Von Don Michael Gurtner*
Frage: Darf oder soll die Kirche Wahlempfehlungen abgeben? Einerseits tat sie es immer, andererseits tut sie es noch immer…
Antwort: Auch hier kommt es sehr stark auf die jeweilige politische Konstellation an, um welche Art von Wahl es sich handelt und was auf dem Spiel steht. Von daher kann es auch bei dieser Frage je nach Situation unstatthaft oder aber gar geboten und notwendig sein. Was jedenfalls nicht geht, ist, daß man das eigene kirchliche Amt, das man bekleidet, dazu benutzt, um persönliche Präferenzen voranzubringen. Was man hingegen sehr wohl machen kann und manchmal auch soll oder gar muß, ist erstens die allgemeinen Grundsätze und Maßstäbe darlegen, nach denen ein Katholik seine Wahlentscheidung trifft, und zweitens, dort, wo es zu unstatthaften politischen Aussagen durch Kirchenfunktionäre gekommen ist, diese zu korrigieren und richtigzustellen.
Oftmals sind die Gläubigen nach gewissen Interventionen von Klerikern, die sie in Predigten oder im Fernsehen hören oder in den Zeitungen lesen, verunsichert und meinen, als Katholiken müßten sie in gewissen Fragen (Klima, Flüchtling, Corona, Ukraine…) eine ganz bestimmte Haltung einnehmen, sonst wäre es geradezu eine Form von Sünde. Hier muß man dann doch manchmal dazwischentreten und Dinge richtigstellen, um die legitimen Freiheiten des einzelnen auch zu schützen.
Beispielsweise gab es in Italien einmal vor Weihnachten mehrere Aussagen hoher kirchlicher Vertreter, die hintereinander behaupteten, man könne nicht zugleich Katholik, aber gegen eine schrankenlose Immigration sein. Jene Parteien, welche diese Einwanderungsflut zu stoppen versuchen, seien für einen Katholiken nicht wählbar, so tönte es. Bei solch einem harschen Amtsmißbrauch muß man schon, beispielsweise als Pfarrer, in seinem eigenen Umfeld korrigierend eingreifen und den Gläubigen erklären, daß sie hier nicht gebunden, sondern völlig frei sind, auch anderer Meinung zu sein, und dennoch gute Katholiken und zu den Sakramenten zugelassen sind.
Es ist immer etwas gefährlich, zu sagen: Wer diese und jene Partei wählt, ist nicht katholisch, wie es in Deutschland ebenso geschieht wie in Italien. Freilich ist diese Option nicht per se auszuschließen, es kann tatsächlich Parteien geben, deren Parteiprogramm oder Handeln dezidiert antikatholisch und mit den Grundsätzen des Glaubens absolut nicht vereinbar ist. Dann und nur dann ist solch ein Anathema tatsächlich angebracht. Aber dabei handelt es sich um Parteien wie die Kommunisten oder die NSDAP. Dann muß die Kirche sogar eine Grenze ziehen. Aber eine Partei als für Katholiken unwählbar auszurufen, nur weil sie etwa eine rigidere Einwanderungspolitik verfolgt, um bei einem aktuellen Beispiel zu bleiben, hat keine ausreichende Basis, um Geltung zu haben und für den einzelnen Katholiken bindend zu sein.
Auch in Österreich gab es 2016 eine Bundespräsidentenwahl, in deren Vorfeld ein katholischer Bischof – aus gutem Grund – einen der beiden Kandidaten vorschlug, was in diesem Falle berechtigte Motive hatte. Ein anderer Bischof im Kardinalsrang, der regelmäßig und mehr als alle anderen österreichischen Bischöfe in die Politik eingreift, ließ daraufhin verkünden, Bischöfe sollen keine politischen Wahlvorschläge machen, während dieser Bischof im Kardinalspurpur selbst kräftig Werbung für den Gegenkandidaten machte, der Freimaurer war.
So etwas ist natürlich reichlich skurril, wenn man jemandem sozusagen den Mund verbieten möchte, nur weil man selbst für den anderen Kandidaten ist und die eigene Argumentation der Theologie nicht standhält.
Jedenfalls würde ich meinen, die Kirche sollte so wenig Parteipolitik als möglich betreiben und sich dagegen lieber bei den politischen Kräften einsetzen, daß das Naturrecht wieder die unbestrittene und unbeschnittene Grundlage der Gesetzgebung wird, denn da ist mittlerweile ein großer Nachholbedarf zu vermelden. Meist werden stille diplomatische Kanäle dabei auch sinnvoller sein als laute Fernsehinterviews.
Außerdem dürfen wir nicht vergessen, daß die Mission Jesu keine politische Mission war, sondern strikt auf das Seelenheil abzielte und nicht auf eine politische Agenda. Das wurde oft sehr bewußt verdreht, in den 60er und 70er Jahren etwa oder auch in der Befreiungstheologie Südamerikas, wo man Jesus lieber als „Freund und Bruder“ auf Erden verankert und in rein irdischen Belangen verhaftet sah, als daß man ihn als denjenigen wahrnahm, der er wirklich ist, nämlich unser „Herr und Gott“, welcher eigentlich dem ewigen, überirdischen Bereich zugehörig ist, aber aus der Notwendigkeit heraus auf die Erde herabgestiegen ist, um unseren Seelen den Himmel neu zu erschließen. Deshalb dürfen wir zwar die zeitlichen Erfordernisse nicht außer acht lassen oder geringachten, aber sie sind nicht das Eigentliche und von daher nur ein Nebenschauplatz. Wohl ein wichtiger, aber halt doch nur ein Nebenschauplatz. Das muß auch in den Aktivitäten und im Sprechen der Kirche deutlich werden. Wenn eine Aktivität auf dem (politischen) Nebenschauplatz den Aufgaben auf ihrem (geistlichen) Hauptschauplatz dienlich ist, dann kann es legitim oder gar nötig sein, auch dort einmal etwas zu sagen. Aber das darf dann wirklich nur aus einer Notwendigkeit heraus geschehen, und um höhere Ziele zu verwirklichen.
Wo die Kirche sich nicht auf das notwendige und vertretbare Minimum beschränkt, sondern zu sehr in das Politgeschehen eingreift, dort besteht immer die Gefahr, daß sie selbst zu einer Art Partei wird und die Gläubigen nicht mehr um Christus, der das Zentrum ist, sammelt, sondern in politisch links und politisch rechts spaltet und dabei für die einen Partei ergreift und die anderen abstößt. Das führt zu einer Art internen Klassen- oder Kulturkampf, der nicht gesund ist und auch nicht ihrem Auftrag entspricht. Daß es dazu aber sehr wohl kommen kann, haben wir in Südamerika gesehen, und auch manche anderen Länder der Erde sind davon betroffen oder stark bedroht, auch in den Ländern deutscher Zunge.
*Mag. Don Michael Gurtner ist ein aus Österreich stammender Diözesanpriester, der in der Zeit des öffentlichen Meßverbots diesem widerstanden und sich große Verdienste um den Zugang der Gläubigen zu den Sakramenten erworben hat. Die aktuelle Kolumne erscheint jeden Samstag.
Das Buch zur Reihe: Don Michael Gurtner: Zur Lage der Kirche, Selbstverlag, 2023, 216 Seiten.
Bisher erschienen:
- Zur Lage der Kirche – eine neue Kolumne
- Zur Lage der Kirche – Frage 1
- Zur Lage der Kirche – Frage 2
- Zur Lage der Kirche – Frage 3
- Zur Lage der Kirche – Frage 4
- Zur Lage der Kirche – Frage 5
- Zur Lage der Kirche – Frage 6
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