
Von Don Michael Gurtner*
Frage: Heißt das, im Grunde hat die Kirche selbst den Glauben an Gott verloren?
Antwort: Ich würde nicht sagen, die Kirche an sich habe den Glauben verloren, denn die Kirche ist ja etwas anderes als die, die für sie arbeiten. Diese sind zwar hoffentlich auch Glieder der Kirche, aber die Kirche ist nicht einfach ident mit den Gläubigen oder gar ihren „Angestellten“. Die Kirche selbst ist noch einmal etwas Übergeordnetes, auch wenn man oft verkürzt „die Kirche“ sagt, aber in Wirklichkeit deren Funktionäre oder eine Gruppe aus ihnen meint. Das ist einer sprachlichen Praktizität geschuldet und von daher nachvollziehbar und vielleicht gar legitim, solange man zumindest im Hinterkopf weiß, daß das nicht ganz korrekt ist, weshalb man das auch immer wieder mal kurz in Erinnerung rufen soll, damit es präsent bleibt. Von daher war übrigens auch der Slogan der liberalen Bewegung „Wir sind Kirche“ theologischer Unsinn, weil ein „Wir“ nie „Kirche sein“ kann, sondern nur „in der Kirche“, d. h. der einzelne ist stets ein Glied der Kirche, die aber etwas anderes ist als einfach der Zusammenschluß der Menschen, die zu ihr gehören.
Das vorausgeschickt würde ich sagen: Nicht die Kirche hat den Glauben verloren, sondern viele Leute, die sich selbst als Katholiken verstehen, haben den Glauben der katholischen Kirche abgelegt, das ja. Das betrifft eben nicht nur die Laienbediensteten der Kirche, sondern sogar den höheren Klerus bis hinauf in die höchsten römischen Etagen.
Um nur ein wenig anzudeuten, wie tief diese Glaubenskrise in die Kirche selbst eingedrungen ist, müssen wir uns nur an den Frühling und Sommer 2020 erinnern, als beinah die komplette Welt in „lock down“ ging. Das Verhalten der Kirche in dieser politischen Krisenzeit hat auf erschauderlich deutliche Weise gezeigt, wie wenig überzeugt sie selbst noch von dem ist, was sie in ihrem allerinnersten Kern und Wesen ausmacht. Und in diesem Sinne würde ich die Frage, ob ein großer Teil derer, die sich Katholiken nennen oder gar Führungspositionen innehaben, gerade auch im Klerus, den katholischen Glauben verloren haben, sehr wohl bejahen.
*Mag. Don Michael Gurtner ist ein aus Österreich stammender Diözesanpriester, der in der Zeit des öffentlichen Meßverbots diesem widerstanden und sich große Verdienste um den Zugang der Gläubigen zu den Sakramenten erworben hat. Die aktuelle Kolumne erscheint jeden Samstag.
Das Buch zur Reihe: Don Michael Gurtner: Zur Lage der Kirche, Selbstverlag, 2023, 216 Seiten.
Bisher erschienen:
- Zur Lage der Kirche – eine neue Kolumne
- Zur Lage der Kirche – Frage 1
- Zur Lage der Kirche – Frage 2
- Zur Lage der Kirche – Frage 3
- Zur Lage der Kirche – Frage 4
- Zur Lage der Kirche – Frage 5
- Zur Lage der Kirche – Frage 6
- Zur Lage der Kirche – Frage 7
- Zur Lage der Kirche – Frage 8
- Zur Lage der Kirche – Frage 9
- Zur Lage der Kirche – Frage 10
- Zur Lage der Kirche – Frage 11
- Zur Lage der Kirche – Frage 12
- Zur Lage der Kirche – Frage 13
- Zur Lage der Kirche – Frage 14
- Zur Lage der Kirche – Frage 15
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