Zur Lage der Kirche – Frage 2

60 Jahre nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil – Eine Analyse


Don Gurtner Zur Lage der Kirche

Von Don Micha­el Gurtner*

Anzei­ge

Fra­ge 2: Man­che wür­den wohl dage­gen­hal­ten, aus­ge­rech­net bei der Lit­ur­gie anzu­set­zen sei ober­fläch­lich und nur eine rein kos­me­ti­sche Maß­nah­me, weil der Kern der Hl. Mes­se in jedem Ritus der­sel­be sei, der Ritus aber nur rei­ne Äußerlichkeit…

Ant­wort: Die­ses Argu­ment trifft man häu­fig, das stimmt. Aber meist kommt es ent­we­der von Leu­ten, die dem Lit­ur­gi­schen im Sin­ne einer wirk­lich gott­zen­trier­ten Lit­ur­gie, die gleich­sam von Gott aus­geht und zu ihm wie­der zurück­führt, von vorn­her­ein nega­tiv geson­nen sind, weil sie es gewohnt sind, sel­ber der Mit­tel­punkt „lit­ur­gi­schen Fei­erns“ oder der „eucha­ri­sti­schen Gemein­schaft“, wie sie es ver­rä­te­risch nen­nen, zu sein. Dann ist es ja auch irgend­wie klar, daß sie die­ses Argu­ment anfüh­ren müs­sen. Denn sie kön­nen näm­lich schlecht offen zuge­ben, daß sie den Men­schen, beson­ders ger­ne das eige­ne Ich, und nicht den Herr­gott als das eigent­li­che Zen­trum ihrer „lit­ur­gi­schen Ver­samm­lung“ sehen, die im übri­gen oft als das eigent­li­che Ziel der Lit­ur­gie her­vor­tritt, und wor­an man sieht, wie weit man oft schon ent­fernt ist von einem katho­li­schen Lit­ur­gie­ver­ständ­nis. Es geht mehr um die gemein­schaft­li­che Ver­samm­lung als um das Got­tes­op­fer. Es wird oft sehr deut­lich, daß sie im Grun­de eigent­lich genau das den­ken, wenn man ein wenig dar­über redet, wie sie sich eine idea­le Lit­ur­gie und deren „Gestal­tung“ vor­stel­len. Nicht nur die Inhal­te sind hier ver­rä­te­risch, son­dern bereits die Ter­mi­no­lo­gie, die hier ver­wen­det wird („Got­tes­dienst“ statt Hl. Mes­se, der oft­mals ein „The­ma“ hat, „der Fei­er vor­ste­hen“ oder „prä­si­die­ren“ anstatt zele­brie­ren, „Gemein­de“ anstel­le von Gläu­bi­gen, etc.) Das sind kei­ne sprach­li­chen Details, wie es man­che abtun, son­dern da geht es letzt­lich um ein voll­kom­men ver­schie­de­nes Grund­ver­ständ­nis von Lit­ur­gie, das mit dem Lit­ur­gie­ver­ständ­nis der katho­li­schen Kir­che, wie es durch Jahr­hun­der­te galt, kaum noch etwas gemein hat. Inhalt und Ver­ständ­nis wer­den durch Spra­che trans­por­tiert, gefe­stigt oder ver­än­dert. Die Spra­che hat mehr Macht, als wir uns manch­mal bewußt sind, des­halb müs­sen wir gut Obacht geben, wie wir uns aus­drücken. Ein neu­es, ande­res Ver­ständ­nis von Lit­ur­gie soll gezielt durch eine neue, ande­re Aus­drucks­wei­se eta­bliert wer­den. Es ist eine Metho­de, die auf das Gesam­te hin betrach­tet funk­tio­niert, im Posi­ti­ven wie im Negativen.

