Zur Lage der Kirche – Frage 42

Es ist notwendig, das Zweite Vatikanische Konzil zu kritisieren


Don Michael Gurtner Zur Lage der Kirche

Von Don Micha­el Gurtner*

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Fra­ge: Das bedeu­tet, das jüng­ste Kon­zil wird über­be­wer­tet und in sei­ner Bedeu­tung über­höht, wenn man es jeg­li­cher Kri­tik und Debat­te zu ent­zie­hen sucht?

Ant­wort: Ja, das kann man so sagen. Das jüng­ste Kon­zil ist ein Kon­zil sui gene­ris. Es unter­schei­det sich sowohl for­mal als auch in sei­ner Selbst­sicht sehr deut­lich von allen vor­he­ri­gen. Wer jün­ger ist als etwa 70 Jah­re, hat jedoch kei­nen wirk­lich per­sön­li­chen Bezug mehr dazu. Für sie ist es ein fer­nes Ereig­nis der jün­ge­ren Kir­chen­ge­schich­te, ein histo­ri­sches Fak­tum, das schon lan­ge sei­ne Früch­te zeigt und es immer deut­li­cher tut. Man soll­te hier eine gro­ße Nüch­tern­heit und einen gro­ßen Rea­lis­mus wal­ten las­sen, aber auch die Frei­heit einer offe­nen und ehr­li­chen Dis­kus­si­on gewäh­ren. Das ist der­zeit nicht der Fall, hier herrscht ein unge­recht­fer­tig­ter Mei­nungs­zwang inner­halb der katho­li­schen Hier­ar­chie. Es gibt nur eine ein­zi­ge akzep­tier­te und zuge­las­se­ne Mei­nung, und davon abzu­wei­chen kann schnell zu Iso­la­ti­on und „kar­rie­re­tech­ni­schen“ Kon­se­quen­zen füh­ren, wäh­rend „Aus­schrei­tun­gen auf lin­ker Sei­te“ ohne Fol­gen blei­ben und viel­fach sogar gewünscht sind und prä­miert wer­den, etwa durch Beförderungen.

Wir brau­chen sogar sehr drin­gend eine auf­rich­ti­ge und ehr­li­che Debat­te über das letz­te Kon­zil: über des­sen Inhal­te, über sei­ne Wir­kun­gen, aber auch über sei­ne teils wirk­lich erschrecken­den Hin­ter­grün­de, wel­che mehr und mehr dank histo­ri­scher For­schun­gen und Tage­bü­cher sowie Kor­re­spon­den­zen aus den Hin­ter­las­sen­schaf­ten der direkt Betei­lig­ten zuta­ge tre­ten. Das alles müß­te zu einer objek­ti­ven und emo­ti­ons­lo­sen Neu­be­wer­tung des Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zils füh­ren. Es ist kei­ne Schan­de und kei­ne Häre­sie, im Abstand von mehr als einem hal­ben Jahr­hun­dert zu den­ken und es auch ehr­lich zuzu­ge­ben, daß sich das Vati­ca­num II als ein gro­ßer Feh­ler erwie­sen hat, als ein geschei­ter­tes Kon­zil sozu­sa­gen. Dar­aus muß man dann aber auch Kon­se­quen­zen zie­hen. Am jüng­sten Kon­zil ist die Kir­che nicht gene­sen, son­dern dar­an zu Tode erkrankt, und wir lei­den noch immer sehr dar­un­ter. Wir sind mitt­ler­wei­le in die Ago­nie ein­ge­tre­ten. Etwas pla­ka­tiv zusam­men­ge­faßt könn­ten wir also sagen: An der Kir­che lei­den wir dem Him­mel entgegen.

