
Von Don Michael Gurtner*
Frage: Und wie könnte man die Gläubigen dahingehend fördern?
Antwort: Es sind vor allem zwei Bereiche, an denen man korrigierend eingreifen muß, soweit ich das sehe. Der eine ist der überbordende, und auch ein teils ins Gefährliche übertriebener Personenkult, ganz besonders was den Papst, aber nicht minder beispielsweise auch die Gründer von manchen Movimenti (Bewegungen) anbelangt. Manchmal nehmen innerkirchliche Gruppierungen und Gemeinschaften sektenhafte Züge an, teils in seltsamen Sonderlehren, teils aber auch in der Gruppendynamik und im Verhalten nach außen und nach innen.
Was den Papst angeht, so hat das langsam begonnen, als Radio und Fernsehen aufkamen: Plötzlich konnte jeder den Papst hören und danach auch bald sehen. Durch diese größere Unmittelbarkeit wurden auch seine „kleineren Termine“ wie Audienzen vermehrt wahrgenommen, und zugleich wurde der Terminkalender des Papstes immer dichter. Plötzlich war jedes Wort eines Papstes wie Gottes heilige Offenbarung für manche, und alles wurde unhinterfragt und ungeprüft als objektive Wahrheit genommen, als ob der liebe Gott selbst gesprochen hätte.
Eine solche Personenbezogenheit, auch wenn sie den Papst betrifft, ist der Tradition der Kirche jedoch immer fremd gewesen und auch die Päpste selbst haben das nie so gesehen. Das Papstamt steht funktional in einer eindeutigen Unterordnung unter Christus da, es ist niemals sozusagen „Produzent“ von Wahrheit, sondern immer nur Rezeptor. Wird aber alles automatisch wie Gottes heiliges Wort selbst angenommen, was ein Papst spricht oder macht, so fehlt es an einem „Filter“ der seine mitunter auch rein menschlichen Fehler ausbessert. Diese verbreiten sich dann zuerst und setzen sich schließlich irgendwann als „katholisches Allgemeingut“ fest. In der Tat, über diese Schiene sind viele Entwicklungen in Gang gesetzt worden, die im nachhinein besser nicht eingesetzt hätten. Heute kann man sich für beinahe alles direkt oder indirekt auf den Vatikan und den Papst berufen, gegensätzliche Ansichten werden jeweils zurecht mit päpstlichen oder kurialen Aussagen belegt. Es herrscht eine große lehrmäßige Verwirrung bei den Gläubigen, weil eine lehramtliche Verwirrung im Klerus herrscht, selbst im Vatikan.
Wenn die Päpste vor den Zeiten von Radio und Fernsehen, und jetzt auch dem Internet, in Erscheinung traten, dann nur über ausgereifte schriftliche Dokumente und nur bei wirklicher Notwendigkeit und nach reiflichem Studium. Was der Papst wirklich „tat“, d. h. was man von ihm hören und sehen konnte, das blieb der Welt, außer den direkt Anwesenden, weitestgehend verborgen. Und das war eigentlich auch gut so: Der Papst ist nicht dazu da, um eine gewisse Neugierde oder Schaulustigkeit der Touristen zu befriedigen, und auch die (zu) vielen apostolischen Reisen sind vielleicht nicht immer dem dienlich, was sie eigentlich sein wollen. Diese mediale, aber auch persönliche Überhöhung schadet letztlich dem Papstamt, päpstliche Aussagen riskieren inflationär zu werden, gerade weil zuvor alles so überhöht wurde und der Heilige Vater dadurch auch irgendwie unfreier wird in seinem Reden und Handeln, weil es de facto in der Wahrnehmung kaum mehr eine Unterscheidung des Charakters der jeweiligen Aussagen gibt. Die nächsten Pontifikate sollten da doch wieder etwas nüchterner werden und der Überhöhung des Papstamtes durch manche Gruppen und Einzelpersonen entgegenwirken, einfach weil es von Christus her nicht so gedacht war, sondern zu Recht eine eher funktionale Bedeutung in der Kirche hatte, und es auch dem Amt selbst nicht gut tut, wenn es durch diese Fehlentwicklungen immer unfreier wird und zugleich dieser Unfreiheit keine Rechnung trägt: Man kann sich nicht zuerst diese Unfreiheit schaffen und dann so reden und handeln, als gäbe es sie nicht.