Oder aber die­ses Argu­ment kommt von Leu­ten, die zwar an sich schon Gott im Mit­tel­punkt ihres Den­kens, Tuns und Redens wis­sen wol­len, aber die allem, was ihnen „äußer­lich“ zu sein scheint, gene­rell ableh­nend gegen­über­ste­hen, weil sie es als rein äußer­lich und daher als ver­zicht­bar oder gar hin­der­lich abtun, und so irgend­wie beto­nen wol­len, wie „inner­lich“ sie selbst sei­en. Sie prä­sen­tie­ren sich als so der­ma­ßen inner­lich, daß sie des Äuße­ren, das sie als etwas Min­der­wer­ti­ges und daher zu Über­win­den­des anse­hen, sozu­sa­gen gar nicht mehr bedür­fen. Das ist aber genau­so falsch und irre­füh­rend, weil das „Äuße­re“ die­ser Welt dem Men­schen, der ja in die­se Welt des Mate­ri­el­len hin­ein­ge­schaf­fen ist, von Gott als Umfeld und auch ein Stück weit als Auf­ga­be gege­ben ist, und mehr als eine Auf­ga­be ist es ihm viel­leicht noch zur Hil­fe gege­ben. Die Kunst eines gelun­ge­nen katho­li­schen Lebens besteht ja gera­de dar­in, daß wir es schaf­fen, das „Äußer­li­che“ mit dem Wesent­li­chen in Ein­klang zu brin­gen, die Din­ge, die uns der Herr­gott geschenkt hat, und die ja auch gut, groß und schön sind, damit wir uns ihrer erfreu­en und sie uns zunut­ze machen, so zu nut­zen, daß wir sie in einer Hal­tung der Dank­bar­keit gegen­über Gott anneh­men und so gebrau­chen, daß sie uns und die ande­ren auf unser eigent­li­ches Ziel, näm­lich das ewi­ge See­len­heil, vor­be­rei­ten. Wir müs­sen die­se angeb­li­chen „Äußer­lich­kei­ten“ gera­de flei­ßig dazu nut­zen, um zum Eigent­li­chen vor­zu­drin­gen. Dabei müs­sen wir frei­lich immer das Gott­ge­schaf­fe­ne von dem durch die Erb­schuld Kor­rum­pier­ten unter­schei­den. Aber das, was rein und gott­ge­wollt geblie­ben ist, ist uns nicht nur zur Freu­de, son­dern auch zum Nut­zen gege­ben, und soll und muß auch dazu gebraucht wer­den, uns der Wahr­heit Got­tes, und letzt­lich Ihm selbst zu nähern.

Der Mensch ist näm­lich ein zutiefst mate­ri­ell ver­an­ker­tes Wesen: Sei­ne ewi­ge See­le ist auf Erden an Leib­li­ches gebun­den und sogar davon abhän­gig. So ist er nun ein­mal vom Herr­gott geschaf­fen und gewollt. Wir müs­sen immer des­sen ein­ge­denk sein, daß uns die­ses Mate­ri­el­le nicht bleibt, aber zugleich auch aner­ken­nen, daß es unser vor­läu­fi­ger, von Gott für uns jetzt so gefüg­ter Lebens­raum ist. Des­halb muß eine Lit­ur­gie, die sowohl Gott als auch dem Men­schen gerecht wird, der­art sein, daß sie das Vor­über­ge­hen­de und das ewig Blei­ben­de so zuein­an­der bringt, daß sich das eine im ande­ren wider­spie­gelt, ohne Abstri­che zu machen. Die Lit­ur­gie ver­bin­det ja gera­de die Zeit mit der Ewig­keit, des­halb müs­sen auch bei­de Sphä­ren recht vor­kom­men und ein­an­der recht zuge­ord­net wer­den. In die­ser Hin­sicht waren uns ver­gan­ge­ne Zei­ten zwei­fels­oh­ne mei­len­weit vor­aus, wenn wir an den from­men Ehr­geiz der Gotik oder die explo­die­ren­de Lebens­freu­de des Barocks und die feder­leich­te Ver­spielt­heit des Roko­kos den­ken. Dem­ge­gen­über scheint die moder­ne Kir­chen­ar­chi­tek­tur eher das nach­kon­zi­lia­re trü­be Jam­mer­tal beto­nen zu wol­len, das freud­los ist und sich alles Schö­ne der Schöp­fung ver­sagt. Lee­re, form­lo­se, kal­te Kir­chen, oft­mals aus Beton, in denen es das Schö­ne und Hei­ter-Ern­ste gar nicht mehr zu geben scheint, spie­geln halt auch ein Stück weit eine Glau­bens­sicht und ein Welt­ver­ständ­nis wider.

*Mag. Don Micha­el Gurt­ner ist ein aus Öster­reich stam­men­der Diö­ze­san­prie­ster, der in der Zeit des öffent­li­chen Meß­ver­bots die­sem wider­stan­den und sich gro­ße Ver­dien­ste um den Zugang der Gläu­bi­gen zu den Sakra­men­ten erwor­ben hat. Die aktu­el­le Kolum­ne erscheint jeden Samstag.


Das Buch zur Rei­he: Don Micha­el Gurt­ner: Zur Lage der Kir­che, Selbst­ver­lag, 2023, 216 Seiten.


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