
Von Don Michael Gurtner*
Frage 6: Von daher wäre also die Frage neu zu stellen: Ist die Form der Liturgie tatsächlich „nur“ gar so zweitrangig, wie man es jahrzehntelang immer abtat? Haben wir die vitale Bedeutung der Form nicht vielleicht arg unterschätzt und somit gerade das verloren, was wir eigentlich erhalten wollten?
Antwort: Vollkommen richtig, genau das meinte ich. Es hätte den Liturgikern und Klerikern viel mehr zu denken geben müssen, wie präzise der Herrgott im Alten Testament den Kult und die Kultobjekte beschreibt, wie genau die Kultvorschriften bis in das kleinste Detail der Kleidung und der Kulthandlungen hinein sind, ebenso wieviel Wert die Apokalypse des Johannes auf die prunkvolle Ausstattung und die Äußerlichkeiten der himmlischen Liturgie legt. Die äußeren Formen sind Gott offensichtlich eben nicht vollkommen egal, wie uns die Offenbarung vom Beginn des Alten Testaments bis zum Ende des Neuen zeigt – sie schmiegen sich sehr eng und genau um den Heilsinhalt, der uns ebenso in derselben Gottesoffenbarung der Heiligen Schrift geoffenbart ist und in engem Zusammenspiel mit dem Gotteskult steht. Wenn das von der Offenbarung her so klar ist, dann wird es wohl auch eine Bedeutung haben. So viel Gottvertrauen dürfen wir schon haben, daß uns der Herrgott nicht auf’s Glatteis führt.
Deshalb stellt sich die Frage nach dem Rang der Form ganz anders: Ist sie wirklich so unbedeutend und untergeordnet, wie manche taten? Sehen wir nicht gerade die Konsequenzen einer jahrzehntelangen Unterschätzung?
Ich würde meinen: Wir müssen die liturgischen Formen, das heißt die Riten, die Ästhetik, aber auch die linguistischen Formulierungen wieder viel ernster nehmen und erkennen, daß es zu wenig ist, sie als bloße unwichtige Nebensächlichkeit abzutun. Denn wenn die Form abhandenkommt, geht auch der Inhalt verloren, und übrig bleibt nur Formalismus. Jahrzehntelang hat man nichts anderes getan, als abzuschaffen und die Liturgie zu zerstören, wobei man uns sagte, es würde sich dabei eigentlich nichts ändern. Doch tatsächlich hat sich alles geändert, nicht nur äußerlich, sondern gerade auch innerlich: Das gesamte Verständnis von Liturgie und Messe ist ein vollkommen anderes geworden. Es wurde verkehrt. Es sind hier zwei vollkommen unterschiedliche und miteinander unvereinbare Ansätze, die hier aufeinandertreffen: eine theozentrische Sichtweise, die den Gottmenschen Jesus Christus ins Zentrum jeden liturgischen Handelns stellt, und eine anthropozentrische Denkweise, die den Menschen im Zentrum sieht. Das zeigt sich ganz deutlich an der Definition der Messe, wie sie im alten und im neuen Meßbuch beschrieben ist. Das zeigt sich äußerlich in der Zelebrationsrichtung Volksaltar versus Hochaltar. Das zeigt sich auch daran, daß die Verlesung von Epistel und Evangelium heute als eine Art katechetische „Volksbelehrung“ aufgefaßt wird, während im alten Ritus diese nicht an die Menschen gerichtet waren (die sie ja ohnedies kennen sollten), sondern als ein Lob Gottes und an Ihn selbst gerichtet waren. Wichtig ist also zunächst, daß man sich bewußt bleibt: In der Liturgie geht es nicht um Nebensächliches, wie oft behauptet wird, sondern tatsächlich um Substantielles.
Danach geht es darum, die dahinterstehende Dynamik gut zu verstehen und zu analysieren und das Bewußtsein um die Zusammenhänge zu schärfen. Das Heilige und das Heiligende sucht sich immer einen ihm entsprechenden Ausdruck, gerade in der sakralen Form. Das Heilige, das auch als solches sichtbar wird und sich vom Profanen unterscheidet, formt unsere Seele und macht sie reif für ihre ewige Heiligkeit. Die Form der Liturgie ist also ein zentrales Hilfsmittel für einen existentiellen Zweck – und gerade weil dies und nichts Geringeres ihr Ziel und Zweck ist, ist sie letztlich auch selbst so zentral.
*Mag. Don Michael Gurtner ist ein aus Österreich stammender Diözesanpriester, der in der Zeit des öffentlichen Meßverbots diesem widerstanden und sich große Verdienste um den Zugang der Gläubigen zu den Sakramenten erworben hat. Die aktuelle Kolumne erscheint jeden Samstag.
Das Buch zur Reihe: Don Michael Gurtner: Zur Lage der Kirche, Selbstverlag, 2023, 216 Seiten.
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