Ostern 2019: Die Kirche brennt

Symbole, Gesten und Vernunft


Notre-Dame brennt. Gedanken von Prof. Roberto de Mattei.
Notre-Dame brennt. Gedanken von Prof. Roberto de Mattei.

Von Rober­to de Mattei*

Anzei­ge

„Mit­ten aus dem Feu­er hast du Sei­ne Wor­te gehört“ (Dt 4,36).

War­um hat der Brand der Kathe­dra­le von Not­re-Dame so gro­ße Bestür­zung auf der gan­zen Welt aus­ge­löst? Weil Not­re-Dame, jen­seits des intrin­si­schen Wer­tes als Monu­ment, ein Sym­bol ist. Alle haben geschrie­ben: Sym­bol der Chri­sten­heit, Sym­bol des west­li­chen Gewis­sens, Sym­bol eines kol­lek­ti­ven kul­tu­rel­len Erbes, Sym­bol der euro­päi­schen Iden­ti­tät, Sym­bol der natio­na­len, fran­zö­si­schen Geschichte.

Wir leben in einer Welt, die den Wert der Logik ver­lo­ren, aber die Kraft der Sym­bo­le bei­be­hal­ten hat, weil das System der Mas­sen­me­di­en von Sym­bo­len lebt, um Emo­tio­nen zu erzeu­gen, auch unge­bühr­li­che, die häu­fig an die Stel­le der Ver­nunft tre­ten und sie erset­zen. Es gibt näm­lich zwei Wege, um zur Wahr­heit zu gelan­gen: einen über den ver­nünf­ti­gen Gedan­ken­gang und einen ande­ren über die Sym­bo­le. Die bei­den Wege sind aber nicht alter­na­tiv, son­dern kom­ple­men­tär. Jesus bei­spiels­wei­se bedient sich in sei­nen Gleich­nis­sen sowohl der Sym­bol­spra­che, als auch einer zwin­gen­den Logik. 

Die Spra­che der Ver­nunft grün­det auf dem Wider­spruchs­prin­zip, wäh­rend sich die Sym­bol­spra­che auf Bil­der und sicht­ba­re Zei­chen stützt, die auf eine unsicht­ba­re Wirk­lich­keit ver­wei­sen. Das Sym­bol macht sofort ver­ständ­lich, was den Augen der Ver­nunft ver­schlei­ert ist. Die Logik hilft, die Sym­bol­spra­che zu ent­zif­fern. Alles was von unse­ren Sin­nen wahr­nehm­bar ist, hat eine Bedeu­tung und führt uns zum Unsicht­ba­ren, deren Spie­ge­lung und Nach­ah­mung es ist.

Beim Brand von Not­re-Dame haben alle den sym­bo­li­schen Wert der getrof­fe­nen Kathe­dra­le wahr­ge­nom­men. Nur weni­ge ver­such­ten die sym­bo­li­sche Bedeu­tung des Gesche­hens zu ver­ste­hen. Not­re-Dame, wie alle Kathe­dra­len, reprä­sen­tiert in sei­nem archi­tek­to­ni­schen Him­mels­stre­ben die katho­li­sche Kirche.

Notre-Dame als brennendes Kreuz in der Nacht vom 15. auf den 16. April 2019.
Flam­men­zei­chen: Not­re-Dame als bren­nen­des Kreuz in der Nacht vom 15. auf den 16. April 2019.

Wie könn­te man daher in den Rauch­schwa­den und den Flam­men, die Not­re-Dame am 15. April ergrif­fen haben, nicht den Rauch und die Flam­men sehen, die heu­te die Kir­che Chri­sti umfas­sen? Bereits 1972 sprach Paul VI. vom „Rauch Satans“, der in den Tem­pel Got­tes ein­ge­drun­gen ist. Die­ser Rauch ist heu­te zu einem um sich grei­fen­den Brand in der Kir­che gewor­den, der sogar ihre Spit­zen ver­sengt. Kann im Ein­sturz des Vie­rungs­tur­mes von Not­re-Dame nicht der Absturz der Kir­chen­spit­ze gese­hen werden?

Noch ein ande­res sym­bo­li­sches Bild legt sich in die­sem Moment über die Brand­bil­der von Not­re-Dame: die Sze­ne von Papst Fran­zis­kus, dem Stell­ver­tre­ter Chri­sti auf Erden, der die Füße der poli­ti­schen Füh­rer des Süd­su­dans küßt, indem er sie bit­tet, daß „das Feu­er des Krie­ges ein für alle Mal erlischt“. Das geschah am 11. April am Ende der Exer­zi­ti­en im Vati­kan, die auf den (schis­ma­ti­schen) Erz­bi­schof von Can­ter­bu­ry, Justin Wel­by, zurück­ge­hen. Gleich danach, am ersten Tag der Hei­li­gen Woche, wur­de die fran­zö­si­sche Kathe­dra­le, die nach dem Peters­dom bekann­te­ste und meist­be­such­te der Welt, von den Flam­men verzehrt.

