
Von Roberto de Mattei*
„Mitten aus dem Feuer hast du Seine Worte gehört“ (Dt 4,36).
Warum hat der Brand der Kathedrale von Notre-Dame so große Bestürzung auf der ganzen Welt ausgelöst? Weil Notre-Dame, jenseits des intrinsischen Wertes als Monument, ein Symbol ist. Alle haben geschrieben: Symbol der Christenheit, Symbol des westlichen Gewissens, Symbol eines kollektiven kulturellen Erbes, Symbol der europäischen Identität, Symbol der nationalen, französischen Geschichte.
Wir leben in einer Welt, die den Wert der Logik verloren, aber die Kraft der Symbole beibehalten hat, weil das System der Massenmedien von Symbolen lebt, um Emotionen zu erzeugen, auch ungebührliche, die häufig an die Stelle der Vernunft treten und sie ersetzen. Es gibt nämlich zwei Wege, um zur Wahrheit zu gelangen: einen über den vernünftigen Gedankengang und einen anderen über die Symbole. Die beiden Wege sind aber nicht alternativ, sondern komplementär. Jesus beispielsweise bedient sich in seinen Gleichnissen sowohl der Symbolsprache, als auch einer zwingenden Logik.
Die Sprache der Vernunft gründet auf dem Widerspruchsprinzip, während sich die Symbolsprache auf Bilder und sichtbare Zeichen stützt, die auf eine unsichtbare Wirklichkeit verweisen. Das Symbol macht sofort verständlich, was den Augen der Vernunft verschleiert ist. Die Logik hilft, die Symbolsprache zu entziffern. Alles was von unseren Sinnen wahrnehmbar ist, hat eine Bedeutung und führt uns zum Unsichtbaren, deren Spiegelung und Nachahmung es ist.
Beim Brand von Notre-Dame haben alle den symbolischen Wert der getroffenen Kathedrale wahrgenommen. Nur wenige versuchten die symbolische Bedeutung des Geschehens zu verstehen. Notre-Dame, wie alle Kathedralen, repräsentiert in seinem architektonischen Himmelsstreben die katholische Kirche.

Wie könnte man daher in den Rauchschwaden und den Flammen, die Notre-Dame am 15. April ergriffen haben, nicht den Rauch und die Flammen sehen, die heute die Kirche Christi umfassen? Bereits 1972 sprach Paul VI. vom „Rauch Satans“, der in den Tempel Gottes eingedrungen ist. Dieser Rauch ist heute zu einem um sich greifenden Brand in der Kirche geworden, der sogar ihre Spitzen versengt. Kann im Einsturz des Vierungsturmes von Notre-Dame nicht der Absturz der Kirchenspitze gesehen werden?
Noch ein anderes symbolisches Bild legt sich in diesem Moment über die Brandbilder von Notre-Dame: die Szene von Papst Franziskus, dem Stellvertreter Christi auf Erden, der die Füße der politischen Führer des Südsudans küßt, indem er sie bittet, daß „das Feuer des Krieges ein für alle Mal erlischt“. Das geschah am 11. April am Ende der Exerzitien im Vatikan, die auf den (schismatischen) Erzbischof von Canterbury, Justin Welby, zurückgehen. Gleich danach, am ersten Tag der Heiligen Woche, wurde die französische Kathedrale, die nach dem Petersdom bekannteste und meistbesuchte der Welt, von den Flammen verzehrt.
Unter den Gläubigen der Tradition findet eine Diskussion statt, manchmal bewegt, um festzustellen, ob diese oder jene Aussage von Papst Franziskus als häretisch zu betrachten sei. Diese theologische und kanonische Untersuchung läuft Gefahr, abstrakt zu bleiben und die Sprache der Gesten zu übersehen, die auf direkte Weise eine Wirklichkeit ausdrückt, die jeder Getaufte, der sich seinen sensus fidei bewahrt hat, leicht erkennen kann.

