Von Don Michael Gurtner*
Frage 2: Manche würden wohl dagegenhalten, ausgerechnet bei der Liturgie anzusetzen sei oberflächlich und nur eine rein kosmetische Maßnahme, weil der Kern der Hl. Messe in jedem Ritus derselbe sei, der Ritus aber nur reine Äußerlichkeit…
Antwort: Dieses Argument trifft man häufig, das stimmt. Aber meist kommt es entweder von Leuten, die dem Liturgischen im Sinne einer wirklich gottzentrierten Liturgie, die gleichsam von Gott ausgeht und zu ihm wieder zurückführt, von vornherein negativ gesonnen sind, weil sie es gewohnt sind, selber der Mittelpunkt „liturgischen Feierns“ oder der „eucharistischen Gemeinschaft“, wie sie es verräterisch nennen, zu sein. Dann ist es ja auch irgendwie klar, daß sie dieses Argument anführen müssen. Denn sie können nämlich schlecht offen zugeben, daß sie den Menschen, besonders gerne das eigene Ich, und nicht den Herrgott als das eigentliche Zentrum ihrer „liturgischen Versammlung“ sehen, die im übrigen oft als das eigentliche Ziel der Liturgie hervortritt, und woran man sieht, wie weit man oft schon entfernt ist von einem katholischen Liturgieverständnis. Es geht mehr um die gemeinschaftliche Versammlung als um das Gottesopfer. Es wird oft sehr deutlich, daß sie im Grunde eigentlich genau das denken, wenn man ein wenig darüber redet, wie sie sich eine ideale Liturgie und deren „Gestaltung“ vorstellen. Nicht nur die Inhalte sind hier verräterisch, sondern bereits die Terminologie, die hier verwendet wird („Gottesdienst“ statt Hl. Messe, der oftmals ein „Thema“ hat, „der Feier vorstehen“ oder „präsidieren“ anstatt zelebrieren, „Gemeinde“ anstelle von Gläubigen, etc.) Das sind keine sprachlichen Details, wie es manche abtun, sondern da geht es letztlich um ein vollkommen verschiedenes Grundverständnis von Liturgie, das mit dem Liturgieverständnis der katholischen Kirche, wie es durch Jahrhunderte galt, kaum noch etwas gemein hat. Inhalt und Verständnis werden durch Sprache transportiert, gefestigt oder verändert. Die Sprache hat mehr Macht, als wir uns manchmal bewußt sind, deshalb müssen wir gut Obacht geben, wie wir uns ausdrücken. Ein neues, anderes Verständnis von Liturgie soll gezielt durch eine neue, andere Ausdrucksweise etabliert werden. Es ist eine Methode, die auf das Gesamte hin betrachtet funktioniert, im Positiven wie im Negativen.
Oder aber dieses Argument kommt von Leuten, die zwar an sich schon Gott im Mittelpunkt ihres Denkens, Tuns und Redens wissen wollen, aber die allem, was ihnen „äußerlich“ zu sein scheint, generell ablehnend gegenüberstehen, weil sie es als rein äußerlich und daher als verzichtbar oder gar hinderlich abtun, und so irgendwie betonen wollen, wie „innerlich“ sie selbst seien. Sie präsentieren sich als so dermaßen innerlich, daß sie des Äußeren, das sie als etwas Minderwertiges und daher zu Überwindendes ansehen, sozusagen gar nicht mehr bedürfen. Das ist aber genauso falsch und irreführend, weil das „Äußere“ dieser Welt dem Menschen, der ja in diese Welt des Materiellen hineingeschaffen ist, von Gott als Umfeld und auch ein Stück weit als Aufgabe gegeben ist, und mehr als eine Aufgabe ist es ihm vielleicht noch zur Hilfe gegeben. Die Kunst eines gelungenen katholischen Lebens besteht ja gerade darin, daß wir es schaffen, das „Äußerliche“ mit dem Wesentlichen in Einklang zu bringen, die Dinge, die uns der Herrgott geschenkt hat, und die ja auch gut, groß und schön sind, damit wir uns ihrer erfreuen und sie uns zunutze machen, so zu nutzen, daß wir sie in einer Haltung der Dankbarkeit gegenüber Gott annehmen und so gebrauchen, daß sie uns und die anderen auf unser eigentliches Ziel, nämlich das ewige Seelenheil, vorbereiten. Wir müssen diese angeblichen „Äußerlichkeiten“ gerade fleißig dazu nutzen, um zum Eigentlichen vorzudringen. Dabei müssen wir freilich immer das Gottgeschaffene von dem durch die Erbschuld Korrumpierten unterscheiden. Aber das, was rein und gottgewollt geblieben ist, ist uns nicht nur zur Freude, sondern auch zum Nutzen gegeben, und soll und muß auch dazu gebraucht werden, uns der Wahrheit Gottes, und letztlich Ihm selbst zu nähern.
Der Mensch ist nämlich ein zutiefst materiell verankertes Wesen: Seine ewige Seele ist auf Erden an Leibliches gebunden und sogar davon abhängig. So ist er nun einmal vom Herrgott geschaffen und gewollt. Wir müssen immer dessen eingedenk sein, daß uns dieses Materielle nicht bleibt, aber zugleich auch anerkennen, daß es unser vorläufiger, von Gott für uns jetzt so gefügter Lebensraum ist. Deshalb muß eine Liturgie, die sowohl Gott als auch dem Menschen gerecht wird, derart sein, daß sie das Vorübergehende und das ewig Bleibende so zueinander bringt, daß sich das eine im anderen widerspiegelt, ohne Abstriche zu machen. Die Liturgie verbindet ja gerade die Zeit mit der Ewigkeit, deshalb müssen auch beide Sphären recht vorkommen und einander recht zugeordnet werden. In dieser Hinsicht waren uns vergangene Zeiten zweifelsohne meilenweit voraus, wenn wir an den frommen Ehrgeiz der Gotik oder die explodierende Lebensfreude des Barocks und die federleichte Verspieltheit des Rokokos denken. Demgegenüber scheint die moderne Kirchenarchitektur eher das nachkonziliare trübe Jammertal betonen zu wollen, das freudlos ist und sich alles Schöne der Schöpfung versagt. Leere, formlose, kalte Kirchen, oftmals aus Beton, in denen es das Schöne und Heiter-Ernste gar nicht mehr zu geben scheint, spiegeln halt auch ein Stück weit eine Glaubenssicht und ein Weltverständnis wider.
*Mag. Don Michael Gurtner ist ein aus Österreich stammender Diözesanpriester, der in der Zeit des öffentlichen Meßverbots diesem widerstanden und sich große Verdienste um den Zugang der Gläubigen zu den Sakramenten erworben hat. Die aktuelle Kolumne erscheint jeden Samstag.
Das Buch zur Reihe: Don Michael Gurtner: Zur Lage der Kirche, Selbstverlag, 2023, 216 Seiten.
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