Zur Lage der Kirche – Frage 6

60 Jahre nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil – Eine Analyse


Don Gurtner Zur Lage der Kirche

Von Don Micha­el Gurtner*

Anzei­ge

Fra­ge 6: Von daher wäre also die Fra­ge neu zu stel­len: Ist die Form der Lit­ur­gie tat­säch­lich „nur“ gar so zweit­ran­gig, wie man es jahr­zehn­te­lang immer abtat? Haben wir die vita­le Bedeu­tung der Form nicht viel­leicht arg unter­schätzt und somit gera­de das ver­lo­ren, was wir eigent­lich erhal­ten wollten?

Ant­wort: Voll­kom­men rich­tig, genau das mein­te ich. Es hät­te den Lit­ur­gi­kern und Kle­ri­kern viel mehr zu den­ken geben müs­sen, wie prä­zi­se der Herr­gott im Alten Testa­ment den Kult und die Kult­ob­jek­te beschreibt, wie genau die Kult­vor­schrif­ten bis in das klein­ste Detail der Klei­dung und der Kult­hand­lun­gen hin­ein sind, eben­so wie­viel Wert die Apo­ka­lyp­se des Johan­nes auf die prunk­vol­le Aus­stat­tung und die Äußer­lich­kei­ten der himm­li­schen Lit­ur­gie legt. Die äuße­ren For­men sind Gott offen­sicht­lich eben nicht voll­kom­men egal, wie uns die Offen­ba­rung vom Beginn des Alten Testa­ments bis zum Ende des Neu­en zeigt – sie schmie­gen sich sehr eng und genau um den Heils­in­halt, der uns eben­so in der­sel­ben Got­tes­of­fen­ba­rung der Hei­li­gen Schrift geof­fen­bart ist und in engem Zusam­men­spiel mit dem Got­tes­kult steht. Wenn das von der Offen­ba­rung her so klar ist, dann wird es wohl auch eine Bedeu­tung haben. So viel Gott­ver­trau­en dür­fen wir schon haben, daß uns der Herr­gott nicht auf’s Glatt­eis führt.

Des­halb stellt sich die Fra­ge nach dem Rang der Form ganz anders: Ist sie wirk­lich so unbe­deu­tend und unter­ge­ord­net, wie man­che taten? Sehen wir nicht gera­de die Kon­se­quen­zen einer jahr­zehn­te­lan­gen Unterschätzung?

Ich wür­de mei­nen: Wir müs­sen die lit­ur­gi­schen For­men, das heißt die Riten, die Ästhe­tik, aber auch die lin­gu­isti­schen For­mu­lie­run­gen wie­der viel ern­ster neh­men und erken­nen, daß es zu wenig ist, sie als blo­ße unwich­ti­ge Neben­säch­lich­keit abzu­tun. Denn wenn die Form abhan­den­kommt, geht auch der Inhalt ver­lo­ren, und übrig bleibt nur For­ma­lis­mus. Jahr­zehn­te­lang hat man nichts ande­res getan, als abzu­schaf­fen und die Lit­ur­gie zu zer­stö­ren, wobei man uns sag­te, es wür­de sich dabei eigent­lich nichts ändern. Doch tat­säch­lich hat sich alles geän­dert, nicht nur äußer­lich, son­dern gera­de auch inner­lich: Das gesam­te Ver­ständ­nis von Lit­ur­gie und Mes­se ist ein voll­kom­men ande­res gewor­den. Es wur­de ver­kehrt. Es sind hier zwei voll­kom­men unter­schied­li­che und mit­ein­an­der unver­ein­ba­re Ansät­ze, die hier auf­ein­an­der­tref­fen: eine theo­zen­tri­sche Sicht­wei­se, die den Gott­men­schen Jesus Chri­stus ins Zen­trum jeden lit­ur­gi­schen Han­delns stellt, und eine anthro­po­zen­tri­sche Denk­wei­se, die den Men­schen im Zen­trum sieht. Das zeigt sich ganz deut­lich an der Defi­ni­ti­on der Mes­se, wie sie im alten und im neu­en Meß­buch beschrie­ben ist. Das zeigt sich äußer­lich in der Zele­bra­ti­ons­rich­tung Volks­al­tar ver­sus Hoch­al­tar. Das zeigt sich auch dar­an, daß die Ver­le­sung von Epi­stel und Evan­ge­li­um heu­te als eine Art kate­che­ti­sche „Volks­be­leh­rung“ auf­ge­faßt wird, wäh­rend im alten Ritus die­se nicht an die Men­schen gerich­tet waren (die sie ja ohne­dies ken­nen soll­ten), son­dern als ein Lob Got­tes und an Ihn selbst gerich­tet waren. Wich­tig ist also zunächst, daß man sich bewußt bleibt: In der Lit­ur­gie geht es nicht um Neben­säch­li­ches, wie oft behaup­tet wird, son­dern tat­säch­lich um Substantielles.

Danach geht es dar­um, die dahin­ter­ste­hen­de Dyna­mik gut zu ver­ste­hen und zu ana­ly­sie­ren und das Bewußt­sein um die Zusam­men­hän­ge zu schär­fen. Das Hei­li­ge und das Hei­li­gen­de sucht sich immer einen ihm ent­spre­chen­den Aus­druck, gera­de in der sakra­len Form. Das Hei­li­ge, das auch als sol­ches sicht­bar wird und sich vom Pro­fa­nen unter­schei­det, formt unse­re See­le und macht sie reif für ihre ewi­ge Hei­lig­keit. Die Form der Lit­ur­gie ist also ein zen­tra­les Hilfs­mit­tel für einen exi­sten­ti­el­len Zweck – und gera­de weil dies und nichts Gerin­ge­res ihr Ziel und Zweck ist, ist sie letzt­lich auch selbst so zentral.

*Mag. Don Micha­el Gurt­ner ist ein aus Öster­reich stam­men­der Diö­ze­san­prie­ster, der in der Zeit des öffent­li­chen Meß­ver­bots die­sem wider­stan­den und sich gro­ße Ver­dien­ste um den Zugang der Gläu­bi­gen zu den Sakra­men­ten erwor­ben hat. Die aktu­el­le Kolum­ne erscheint jeden Samstag.


Das Buch zur Rei­he: Don Micha­el Gurt­ner: Zur Lage der Kir­che, Selbst­ver­lag, 2023, 216 Seiten.


Bis­her erschienen:

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