Unter den Gläu­bi­gen der Tra­di­ti­on fin­det eine Dis­kus­si­on statt, manch­mal bewegt, um fest­zu­stel­len, ob die­se oder jene Aus­sa­ge von Papst Fran­zis­kus als häre­tisch zu betrach­ten sei. Die­se theo­lo­gi­sche und kano­ni­sche Unter­su­chung läuft Gefahr, abstrakt zu blei­ben und die Spra­che der Gesten zu über­se­hen, die auf direk­te Wei­se eine Wirk­lich­keit aus­drückt, die jeder Getauf­te, der sich sei­nen sen­sus fidei bewahrt hat, leicht erken­nen kann.

Demü­ti­gung: Papst Fran­zis­kus küßt am 11. April die Schu­he von süd­su­da­ne­si­schen Politikern.

Daher: Sel­ten wur­de die Kir­che mehr gede­mü­tigt, als durch die Geste von Papst Fran­zis­kus zu Füßen der poli­ti­schen Füh­rer und der reli­giö­sen Füh­rer ande­rer Reli­gio­nen. Fran­zis­kus ist der Stell­ver­tre­ter auf Erden des Königs der Köni­ge, dem alle Ehr­erbie­tung zu zol­len haben. Es kann kei­nen wah­ren Frie­den geben außer den der Wahr­heit, die vom ein­zi­gen Frie­dens­für­sten, Unse­rem Herrn Jesus Chri­stus, ver­kün­det wird. 

Sei­ne Herr­schaft umfaßt alle Men­schen, wie Pius XI. in sei­ner Enzy­kli­ka Quas pri­mas vom 11. Dezem­ber 1925 in Erin­ne­rung ruft, indem er an die Wor­te sei­nes Vor­gän­gers Leo XIII. erinnert: 

„Sein Reich erstreckt sich näm­lich nicht nur über die katho­li­schen Völ­ker oder wei­ter­hin nur über jene, wel­che gül­tig die hei­li­ge Tau­fe emp­fan­gen haben und recht­lich zur Kir­che gehö­ren, obwohl irri­ge Mei­nun­gen sie auf Abwe­ge geführt haben oder ein Zwie­spalt das Band der Lie­be mit ihr zer­ris­sen hat, son­dern es umfaßt auch die gro­ße Zahl jener, wel­che des christ­li­chen Glau­bens noch nicht teil­haft gewor­den sind, so daß in Wahr­heit das gan­ze mensch­li­che Geschlecht in der Gewalt Jesu Chri­sti sich befin­det“ (Enzy­kli­ka Annum Sacrum von Leo XIII. vom 25. Mai 1899).

Pius XI. füg­te hinzu:

„Wenn also das Reich Chri­sti tat­säch­lich alle umfas­sen wür­de, wie es sie von Rechts wegen umfaßt, war­um soll­ten wir dann die Hoff­nung auf jenen Frie­den auf­ge­ben, den der Frie­dens­kö­nig auf die Erde gebracht hat?“

Am 11. April wur­de Jesus Chri­stus von sei­nem Stell­ver­tre­ter gede­mü­tigt mit einem nicht min­der sym­bo­li­schen Akt als der Brand vom 15. April. In der Brand­tra­gö­die hat es die Gött­li­che Vor­se­hung aber nicht zuge­las­sen, daß die hei­li­ge Dor­nen­kro­ne zer­stört wird, die vom hei­li­gen Lud­wig IX. für eine astro­no­mi­sche Sum­me gekauft wur­de, und die er 1239, nur mit einer Tuni­ka beklei­det und bar­fuß, in Emp­fang nahm und 120 Kilo­me­ter in Pro­zes­si­on zu Fuß bis nach Paris trug. Um die Pas­si­ons­re­li­quie auf­zu­be­wah­ren, ließ der König die Sain­te-Cha­pel­le, die Hei­li­ge Kapel­le auf der Sei­ne-Insel errich­ten, ein außer­ge­wöhn­li­ches Juwel der Gotik. Wir haben dem Kaplan der Pari­ser Feu­er­wehr, P. Jean-Marc Four­nier, dank­bar zu sein, der allen Gefah­ren zum Trotz, das Aller­hei­lig­ste Altar­sa­kra­ment und die Dor­nen­kro­ne aus der bren­nen­den Kathe­dra­le in Sicher­heit brachte.

