Zur Lage der Kirche – Frage 8

60 Jahre nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil – Eine Analyse


Don Michael Gurtner: Zur Lage der Kirche

Von Don Micha­el Gurtner*

Anzei­ge

Fra­ge 8: Heißt das also im Umkehr­schluß, man kann dar­aus ablei­ten, wie es um den Kult und die Kul­tur einer Zeit oder an einem Ort bestellt ist, wie es um die Reli­gio­si­tät, den Glau­ben und auch die Gesell­schaft bestellt ist?

Ant­wort: Ja, das wür­de ich abso­lut so unter­schrei­ben. Frei­lich sind es immer Ten­den­zen und kei­ne abso­lu­ta, aber als sol­che haben sie schon ihre all­ge­mei­ne Gül­tig­keit. Weil Über­zeu­gun­gen näm­lich immer nach einem adäqua­ten Aus­druck suchen. Des­halb kann man aus die­sen Aus­drücken auch wie­der auf die inne­re Hal­tung und Ein­stel­lung schlie­ßen. Die Sub­stanz sucht eben immer nach einer adäqua­ten Form, um sich aus­zu­drücken und zu erhal­ten, wie wir vor­hin bereits fest­stell­ten. Frei­lich gibt es hier auch gewis­se Ein­schrän­kun­gen, aber grund­sätz­lich hat dies zunächst ein­mal Gültigkeit.

Sol­che Ein­schrän­kun­gen kön­nen bei­spiels­wei­se zeit­li­che Umstän­de sein: Nicht jede jun­ge Klo­ster­ge­mein­schaft kann es sich lei­sten, die Kapel­le so ein­zu­rich­ten, wie sie es viel­leicht ger­ne hät­te. Ich ken­ne jun­ge Schwe­stern­or­den, die nicht arm, son­dern wirk­lich arm­se­lig hau­sen, selbst deren Kapel­le ist mehr als not­dürf­tig. Das Klau­sur­git­ter, das bereits seit vie­len Jah­ren als Pro­vi­so­ri­um dient, ist das alte Netz eines Fuß­ball­tors. Aber den­noch: Dies zeigt auch, daß sie trotz der äuße­ren Ein­schrän­kun­gen, so gut es geht, nach Voll­stän­dig­keit stre­ben. Was sie haben, das ver­su­chen sie so schön und ehr­fürch­tig wie mög­lich zu gestal­ten. Man merkt, wohin sie stre­ben, und mit jeder Klei­nig­keit, die sie irgend­wo­her bekom­men, bemü­hen sie sich um eine wür­di­ge­re Aus­ge­stal­tung der Kapel­le und der ande­ren Räu­me. Sogar so arm­se­li­ge Kapel­len strah­len viel mehr Wür­de und Ehr­furcht aus, als zahl­rei­che um teu­res Geld ver­un­stal­te­te Kir­chen, die frei­wil­lig jede Sakra­li­tät abge­legt haben und das ganz bewußt auch genau so woll­ten: unan­sehn­li­che Altä­re, ent­stell­te Dar­stel­lun­gen in Kir­chen­fen­stern, Sta­tu­en und Bil­dern, kah­les Nichts und gäh­nen­de Lee­re, gera­de auch inhalt­lich, nichts­sa­gen­de Optik, Ableh­nung alles Ästhe­ti­schen. Anstatt des­sen will man heu­te das Skan­da­lö­se und das nicht Dage­we­se­ne um jeden Preis. Das ist ein Grund­pro­blem in der heu­ti­gen Zeit: der Unwil­le zur Sakra­li­tät und zur Hei­lig­keit. Das betrifft aus­nahms­los alle Berei­che: Zivil­ge­sell­schaft, Poli­tik, das per­sön­li­che Leben, aber auch die Kir­che selbst und deren Lit­ur­gie. Alles muß pro­fa­niert sein, anson­sten wird es nicht akzeptiert.

Es macht dabei durch­aus einen Unter­schied, wes­halb ein gewis­ser Zustand besteht: Ist er aus der Not der Zeit oder des Ortes her­aus so, oder ist er so, weil er so gewollt ist?
Es ist edel und löb­lich, in Zei­ten von Armut, Not oder Ver­fol­gung einen klei­nen Raum, einen alten Schup­pen oder eine Scheu­ne not­dürf­tig zu einer Kapel­le umzu­funk­tio­nie­ren, so gut es eben geht, mit dem Aller­nö­tig­sten, auch wenn es nicht in allem dem ent­spricht, was in nor­ma­len Zei­ten eigent­lich lit­ur­gisch und auch gene­rell gefor­dert wäre. Aber es sind eben die Umstän­de, denen die­se Män­gel geschul­det sind, und nicht weil man es nicht bes­ser machen will. Der Unter­schied besteht zwi­schen dem Nicht-Kön­nen und dem Nicht-Wol­len. Auch ganz not­dürf­ti­ge und ein­fach­ste Lit­ur­gien kön­nen sehr viel dazu bei­tra­gen, daß der katho­li­sche Glau­be erhal­ten bleibt, aber eben, weil das Bewußt­sein wach ist, wie es eigent­lich sein soll­te, aber lei­der doch nicht sein kann. Das wird dann auch als ein Man­gel emp­fun­den, und nicht als ein ange­streb­ter Ide­al­zu­stand. Wenn in nor­ma­len Zei­ten das Nicht-Idea­le aber zum Ide­al erklärt und künst­lich dazu erho­ben wird, dann wird es auch zur Gefahr für den Glau­ben und die mensch­li­che Gei­stes­hal­tung. Denn dann merkt der Mensch: Es soll etwas zer­stört und nie­der­ge­ris­sen wer­den, zunächst in Hal­tung und Ein­stel­lung, aber geför­dert und sicht­bar gemacht eben auch durch archi­tek­to­ni­sche und gestal­te­ri­sche Entscheidungen.

