Von Don Michael Gurtner*
Frage: Was würde das auf die deutschsprachigen Länder bezogen konkret bedeuten?
Antwort: Für die meisten Menschen innerhalb wie außerhalb der Kirche ist in den DACH-Ländern der nicht ganz unberechtigte Eindruck entstanden, daß im Laufe der letzten Jahrzehnte die Kirche mehr und mehr zu einer Art multinationalem Großkonzern mutiert ist, der es hauptsächlich um Gewinnmaximierung geht, während ihre eigentliche Aufgabe zunehmend in den Hintergrund rückte. Das Geld der Kirche wird, so der korrekte Eindruck, nicht in erster Linie für die Verbreitung des katholischen Glaubens in all seinen Facetten ausgegeben, sondern irgendwie beliebig, zum reinen Selbsterhalt und im letzten reichlich willkürlich. Es ist sozusagen nicht mehr zweckgebunden, und man schafft sich Posten, um durch sie bezahlt zu werden, nicht um den katholischen Glauben zu fördern und zu verbreiten. Die Kirche wäre also an nichts ärmer, wenn es manche (meist sehr gut) bezahlte Stelle nicht gäbe. Das Problem ist dabei nicht, daß die Kirche Geld hat, wobei das nur sehr partiell stimmt, denn innerhalb der (zumindest in den deutschsprachigen Ländern) reichen Kirche werden die Konten dann doch wieder sehr genau und scharf getrennt, sodaß es tatsächlich auch in der Kirche manchen Ordensgemeinschaften oder auch anderen Gemeinschaften, Pfarreien und Einzelpersonen wirklich sogar am Allernötigsten mangelt, und innerhalb der Kirche die Reichen oftmals die Armen sich nicht einmal von dem ernähren lassen, was bei ihren ausladenden Banketten vom Tische fällt, um im Bild des Evangeliums zu bleiben. Was von manchen Klerikern und Kirchenfunktionären an der angeblich so bösen Wirtschaftswelt immer beklagt wird, findet sich mindestens ebenso scharf in der Kirche selbst wieder, und so beobachten wir, daß sich in der Kirche allmählich dasselbe Ungleichgewicht entwickelt, wie wir es innerhalb der Weltstaaten finden: Die Reichen schaffen sich durch Einsatz ihrer finanziellen Ressourcen noch mehr Reichtum, der dann wiederum mehr Reichtum einbringt, und für die Ärmeren bleibt dann sozusagen nichts mehr übrig, weil sie es sich erst gar nicht leisten können, gewinnbringend zu investieren, und von einem Tag zum anderen wirtschaften müssen, um irgendwie über die Runden zu kommen. Davon sind in manchen Regionen der Schweiz beispielsweise ganz konkret kleine Pfarreien betroffen, die kaum mehr überleben können, während die mittleren (anstatt der kleinen) subventioniert werden, die dadurch von mittelständischen zu reichen Pfarreien werden, und die großen und reichen Pfarreien am Ende das Jahres das Problem haben, wie sie noch genug Geld für die einzelnen Budgetposten ausgeben können, damit das Budget für das kommende Jahr wieder stimmt und nicht runtergesetzt wird. Dann macht man irgendeinen Unsinn mit dem Geld, nur um es auszugeben. Die ganz Reichen und die ganz Armen sind da oft wirklich sehr nahe nebeneinander, aber das kirchliche Finanzsystem, das sich herausentwickelt hat, ist dermaßen starr und steif, daß ein vernünftiges Wirtschaften erstaunlich unmöglich erscheint. Wenn man sieht, wo und wofür unbegrenzt Geld da ist und wo nichts, muß man sich schon manchmal die Frage nach der Bösartigkeit eines Finanzsystems stellen, auch innerhalb der Kirche.
Das Problem ist also nicht, daß es in der Kirche Reichtum gibt, sondern viel eher sind es drei andere Probleme in diesem Zusammenhang, die große Sorge machen: Wie kommt man zu diesem Reichtum? Wie setzt man ihn ein? Wie wird er verteilt?
