Zur Lage der Kirche – Frage 38

Kein Personenkult, auch keine Papolatrie


Don Gurtner Zur Lage der Kirche

Von Don Micha­el Gurtner*

Anzei­ge

Fra­ge: Und wie könn­te man die Gläu­bi­gen dahin­ge­hend fördern?

Ant­wort: Es sind vor allem zwei Berei­che, an denen man kor­ri­gie­rend ein­grei­fen muß, soweit ich das sehe. Der eine ist der über­bor­den­de, und auch ein teils ins Gefähr­li­che über­trie­be­ner Per­so­nen­kult, ganz beson­ders was den Papst, aber nicht min­der bei­spiels­wei­se auch die Grün­der von man­chen Movi­men­ti (Bewe­gun­gen) anbe­langt. Manch­mal neh­men inner­kirch­li­che Grup­pie­run­gen und Gemein­schaf­ten sek­ten­haf­te Züge an, teils in selt­sa­men Son­der­leh­ren, teils aber auch in der Grup­pen­dy­na­mik und im Ver­hal­ten nach außen und nach innen.

Was den Papst angeht, so hat das lang­sam begon­nen, als Radio und Fern­se­hen auf­ka­men: Plötz­lich konn­te jeder den Papst hören und danach auch bald sehen. Durch die­se grö­ße­re Unmit­tel­bar­keit wur­den auch sei­ne „klei­ne­ren Ter­mi­ne“ wie Audi­en­zen ver­mehrt wahr­ge­nom­men, und zugleich wur­de der Ter­min­ka­len­der des Pap­stes immer dich­ter. Plötz­lich war jedes Wort eines Pap­stes wie Got­tes hei­li­ge Offen­ba­rung für man­che, und alles wur­de unhin­ter­fragt und unge­prüft als objek­ti­ve Wahr­heit genom­men, als ob der lie­be Gott selbst gespro­chen hätte.

Eine sol­che Per­so­nen­be­zo­gen­heit, auch wenn sie den Papst betrifft, ist der Tra­di­ti­on der Kir­che jedoch immer fremd gewe­sen und auch die Päp­ste selbst haben das nie so gese­hen. Das Papst­amt steht funk­tio­nal in einer ein­deu­ti­gen Unter­ord­nung unter Chri­stus da, es ist nie­mals sozu­sa­gen „Pro­du­zent“ von Wahr­heit, son­dern immer nur Rezep­tor. Wird aber alles auto­ma­tisch wie Got­tes hei­li­ges Wort selbst ange­nom­men, was ein Papst spricht oder macht, so fehlt es an einem „Fil­ter“ der sei­ne mit­un­ter auch rein mensch­li­chen Feh­ler aus­bes­sert. Die­se ver­brei­ten sich dann zuerst und set­zen sich schließ­lich irgend­wann als „katho­li­sches All­ge­mein­gut“ fest. In der Tat, über die­se Schie­ne sind vie­le Ent­wick­lun­gen in Gang gesetzt wor­den, die im nach­hin­ein bes­ser nicht ein­ge­setzt hät­ten. Heu­te kann man sich für bei­na­he alles direkt oder indi­rekt auf den Vati­kan und den Papst beru­fen, gegen­sätz­li­che Ansich­ten wer­den jeweils zurecht mit päpst­li­chen oder kuria­len Aus­sa­gen belegt. Es herrscht eine gro­ße lehr­mä­ßi­ge Ver­wir­rung bei den Gläu­bi­gen, weil eine lehr­amt­li­che Ver­wir­rung im Kle­rus herrscht, selbst im Vatikan.