Zustän­de, die nicht ide­al sind, kön­nen durch­aus auf Grund von äuße­ren Umstän­den an einem gewis­sen Ort oder zu einer gewis­sen Zeit sozu­sa­gen zur Über­brückung bestehen, solan­ge die Hal­tung bewußt ist, daß es nicht der Ide­al­zu­stand ist und daß man ehest­mög­lich nach Kor­rek­tu­ren stre­ben muß. Aber wenn die Män­gel zum eigent­li­chen Desi­de­rat wer­den, dann ist klar, daß eine ver­än­der­te, unge­sun­de Gei­stes­hal­tung vor­liegt und die­se unwei­ger­lich Fol­ge­schä­den nach sich zie­hen wird.

Ana­log gilt dies im übri­gen auch für den pro­fa­nen Bereich, es ist der­sel­be Mecha­nis­mus: Es ist schon auf­fal­lend, wie sehr im Grun­de die Art und Wei­se, wie man – bei­spiels­wei­se seit den 60er Jah­ren – baut, wel­che Kunst­wer­ke man in den Städ­ten errich­tet und ganz gene­rell wie man den öffent­li­chen Raum gestal­tet, mit der neu­en Denk­wei­se über­ein­stimmt und dem all­ge­mei­nen Lebens­ge­fühl der Zei­ten ent­spricht. Dar­in spie­gelt sich eine gro­ße gei­sti­ge Ver­ar­mung wider, eine Ver­wahr­lo­sung des Gei­stes, die sich in einer gera­de­zu zur Schau gestell­ten Geschmack­lo­sig­keit nie­der­schlägt. Es geht heu­te nicht mehr wie den Künst­lern ver­gan­ge­ner Epo­chen dar­um, Wah­res zu erken­nen, es im Aus­druck ein­zu­fan­gen und rea­li­stisch dar­zu­stel­len, son­dern es geht heu­te dar­um, die­se Wahr­hei­ten zu negie­ren, sie zu ver­zer­ren und die eige­ne, sub­jek­tiv gewünsch­te Inter­pre­ta­ti­on dar­zu­stel­len. Die Künst­ler nei­gen heu­te dazu, nicht eine objek­ti­ve Sache abbil­den zu wol­len, son­dern ihre eige­nen sub­jek­ti­ven Emp­fin­dun­gen in den Mit­tel­punkt zu rücken. Die kla­re Gestalt wird auf­ge­löst, so daß jeder Betrach­ter die­se wie­der­um frei und belie­big inter­pre­tie­ren kann, ohne an objek­tiv Wah­res zurück­ge­bun­den zu sein.

Das ent­spricht auf­fal­lend stark dem phi­lo­so­phi­schen Grund­ge­dan­ken unse­rer gegen­wär­ti­gen Epo­che, und das ist sehr besorg­nis­er­re­gend. Denn wenn das Abso­lu­te, das Wah­re und das Objek­ti­ve per se abge­lehnt wer­den, dann ist es nur eine logisch zwin­gend not­wen­di­ge Kon­se­quenz, auch Chri­stus, die katho­li­schen Glau­bens­wahr­hei­ten und die Kir­che abzu­leh­nen – und letzt­lich auch die Lit­ur­gie, erst recht, wenn sie, wie spe­zi­ell die tra­di­tio­nel­le Lit­ur­gie, eben genau auf Objek­ti­ves und Abso­lu­tes hin aus­ge­rich­tet ist, von dem sie sich durch und durch for­men läßt, und eben nicht auf den Men­schen und sei­ne Tages­be­find­lich­kei­ten hin.

Auch von daher sehen wir also einen kla­ren Zusam­men­hang von Kult und Kul­tur – die neue Lit­ur­gie ist im Grun­de genom­men eben­so von Ver­fall geprägt wie die Gei­stes­kul­tur, die sie widerspiegelt.

*Mag. Don Micha­el Gurt­ner ist ein aus Öster­reich stam­men­der Diö­ze­san­prie­ster, der in der Zeit des öffent­li­chen Meß­ver­bots die­sem wider­stan­den und sich gro­ße Ver­dien­ste um den Zugang der Gläu­bi­gen zu den Sakra­men­ten erwor­ben hat. Die aktu­el­le Kolum­ne erscheint jeden Samstag.


Das Buch zur Rei­he: Don Micha­el Gurt­ner: Zur Lage der Kir­che, Selbst­ver­lag, 2023, 216 Seiten.


Bis­her erschienen:

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