Daher: Selten wurde die Kirche mehr gedemütigt, als durch die Geste von Papst Franziskus zu Füßen der politischen Führer und der religiösen Führer anderer Religionen. Franziskus ist der Stellvertreter auf Erden des Königs der Könige, dem alle Ehrerbietung zu zollen haben. Es kann keinen wahren Frieden geben außer den der Wahrheit, die vom einzigen Friedensfürsten, Unserem Herrn Jesus Christus, verkündet wird.
Seine Herrschaft umfaßt alle Menschen, wie Pius XI. in seiner Enzyklika Quas primas vom 11. Dezember 1925 in Erinnerung ruft, indem er an die Worte seines Vorgängers Leo XIII. erinnert:
„Sein Reich erstreckt sich nämlich nicht nur über die katholischen Völker oder weiterhin nur über jene, welche gültig die heilige Taufe empfangen haben und rechtlich zur Kirche gehören, obwohl irrige Meinungen sie auf Abwege geführt haben oder ein Zwiespalt das Band der Liebe mit ihr zerrissen hat, sondern es umfaßt auch die große Zahl jener, welche des christlichen Glaubens noch nicht teilhaft geworden sind, so daß in Wahrheit das ganze menschliche Geschlecht in der Gewalt Jesu Christi sich befindet“ (Enzyklika Annum Sacrum von Leo XIII. vom 25. Mai 1899).
Pius XI. fügte hinzu:
„Wenn also das Reich Christi tatsächlich alle umfassen würde, wie es sie von Rechts wegen umfaßt, warum sollten wir dann die Hoffnung auf jenen Frieden aufgeben, den der Friedenskönig auf die Erde gebracht hat?“
Am 11. April wurde Jesus Christus von seinem Stellvertreter gedemütigt mit einem nicht minder symbolischen Akt als der Brand vom 15. April. In der Brandtragödie hat es die Göttliche Vorsehung aber nicht zugelassen, daß die heilige Dornenkrone zerstört wird, die vom heiligen Ludwig IX. für eine astronomische Summe gekauft wurde, und die er 1239, nur mit einer Tunika bekleidet und barfuß, in Empfang nahm und 120 Kilometer in Prozession zu Fuß bis nach Paris trug. Um die Passionsreliquie aufzubewahren, ließ der König die Sainte-Chapelle, die Heilige Kapelle auf der Seine-Insel errichten, ein außergewöhnliches Juwel der Gotik. Wir haben dem Kaplan der Pariser Feuerwehr, P. Jean-Marc Fournier, dankbar zu sein, der allen Gefahren zum Trotz, das Allerheiligste Altarsakrament und die Dornenkrone aus der brennenden Kathedrale in Sicherheit brachte.
Jesus, gegeißelt, beleidigt und bespuckt, wurde ein Purpurgewand umgehängt, eine Dornenkrone aufs Haupt gesetzt und ein Schilfrohr statt eines Zepters in die Hand gedrückt, um sein Königtum zu verspotten. Seine Henker knieten sich vor ihm nieder und huldigten ihm zum Hohn, indem sie ihn als Rex Judaeorum (Mt 27,28–29) bezeichneten. Der Herr trat also vor alle Welt in Purpur gehüllt und mit Dornen gekrönt: portans coronam spineam et purpureum vestimentum (Joh 19,5), und Pilatus zeigte ihn dem Volk mit den Worten: Ecce Homo.
Der Präfekt des Prätoriums sprach, ohne sich dessen bewußt zu sein, durch den Heiligen Geist, indem er zum Ausdruck brachte: Seht, er scheint nur ein Mensch, aber er ist der Sohn Gottes, der verheißene Messias des Gesetzes, der König der Menschen und der Engel, der Erlöser des Menschengeschlechtes. Auf dieselbe Weise scheinen in der Leidenszeit, die wir erleben, die Worte zu ertönen: Ecce Ecclesia, seht, die Braut Christi, die einzige Verwalterin der Heilsmittel, die Friedenskönigin, die Lehrmeisterin der Menschen, das Reich, dessen Schlüssel dem Petrus anvertraut sind. Seht die Heilige Kirche, verwundet, entstellt, beschmutzt. Wie kann es sein, daß sie auf eine solche Weise behandelt wird?
