Von Don Michael Gurtner*
Frage: Welches wäre dann das rechte Verhältnis von Kirche und Welt, und wie sollten sie sich zueinander verhalten?
Antwort: Nun, zunächst ist einmal festzuhalten, daß in gewisser Hinsicht die Welt auch der „Lebensraum“ der sichtbaren Kirche ist. Die Welt ist von Gott ins Dasein gehoben worden, und Er hat sie an sich einmal „gut“ gemacht. Allein von daher dürfen wir also nicht von vorneherein in eine undifferenzierte Weltfeindlichkeit verfallen, die sozusagen zur allgemeinen Lebenseinstellung wird. Als Katholiken sind wir zunächst einmal nicht einfach gegen die Welt, sondern für die Welt, weil diese vom Herrgott geschaffen und von daher auch gut ist. Allerdings ist diese gute Welt durch die Sünde kompromittiert worden, wodurch sie auch sehr negative Komponenten in sich trägt, welche die Seelen gefährden. Deshalb stieg Christus in diese herab, um sie aus dieser Sündenverstrickung zu befreien. Daraus entstand – sehr vereinfacht gesagt – letztlich die sichtbare Kirche, um in dieser Welt Gottes Gnadengaben weiterhin auszugießen, durch die Zeiten hindurch bis zum Jüngsten Gericht. Wir sind also nicht gegen die Welt, sondern für sie, allerdings so, wie Gott sie gedacht hat – und nicht so, wie der Mensch sie gemacht hat.
Von diesem Grunddatum her bestimmt sich auch das rechte Verhältnis Kirche–Welt: Sie stehen sich nicht feindschaftlich und antipodisch gegenüber, auch ist die sichtbare Kirche nicht einfach zu ihrem Selbstzweck da, sondern die Kirche hat in, an und für die Welt eine klare Aufgabe zu erfüllen, eben eine „Mission“, auf die sie gesandt ist und die auf die ewigen Güter hin abzielt. In seinem Abschiedsgebet sagt Jesus „in der Welt, aber nicht von der Welt“.
Deshalb hat die Kirche ihre eigene, autarke Stellung gegenüber der Welt und muß diese auch haben, denn wenn sie von der Welt abhängig wäre, könnte sie ihre Mission nicht mehr erfüllen. Aber dieses „Gegenüber“ ist kein „Gegen“, sondern mehr ein „Über“, und vielleicht sogar noch mehr ein „An und Für“. Die Kirche steht an sich nicht gegen die Welt, die ja Gottes Schöpfung ist und bleibt, sondern sie steht über ihr. Und genau aufgrund ihrer übergeordneten Rolle ist es ihr zur Aufgabe gestellt, auch an der Welt und für die Welt zu wirken, weil Gott sich die Kirche als Sein Instrument erwählt hat, um das Übel in der Welt, das durch die Gottlosigkeit kam, zu beseitigen, damit sie wieder von allem Übel gereinigt und so wieder ganz „göttlich“ wird. Genau deshalb war es ja so fatal, daß die Kirche in der Figur des Papstes ihre Tiara abgesetzt hat, wie wir schon sagten. Weil es eben mehr war als nur eine Äußerlichkeit, sondern Ausdruck eines neuen, ungesunden Verständnisses. Hier wurde etwas durcheinandergeworfen.
Wenn die Kirche aber verweltlicht und nicht mehr dieser korrektive Gegenpart ist, der sie sein soll und muß, sondern selbst immer mehr von dieser Welt, in die sie eigentlich gesandt ist, in sich aufnimmt, dann wird sie letztlich selbst zur „Welt“. Und in diesem Prozeß befinden wir uns derzeit in der Kirche, und er ist schon sehr weit fortgeschritten. Das gilt es unbedingt zu korrigieren, wenn sich die Kirche aus ihrer aktuellen Krise befreien will, aber momentan sind keine dahingehenden Anstrengungen erkennbar, ganz im Gegenteil: Dieser selbstzersetzende Prozeß wird aktiv und bewußt vorangetrieben, gerade auch von führender Stelle. Und somit wird sie zwangsläufig vorerst noch tiefer in die Krise hineinschlittern. Dieser Prozeß wird erst dann abgebremst werden, wenn sie sich gegenüber der Welt neu aufstellt und wieder jene Rolle übernimmt, welche ihr von Christus zugedacht ist, nämlich die Welt zu heiligen, anstatt selbst in der Welt aufzugehen.
*Mag. Don Michael Gurtner ist ein aus Österreich stammender Diözesanpriester, der in der Zeit des öffentlichen Meßverbots diesem widerstanden und sich große Verdienste um den Zugang der Gläubigen zu den Sakramenten erworben hat. Die aktuelle Kolumne erscheint jeden Samstag.
Das Buch zur Reihe: Don Michael Gurtner: Zur Lage der Kirche, Selbstverlag, 2023, 216 Seiten.
Bisher erschienen:
- Zur Lage der Kirche – eine neue Kolumne
- Zur Lage der Kirche – Frage 1
- Zur Lage der Kirche – Frage 2
- Zur Lage der Kirche – Frage 3
- Zur Lage der Kirche – Frage 4
- Zur Lage der Kirche – Frage 5
- Zur Lage der Kirche – Frage 6
- Zur Lage der Kirche – Frage 7
- Zur Lage der Kirche – Frage 8
- Zur Lage der Kirche – Frage 9
- Zur Lage der Kirche – Frage 10