Jesus, gegei­ßelt, belei­digt und bespuckt, wur­de ein Pur­pur­ge­wand umge­hängt, eine Dor­nen­kro­ne aufs Haupt gesetzt und ein Schilf­rohr statt eines Zep­ters in die Hand gedrückt, um sein König­tum zu ver­spot­ten. Sei­ne Hen­ker knie­ten sich vor ihm nie­der und hul­dig­ten ihm zum Hohn, indem sie ihn als Rex Judae­orum (Mt 27,28–29) bezeich­ne­ten. Der Herr trat also vor alle Welt in Pur­pur gehüllt und mit Dor­nen gekrönt: port­ans coro­nam spi­neam et pur­pu­re­um vesti­men­tum (Joh 19,5), und Pila­tus zeig­te ihn dem Volk mit den Wor­ten: Ecce Homo.

Der Prä­fekt des Prä­to­ri­ums sprach, ohne sich des­sen bewußt zu sein, durch den Hei­li­gen Geist, indem er zum Aus­druck brach­te: Seht, er scheint nur ein Mensch, aber er ist der Sohn Got­tes, der ver­hei­ße­ne Mes­si­as des Geset­zes, der König der Men­schen und der Engel, der Erlö­ser des Men­schen­ge­schlech­tes. Auf die­sel­be Wei­se schei­nen in der Lei­dens­zeit, die wir erle­ben, die Wor­te zu ertö­nen: Ecce Eccle­sia, seht, die Braut Chri­sti, die ein­zi­ge Ver­wal­te­rin der Heils­mit­tel, die Frie­dens­kö­ni­gin, die Lehr­mei­ste­rin der Men­schen, das Reich, des­sen Schlüs­sel dem Petrus anver­traut sind. Seht die Hei­li­ge Kir­che, ver­wun­det, ent­stellt, beschmutzt. Wie kann es sein, daß sie auf eine sol­che Wei­se behan­delt wird?

Vom Schmerz und der Empö­rung bewegt, beten wir Chri­stus, das Haupt der Kir­che an, indem wir unse­re Ver­eh­rung vor allem der so ver­eh­rungs­wür­di­gen Reli­quie der Dor­nen­kro­ne zuwen­den, um die Belei­di­gun­gen gegen das König­tum Chri­sti zu süh­nen, die in die­sen Tagen statt­ge­fun­den haben. In den mit­tel­al­ter­li­chen Kathe­dra­len wie in Not­re-Dame wur­den die Dämo­nen in Gestalt gro­tes­ker und unför­mi­ger Skulp­tu­ren an der Außen­wand der Kir­chen dar­ge­stellt, weil die bösen Gei­ster nicht in das Kir­chen­in­ne­re hineinkönnen. 

Dämo­nen­dar­stel­lung an der Fas­sa­de von Notre-Dame.

Wenn im Tem­pel Got­tes das Leuch­ten des Feu­ers das rein­ste Licht der Glas­fen­ster ersetzt, heißt das, daß die Höl­le ein­ge­drun­gen ist. „Flam­men-Infer­no“ titel­te die Bild-Zei­tung am 16. April. Die Wor­te des hei­li­gen Lud­wig Maria Gri­g­nion de Mont­fort in sei­nem Flam­menge­bet klin­gen prophetisch: 

„Feu­er! Feu­er! Feu­er! Zu Hil­fe! Zu Hil­fe! Zu Hil­fe! Feu­er im Hau­se Got­tes! Feu­er in den See­len! Feu­er bis ins Heiligtum!“

Eben­so erklingt aber in unse­ren Her­zen an die­sem Oster­fest die Schluß­an­ru­fung die­ses Heiligen:

„Exsur­ge, Domi­ne, qua­re abdor­mis? Exsurge!

O Herr, erhe­be Dich, war­um scheinst Du zu schla­fen? Erhe­be Dich in Dei­ner gan­zen All­macht, Barm­her­zig­keit und Gerech­tig­keit. Bil­de Dir eine aus­er­wähl­te Schar von Gefähr­ten als Gar­de, um Dein Haus zu schüt­zen, Dei­ne Ehre zu ver­tei­di­gen und die See­len zu ret­ten, auf daß nur ein Schaf­stall und ein Hirt sei, und alle Dich ver­herr­li­chen in Dei­nem Tempel! 

Et in tem­plo ejus omnes dicent glo­ri­am. Amen.“

*Rober­to de Mat­tei, Histo­ri­ker, Vater von fünf Kin­dern, Pro­fes­sor für Neue­re Geschich­te und Geschich­te des Chri­sten­tums an der Euro­päi­schen Uni­ver­si­tät Rom, Vor­sit­zen­der der Stif­tung Lepan­to, Autor zahl­rei­cher Bücher, zuletzt in deut­scher Über­set­zung: Ver­tei­di­gung der Tra­di­ti­on: Die unüber­wind­ba­re Wahr­heit Chri­sti, mit einem Vor­wort von Mar­tin Mose­bach, Alt­öt­ting 2017.

Über­set­zung: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Cor­ri­spon­den­za Romana/​Giuseppe Nardi

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