Von Don Michael Gurtner*
Frage: Welches ist dann das entscheidende Kriterium für ein Ja oder ein Nein der Kirche?
Antwort: Was das Moralische angeht, so gibt es drei Bereiche: Neben dem Guten und dem Schlechten bzw. dem Bösen (was voneinander nochmals zu unterscheiden ist) gibt es auch noch die Adiaphoren, d. h. das Neutrale, das weder gut noch schlecht ist und wo man frei wählen kann.
Dieser neutrale Bereich ist auch als frei wählbar anzuerkennen, und diese Freiheit sollte die Kirche eigentlich verteidigen. Mitunter war und ist man da vielleicht wirklich zu utilitaristisch, im Sinne, daß man etwa allem, was nicht einen wirklichen (religiösen) Nutzen hat, einen ablehnenden bis negativen Stempel aufdrückte. Oder daß man neutralen Dingen ungerechtfertigt etwas Schlechtes unterstellte, wo es nicht angemessen ist. Solche Dinge schaden dann letztlich auch den Einwänden der Kirche, wo diese gut, richtig und notwendig sind.
Es gibt beispielsweise Leute, auch Kleriker, die es kritisieren, wenn sich Frauen oder Männer zu modisch kleiden, auch dann, wenn es nicht freizügig ist. Oder wenn Leute einem Hobby nachgehen, das keinen eigentlichen Nutzen bringt und daher, in deren Augen, rausgeschmissenes Geld und vertane Zeit ist. Früher gab es Zeiten, da verbot die Kirche mancherorts aus diesem Grunde das Schachspiel, heute ist es vielleicht eine Sammelleidenschaft oder Ähnliches. Oder wenn das Auto zu groß, der Urlaub zu weit oder die Kleidung zu schön und der Stil zu aufwendig ist. Hier haben wir es mit Bereichen zu tun, die wirklich dem Ermessen des einzelnen zu überlassen sind und wo eine Kritik nicht statthaft ist, weil es eben dem neutralen, legitimen Bereich des frei Entscheidbaren zuzuordnen ist, wenn jemand sein Geld für Markenkleidung, technologische Spielereien oder schöne Möbel ausgibt. Hier soll sich der Klerus nicht einmischen, vom Hilfskaplan bis zum Papst.
Grundlegende Richtschnur im Bereich des Moralischen, welche heute viel zu wenig verteidigt und eingefordert wird, ist jedenfalls das Naturrecht. Hier ist das entscheidende Maß zu finden, an dem sich Ja und Nein scheiden müssen. Aber während manche Kreise der Kirche heute jegliche Art von Konsum zur Ursünde schlechthin erklären, befürworten dieselben Leute alle möglichen Dinge, welche in früheren Zeiten mit vollem Recht vom Heiligen Uffizium verurteilt und mit einer Zensur belegt worden wären. Daß hier in der Urteilsbildung der Kirche etwas verdreht ist, ist offensichtlich.
*Mag. Don Michael Gurtner ist ein aus Österreich stammender Diözesanpriester, der in der Zeit des öffentlichen Meßverbots diesem widerstanden und sich große Verdienste um den Zugang der Gläubigen zu den Sakramenten erworben hat. Die aktuelle Kolumne erscheint jeden Samstag.
Das Buch zur Reihe: Don Michael Gurtner: Zur Lage der Kirche, Selbstverlag, 2023, 216 Seiten.
Bisher erschienen:
- Zur Lage der Kirche – eine neue Kolumne
- Zur Lage der Kirche – Frage 1
- Zur Lage der Kirche – Frage 2
- Zur Lage der Kirche – Frage 3
- Zur Lage der Kirche – Frage 4
- Zur Lage der Kirche – Frage 5
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