Wenn die Päp­ste vor den Zei­ten von Radio und Fern­se­hen, und jetzt auch dem Inter­net, in Erschei­nung tra­ten, dann nur über aus­ge­reif­te schrift­li­che Doku­men­te und nur bei wirk­li­cher Not­wen­dig­keit und nach reif­li­chem Stu­di­um. Was der Papst wirk­lich „tat“, d. h. was man von ihm hören und sehen konn­te, das blieb der Welt, außer den direkt Anwe­sen­den, wei­test­ge­hend ver­bor­gen. Und das war eigent­lich auch gut so: Der Papst ist nicht dazu da, um eine gewis­se Neu­gier­de oder Schau­lu­stig­keit der Tou­ri­sten zu befrie­di­gen, und auch die (zu) vie­len apo­sto­li­schen Rei­sen sind viel­leicht nicht immer dem dien­lich, was sie eigent­lich sein wol­len. Die­se media­le, aber auch per­sön­li­che Über­hö­hung scha­det letzt­lich dem Papst­amt, päpst­li­che Aus­sa­gen ris­kie­ren infla­tio­när zu wer­den, gera­de weil zuvor alles so über­höht wur­de und der Hei­li­ge Vater dadurch auch irgend­wie unfrei­er wird in sei­nem Reden und Han­deln, weil es de fac­to in der Wahr­neh­mung kaum mehr eine Unter­schei­dung des Cha­rak­ters der jewei­li­gen Aus­sa­gen gibt. Die näch­sten Pon­ti­fi­ka­te soll­ten da doch wie­der etwas nüch­ter­ner wer­den und der Über­hö­hung des Papst­am­tes durch man­che Grup­pen und Ein­zel­per­so­nen ent­ge­gen­wir­ken, ein­fach weil es von Chri­stus her nicht so gedacht war, son­dern zu Recht eine eher funk­tio­na­le Bedeu­tung in der Kir­che hat­te, und es auch dem Amt selbst nicht gut tut, wenn es durch die­se Fehl­ent­wick­lun­gen immer unfrei­er wird und zugleich die­ser Unfrei­heit kei­ne Rech­nung trägt: Man kann sich nicht zuerst die­se Unfrei­heit schaf­fen und dann so reden und han­deln, als gäbe es sie nicht.

In der alten Theo­lo­gie unter­schied man sinn­vol­ler­wei­se die ver­schie­de­nen theo­lo­gi­schen Gewiß­heits­gra­de – und das soll­te man auch auf päpst­li­che Aus­sa­gen anwen­den. Man­che Din­ge könn­te der Papst nicht ein­mal ex cathe­dra abschaf­fen oder einführen.

Das ande­re wäre dann der über­zo­ge­ne Per­so­nen­kult von Grün­der­fi­gu­ren, beson­ders inner­halb der Movi­men­ti, die abso­lut gesetzt wer­den und deren ein­zel­ne Aus­sa­gen, so rich­tig und wei­se vie­le von ihnen auch tat­säch­lich sein mögen, bei­na­he wie das hei­li­ge Evan­ge­li­um selbst gese­hen wer­den. Es ist einer­seits ganz natür­lich, daß am Anfang eines neu­ge­grün­de­ten Ordens oder einer Bewe­gung der Grün­der und sei­ne Art zu den­ken und zu glau­ben einen gewis­sen Stel­len­wert ein­neh­men, und das ist an sich noch nicht ver­kehrt und letzt­lich auch eine inwen­di­ge Not­wen­dig­keit. Auch spä­ter, wenn so viel Zeit ver­stri­chen ist, daß nie­mand mehr den Grün­der per­sön­lich gekannt hat, wird er eine gewis­se Rol­le spielen.

Per­so­nen­be­zo­gen­heit, egal ob es den Papst betrifft, eine ande­re geist­li­che Auto­ri­tät oder einen Grün­der, ten­diert letzt­lich immer zu einer Ein­sei­tig­keit, eben­so wie zu einer Emo­ti­ons­la­stig­keit, die es zu über­win­den gilt. Der gött­li­che Glau­be spricht zunächst den Intel­lekt an, nicht das Gefühl. Es ist gut, Vor­bil­der im Glau­ben zu haben, und dies müs­sen nicht unbe­dingt nur die kano­ni­schen Hei­li­gen sein. Vie­le gute Katho­li­ken kön­nen uns wert­vol­le Gedan­ken­an­re­gun­gen geben und rich­tungs­wei­send für unse­ren Glau­ben sein. Ich möch­te in die­sem Zusam­men­hang nur an eini­ge der ganz gro­ßen Vor­bil­der erin­nern wie Kai­se­rin Zita, Erz­bi­schof Mar­cel Lefeb­v­re oder Erz­bi­schof Georg Eder von Salz­burg, die durch ihre Glau­bens­tie­fe wirk­lich rich­tungs­wei­sen­de Vor­bil­der sein kön­nen. Sol­che Vor­bil­der zu haben ist wich­tig, aber eben ohne daß es zu Exklu­si­vis­men führt, wie es in eini­gen neue­ren Gemein­schaf­ten zu beob­ach­ten ist. Das kann schnell in einer sek­ten­haf­ten und abschot­ten­den Hal­tung enden.

