Zur Lage der Kirche – Frage 5

60 Jahre nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil – Eine Analyse


Don Gurtner Zur Lage der Kirche

Von Don Micha­el Gurtner*

Anzei­ge

Fra­ge 5: Ein oft­mal erho­be­ner Vor­wurf ist, daß die tra­di­tio­nel­le Lit­ur­gie for­ma­li­stisch sei: Der Ritus sei äuße­re Form und als sol­che nicht das eigent­lich Wesent­li­che. Folg­lich dür­fe man dar­an nicht fest­hän­gen. Nicht die Form zäh­le schließ­lich, sie sei neben­säch­lich, son­dern die Sub­stanz sei das eigent­lich Wich­ti­ge. Die Form wird daher in das voll­kom­men Belie­bi­ge abge­drängt. Daher mei­ne Fra­ge: Wo ver­läuft die Gren­ze zwi­schen Form und For­ma­lis­mus, und wie ver­hält sich die Form zur Substanz?

Ant­wort: Zunächst ist ein­mal wich­tig, daß man die ein­zel­nen Aspek­te die­ser Vor­wür­fe, die oft­mals sehr popu­li­stisch sind, rich­tig ein­ord­net. Rich­tig an die­sem Ansatz ist die prin­zi­pi­el­le Fest­stel­lung, daß es eine gene­rel­le Hier­ar­chie der Din­ge gibt. Nicht der Wahr­hei­ten, wie man heu­te oft sagt, aber doch der Din­ge und deren Bedeu­tung. Das wird auch nie­mand bestrei­ten. Auch daß es bei der Lit­ur­gie nicht um eine rei­ne Form­übung oder das „Abze­le­brie­ren“ der vor­ge­schrie­be­nen Neri­ken und Rubri­ken geht, ist an sich rich­tig – aber das ist eben mehr ein fal­scher Vor­wurf als eine wirk­li­che Tat­sa­che, der aus einer Ecke kommt, der alles gott­zen­trier­te Lit­ur­gi­sche von vor­ne­her­ein schlecht­ma­chen und abschaf­fen möch­te und daher stark mani­pu­liert und auch bewußt pole­mi­siert. Heu­te scheint es, als müs­se man durch einen schlam­pi­gen, des­in­ter­es­sier­ten Zele­bra­ti­ons­stil bewei­sen, daß man nicht die Form an erste Stel­le setzt. Wer „kor­rekt“ zele­briert (das Adjek­tiv „kor­rekt“ wird dabei nega­tiv kon­no­tiert, bei­na­he als ein Vor­wurf), der wird sich sehr bald Vor­wür­fen die­ser Art aus­ge­setzt sehen, und man erwar­tet sich, daß er sie durch demon­stra­ti­ve Gleich­gül­tig­keit widerlegt. 

Daß die Lit­ur­gie Wert auf eine gewis­se Form legt, ist rich­tig, aber auch wich­tig, und kei­ne rei­ne ästhe­ti­sche Prä­fe­renz. Sie muß es auch tun, denn ohne eine Form­ge­bung, die eben durch Lit­ur­gie und Ritus geschieht, blie­be auch das Wesent­li­che und Inhalt­li­che unde­fi­niert und form­los ver­schwom­men. Gera­de weil es eben zunächst ein­mal um das Sub­stan­ti­el­le geht, das gewahrt wer­den muß, ist das (angeb­lich nur) For­mel­le letzt­lich eben doch so wich­tig. Nicht aus einem Selbst­zweck her­aus, son­dern weil es im Dienst des Sub­stan­ti­el­len und eigent­lich Wesent­li­chen steht. Von daher wür­de ich mich ent­schie­den gegen den Vor­wurf ver­weh­ren, alle Form sei blo­ßer For­ma­lis­mus, der vom Wesent­li­chen ablen­ke. Ganz im Gegen­teil: Die Form kommt gera­de aus dem Sub­stan­ti­el­len und lenkt auf das Wesent­li­che hin. Ohne die rech­te Form geht letzt­lich das Ver­ständ­nis für das Sub­stan­ti­el­le ver­lo­ren, das man ja eigent­lich schüt­zen möch­te. Von daher ist die lit­ur­gi­sche Form zwar nicht selbst das Wesent­li­che, weil es letzt­lich nicht um sie geht, aber sie ist in ihrer Funk­tio­na­li­tät der­ma­ßen an das Pri­mä­re gebun­den, daß man eher sagen muß: Sie ist zwar nicht selbst das Pri­mä­re, aber sie ist der­ma­ßen innig damit ver­bun­den, daß das eine ohne das ande­re nicht dau­er­haft fort­be­stehen kann. Und wir sehen die­sen Kon­nex heu­te ja lei­der auch ganz kon­kret und deutlich: 

