Zur Lage der Kirche – Frage 32

Die Heilige Schrift inwendig kennen


Don Michael Gurtner Zur Lage der Kirche

Von Don Micha­el Gurtner*

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Fra­ge: Wie sol­len sich die Gläu­bi­gen dar­auf vor­be­rei­ten und wie sol­len sie sich verhalten?

Ant­wort: Zunächst ein­mal ist es wich­tig, wie gesagt, es sich zur Grund­re­gel zu machen, dem Kle­rus sozu­sa­gen nicht mehr blind zu ver­trau­en. Nur weil jemand geweiht ist, ist er lei­der nicht mehr unbe­dingt ver­trau­ens­wür­dig. Er hat noch lan­ge nicht recht, nur weil er einen aka­de­mi­schen oder kirch­li­chen Titel hat. Im Gegen­teil: Gera­de die guten Leu­te wer­den heu­te groß­teils aus den Semi­na­ren aus­ge­schlos­sen, wes­halb man bes­ser mit einem gesun­den Miß­trau­en gegen­über einem jeden Prie­ster begin­nen soll­te. Kei­nes­wegs aus einem Anti­kle­ri­ka­lis­mus her­aus, son­dern weil uns die Erfah­rung und die gegen­wär­ti­ge Lage der Kir­che die Not­wen­dig­keit die­ser Hal­tung auf­zei­gen. Es war letzt­lich der Kle­rus, der den über­lie­fer­ten Glau­ben bekämpft und die Gläu­bi­gen um die­sen betro­gen hat. Es ist ein­fach eine Fra­ge des Selbst­schut­zes, um sei­ne eige­ne See­le nicht in Gefahr zu bringen.

Es ist von fun­da­men­ta­ler Wich­tig­keit, das eige­ne Leben sowie das Fami­li­en­le­ben zu hei­li­gen. Durch regel­mä­ßi­ges Gebet, durch eine leben­di­ge Chri­stus­be­zie­hung, die täg­lich gepflegt wer­den will, durch das Stre­ben nach Hei­li­gung und „Ver­gött­li­chung“, durch das bestän­di­ge Fra­gen nach Sei­nem hei­li­gen Wil­len, durch Gesprä­che über Gott und den Glau­ben im All­tag. Wir müs­sen Chri­stus gut ken­nen, wenn wir Sei­nen Wil­len von einem rein mensch­li­chen Wol­len unter­schei­den wollen!

Und Chri­stus zu ken­nen bedeu­tet, die Hl. Schrift zu ken­nen! Des­halb müs­sen die Gläu­bi­gen sel­bi­ge eif­rig stu­die­ren, und zwar nicht rein äußer­lich, d. h. dem rei­nen Inhalt nach, son­dern es muß viel tie­fer gehen: Wir müs­sen sie inwen­dig ken­nen, sozu­sa­gen die Hl. Schrift durch­be­ten, mit einem geist­li­chen Auge betrach­ten und in unser Leben auf­neh­men. Auch da sind die mei­sten moder­nen Bibel­kom­men­ta­re und Pre­dig­ten ver­mut­lich eher Hin­der­nis als Hil­fe, denn sie blei­ben meist an der Ober­flä­che haf­ten und geben kei­ne wirk­lich geist­li­chen Ein­blicke, son­dern blei­ben sehr stark im Mate­ri­el­len verhaftet.