Zum ersten ist zu sagen, daß die deutsche und schweizerische Kirchensteuer bzw. der Kirchenbeitrag in Österreich sich unterm Strich negativ auf das Glaubens- und Kirchenverständnis ausgewirkt haben: Wer zahlt, ist katholisch, wer nicht zahlt, ist nicht Glied der katholischen Kirche und daher exkommuniziert. So wird das letztlich auch in der Praxis gehandhabt, jedenfalls dort, wo man die Vorgaben genau einhält. Auch der Brief, den man nach einem Kirchenaustritt vielerorts zugeschickt bekommt, suggeriert genau dieses, obwohl es im Jahr 2006 durch den Heiligen Stuhl selbst festgestellt wurde, daß dem nicht so ist. Doch dies wurde auf diözesaner Ebene nie umgesetzt.
Dem durchschnittlichen Verständnis nach fühlen sich die Katholiken nicht als Glieder der Kirche, sondern als deren Mitglieder, ähnlich einem Verein. Das ist fatal und zu korrigieren, denn durch die Zahlung des jährlichen Beitrages fühlt man sich „berechtigt“, gewisse „Dienstleistungen“ bei Bedarf in Anspruch zu nehmen, wie etwa Begräbnisse, Firmungen und Taufen, die Übernahme des Patenamtes sowie den automatischen und bedingungslosen Zugang zur Hl. Kommunion. In Wirklichkeit ist man aber katholisch, wenn man getauft ist und den unverkürzten und unveränderten katholischen Glauben hat – unabhängig von etwaigen finanziellen Leistungen. An diesem grundsätzlichen Fehlverständnis hat das Kirchensteuersystem auch mit Schuld, neben mangelnder katechetischer Unterweisung.
Es ist nicht logisch und auch nicht der kirchlichen Lehre entsprechend, daß jemand beispielsweise ein katholisches Begräbnis erhält, der zwar jährlich seinen Beitrag bezahlt hat, aber nicht gläubig war und wesentliche Teile der katholischen Lehre abgelehnt hat, während jemand, der aus der Kirche ausgetreten ist, aber die katholischen Glaubenswahrheiten angenommen hat und am kirchlichen Leben stets teilnimmt, etwa durch den sonntäglichen Kirchgang, Rosenkranz betet, und sonst „gut katholisch“ ist, weder Pate werden kann noch zu kirchlichen Ämtern zugelassen wird, geschweige denn Anspruch auf eine katholische Bestattung hat.
Hier ist eine ungerechte Schieflage, die nicht nur dem katholischen Selbstverständnis widerspricht, sondern tatsächlich den Eindruck erweckt, die Kirche handle gewinnorientiert wie ein Großkonzern: Was zählt, ist allein das Geld, so scheint es und vielfach ist es wohl auch tatsächlich so.
Was das zweite Problem anbelangt, so ist dazu zu sagen, daß viele Bistümer es über Jahrzehnte hinweg, sozusagen in den „fetten Jahren“, verabsäumt haben, das Geld gewinnbringend so anzulegen, daß es auch auf mittel- und längerfristige Sicht selbst wieder Gewinn abwirft. Anstatt dessen hat man gerade in Deutschland und Österreich riesige Verwaltungsapparate aufgebaut, unzählige überflüssige Initiativen und oft mehr als fragwürdige Aktionen finanziert und viel zu viele Angestellte eingestellt. Manches davon war wohl durchaus sinnvoll oder notwendig, aber sehr vieles eben auch nicht. Etliches davon hat dem Glaubensleben der Bevölkerung entweder nichts gebracht, oder ihm sogar geschadet. Wie viele Institutionen und kirchliche Angestellte verbreiten eine andere Lehre als die der katholischen Kirche, und wie viele Kirchen hat man um teures Geld teils wirklich verunstaltet, um nur einige Beispiele zu benennen.
