Zur Lage der Kirche – Frage 16


Don Michael Gurtner: Zur Lage der Kirche

Von Don Micha­el Gurtner*

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Fra­ge: Darf oder soll die Kir­che Wahl­emp­feh­lun­gen abge­ben? Einer­seits tat sie es immer, ande­rer­seits tut sie es noch immer…

Ant­wort: Auch hier kommt es sehr stark auf die jewei­li­ge poli­ti­sche Kon­stel­la­ti­on an, um wel­che Art von Wahl es sich han­delt und was auf dem Spiel steht. Von daher kann es auch bei die­ser Fra­ge je nach Situa­ti­on unstatt­haft oder aber gar gebo­ten und not­wen­dig sein. Was jeden­falls nicht geht, ist, daß man das eige­ne kirch­li­che Amt, das man beklei­det, dazu benutzt, um per­sön­li­che Prä­fe­ren­zen vor­an­zu­brin­gen. Was man hin­ge­gen sehr wohl machen kann und manch­mal auch soll oder gar muß, ist erstens die all­ge­mei­nen Grund­sät­ze und Maß­stä­be dar­le­gen, nach denen ein Katho­lik sei­ne Wahl­ent­schei­dung trifft, und zwei­tens, dort, wo es zu unstatt­haf­ten poli­ti­schen Aus­sa­gen durch Kir­chen­funk­tio­nä­re gekom­men ist, die­se zu kor­ri­gie­ren und richtigzustellen.

Oft­mals sind die Gläu­bi­gen nach gewis­sen Inter­ven­tio­nen von Kle­ri­kern, die sie in Pre­dig­ten oder im Fern­se­hen hören oder in den Zei­tun­gen lesen, ver­un­si­chert und mei­nen, als Katho­li­ken müß­ten sie in gewis­sen Fra­gen (Kli­ma, Flücht­ling, Coro­na, Ukrai­ne…) eine ganz bestimm­te Hal­tung ein­neh­men, sonst wäre es gera­de­zu eine Form von Sün­de. Hier muß man dann doch manch­mal dazwi­schen­tre­ten und Din­ge rich­tig­stel­len, um die legi­ti­men Frei­hei­ten des ein­zel­nen auch zu schützen.

Bei­spiels­wei­se gab es in Ita­li­en ein­mal vor Weih­nach­ten meh­re­re Aus­sa­gen hoher kirch­li­cher Ver­tre­ter, die hin­ter­ein­an­der behaup­te­ten, man kön­ne nicht zugleich Katho­lik, aber gegen eine schran­ken­lo­se Immi­gra­ti­on sein. Jene Par­tei­en, wel­che die­se Ein­wan­de­rungs­flut zu stop­pen ver­su­chen, sei­en für einen Katho­li­ken nicht wähl­bar, so tön­te es. Bei solch einem har­schen Amts­miß­brauch muß man schon, bei­spiels­wei­se als Pfar­rer, in sei­nem eige­nen Umfeld kor­ri­gie­rend ein­grei­fen und den Gläu­bi­gen erklä­ren, daß sie hier nicht gebun­den, son­dern völ­lig frei sind, auch ande­rer Mei­nung zu sein, und den­noch gute Katho­li­ken und zu den Sakra­men­ten zuge­las­sen sind.

Es ist immer etwas gefähr­lich, zu sagen: Wer die­se und jene Par­tei wählt, ist nicht katho­lisch, wie es in Deutsch­land eben­so geschieht wie in Ita­li­en. Frei­lich ist die­se Opti­on nicht per se aus­zu­schlie­ßen, es kann tat­säch­lich Par­tei­en geben, deren Par­tei­pro­gramm oder Han­deln dezi­diert anti­ka­tho­lisch und mit den Grund­sät­zen des Glau­bens abso­lut nicht ver­ein­bar ist. Dann und nur dann ist solch ein Ana­the­ma tat­säch­lich ange­bracht. Aber dabei han­delt es sich um Par­tei­en wie die Kom­mu­ni­sten oder die NSDAP. Dann muß die Kir­che sogar eine Gren­ze zie­hen. Aber eine Par­tei als für Katho­li­ken unwähl­bar aus­zu­ru­fen, nur weil sie etwa eine rigi­de­re Ein­wan­de­rungs­po­li­tik ver­folgt, um bei einem aktu­el­len Bei­spiel zu blei­ben, hat kei­ne aus­rei­chen­de Basis, um Gel­tung zu haben und für den ein­zel­nen Katho­li­ken bin­dend zu sein.