Nach der jüng­sten Lit­ur­gie­re­form hat man dem For­mel­len und Ritu­el­len zu wenig Wert bei­gemes­sen und ihre Potenz weit unter­schätzt. Man woll­te, war­um auch immer, das Eigent­li­che vom Unei­gent­li­chen befrei­en, somit frei­le­gen und deut­li­cher her­vor­tre­ten las­sen, wie man behaup­te­te. Doch das war in sich schon ein fata­ler Feh­ler, und das Gegen­teil des angeb­lich Ange­streb­ten ist ein­ge­tre­ten: Gemein­sam mit der Hül­le hat man letzt­lich auch den Kern weg­ge­ris­sen, gewollt oder unge­wollt, jeden­falls ist mit dem For­mel­len auch das Sub­stan­ti­el­le abhan­den­ge­kom­men. Wenn Kern und Hül­le so eng mit­ein­an­der ver­bun­den und inein­an­der ver­wo­ben sind und von­ein­an­der abhän­gen, dann kann man nicht die Hül­le ent­fer­nen, ohne den Kern mit zu zer­stö­ren. For­mel­haft kann man sagen, das Wesent­li­che ist gekippt, weil man am Unwe­sent­li­chen gekratzt hat und somit die schüt­zen­de und stüt­zen­de Hül­le gefal­len ist. Das For­mell-Zweit­ran­gi­ge wirkt wie ein Schutz­wall einer mit­tel­al­ter­li­chen Burg: Auch die äuße­ren, die eigentliche,Burg umge­ben­den Mau­ern wer­den tüch­tig ver­tei­digt, denn solan­ge die­se hal­ten, hält auch die inne­re Burg und ist geschützt; fal­len die äuße­ren Mau­ern, so fällt schließ­lich auch die Burg selbst.

Die Gren­ze von Form und For­ma­lis­mus, auf die ange­spro­chen wur­de, wür­de ich an der Grund­la­ge zie­hen, die den äußer­lich wahr­nehm­ba­ren Gestal­ten zugrun­de liegt: Eine Form liegt dann vor, wenn sie sich selbst von ihr objek­tiv vor­lie­gen­den Inhal­ten for­men läßt und damit umsetzt, was ihr vor­an­ge­hend ist. Das ist in die­sem Fall die Offen­ba­rung, die Anbe­tung Got­tes, das unblu­ti­ge Kreu­zes­op­fer Jesu Chri­sti, das sich auf dem Altar erneu­ert, die rea­le Gegen­wart Jesu Chri­sti in der Hei­lig­sten Eucha­ri­stie mit Leib und Blut, Geist und See­le, Mensch­heit und Gott­heit. Die Form adap­tiert sich an die­sen Gege­ben­hei­ten, die sich nie­mand aus­ge­dacht hat, son­dern dem gött­lich offen­bar­ten Glau­ben ent­sprin­gen. Auch wenn der förm­li­che Aus­druck in den ver­schie­de­nen legi­ti­men Riten so und anders sein kann, so ist es den­noch immer eine Form und kein For­ma­lis­mus, weil das Form­ge­ben­de etwas objek­tiv Vor­ge­hen­des ist.

Von For­ma­lis­mus hin­ge­gen wür­de ich dann spre­chen, wenn eine mensch­li­che Idee vor­an­gän­gig ist, der dann eine äuße­re Ent­spre­chung bzw. Gestalt gege­ben wird, um die­se zu trans­por­tie­ren. Es ist also etwas Sub­jek­tiv-Mensch­li­ches, aus dem ein For­ma­lis­mus entspringt.

Die Form ergibt sich natür­lich aus dem Objek­ti­ven, der For­ma­lis­mus ist hin­ge­gen ein syn­the­ti­sches Pro­dukt aus sub­jek­ti­ven Entscheidungen.

*Mag. Don Micha­el Gurt­ner ist ein aus Öster­reich stam­men­der Diö­ze­san­prie­ster, der in der Zeit des öffent­li­chen Meß­ver­bots die­sem wider­stan­den und sich gro­ße Ver­dien­ste um den Zugang der Gläu­bi­gen zu den Sakra­men­ten erwor­ben hat. Die aktu­el­le Kolum­ne erscheint jeden Samstag.


Das Buch zur Rei­he: Don Micha­el Gurt­ner: Zur Lage der Kir­che, Selbst­ver­lag, 2023, 216 Seiten.


Bis­her erschienen:

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