Von Don Michael Gurtner*
Frage 8: Heißt das also im Umkehrschluß, man kann daraus ableiten, wie es um den Kult und die Kultur einer Zeit oder an einem Ort bestellt ist, wie es um die Religiosität, den Glauben und auch die Gesellschaft bestellt ist?
Antwort: Ja, das würde ich absolut so unterschreiben. Freilich sind es immer Tendenzen und keine absoluta, aber als solche haben sie schon ihre allgemeine Gültigkeit. Weil Überzeugungen nämlich immer nach einem adäquaten Ausdruck suchen. Deshalb kann man aus diesen Ausdrücken auch wieder auf die innere Haltung und Einstellung schließen. Die Substanz sucht eben immer nach einer adäquaten Form, um sich auszudrücken und zu erhalten, wie wir vorhin bereits feststellten. Freilich gibt es hier auch gewisse Einschränkungen, aber grundsätzlich hat dies zunächst einmal Gültigkeit.
Solche Einschränkungen können beispielsweise zeitliche Umstände sein: Nicht jede junge Klostergemeinschaft kann es sich leisten, die Kapelle so einzurichten, wie sie es vielleicht gerne hätte. Ich kenne junge Schwesternorden, die nicht arm, sondern wirklich armselig hausen, selbst deren Kapelle ist mehr als notdürftig. Das Klausurgitter, das bereits seit vielen Jahren als Provisorium dient, ist das alte Netz eines Fußballtors. Aber dennoch: Dies zeigt auch, daß sie trotz der äußeren Einschränkungen, so gut es geht, nach Vollständigkeit streben. Was sie haben, das versuchen sie so schön und ehrfürchtig wie möglich zu gestalten. Man merkt, wohin sie streben, und mit jeder Kleinigkeit, die sie irgendwoher bekommen, bemühen sie sich um eine würdigere Ausgestaltung der Kapelle und der anderen Räume. Sogar so armselige Kapellen strahlen viel mehr Würde und Ehrfurcht aus, als zahlreiche um teures Geld verunstaltete Kirchen, die freiwillig jede Sakralität abgelegt haben und das ganz bewußt auch genau so wollten: unansehnliche Altäre, entstellte Darstellungen in Kirchenfenstern, Statuen und Bildern, kahles Nichts und gähnende Leere, gerade auch inhaltlich, nichtssagende Optik, Ablehnung alles Ästhetischen. Anstatt dessen will man heute das Skandalöse und das nicht Dagewesene um jeden Preis. Das ist ein Grundproblem in der heutigen Zeit: der Unwille zur Sakralität und zur Heiligkeit. Das betrifft ausnahmslos alle Bereiche: Zivilgesellschaft, Politik, das persönliche Leben, aber auch die Kirche selbst und deren Liturgie. Alles muß profaniert sein, ansonsten wird es nicht akzeptiert.
Es macht dabei durchaus einen Unterschied, weshalb ein gewisser Zustand besteht: Ist er aus der Not der Zeit oder des Ortes heraus so, oder ist er so, weil er so gewollt ist?
Es ist edel und löblich, in Zeiten von Armut, Not oder Verfolgung einen kleinen Raum, einen alten Schuppen oder eine Scheune notdürftig zu einer Kapelle umzufunktionieren, so gut es eben geht, mit dem Allernötigsten, auch wenn es nicht in allem dem entspricht, was in normalen Zeiten eigentlich liturgisch und auch generell gefordert wäre. Aber es sind eben die Umstände, denen diese Mängel geschuldet sind, und nicht weil man es nicht besser machen will. Der Unterschied besteht zwischen dem Nicht-Können und dem Nicht-Wollen. Auch ganz notdürftige und einfachste Liturgien können sehr viel dazu beitragen, daß der katholische Glaube erhalten bleibt, aber eben, weil das Bewußtsein wach ist, wie es eigentlich sein sollte, aber leider doch nicht sein kann. Das wird dann auch als ein Mangel empfunden, und nicht als ein angestrebter Idealzustand. Wenn in normalen Zeiten das Nicht-Ideale aber zum Ideal erklärt und künstlich dazu erhoben wird, dann wird es auch zur Gefahr für den Glauben und die menschliche Geisteshaltung. Denn dann merkt der Mensch: Es soll etwas zerstört und niedergerissen werden, zunächst in Haltung und Einstellung, aber gefördert und sichtbar gemacht eben auch durch architektonische und gestalterische Entscheidungen.
Zustände, die nicht ideal sind, können durchaus auf Grund von äußeren Umständen an einem gewissen Ort oder zu einer gewissen Zeit sozusagen zur Überbrückung bestehen, solange die Haltung bewußt ist, daß es nicht der Idealzustand ist und daß man ehestmöglich nach Korrekturen streben muß. Aber wenn die Mängel zum eigentlichen Desiderat werden, dann ist klar, daß eine veränderte, ungesunde Geisteshaltung vorliegt und diese unweigerlich Folgeschäden nach sich ziehen wird.
Analog gilt dies im übrigen auch für den profanen Bereich, es ist derselbe Mechanismus: Es ist schon auffallend, wie sehr im Grunde die Art und Weise, wie man – beispielsweise seit den 60er Jahren – baut, welche Kunstwerke man in den Städten errichtet und ganz generell wie man den öffentlichen Raum gestaltet, mit der neuen Denkweise übereinstimmt und dem allgemeinen Lebensgefühl der Zeiten entspricht. Darin spiegelt sich eine große geistige Verarmung wider, eine Verwahrlosung des Geistes, die sich in einer geradezu zur Schau gestellten Geschmacklosigkeit niederschlägt. Es geht heute nicht mehr wie den Künstlern vergangener Epochen darum, Wahres zu erkennen, es im Ausdruck einzufangen und realistisch darzustellen, sondern es geht heute darum, diese Wahrheiten zu negieren, sie zu verzerren und die eigene, subjektiv gewünschte Interpretation darzustellen. Die Künstler neigen heute dazu, nicht eine objektive Sache abbilden zu wollen, sondern ihre eigenen subjektiven Empfindungen in den Mittelpunkt zu rücken. Die klare Gestalt wird aufgelöst, so daß jeder Betrachter diese wiederum frei und beliebig interpretieren kann, ohne an objektiv Wahres zurückgebunden zu sein.
Das entspricht auffallend stark dem philosophischen Grundgedanken unserer gegenwärtigen Epoche, und das ist sehr besorgniserregend. Denn wenn das Absolute, das Wahre und das Objektive per se abgelehnt werden, dann ist es nur eine logisch zwingend notwendige Konsequenz, auch Christus, die katholischen Glaubenswahrheiten und die Kirche abzulehnen – und letztlich auch die Liturgie, erst recht, wenn sie, wie speziell die traditionelle Liturgie, eben genau auf Objektives und Absolutes hin ausgerichtet ist, von dem sie sich durch und durch formen läßt, und eben nicht auf den Menschen und seine Tagesbefindlichkeiten hin.
Auch von daher sehen wir also einen klaren Zusammenhang von Kult und Kultur – die neue Liturgie ist im Grunde genommen ebenso von Verfall geprägt wie die Geisteskultur, die sie widerspiegelt.
*Mag. Don Michael Gurtner ist ein aus Österreich stammender Diözesanpriester, der in der Zeit des öffentlichen Meßverbots diesem widerstanden und sich große Verdienste um den Zugang der Gläubigen zu den Sakramenten erworben hat. Die aktuelle Kolumne erscheint jeden Samstag.
Das Buch zur Reihe: Don Michael Gurtner: Zur Lage der Kirche, Selbstverlag, 2023, 216 Seiten.
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