Auch in Öster­reich gab es 2016 eine Bun­des­prä­si­den­ten­wahl, in deren Vor­feld ein katho­li­scher Bischof – aus gutem Grund – einen der bei­den Kan­di­da­ten vor­schlug, was in die­sem Fal­le berech­tig­te Moti­ve hat­te. Ein ande­rer Bischof im Kar­di­nals­rang, der regel­mä­ßig und mehr als alle ande­ren öster­rei­chi­schen Bischö­fe in die Poli­tik ein­greift, ließ dar­auf­hin ver­kün­den, Bischö­fe sol­len kei­ne poli­ti­schen Wahl­vor­schlä­ge machen, wäh­rend die­ser Bischof im Kar­di­nals­pur­pur selbst kräf­tig Wer­bung für den Gegen­kan­di­da­ten mach­te, der Frei­mau­rer war.

So etwas ist natür­lich reich­lich skur­ril, wenn man jeman­dem sozu­sa­gen den Mund ver­bie­ten möch­te, nur weil man selbst für den ande­ren Kan­di­da­ten ist und die eige­ne Argu­men­ta­ti­on der Theo­lo­gie nicht standhält.

Jeden­falls wür­de ich mei­nen, die Kir­che soll­te so wenig Par­tei­po­li­tik als mög­lich betrei­ben und sich dage­gen lie­ber bei den poli­ti­schen Kräf­ten ein­set­zen, daß das Natur­recht wie­der die unbe­strit­te­ne und unbe­schnit­te­ne Grund­la­ge der Gesetz­ge­bung wird, denn da ist mitt­ler­wei­le ein gro­ßer Nach­hol­be­darf zu ver­mel­den. Meist wer­den stil­le diplo­ma­ti­sche Kanä­le dabei auch sinn­vol­ler sein als lau­te Fernsehinterviews.

Außer­dem dür­fen wir nicht ver­ges­sen, daß die Mis­si­on Jesu kei­ne poli­ti­sche Mis­si­on war, son­dern strikt auf das See­len­heil abziel­te und nicht auf eine poli­ti­sche Agen­da. Das wur­de oft sehr bewußt ver­dreht, in den 60er und 70er Jah­ren etwa oder auch in der Befrei­ungs­theo­lo­gie Süd­ame­ri­kas, wo man Jesus lie­ber als „Freund und Bru­der“ auf Erden ver­an­kert und in rein irdi­schen Belan­gen ver­haf­tet sah, als daß man ihn als den­je­ni­gen wahr­nahm, der er wirk­lich ist, näm­lich unser „Herr und Gott“, wel­cher eigent­lich dem ewi­gen, über­ir­di­schen Bereich zuge­hö­rig ist, aber aus der Not­wen­dig­keit her­aus auf die Erde her­ab­ge­stie­gen ist, um unse­ren See­len den Him­mel neu zu erschlie­ßen. Des­halb dür­fen wir zwar die zeit­li­chen Erfor­der­nis­se nicht außer acht las­sen oder gering­ach­ten, aber sie sind nicht das Eigent­li­che und von daher nur ein Neben­schau­platz. Wohl ein wich­ti­ger, aber halt doch nur ein Neben­schau­platz. Das muß auch in den Akti­vi­tä­ten und im Spre­chen der Kir­che deut­lich wer­den. Wenn eine Akti­vi­tät auf dem (poli­ti­schen) Neben­schau­platz den Auf­ga­ben auf ihrem (geist­li­chen) Haupt­schau­platz dien­lich ist, dann kann es legi­tim oder gar nötig sein, auch dort ein­mal etwas zu sagen. Aber das darf dann wirk­lich nur aus einer Not­wen­dig­keit her­aus gesche­hen, und um höhe­re Zie­le zu verwirklichen.

Wo die Kir­che sich nicht auf das not­wen­di­ge und ver­tret­ba­re Mini­mum beschränkt, son­dern zu sehr in das Polit­ge­sche­hen ein­greift, dort besteht immer die Gefahr, daß sie selbst zu einer Art Par­tei wird und die Gläu­bi­gen nicht mehr um Chri­stus, der das Zen­trum ist, sam­melt, son­dern in poli­tisch links und poli­tisch rechts spal­tet und dabei für die einen Par­tei ergreift und die ande­ren abstößt. Das führt zu einer Art inter­nen Klas­sen- oder Kul­tur­kampf, der nicht gesund ist und auch nicht ihrem Auf­trag ent­spricht. Daß es dazu aber sehr wohl kom­men kann, haben wir in Süd­ame­ri­ka gese­hen, und auch man­che ande­ren Län­der der Erde sind davon betrof­fen oder stark bedroht, auch in den Län­dern deut­scher Zunge.

*Mag. Don Micha­el Gurt­ner ist ein aus Öster­reich stam­men­der Diö­ze­san­prie­ster, der in der Zeit des öffent­li­chen Meß­ver­bots die­sem wider­stan­den und sich gro­ße Ver­dien­ste um den Zugang der Gläu­bi­gen zu den Sakra­men­ten erwor­ben hat. Die aktu­el­le Kolum­ne erscheint jeden Samstag.


Das Buch zur Rei­he: Don Micha­el Gurt­ner: Zur Lage der Kir­che, Selbst­ver­lag, 2023, 216 Seiten.


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