Die Kir­che kann Wahr­heit und somit auch ihre Leh­re nicht ein­fach frei und will­kür­lich gene­rie­ren und fest­le­gen, son­dern nur fest­stel­len im Sin­ne eines Erken­nens einer ihr vor­aus­ge­hen­den, von Chri­stus her kom­men­den Tat­sa­che. Daß ihr dies tat­säch­lich in all ihren Aus­sa­gen gelingt oder sie es über­haupt will, ist kein Auto­ma­tis­mus und kei­ne Selbst­ver­ständ­lich­keit, son­dern eine poten­ti­el­le Fakul­tät. Ob die­ses Poten­ti­al sich auch tat­säch­lich in ihren ein­zel­nen Aus­sa­gen rea­li­siert, hängt von zahl­rei­chen Fak­to­ren ab, nicht zuletzt auch von ihrem Wil­len und Rin­gen, wirk­lich den Wil­len Got­tes zu erken­nen und ihn zu erfüllen.

Ihre Auf­ga­be ist es, zuerst eine gött­li­che Wahr­heit oder einen gött­li­chen Wil­len unter sei­nem Bei­stand als sol­che zu erken­nen und die­se dann zu for­mu­lie­ren bzw. getreu umzu­set­zen. Viel­fach geht es aber den umge­kehr­ten Weg: Man trifft selbst, rein mensch­lich, eine Ent­schei­dung, und sucht dann nach geeig­ne­ten Bibel­stel­len oder Argu­men­ten, um die­sen mensch­li­chen oder poli­ti­schen Ent­schei­dun­gen einen reli­giö­sen Anstrich zu ver­pas­sen und ihnen dadurch sozu­sa­gen eine Recht­fer­ti­gung zu orga­ni­sie­ren. Daß solch ein Vor­ge­hen nicht zu glau­bens­ver­bind­li­chen Aus­sa­gen füh­ren kann, ist offen­sicht­lich, weil damit nicht mehr Gott im Zen­trum steht und als Maß­stab dient, son­dern das rein Mensch­li­che. Die Rich­tung ist sozu­sa­gen inver­tiert. Daß dies beim letz­ten Kon­zil in zahl­rei­chen Fäl­len eben­so gesche­hen ist, steht außer Zwei­fel, und davon muß es sozu­sa­gen gerei­nigt und befreit werden.

Des­halb muß es in Zukunft zu einer Neu­be­wer­tung der ein­zel­nen Kon­zils­tex­te sowie des Kon­zils in sei­nem Gesamt kom­men, wenn die Kir­che wie­der gene­sen und Gott in ihr Zen­trum stel­len möch­te. Doch solan­ge ihr die­ser auf­rich­ti­ge Wil­le zur Gott­zen­triert­heit fehlt, wird sie sich dage­gen weh­ren, denn es war ja gera­de das jüng­ste Kon­zil sowie die dar­auf basie­ren­den Refor­men, durch wel­che die anthro­po­lo­gi­sche Wen­de in der Kir­che ein­ge­lei­tet wur­de, und wel­che nun – wie von zahl­rei­chen wachen Gei­stern vor­her­ge­se­hen – emsig dabei ist, die Kir­che von innen her zu zersetzen.

Von daher wür­de ich eine objek­ti­ve, emo­ti­ons­be­frei­te und wirk­lich freie Debat­te über das Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil als eine con­di­tio sine qua non für eine Gene­sung der Kir­che sehen. Folg­lich ist es auch nicht häre­tisch oder unka­tho­lisch, das Kon­zil kri­tisch zu hin­ter­fra­gen, son­dern im Gegen­teil, es ist der Ver­such, der Kir­che wie­der jene Aus­rich­tung auf ihr Zen­trum zurück­zu­ge­ben, wel­che sie gera­de auch durch das letz­te Kon­zil ver­lo­ren hat.

*Mag. Don Micha­el Gurt­ner ist ein aus Öster­reich stam­men­der Diö­ze­san­prie­ster, der in der Zeit des öffent­li­chen Meß­ver­bots die­sem wider­stan­den und sich gro­ße Ver­dien­ste um den Zugang der Gläu­bi­gen zu den Sakra­men­ten erwor­ben hat. Die aktu­el­le Kolum­ne erscheint jeden Samstag.


Das Buch zur Rei­he: Don Micha­el Gurt­ner: Zur Lage der Kir­che, Selbst­ver­lag, 2023, 216 Seiten.


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