In der alten Theologie unterschied man sinnvollerweise die verschiedenen theologischen Gewißheitsgrade – und das sollte man auch auf päpstliche Aussagen anwenden. Manche Dinge könnte der Papst nicht einmal ex cathedra abschaffen oder einführen.
Das andere wäre dann der überzogene Personenkult von Gründerfiguren, besonders innerhalb der Movimenti, die absolut gesetzt werden und deren einzelne Aussagen, so richtig und weise viele von ihnen auch tatsächlich sein mögen, beinahe wie das heilige Evangelium selbst gesehen werden. Es ist einerseits ganz natürlich, daß am Anfang eines neugegründeten Ordens oder einer Bewegung der Gründer und seine Art zu denken und zu glauben einen gewissen Stellenwert einnehmen, und das ist an sich noch nicht verkehrt und letztlich auch eine inwendige Notwendigkeit. Auch später, wenn so viel Zeit verstrichen ist, daß niemand mehr den Gründer persönlich gekannt hat, wird er eine gewisse Rolle spielen.
Personenbezogenheit, egal ob es den Papst betrifft, eine andere geistliche Autorität oder einen Gründer, tendiert letztlich immer zu einer Einseitigkeit, ebenso wie zu einer Emotionslastigkeit, die es zu überwinden gilt. Der göttliche Glaube spricht zunächst den Intellekt an, nicht das Gefühl. Es ist gut, Vorbilder im Glauben zu haben, und dies müssen nicht unbedingt nur die kanonischen Heiligen sein. Viele gute Katholiken können uns wertvolle Gedankenanregungen geben und richtungsweisend für unseren Glauben sein. Ich möchte in diesem Zusammenhang nur an einige der ganz großen Vorbilder erinnern wie Kaiserin Zita, Erzbischof Marcel Lefebvre oder Erzbischof Georg Eder von Salzburg, die durch ihre Glaubenstiefe wirklich richtungsweisende Vorbilder sein können. Solche Vorbilder zu haben ist wichtig, aber eben ohne daß es zu Exklusivismen führt, wie es in einigen neueren Gemeinschaften zu beobachten ist. Das kann schnell in einer sektenhaften und abschottenden Haltung enden.
Damit dies nicht passiert und daß man sich nicht (wie es in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten oft geschehen ist) von „falschen Propheten“ beeindrucken, verwirren und verleiten läßt, ist es notwendig, die Gläubigen zu einem eigenständigen Denken anzuleiten, das sich direkt aus der Offenbarung Gottes nährt und speist. Wer andere für einen selbst denken läßt und anderen (Menschen) nachfolgt, macht sich letztlich von ihnen abhängig: Sie können einen zu Christus führen, aber auch von ihm weg. Deshalb muß man unter den Gläubigen vermehrt eine neue Gründlichkeit des Denkens fördern und eine solide philosophische Grundlage bieten, denn diese fehlt heute allerorts. Die aktuelle Glaubenskrise ist nicht zuletzt auch eine philosophische Krise! Man muß die Menschen wieder vermehrt anleiten, selbst zu denken, eigenständig zu beurteilen, und dies mit einer intellektuellen Redlichkeit und philosophischen Gründlichkeit zu tun! Das haben leider Gottes viele den anderen überlassen, und meist gerade den falschen. Wir müssen wieder zu einem emotionsbefreiten, glaubensbasierten und vernunftgeleiteten sachlichen Abwägen der Dinge zurückkehren. Sonst hat man plötzlich das „Recht“ auf Priesterinnen, nur weil diese sich dazu berufen „fühlen“.