Damit dies nicht pas­siert und daß man sich nicht (wie es in den ver­gan­ge­nen Jah­ren und Jahr­zehn­ten oft gesche­hen ist) von „fal­schen Pro­phe­ten“ beein­drucken, ver­wir­ren und ver­lei­ten läßt, ist es not­wen­dig, die Gläu­bi­gen zu einem eigen­stän­di­gen Den­ken anzu­lei­ten, das sich direkt aus der Offen­ba­rung Got­tes nährt und speist. Wer ande­re für einen selbst den­ken läßt und ande­ren (Men­schen) nach­folgt, macht sich letzt­lich von ihnen abhän­gig: Sie kön­nen einen zu Chri­stus füh­ren, aber auch von ihm weg. Des­halb muß man unter den Gläu­bi­gen ver­mehrt eine neue Gründ­lich­keit des Den­kens för­dern und eine soli­de phi­lo­so­phi­sche Grund­la­ge bie­ten, denn die­se fehlt heu­te aller­orts. Die aktu­el­le Glau­bens­kri­se ist nicht zuletzt auch eine phi­lo­so­phi­sche Kri­se! Man muß die Men­schen wie­der ver­mehrt anlei­ten, selbst zu den­ken, eigen­stän­dig zu beur­tei­len, und dies mit einer intel­lek­tu­el­len Red­lich­keit und phi­lo­so­phi­schen Gründ­lich­keit zu tun! Das haben lei­der Got­tes vie­le den ande­ren über­las­sen, und meist gera­de den fal­schen. Wir müs­sen wie­der zu einem emo­ti­ons­be­frei­ten, glau­bens­ba­sier­ten und ver­nunft­ge­lei­te­ten sach­li­chen Abwä­gen der Din­ge zurück­keh­ren. Sonst hat man plötz­lich das „Recht“ auf Prie­ste­rin­nen, nur weil die­se sich dazu beru­fen „füh­len“.

Die phi­lo­so­phi­sche Grund­la­ge, die heu­te in der Kir­che vor­herrscht, ist von einem epi­ste­mo­lo­gi­schen [wis­sen­schafts­theo­re­ti­schen] Skep­ti­zis­mus geprägt, und Hegel blitzt an allen Ecken und Enden durch, gera­de auch was die Theo­lo­gie anbelangt.

Zusam­men­fas­send kann man fest­hal­ten: Man müß­te bei den Gläu­bi­gen das eigen­stän­di­ge Den­ken wie­der ver­mehrt för­dern, eine soli­de phi­lo­so­phi­sche und intel­lek­tu­el­le Basis dazu anbie­ten und (somit) auch den über­zo­ge­nen Papst- und Per­so­nen­kult zurück­drän­gen, der in man­chen (auch an sich guten) katho­li­schen Krei­sen vor­herr­schend ist.

Ver­ein­zelt sehe ich Anstren­gun­gen, in die­se Rich­tung kor­ri­gie­rend ein­zu­grei­fen und die Din­ge auf einer red­li­chen intel­lek­tu­el­len Basis wie­der zurecht­zu­rücken. Ich den­ke dabei etwa (wenn­gleich nicht aus­schließ­lich) vor allem an die Prie­ster­bru­der­schaft St. Pius X., die her­vor­ra­gen­de Schrif­ten und Bei­trä­ge gelie­fert hat. Die­se Ver­su­che, die wirk­lich not-wen­dend sind, müß­te man viel mehr aus­bau­en, unter­stüt­zen und auf eine brei­te­re Basis stellen.

*Mag. Don Micha­el Gurt­ner ist ein aus Öster­reich stam­men­der Diö­ze­san­prie­ster, der in der Zeit des öffent­li­chen Meß­ver­bots die­sem wider­stan­den und sich gro­ße Ver­dien­ste um den Zugang der Gläu­bi­gen zu den Sakra­men­ten erwor­ben hat. Die aktu­el­le Kolum­ne erscheint jeden Samstag.


Das Buch zur Rei­he: Don Micha­el Gurt­ner: Zur Lage der Kir­che, Selbst­ver­lag, 2023, 216 Seiten.


Bis­her erschienen:

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