fun­de­nes Den­ken als all­ge­mein akzep­tiert zu eta­blie­ren, eben „eli­tär“ zu sein.

Auch in der Schu­le sehen wir immer wie­der Kin­der, die gute und sehr gute Lei­stun­gen in man­chen Gebie­ten erbrin­gen und des­halb von Mit­schü­lern oder sogar von Leh­rern gemobbt wer­den. Die­ses Ver­hal­ten von mehr oder min­der sub­ti­lem Mob­bing gegen­über alt­ri­tu­el­len Gemein­schaf­ten oder Gläu­bi­gen hat eine star­ke Ver­brei­tung gefun­den und ist sozu­sa­gen kir­chen­ge­sell­schaft­lich weit­ge­hend akzep­tiert: „Ihr nehmt es ernst, und rückt allein dadurch uns ande­re in ein schlech­tes Licht“. Anstel­le daß man selbst danach strebt, zu einer Eli­te zu gehö­ren, ver­sucht man ande­re, die in einer sol­chen wirk­lich oder ver­meint­lich sind, sozu­sa­gen „run­ter­zu­zie­hen“. Es ist näm­lich weni­ger auf­wen­dig, als wenn man müh­sam nach oben stre­ben und an sich man­che Fra­gen stel­len müßte.

Wei­ters ist zu sagen: Nicht alle Eli­ten sind einem bestimm­ten Kreis vor­be­hal­ten. Gera­de jene Eli­ten, wo es um Kunst, Kul­tur oder eben gera­de auch um Reli­gi­on geht, ste­hen ja allen offen – ganz im Gegen­satz etwa zu poli­ti­schen oder wirt­schaft­li­chen Eli­ten, die oft sehr in sich selbst geschlos­se­ne Zir­kel sind. Von daher ist gera­de hier ein weit offe­ner Bereich zu sehen, wo sozu­sa­gen auch „der klei­ne Mann“ Zugang zum wirk­lich Hoch­ste­hen­den hat. Denn wäh­rend man­che Eli­ten tat­säch­lich unge­sun­de Züge in sich tra­gen (auch wenn dies, wie gesagt, nicht auto­ma­tisch zu deren Grund­ei­gen­schaf­ten gehört) und manch­mal objek­tiv viel­leicht auch gar nicht wirk­lich so „eli­tär“ sind, wie sie es sub­jek­tiv viel­leicht mei­nen, und dann auch eher unter sich blei­ben wol­len, weil sie sich selbst für bes­ser hal­ten, sind die tra­di­ti­ons­ver­bun­de­nen Krei­se hier­in gera­de­zu gegen­tei­lig: Sie sind viel eher dar­auf bedacht, daß sich mög­lichst vie­le selbst zu ihnen zäh­len. Jeden­falls ver­su­chen sie immer auch, den Grund­was­ser­spie­gel im gesam­ten hoch zu hal­ten und nicht unter ein bestimm­tes Maß sin­ken zu las­sen, wie es andern­orts schon lan­ge gesche­hen ist, so daß der Glau­be in wei­ten Land­stri­chen wirk­lich schon aus­ge­trock­net ist und man auch eine reli­giö­se Bil­dungs­wü­ste fest­stel­len muß.

Wenn der Gegen­ent­wurf, der Zer­stör­tes wie­der auf­bau­en will, dann als eli­tär gilt und dies wie­der­um als so nega­tiv gese­hen wird, daß man man­che Grup­pen des­sen sozu­sa­gen ankla­gen muß, dann ist auch klar von wel­cher Sei­te die­se „Vor­wür­fe“ kom­men. Es ist ein wenig so, als wür­de nach einem Erd­be­ben den Men­schen, die ihre Häu­ser wie­der auf­bau­en wol­len, vor­ge­wor­fen wer­den, sie sei­en ver­snobt und sich wohl zu gut, um in Baracken leben zu wollen.

Und letzt­lich ist noch zu sagen: Euro­pa ist de fac­to nun ein­mal auf der Säu­le des katho­li­schen Glau­bens auf­ge­baut, der einst so viel Über­zeu­gungs­kraft hat­te und das all­täg­li­che Leben der Men­schen der­art präg­te, daß er sogar in Musik, Male­rei, Archi­tek­tur und der Schrift­stel­le­rei tief ver­an­kert war. Es zeigt, daß der Glau­be nicht nur eine Sache des Sonn­tags war, son­dern wirk­lich das ganz nor­ma­le Leben präg­te und bestimmte.