Vieles scheint es nur zum reinen Selbsterhalt zu geben, und so manche Broschüre und Aktion erweckt den starken Eindruck, mehr eine Rechtfertigung der eigenen Existenz zu sein als eine wirkliche Notwendigkeit oder ein Gewinn für die Allgemeinheit. Für alles Mögliche und Unmögliche gibt es heute ein Büro oder eine Kommission, aber der Glaube schwindet zusehends in der Bevölkerung. Oft zahlt man für etwas, das nicht nur keinen Nutzen hat, sondern gar Schaden verursacht. Das muß einen zum Nachdenken anregen, und vor allem auch zu Korrekturen.
Jetzt, da die Geldmittel langsam sinken werden, steht man vor dem Problem: Wie erhält man das alles? Wie kann man die zahlreichen Angestellten weiterhin bezahlen – vor allem wenn man bedenkt, daß viele Stellen eigentlich gar nicht nötig sind und waren? Die Kirche ist immerhin der zweitgrößte Arbeitgeber nach dem Staat. Nach einer Phase des Aufbaus, während dem man das Geld teils unbedacht ausgab und man sich Lasten aufbaute, die man nun nicht mehr zu tragen imstande ist, wird es unweigerlich zu Einsparungen und Abbaumaßnahmen kommen müssen. Nur zeichnet sich bereits ab, daß man auch hier wieder an der falschen Stelle den Rotstift ansetzt. Die Coronakrise hat jedenfalls bereits gezeigt, daß man sich ein viel zu verwundbares System aufgebaut hat, das schnell einstürzen kann. Hätte man das Geld vernünftiger angelegt, hätte man wohl kleinere kirchliche Apparate, dafür wären sie stabiler und abgesichert.
In der Schweiz ist das ein wenig anders, weil das Geld nicht an die Bistümer geht, aber auch dort sind über die Kirchgemeinden und die Landeskirche viele Gelder in unnütze Projekte geflossen, die teils wirklich massiv gegen den katholischen Glauben arbeiten.
Der dritte Punkt ist bereits etwas angeklungen: Besonders kleine und junge Orden oder andere Gemeinschaften müssen teils hart um ihr Überleben kämpfen, weil sie nicht von der satten Kirchensteuer profitieren. Während die Mutter Kirche oft den „fremden Kindern“ sehr großzügige Geschenke und Zuwendungen macht, besonders wenn sie politisch in das Bild passen oder es einen Eigennutz gibt (beispielsweise die kräftige Mitfinanzierung der politisch, diplomatisch wie humanitär mehr als fragwürdigen Organisation Sea-Eye bzw. des Kaufs des Schiffes Sea-Watch), gehen die „eigenen Kinder“ oftmals leer aus und sehen keine Brotkrume aus dem reichen Überfluß, der eben lieber woanders hingeht. Es gäbe sehr viele wirklich gute Initiativen und Ideen, die vollkommen im Glauben der Kirche verankert sind und einen Aufschwung verheißen, die jedoch niemals zu einer Verwirklichung gekommen sind, weil die Geldmittel dazu angeblich nicht da waren und von kirchlicher Seite auch keine Unterstützung kam. Da ist wirklich eine große Ungerechtigkeit in der Verteilung des Reichtums auch innerhalb der Kirche zu orten.
Mag. Don Michael Gurtner ist ein aus Österreich stammender Diözesanpriester, der in der Zeit des öffentlichen Meßverbots diesem widerstanden und sich große Verdienste um den Zugang der Gläubigen zu den Sakramenten erworben hat. Die aktuelle Kolumne erscheint jeden Samstag.
Das Buch zur Reihe: Don Michael Gurtner: Zur Lage der Kirche, Selbstverlag, 2023, 216 Seiten.
Bisher erschienen:
- Zur Lage der Kirche – eine neue Kolumne
- Zur Lage der Kirche – Frage 1
- Zur Lage der Kirche – Frage 2
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