Lei­der hat in der katho­li­schen Kir­che selbst in der Exege­se und im Ver­ständ­nis der Hl. Schrift eine unge­sun­de Sicht­wei­se Ein­zug gefei­ert, die drin­gend kor­ri­giert wer­den muß. In der soge­nann­ten histo­risch-kri­ti­schen Exege­se, wel­che heu­te vor­ran­gig ist und aus pro­te­stan­ti­schen Krei­sen kom­mend in die Kir­che ein­ge­drun­gen ist, wird die Offen­ba­rung Got­tes an den Men­schen nahe­zu syste­ma­tisch auf ein Mini­mum redu­ziert und ihres eigent­li­chen Inhal­tes, ihrer wirk­li­chen, geist­li­chen Aus­sa­gen beraubt. Anstatt die Hl. Schrift so zu akzep­tie­ren, wie sie uns über­kom­men ist, ver­sucht die­se vor­herr­schen­de Art der Exege­se Satz für Satz zu ana­ly­sie­ren, ob er eine spä­te­re Ein­fü­gung ist oder ob man nicht viel­leicht doch ver­mu­ten könn­te, daß Chri­stus das eigent­lich gar nicht so gesagt habe. Übrig bleibt nicht recht viel mehr als eine Samm­lung erfun­de­ner Erzäh­lun­gen und ein links­po­li­ti­scher Jesus, der kaum noch als wah­rer Gott her­vor­tritt – das aller­mei­ste sei ohne­dies gar nicht wahr. Dies ist, zusam­men­ge­faßt, die heu­te vor­herr­schen­de Leh­re an den theo­lo­gi­schen Fakul­tä­ten, die sich letzt­lich auch in vie­len Pre­dig­ten und Kate­che­sen wider­spie­gelt, wenn­gleich in abge­mil­der­ter und „pasteu­ri­sier­ter“ Form.

Wenn die Gläu­bi­gen also die Hl. Schrift stu­die­ren, so müs­sen sie sich auch dar­in von einem bestimm­ten Kle­rus lösen, der ihnen viel­fach ein kom­plett fal­sches, ver­wäs­ser­tes und mani­pu­lier­tes Bild ver­mit­telt. Sie müs­sen sozu­sa­gen eigen­stän­dig den Kern und die wah­re Bot­schaft frei­le­gen und die Aus­le­gung der Patri­stik und der gro­ßen Mei­ster der Spi­ri­tua­li­tät als Ori­en­tie­rung kon­sul­tie­ren. Denn die mei­sten Prie­ster schrei­ben sozu­sa­gen ger­ne von­ein­an­der ab, und damit auch die Feh­ler, die soge­nann­te Exper­ten in ihre Aus­le­gun­gen mit ein­brin­gen. Wol­len die Gläu­bi­gen also die Bibel wirk­lich ken­nen, so sind sie lei­der ziem­lich auf sich allein gestellt – was frei­lich auch wie­der eine gewis­se Gefahr wei­te­rer Fehl­deu­tun­gen in sich birgt, weil das not­wen­di­ge Kor­rek­tiv nicht mehr funk­tio­niert und des­halb die Gefahr eines erneu­ten geist­li­chen Wild­wuch­ses umso stär­ker gege­ben ist, wo jeder das liest, was ihm gera­de durch den Kopf geht oder was er beim Lesen „fühlt“ – und so besteht die Gefahr, daß sich auch in tra­di­ti­ons­ori­en­tier­ten Krei­sen man­gels geeig­ne­ter Auto­ri­tä­ten das­sel­be Spiel wie­der­holt. Des­halb ist es von fun­da­men­tal­ster Bedeu­tung, sich die­ser Gefahr bewußt zu blei­ben und mit ihr im Auge die Hl. Schrift recht zu studieren.

*Mag. Don Micha­el Gurt­ner ist ein aus Öster­reich stam­men­der Diö­ze­san­prie­ster, der in der Zeit des öffent­li­chen Meß­ver­bots die­sem wider­stan­den und sich gro­ße Ver­dien­ste um den Zugang der Gläu­bi­gen zu den Sakra­men­ten erwor­ben hat. Die aktu­el­le Kolum­ne erscheint jeden Samstag.


Das Buch zur Rei­he: Don Micha­el Gurt­ner: Zur Lage der Kir­che, Selbst­ver­lag, 2023, 216 Seiten.


Bis­her erschienen:

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