Heu­te wür­de wohl kaum mehr ein neu ent­stan­de­nes Dorf nach einem Hei­li­gen benannt, und auf den Plät­zen bau­en wir nach wie vor ger­ne Brun­nen, aber kei­ne mehr, die mit Hei­li­gen in Ver­bin­dung ste­hen. War in alten Fil­men ganz selbst­ver­ständ­lich der Herr­gotts­win­kel in den Häu­sern prä­sent, eben­so wie der sonn­täg­li­che Kirch­gang und ande­re reli­giö­se Din­ge, so fehlt all dies heu­te nahe­zu voll­kom­men, weil es zum einen nicht mehr das durch­schnitt­li­che Leben wider­spie­gelt, und zum ande­ren, weil es viel­fach nicht ein­mal mehr gesell­schaft­lich akzep­tiert wird: Es gilt als son­der­bar und skur­ril. Der Glau­be, so meint man, ist nichts für den ernst­haf­ten Men­schen. Es sind mir Fami­li­en bekannt, die mit den Kin­dern nur des­halb nicht mehr in die Kir­che gehen, damit die­se nicht von den Leh­rern und Mit­schü­lern gemobbt wer­den. Oder von Leu­ten, die zwar sozu­sa­gen heim­lich in die Kir­che gehen, aber nicht am eige­nen Ort, weil sie am Mon­tag in der Arbeit sagen, sie hät­ten den Sonn­tag­vor­mit­tag ganz anders ver­bracht, mit Sport oder Schla­fen oder Frei­zeit­ak­ti­vi­tä­ten, weil sie sonst in der Arbeit nicht akzep­tiert wür­den und in der Kar­rie­re nicht vor­an­kä­men. Auch die­se Aspek­te, die im übri­gen die neue Lit­ur­gie in glei­chem Maße betref­fen wie die alte, ent­kräf­ten sofort das ohne­dies fal­sche Argu­ment, man wür­de sich „eli­tär“ füh­len. Die­ses Argu­ment ver­wen­den nahe­zu aus­schließ­lich kirch­li­che Bedien­ste­te, die gegen die alte Lit­ur­gie sind und denen meist selbst die neue Lit­ur­gie, so wie sie vor­ge­se­hen ist, noch zu „alt­mo­disch“ ist, und kaum von säku­la­ri­sier­ten, neu­heid­ni­schen Durch­schnitts­bür­gern, die hier wesent­lich tole­ran­ter sind. Aber vor der „Durch­schnitts­welt“ wür­den die­se Kir­chen­an­ge­stell­ten sich selbst genau­so dem Vor­wurf aus­ge­setzt sehen, ob sie „mein­ten, sie sei­en etwas Bes­se­res“. Der Durch­schnitts­bür­ger kri­ti­siert viel­leicht die Reli­gio­si­tät an sich, aber gewiß nicht eine alte lit­ur­gi­sche Form davon: Im Gegen­teil, gera­de die neu­en For­men gel­ten in kir­chen­fer­nen Krei­sen als beson­ders skur­ril und unnor­mal. Die­se Tra­di­ti­ons­kri­ti­ker wür­den in einem nor­ma­len Betrieb als eben­so „unheu­tig“ gel­ten und deren Kin­der wür­den in der Schu­le nicht bes­ser akzep­tiert, egal ob sie in einen „the­ma­ti­schen Akti­ons­got­tes­dienst“ gehen oder in ein hoch­fei­er­li­ches Levi­ten­amt. Von daher wür­de ich mei­nen, wer sowas behaup­tet, schießt mit Pfei­len auf die­je­ni­gen, mit denen er im sel­ben Schlauch­boot sitzt.

*Mag. Don Micha­el Gurt­ner ist ein aus Öster­reich stam­men­der Diö­ze­san­prie­ster, der in der Zeit des öffent­li­chen Meß­ver­bots die­sem wider­stan­den und sich gro­ße Ver­dien­ste um den Zugang der Gläu­bi­gen zu den Sakra­men­ten erwor­ben hat. Die aktu­el­le Kolum­ne erscheint jeden Samstag.


Das Buch zur Rei­he: Don Micha­el Gurt­ner: Zur Lage der Kir­che, Selbst­ver­lag, 2023, 216 Seiten.


Bis­her erschienen:

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