
Frage: Wo können wir diese Verweltlichung der Kirche festmachen? Wo tritt sie uns entgegen?
Antwort: Nun, als ein besonders drastisches und eindrückliches Beispiel dafür, wie sehr dieser geistliche Zersetzungsprozeß in der Kirche bereits vorangeschritten ist, würde ich die jüngste Kurienreform anführen. Sie stellt einen weiteren Tiefpunkt einer Reihe mißglückter Reformen dar, wie sie seit dem letzten Konzil mehrfach stattgefunden haben, aber diesmal scheint man wirklich die letzte theologische Vision aufgegeben zu haben und zu einer reichlich unscharfen, rein funktional-pragmatischen Leitungsform übergegangen zu sein. Man hat den Eindruck, die Kirche und deren einzelne Teilstrukturen könne man wie einen Konzern, ein Ministerium, eine Organisation oder eine Firma leiten. Leitungsamt und Weiheamt werden voneinander abgekoppelt, so daß künftig auch Weltliche (also Laien) Leitungsfunktionen über Geistliche (also Kleriker) ausüben können. Übrigens auch innerhalb der Orden können Laienbrüder neuerdings auf sämtlichen Ebenen Obere der geweihten Priester werden. Hier kommt aber etwas durcheinander.
Das wird leider bereits in vielen Diözesen so gehandhabt, wo die „Personalchefs“ der Priester nicht mehr die Bischöfe und die Generalvikare oder zumindest die Kanzler sind, sondern Laien oder ständige Diakone.
Die sakramentale Anbindung an das Leitungsamt wurde komplett aufgetrennt, und von nun an genügen weltliche Kompetenzen, während auf den Weihestand als Voraussetzung für Leitungsämter vollkommen verzichtet wird. Das sendet allein schon ein bestimmtes Signal der Verweltlichung aus: nur mehr funktional, das Sakramentale ist unbedeutend, als ob es bislang falsch gewesen wäre. Es sind „Fachkräfte“ und „Nischenspezialisten“ die ihren „Job“ nicht unbedingt schlechter machen, vielleicht sogar mitunter besser, als es mancher Bischof, Kardinal und Papst tat, aber es fehlt doch die maßgebliche geistlich-sakramentale Komponente.
Dabei muß man aber ehrlicherweise zugeben, daß auch dies nur ein logischer und konsequenter Schritt dessen war, was im Kleinen bereits seit langem angebahnt und immer weiter ausgedehnt wurde. Auch viele Bischöfe haben diese Säkularisierung und Verweltlichung nichtsahnend und wohlmeinend mit vorbereitet. Schon lange wurden immer mehr ursprünglich klerikale Aufgaben Klerikern kategorisch vorenthalten. Sei es aus Personalmangel, sei es aus kirchenpolitischen oder ideologischen Gründen oder aber, weil man so „Signale senden“ wollte und nach wie vor will. So mancher Bischof wurde und wird nicht müde zu betonen, wie fortschrittlich er sei, da er einen Laien als „Bürochef“ hat und keinen Kaplan mehr als Sekretär und Zeremoniär, sondern einen Laien: Nicht daß das Amt des Sekretärs unbedingt an die Weihe gebunden sein müßte, aber es ist eben doch etwas anderes. Ebenso werden in immer mehr Diözesen Laien als Kanzler ernannt und nicht mehr, wie früher, Priester, und es werden nur so viele Priester als unbedingt nötig und überaus widerwillig ans Kirchengericht berufen, ebenso als Dozenten und Professoren auf Lehrstühle: Man wolle nun die Laien fördern und zeigt dies durch demonstrativen Ausschluß von Klerikern von verschiedenen Funktionen.
Das ist keine Kritik oder grundlegender Zweifel an der Fähigkeit der Laien – sehr wohl allerdings an den Signalen, die dadurch ausgesandt werden, sowie dem rein weltlich-funktionalen Denken, das dahintersteht. So ist es nur logisch, konsequent und folgerichtig, wenn diese Mentalität, die seit langem gefördert wird, nun auch die höchsten Ämter der römischen Kurie erreicht hat. Entklerikalisierung bedeutet in diesem Zusammenhang nun einmal auch Verweltlichung. Es ist so, als wenn militärische Führungsposten mit Zivilisten besetzt würden oder Staatsämter mit Ausländern. Beide müssen nicht unbedingt fachlich weniger qualifiziert sein, aber es würde zurecht nicht gut ankommen, wenn gewisse Eigenschaften fehlen, und nach außen hin eine gewisse Signalwirkung haben. Sowas vermittelt den Eindruck von Resignation und Selbstaufgabe der Kirche, als fände sie in ihrem Klerus keine geeigneten Leute mehr.
