Von Don Michael Gurtner*
Frage: Besteht dann aber nicht die Gefahr, daß die politische Rechtgläubigkeit als bestimmendes Kriterium an die Stelle der katholischen Rechtgläubigkeit tritt?
Antwort: Der Eindruck, der heute in vielen kirchlichen Milieus vorherrscht und den nicht wenige Kirchenmänner auch bewußt ausspielen, ist der, daß die Zugehörigkeit zur Kirche nicht mehr am rechten Glaubensbekenntnis, sondern am linken Parteibekenntnis hängt. Demnach ändert es nichts an der Katholizität oder der Kirchenzugehörigkeit, ob man an die Gottesmutterschaft Mariens glaubt oder an die Heilige Messe als wahres Lob‑, Dank‑, Bitt- und Sühneopfer, ob man die katholische Morallehre vollumfänglich annimmt oder nach freiem Belieben da und dort streicht und einfügt, was einem gerade beliebt. Sehr wohl aber entscheidet sich nach Meinung vieler das Katholischsein an politischen Haltungen: Wer die Genderideologie fördert, der Klimahysterie verfällt, die Coronamaßnahmen freudig begrüßt, die Ukraine als die armen, verfolgten Guten und Rußland als den bösen Kriegstreiber sieht und für die Aufnahme islamischer „Flüchtlinge“ aus Afrika und den islamischen Ländern Asiens ist, erfreut sich der Gunst der Kirche und gilt vielen Klerikern als „katholischer“ und damit „der Kirche zugehöriger“ in seinen Ansichten als diejenigen, die an den Glaubenswahrheiten, am Naturrecht und dem göttlichen Gesetz festhalten und diese verteidigen. Insofern kann man schon sagen, daß für viele de facto die linke politische Haltung zum Unterscheidungskriterium für das Katholischsein geworden ist, welches einst der Haltung gegenüber Glaubenswahrheiten zukam. Wer nicht politisch links, und zwar sehr weit links ist, der gilt in der Kirche vielfach als Abtrünniger und halber Ketzer, während sich nahezu niemand mehr daran stört, wenn man Christus nicht als wahren Gott bekennt und die Messe als freundschaftliches Gastmahl anstatt dem unblutig vollzogenen, erlösenden Kreuzesopfer Christi sieht. Das ist sehr alarmierend und besonders schlimm ist es, daß dieses Kriterium im Denken der obersten und allerobersten Etagen angekommen ist.
Es sind die Diözesen und sogar der Heilige Stuhl selbst, die die Kirche als politisches Instrument mißbrauchen und den linken Parteien aktiv Wählerstimmen verschaffen wollen. Das sehen wir gerade sehr eindeutig an der ausdrücklichen, kurzsichtigen und meines Erachtens nach auch falschen polemisierenden Parteinahme für die Ukraine und gegen Rußland. Oder wenn der Kardinal einer bedeutenden deutschen Großstadt an Fronleichnam ein Flüchtlingsboot als Altar benutzt und zu dieser wie auch zu anderen Gelegenheiten – wie viele andere Geistliche im übrigen auch – das eigentliche geistliche Festmysterium beiseiteräumt zugunsten von politisch-ideologischen Themen wie Flüchtlinge, Klima und Gendergerechtigkeit. Meist geschieht dies in Zusammenhang mit rhetorisch untergriffigen Figuren, die auf Emotionen abzielen anstatt auf rationale Fakten.
Auch die Kirche betreibt, sogar in ihrem innersten Kern, nämlich der Liturgie, eine sehr eifrige, wenngleich langweilig-platte Symbolpolitik, wenn beispielsweise der Papst eine bunte Ferula aus Bootsholz benutzt oder wenn beim Besuch des christlichen Malta auf ein Kreuz auf der Papsttribüne verzichtet wird mit der Begründung, man wolle dies aus Respekt vor den auf der Insel anwesenden Muslimen tun, und anstatt dessen eine Wand aus Plastikflaschen mit roten Klecksen aufzieht, die Schwimmwesten symbolisieren sollten, um auf Flüchtlinge und Umweltverschmutzung aufmerksam zu machen (und den Gastgeberstaat dadurch zugleich in seiner politischen Haltung zu kritisieren, wo es absolut nicht gerechtfertigt ist).
Es braucht daher nicht zu wundern, daß die Kirche von immer weniger Menschen noch als für den persönlichen Glauben und die Gesellschaft relevant befunden wird, wenn selbst Päpste, Kardinäle und Bischöfe die Glaubensverkündigung durch politische Botschaften und Forderungen ersetzen.
Die der Kirche ureigenen Aufgaben bleiben unerfüllt liegen, während sie sich zur willigen Handlangerin der linken politischen Parteien degradiert. Daß dann irgendwann der innere Kollaps kommt, ist nur absehbar und wird uns nicht verwundern.
Im übrigen werden mittlerweile auch viele Selig- und Heiligsprechungen als Bene-diktion, d. h. „Gutheißung“ und wohlgefällige Absegnung linker politischer Lager wie etwa der Befreiungstheologie betrieben: Man denke dabei etwa an Oskar Romero oder Rutilio Grande sowie weitere bereits erfolgte Heilig- und Seligsprechungen oder noch schwebende Verfahren, die eher politisch oder kirchenpolitisch motiviert als inhaltlich gerechtfertigt und geistlich nutzbringend sind.
Diese maßlose Überbetonung der (linken) Politik durch die allerhöchsten Kirchenfunktionäre – denn als solche verhalten sich viele –, noch dazu auf Kosten von Glauben und Liturgie, ist sicher eine der großen Wunden, die dem mystischen Leib Christi, also seiner Kirche, zugefügt wird. Außerdem wird hier eine unnötige Spaltung durch die Gläubigen getrieben, die wirklich nur schaden kann. Manchmal scheint es, als ob es eine potente Großmacht wäre, die über Kirche und Staat steht und beide im selben Sinne manövriert und letztlich ineinander zu vereinen versucht…
*Mag. Don Michael Gurtner ist ein aus Österreich stammender Diözesanpriester, der in der Zeit des öffentlichen Meßverbots diesem widerstanden und sich große Verdienste um den Zugang der Gläubigen zu den Sakramenten erworben hat. Die aktuelle Kolumne erscheint jeden Samstag.
Das Buch zur Reihe: Don Michael Gurtner: Zur Lage der Kirche, Selbstverlag, 2023, 216 Seiten.
Bisher erschienen:
- Zur Lage der Kirche – eine neue Kolumne
- Zur Lage der Kirche – Frage 1
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