Die philosophische Grundlage, die heute in der Kirche vorherrscht, ist von einem epistemologischen [wissenschaftstheoretischen] Skeptizismus geprägt, und Hegel blitzt an allen Ecken und Enden durch, gerade auch was die Theologie anbelangt.
Zusammenfassend kann man festhalten: Man müßte bei den Gläubigen das eigenständige Denken wieder vermehrt fördern, eine solide philosophische und intellektuelle Basis dazu anbieten und (somit) auch den überzogenen Papst- und Personenkult zurückdrängen, der in manchen (auch an sich guten) katholischen Kreisen vorherrschend ist.
Vereinzelt sehe ich Anstrengungen, in diese Richtung korrigierend einzugreifen und die Dinge auf einer redlichen intellektuellen Basis wieder zurechtzurücken. Ich denke dabei etwa (wenngleich nicht ausschließlich) vor allem an die Priesterbruderschaft St. Pius X., die hervorragende Schriften und Beiträge geliefert hat. Diese Versuche, die wirklich not-wendend sind, müßte man viel mehr ausbauen, unterstützen und auf eine breitere Basis stellen.
*Mag. Don Michael Gurtner ist ein aus Österreich stammender Diözesanpriester, der in der Zeit des öffentlichen Meßverbots diesem widerstanden und sich große Verdienste um den Zugang der Gläubigen zu den Sakramenten erworben hat. Die aktuelle Kolumne erscheint jeden Samstag.
Das Buch zur Reihe: Don Michael Gurtner: Zur Lage der Kirche, Selbstverlag, 2023, 216 Seiten.
Bisher erschienen:
- Zur Lage der Kirche – eine neue Kolumne
- Zur Lage der Kirche – Frage 1
- Zur Lage der Kirche – Frage 2
- Zur Lage der Kirche – Frage 3
- Zur Lage der Kirche – Frage 4
- Zur Lage der Kirche – Frage 5
- Zur Lage der Kirche – Frage 6
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- Zur Lage der Kirche – Frage 36
- Zur Lage der Kirche – Frage 37
Die oben beschriebenen Schwarm- bzw. Philosophengeister sind die Früchte verschiedener Spaltungen. Man sollte sie zur Kenntnis nehmen, so wie man Klippen beachten muss, um sie umschiffen zu können. Einen Katholiken erkennt man daran, dass er seinen überlieferten Glauben praktiziert, er betet die bewährten Gebete, hält die bewährte Struktur der Zeit ein, mit allen guten Bräuchen, er erfindet nicht neue (d.h. alte und überwundene) Fehler hinzu, sondern erlebt jeden Tag aufs Neue erfrischt sein Dasein und Sosein und bewältigt voll Zuversicht seine Aufgabe, für die er geschaffen wurde, in guten und in bösen Tagen. Und – ganz wichtig – er hält die lebensnotwendige Distanz zum Klerus ein!
Man meide wirklich diese Überrepräsentanz von diversen Amtsträgern, da hat der Autor ganz recht, das ist wirklich schädlich, was da inszeniert wird. Amtsträger und weitere „Apostel Ihroselbst“, in Pose fotografisch inszeniert, das ist gruselig. Was davon zu halten ist, kann in Mt 16, 23 ff nachgelesen werden. Man lasse sich von diesen Inszenierungen aller Arten aber nicht zu sehr beeindrucken, all das ist vergänglich und dem eigenen Leben nicht wirklich dienlich.
Völlig richtig, nur, was den Personenkult des Papstes angeht, so reicht dieser weit in vorkonziliare Zeiten zurück und wurde von den damaligen „Integristen“ vorangetrieben. De Maistre ist hier eine Schlüsselfigur. Pio Nono stilisierte sich als Vize-Gott und das im damaligen Kontext völlig inoportune Infehlbarkeits- und Universalprimatsdogma (Pastor aeternus) ist ein Ausfluß davon.