Von Don Michael Gurtner*
Frage: Manche fordern aber nicht nur eine „Kirche der Armen“, sondern auch eine „arme Kirche“ und sehen darin ein Allheilmittel für die Kirchenkrise, wobei sie sich auf das Beispiel des heiligen Franziskus von Assisi berufen. Würde das wirklich etwas verbessern?
Antwort: Wie gesagt, die Kirche muß eine Kirche der Armen sein, aber genauso auch eine Kirche der Reichen, weil sie eben eine Kirche aller sein muß. Allein daraus ergibt sich schon ein erster Ansatz der Antwort: Man kann und darf das nicht so auseinanderdividieren und gegeneinanderstellen.
Es kann durchaus legitim sein, wenn einzelne oder kleinere Gruppen einen einzelnen Aspekt aus dem Ganzen sozusagen herausnehmen und extrapoliert in sein Extrem führen, um an ihn zu erinnern und ihn allen vor Augen und im gesamt der Kirche lebendig zu erhalten. Der heilige Franz von Assisi hat dies mit der Armut so gemacht, Mutter Theresa mit der Fürsorge für diejenigen, welche sonst niemanden haben, St. Benedikt von Nursia hat das Gebet mit der Arbeit geistlich verbunden, der heilige Dominikus wollte die Predigt herausstellen, der heilige Franz von Sales die Kindererziehung und so weiter. All diese Schwerpunkte sind aber aus dem Gesamt herausgenommen, welches die Kirche ausmacht, und als solche ordnen sie sich auch wieder in das Ganze ein und diesem unter. Allein deshalb sind sie legitim, ja sogar gut und segensreich, weil jeder dieser Schwerpunkte einen aus den vielen Aspekten sozusagen deutlich herausleuchten läßt und damit sagt: „Auch das ist ein wichtiger Punkt, vergeßt ihn nicht“. Gerade wegen der Vielfalt der einzelnen Schwerpunkte bleibt das Gesamtgleichgewicht aber trotzdem erhalten, ohne daß deshalb jeder alles mit demselben Engagement betreibt. Wichtig dabei ist nur, daß man seinen eigenen Schwerpunkt nicht zum alleinigen erhebt, sondern ein gesundes Gleichgewicht erhält, innerhalb der eigenen Ordensgemeinschaft, aber auch auf das Gesamtkirchliche bezogen.
Darum ist es auch völlig legitim, daß es Bettelorden wie die franziskanischen Orden gibt, aber wenn dies zum absoluten Ideal oder alleinigen Maß für die Gesamtkirche erhoben würde, würde sie eben doch in eine Schieflage geraten. Das gilt jetzt nicht nur für die Armutsbewegungen, sondern für alle Aspekte. Das Absolutsetzen der einzelnen legitimen und auch notwendigen Aspekte haben weder Christus noch die einzelnen (Ordens-)Gründer gewollt, weil es eben andere, ebenso wichtige Aspekte ersticken würde. Dasselbe könnte man etwa auf andere Ordensideale anwenden: Wenn alle so kontemplativ wie die Benediktiner wären, dann würde sozusagen auf der anderen Seite wieder etwas fehlen, es gäbe das caritative Element der Kirche nicht oder nicht in ausreichendem Maße, und umgekehrt. Es muß also insgesamt immer alles ausreichend in der Kirche vertreten sein, ohne daß jeder alles abdecken muß oder auch kann. Davon abgesehen wird gerade St. Franziskus sehr oft bewußt und einseitig um- und mißgedeutet, und man dichtet ihm heute sehr gerne mit einer gewissen Romantik Sachen an, die er nie so gesagt hat oder gesehen hätte.
Mir scheint es immer etwas populistisch und aufwieglerisch, wenn man mit solchen meist billigen Slogans wie etwa: „Wir brauchen eine arme Kirche für die Armen“, um sich wirft. Auch die irdischen Güter und das Schöne gehören zu den Gottesgaben an den Menschen, derer er sich ruhig auch erfreuen darf und die er selbst wiederum zum Lobe und zur höheren Ehre Gottes einsetzen soll. Es sind nicht die Güter etwas Schlechtes, sondern ein falscher Umgang damit. Und hier liegt viel eher die Schieflage in der heutigen Kirche: Werden die Kirchenmittel, etwa in den deutschsprachigen Ländern, wirklich verantwortungsbewußt eingesetzt? Welchen Stellenwert haben sie gegenüber beispielsweise dem Glauben und der würdigen Liturgie? All das sind Fragen, die man sich heute in der Kirche erneut und aufrichtig stellen muß. Das wäre sinnvoller und zielführender, als platte populistische Parolen gleichsam als eine klassenkämpferische Kampfansage auszugeben.
*Mag. Don Michael Gurtner ist ein aus Österreich stammender Diözesanpriester, der in der Zeit des öffentlichen Meßverbots diesem widerstanden und sich große Verdienste um den Zugang der Gläubigen zu den Sakramenten erworben hat. Die aktuelle Kolumne erscheint jeden Samstag.
Das Buch zur Reihe: Don Michael Gurtner: Zur Lage der Kirche, Selbstverlag, 2023, 216 Seiten.
Bisher erschienen:
- Zur Lage der Kirche – eine neue Kolumne
- Zur Lage der Kirche – Frage 1
- Zur Lage der Kirche – Frage 2
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