Vom Schmerz und der Empörung bewegt, beten wir Christus, das Haupt der Kirche an, indem wir unsere Verehrung vor allem der so verehrungswürdigen Reliquie der Dornenkrone zuwenden, um die Beleidigungen gegen das Königtum Christi zu sühnen, die in diesen Tagen stattgefunden haben. In den mittelalterlichen Kathedralen wie in Notre-Dame wurden die Dämonen in Gestalt grotesker und unförmiger Skulpturen an der Außenwand der Kirchen dargestellt, weil die bösen Geister nicht in das Kircheninnere hineinkönnen.

Wenn im Tempel Gottes das Leuchten des Feuers das reinste Licht der Glasfenster ersetzt, heißt das, daß die Hölle eingedrungen ist. „Flammen-Inferno“ titelte die Bild-Zeitung am 16. April. Die Worte des heiligen Ludwig Maria Grignion de Montfort in seinem Flammengebet klingen prophetisch:
„Feuer! Feuer! Feuer! Zu Hilfe! Zu Hilfe! Zu Hilfe! Feuer im Hause Gottes! Feuer in den Seelen! Feuer bis ins Heiligtum!“
Ebenso erklingt aber in unseren Herzen an diesem Osterfest die Schlußanrufung dieses Heiligen:
„Exsurge, Domine, quare abdormis? Exsurge!
O Herr, erhebe Dich, warum scheinst Du zu schlafen? Erhebe Dich in Deiner ganzen Allmacht, Barmherzigkeit und Gerechtigkeit. Bilde Dir eine auserwählte Schar von Gefährten als Garde, um Dein Haus zu schützen, Deine Ehre zu verteidigen und die Seelen zu retten, auf daß nur ein Schafstall und ein Hirt sei, und alle Dich verherrlichen in Deinem Tempel!
Et in templo ejus omnes dicent gloriam. Amen.“
*Roberto de Mattei, Historiker, Vater von fünf Kindern, Professor für Neuere Geschichte und Geschichte des Christentums an der Europäischen Universität Rom, Vorsitzender der Stiftung Lepanto, Autor zahlreicher Bücher, zuletzt in deutscher Übersetzung: Verteidigung der Tradition: Die unüberwindbare Wahrheit Christi, mit einem Vorwort von Martin Mosebach, Altötting 2017.
- Bücher von Prof. Roberto de Mattei in deutscher Übersetzung die Bücher von Martin Mosebach können Sie bei unserer Partnerbuchhandlung beziehen.
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Corrispondenza Romana/Giuseppe Nardi
Danke Herr Mattei für die umfassende und gute Analyse der Situation der Kirche.
Traurig nur das solche guten Analysen von Klerikern nicht mehr gemacht werden, die bemühen sich transzendentale Zusammenhänge wegzuwischen.
Fazit: Viele Laien sind treuere Zeugen als der Klerus !
Da es bei Gott ja keinen Zufälle gibt, war es auch kein Zufall, dass der Brand am Beginn der Karwoche stattfand.
Am Beginn der Passion unseres Herrn. Wir wissen – und auch die offizielle Lehre der katholischen Kirche besagt weiß es eigentlich, dass auch sie selbst die Passion erleiden muss und wird. Wann diese finale und entscheidende Zeit sein wird, weiß nur Gottvater. Doch er steht den Menschen bei und sendet ihnen Zeichen, um sich vorbereiten zu können. Ich denke, dass wir als Kirche uns jetzt in dieser Passionszeit befinden, dass diese für uns angebrochen ist. Der Brand von Notre Dame ist ein weiterer Weckruf Gottes an seine Kirche treu und wachsam zu sein!