
Von Don Michael Gurtner*
Frage: Wie kann so etwas geschehen?
Antwort: Nun, vieles hat man über die Schiene des falschen Gehorsams in die Kirche eingeführt. Immer dann, wenn der Gehorsam nicht an Christus rückgekoppelt ist, besteht das Risiko eines falschen Gehorsams, der sehr leicht gefährlich werden kann, weil er dem Glauben und somit auch der Seele Schaden zufügen kann, wie es in den letzten Jahrzehnten vielfach geschehen ist. Gehorsam darf niemals blind sein, sondern muß sozusagen stets durch das Licht der Wahrheit, welches Christus selbst ist, erleuchtet sein. Nur dann ist er wirklich bindend. Gehorsam ist nur dann eine Tugend, wenn er an die Wahrheit Jesu Christi gekoppelt ist und auf diese hin ausgerichtet und zu dieser hinführt.
Leider wurde und wird das Gehorsamsversprechen sehr gezielt von kirchlichen Vorgesetzten mißbraucht. Das geschah ganz besonders während und seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Dabei muß man bedenken, daß die Kirche in den Zeiten vor dem jüngsten Konzil über die Reinheit der katholischen Lehre wachte, d. h. ihr Maßstab war es, festzustellen, ob das, was geschrieben, gelehrt und gepredigt wurde, mit der Heiligen Schrift und der göttlichen Offenbarung übereinstimmte. In der Regel ging es den meisten Bischöfen, und besonders den meisten Prälaten der römischen Kurie (mit einigen Ausnahmen), tatsächlich um das Seelenheil, um den Willen Gottes, um die Heiligung etc. Sie waren im großen und ganzen sozusagen vertrauenswürdig, weil sie ihr Reden und Schreiben an Christus und die Heilige Schrift gebunden sahen. Aus dieser prinzipiellen Vertrauenssituation heraus muß man die nachfolgenden Entwicklungen betrachten: Die Bischöfe waren es berechtigt gewohnt, den vatikanischen Behörden vertrauen zu können, die Priester ihren Bischöfen, die Gläubigen dem Klerus, weil es ein aufrichtiges Streben nach der Wahrheit und dem Willen Gottes gab. Mitunter gab es zwar auch Fehler, aber das Streben war im wesentlichen ein rechtes und der Wille zur Wahrheit war bei den meisten vorhanden.
Plötzlich aber änderten sich die Voraussetzungen während des Konzils: Lehre und Praxis der Kirche sollten nach dem Willen einer potenten, gut organisierten Minderheit geändert werden, wobei nicht mehr Christus im Mittelpunkt stand, sondern die Vergeistlichung durch Verweltlichung ersetzt werden sollte, was freilich sehr subtil geschah, um durch spitzfindige und mehrdeutige Formulierungen sowie geschickte politische Manöver die neuen Lehren einzuschleusen. Nach alter Gewohnheit vertrauten die Bischöfe blind (um nicht zu sagen: wie mit Blindheit geschlagen) der römischen Kurie und setzten die neuen Anweisungen willig in ihren Bistümern um. Die meisten Priester vertrauten ebenso blind ihren Bischöfen, von denen sie Rechtgläubigkeit gewohnt waren, und setzten die Neuerungen wiederum in ihren Pfarreien um, wo viele Gläubige – wie gewohnt – das taten und glaubten, was ihnen die Pfarrherren vorschrieben.
Durch diese Kettenreaktion eines falschen, unberechtigten Gehorsams, den man gezielt und manipulativ einzusetzen wußte, wurde vieles zerstört und verändert, weil man gewohnt war, getrost das tun zu können, was einem von oben gesagt wurde. Doch sobald eine Anweisung einen anderen Ursprung als die göttliche Offenbarung hat, kann Gehorsam zu einem perfiden Machtinstrument werden, über welches man die Untergebenen manipuliert und großen Schaden anrichten kann – an der Kirche insgesamt, aber besonders auch an den Seelen der Gläubigen.
Dasselbe Schema wird sehr erfolgreich bis heute angewandt: Über die Einforderung des Gehorsams setzt man Forderungen durch, welche selbst ungehorsam gegenüber Gott sind. Somit verkommt der Gehorsam zu einem rein menschlichen Machtinstrument, was einen schweren Mißbrauch des geistlichen Amtes bzw. des Weihesakramentes darstellt.
Dies ist beispielsweise bei dem Verbot der Liturgie in ihrer klassischen Form geschehen: Ein Priester oder Bischof ist nicht gebunden, solchen Anweisungen Folge zu leisten, weil sie offenkundig weder die Ehre Gottes noch die Reinheit der Lehre oder das Heil der Seelen im Sinn haben, sondern aus gegenteiligen Kalkülen stammen. Ein Priester sollte also ohne Skrupel auch trotz offiziellem Verbot die traditionelle Liturgie zelebrieren, in allen Sakramenten und Sakramentalien die ihm zukommen.
Die sichtbare Kirche, die heilige Liturgie und der Klerus sind ein Hilfsmittel zum heiligen Zweck, niemals der Zweck selbst. Deshalb müssen sich die Gläubigen notfalls darauf einstellen, ihren rechten katholischen Glauben auch unabhängig vom Klerus zu bewahren, so wie es in vielen Regionen der Erde über Jahrzehnte hinweg erfolgreich geschehen ist: Ohne Priester, ohne Sakramente, ohne kirchliche Strukturen hat der Glaube im verborgenen sehr lebendig überlebt, weil die Laien selbst sich organisiert und gegenseitig unterwiesen haben. Es werden wieder genau solche Katakombensituationen, in denen die Laien lange Zeit ohne geeignete Kleriker und vielleicht sogar ohne Sakramente geistlich überleben müssen, jene Orte sein, wo der authentische, überlieferte katholische Glaube überleben wird. Doch dort wird er lebendig, frisch und unanfechtbar bleiben und sich neu verbreiten, während alles gar zu Menschliche zwangsläufig vergehen muß.
*Mag. Don Michael Gurtner ist ein aus Österreich stammender Diözesanpriester, der in der Zeit des öffentlichen Meßverbots diesem widerstanden und sich große Verdienste um den Zugang der Gläubigen zu den Sakramenten erworben hat. Die aktuelle Kolumne erscheint jeden Samstag.
Das Buch zur Reihe: Don Michael Gurtner: Zur Lage der Kirche, Selbstverlag, 2023, 216 Seiten.
Bisher erschienen:
- Zur Lage der Kirche – eine neue Kolumne
- Zur Lage der Kirche – Frage 1
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