Die Kreuzesinschrift bekennt Jesus nicht nur als König, sondern auch als wahren Gott

Die Prophezeiung Jesu hat sich bei der Kreuzigung tatsächlich erfüllt


Der dreisprachige Titulus über dem gekreuzigten Jesus. Fresko des Dominikaners Beato Angelico 1441/42, Florenz
Der dreisprachige Titulus über dem gekreuzigten Jesus. Fresko des Dominikaners Beato Angelico 1441/42, Florenz

Von Don Micha­el Gurtner*

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Im Johan­nes­evan­ge­li­um 8,28 sto­ßen wir auf die etwas enig­ma­ti­sche Stel­le: „Jesus sprach also zu ihnen: Wenn ihr den Men­schen­sohn wer­det erhöht haben, dann wer­det ihr erken­nen, daß ich es bin, und von mir selbst nichts tue, son­dern die­ses so rede, wie mich mein Vater geleh­ret hat.“ Beson­ders die Aus­sa­ge, „Wenn ihr den Men­schen­sohn wer­det erhöht haben, dann wer­det ihr erken­nen, daß ich es bin“, erscheint dem Ver­ständ­nis schwie­rig. Die­ser Satz ist ein­ge­bet­tet in ein Streit­ge­spräch mit den Juden. Es geht um die Selbst­aus­kunft Jesu, um sei­ne Her­kunft und Bestim­mung. Es ist sozu­sa­gen der Zen­tral­satz, der das gesam­te Streit­ge­spräch zusam­men­faßt, bei dem Jesus nicht ver­stan­den wur­de: „War­um ver­steht ihr nicht, was ich sage?“ (Joh 8,43).

Tat­säch­lich ist die­se Aus­sa­ge aus Joh 8,28, auf die es uns hier beson­ders ankommt, nicht wirk­lich leicht zu ver­ste­hen. Was soll es hei­ßen: „Ihr wer­det erst ver­ste­hen, daß ich es bin, wenn ihr mich erhöht habt“? Der Satz scheint seman­tisch schwer verständlich.

Etwas bes­ser ver­ständ­lich wird das eigent­lich Gemein­te, wenn wir uns zunächst vom alt­grie­chi­schen Text her annä­hern. Hier steht für „ich bin (es)“ ἐγώ εἰμι. Damit wird ein­deu­tig auf Exodus 3,14 zurück­ge­grif­fen, als der Herr sich dem Mose als der „ich bin“ geof­fen­bart hat. Hier fin­den wir exakt den­sel­ben Wort­laut ἐγώ εἰμι: Jesus iden­ti­fi­ziert sich selbst mit Gott dem Herrn, der sich dem Mose als der „ich bin“ offen­bar­te, oder grie­chisch: als der „ἐγώ εἰμι“. Er sagt also in Joh 8,28: Wenn ich am Kreu­ze hän­ge, wer­det ihr erken­nen, daß „ich bin“ (Gott). Jesus bean­spruch­te also den Eigen­na­men Got­tes im Tanach bzw. der Tora für sich selbst – auf Hebrä­isch YHWH. Die­se Ver­bin­dung vor Augen zu haben, ist für den zwei­ten Schritt wichtig.

YHWH steht für den Schöp­fer, dem alles unter­wor­fen ist und aus dem alles her­vor­geht. Er ist der Bun­des­part­ner des aus­er­wähl­ten Vol­kes, der gro­ße Wel­ten­rich­ter und der Erlö­ser. Anders gesagt: Für den Juden ist YHWH Gott, der ein­zi­ge und wahre.

Der hei­li­ge Evan­ge­list Johan­nes beschreibt nun auf­fal­lend prä­zi­se den soge­nann­ten „titu­lus cru­cis“, d. h. die Kreu­zes­in­schrift. Wir fin­den die Beschrei­bung im 19. Kapi­tel in den Ver­sen 16–22:

„Pila­tus aber schrieb auch eine Auf­schrift und setz­te sie über das Kreuz. Es war aber geschrie­ben: Jesus von Naza­reth, der König der Juden. Die­se Auf­schrift nun lasen vie­le Juden; denn der Ort, wo Jesus gekreu­zi­get wur­de, war nahe bei der Stadt, und es war hebrä­isch, grie­chisch und latei­nisch geschrie­ben. Da spra­chen die Hohen­prie­ster der Juden zu Pila­tus: Schrei­be nicht: der König der Juden, son­dern die­ser hat gesagt: Ich bin der König der Juden. Pila­tus ant­wor­te­te: Was ich geschrie­ben habe, habe ich geschrieben.“

Titu­lus cru­cis: Die kost­ba­re Kreu­zes­re­li­quie wird in der römi­schen Basi­li­ka San­ta Cro­ce in Geru­sa­lem­me aufbewahrt

Johan­nes spe­zi­fi­ziert die drei Spra­chen, in denen der titu­lus ver­faßt war: latei­nisch, grie­chisch, hebrä­isch. Auf latei­nisch stand dar­auf Iesus Naza­re­nus Rex Iudae­orum, wor­aus sich das berühm­te Akro­nym INRI ergibt.

Über­setzt man dies in das Hebräi­sche, so erhält man Yes­hua Hanot­s­ri Wem­elek Hay­e­hu­dim (wobei zu beach­ten ist, daß das Hebräi­sche im Unter­schied zum Latei­ni­schen von rechts nach links geschrie­ben wird und nicht umgekehrt!).

Des­halb erhält man so, wie man im Latei­ni­schen das Akro­nym INRI erhält, im Hebräi­schen den für from­me Juden unaus­sprech­li­chen Got­tes­na­men YHWH – was über­setzt ἐγώ εἰμι heißt, bzw. „ich bin“. Somit hat sich die Pro­phe­zei­ung Jesu aus Joh 8,28 bei der Kreu­zi­gung tat­säch­lich erfüllt.

Frei­lich war dies den Juden ein Skan­dal, denn letzt­lich stand über dem als Got­tes­lä­ste­rer Ange­klag­ten, daß er tat­säch­lich Gott ist: Jesus von Naza­reth, König der Juden, der „ich bin“/YHWH/Gott.

*Mag. Don Micha­el Gurt­ner ist ein aus Öster­reich stam­men­der Diö­ze­san­prie­ster, der in der Zeit des öffent­li­chen Meß­ver­bots die­sem wider­stan­den und sich gro­ße Ver­dien­ste um den Zugang der Gläu­bi­gen zu den Sakra­men­ten erwor­ben hat. Aktu­ell ver­öf­fent­licht er auf Katho​li​sches​.info die Kolum­ne „Zur Lage der Kir­che“, die jeden Sams­tag erscheint.

Bild.: Wiki­com­mons

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