Aber auch in anderen Bereichen finden wir eine drastische „Entgeistlichung“ der Kirche: Es gibt Klöster (mit genügend Priestermönchen), die ganz bewußt nicht mehr täglich die Heilige Messe zelebrieren, sondern nur am Sonntag und vielleicht noch einmal unter der Woche. Anstatt dessen bieten sie (für teures Geld) Yogakurse an „um zu sich selbst zu finden“ (anstatt zu Gott).
Beinahe überall wird einem Priester, der etwa auf der Durchreise ist, die Einzelzelebration versagt, sogar in Klöstern, Ordenshäusern oder Pfarreien. Wenn überhaupt, dann wird einem meist widerwillig angeboten zu konzelebrieren, aber auch das ist nicht mehr garantiert. In Rom erging an sämtliche Priesterkollegien die Anweisung, die individuelle Zelebration zu unterbinden und anstatt dessen eine große tägliche Konzelebration zu veranstalten – auch der Petersdom handhabt dies jetzt neuerdings so, obwohl es bis vor kurzem noch jedem Priester ohne weiteres möglich war, in der Früh an den verschiedenen Seitenaltären individuell die Heilige Messe zu lesen und Gott das große Opfer darzubringen. Es wird für Priester also immer schwieriger, noch einen Altar zur Zelebration der Hl. Messe zu finden (das gilt speziell für den VOM, aber ebenso bereits auch für den NOM), besonders wenn sie keine eigene Kirche zur Verfügung haben. Fragt man hingegen beispielsweise bei der Piusbruderschaft an, ob man die Heilige Messe lesen darf, so wird man immer mit offenen Armen willkommen geheißen, ebenso in anderen altrituellen Häusern. Was einst selbstverständlich war, ist heute zur großen Ausnahme geworden: die Möglichkeit zur täglichen Zelebration der Heiligen Messe.
Auch die Pensionierung der Geistlichen ist ein Problem, das einem verweltlichten/verbeamteten Denken entspringt, ganz besonders, da sie auch verpflichtend ist. Vielen „pensionierten“ Geistlichen wird es nicht mehr gestattet, Taufen und Hochzeiten zu halten, Messen vielleicht noch in Ausnahmefällen, aber auch das immer widerwilliger: weil sie dann ja die Pastoralassistenten, die „im Berufsleben stehen“, in ihrer Bedeutung schmälern würden. Es gibt ganze Dekanate, in denen man sich darauf geeinigt hat, daß Priester prinzipiell keine Beerdigungen halten, sondern alle Beerdigungen von Laien gehalten werden, um nicht den Eindruck eines Begräbnisses erster und zweiter Klasse entstehen zu lassen. Langsam setzt dieser Trend auch bei Taufen ein. Man will die Laien aufwerten, indem man sagt: Auch sie können gültig taufen, also sollen es keine Kleriker tun, um ihnen sozusagen auch etwas zu lassen.
Und noch problematischer ist die Leichtigkeit der sogenannten Laisierungen bzw. Reduzierung in den Laienstand: „Postkarte genügt“, scherzt man. Es erscheint wie ein normaler Verwaltungsakt, wie der Wechsel des Stromanbieters.
Wie sehr die Kirche bereits verweltlicht ist, zeigt sie auch in vielen äußeren Dingen: in der Kleidung, in ihrer Sprache und der Art und Weise sich auszudrücken, in der Kunst, in der Gestaltung von Sakralräumen, aber auch der funktionalen Kälte vieler neuer Pfarrhäuser und Büroräumlichkeiten, die großteils schlimmer aussehen als zivile Einrichtungen.
Das Problem dabei ist: Wenn die Kirche selbst immer mehr zur Welt wird und wie diese, dann geht sie letztlich in dieser auf und ist dann irgendwann nicht mehr, weil Kirche und Welt im Grunde dasselbe geworden sind. Dadurch ist aber das Ganze der Schöpfung gestört, denn die Kirche ist ja genau deshalb auch sichtbar von Christus eingesetzt worden, um diese „Störung“ der Schöpfung, die durch die Erbschuld in sie eingetreten war, zu beheben.
Mag. Don Michael Gurtner ist ein aus Österreich stammender Diözesanpriester, der in der Zeit des öffentlichen Meßverbots diesem widerstanden und sich große Verdienste um den Zugang der Gläubigen zu den Sakramenten erworben hat. Die aktuelle Kolumne erscheint jeden Samstag.
Das Buch zur Reihe: Don Michael Gurtner: Zur Lage der Kirche, Selbstverlag, 2023, 216 Seiten.
Bisher erschienen:
- Zur Lage der Kirche – eine neue Kolumne
- Zur Lage der Kirche – Frage 1
- Zur Lage der Kirche – Frage 2
- Zur Lage der Kirche – Frage 3
- Zur Lage der Kirche – Frage 4
- Zur Lage der Kirche – Frage 5
- Zur Lage der Kirche – Frage 6
- Zur Lage der Kirche – Frage 7
- Zur Lage der Kirche – Frage 8
- Zur Lage der Kirche – Frage 9