
Von Don Michael Gurtner*
Im Johannesevangelium 8,28 stoßen wir auf die etwas enigmatische Stelle: „Jesus sprach also zu ihnen: Wenn ihr den Menschensohn werdet erhöht haben, dann werdet ihr erkennen, daß ich es bin, und von mir selbst nichts tue, sondern dieses so rede, wie mich mein Vater gelehret hat.“ Besonders die Aussage, „Wenn ihr den Menschensohn werdet erhöht haben, dann werdet ihr erkennen, daß ich es bin“, erscheint dem Verständnis schwierig. Dieser Satz ist eingebettet in ein Streitgespräch mit den Juden. Es geht um die Selbstauskunft Jesu, um seine Herkunft und Bestimmung. Es ist sozusagen der Zentralsatz, der das gesamte Streitgespräch zusammenfaßt, bei dem Jesus nicht verstanden wurde: „Warum versteht ihr nicht, was ich sage?“ (Joh 8,43).
Tatsächlich ist diese Aussage aus Joh 8,28, auf die es uns hier besonders ankommt, nicht wirklich leicht zu verstehen. Was soll es heißen: „Ihr werdet erst verstehen, daß ich es bin, wenn ihr mich erhöht habt“? Der Satz scheint semantisch schwer verständlich.
Etwas besser verständlich wird das eigentlich Gemeinte, wenn wir uns zunächst vom altgriechischen Text her annähern. Hier steht für „ich bin (es)“ ἐγώ εἰμι. Damit wird eindeutig auf Exodus 3,14 zurückgegriffen, als der Herr sich dem Mose als der „ich bin“ geoffenbart hat. Hier finden wir exakt denselben Wortlaut ἐγώ εἰμι: Jesus identifiziert sich selbst mit Gott dem Herrn, der sich dem Mose als der „ich bin“ offenbarte, oder griechisch: als der „ἐγώ εἰμι“. Er sagt also in Joh 8,28: Wenn ich am Kreuze hänge, werdet ihr erkennen, daß „ich bin“ (Gott). Jesus beanspruchte also den Eigennamen Gottes im Tanach bzw. der Tora für sich selbst – auf Hebräisch YHWH. Diese Verbindung vor Augen zu haben, ist für den zweiten Schritt wichtig.
YHWH steht für den Schöpfer, dem alles unterworfen ist und aus dem alles hervorgeht. Er ist der Bundespartner des auserwählten Volkes, der große Weltenrichter und der Erlöser. Anders gesagt: Für den Juden ist YHWH Gott, der einzige und wahre.
Der heilige Evangelist Johannes beschreibt nun auffallend präzise den sogenannten „titulus crucis“, d. h. die Kreuzesinschrift. Wir finden die Beschreibung im 19. Kapitel in den Versen 16–22:
„Pilatus aber schrieb auch eine Aufschrift und setzte sie über das Kreuz. Es war aber geschrieben: Jesus von Nazareth, der König der Juden. Diese Aufschrift nun lasen viele Juden; denn der Ort, wo Jesus gekreuziget wurde, war nahe bei der Stadt, und es war hebräisch, griechisch und lateinisch geschrieben. Da sprachen die Hohenpriester der Juden zu Pilatus: Schreibe nicht: der König der Juden, sondern dieser hat gesagt: Ich bin der König der Juden. Pilatus antwortete: Was ich geschrieben habe, habe ich geschrieben.“

Johannes spezifiziert die drei Sprachen, in denen der titulus verfaßt war: lateinisch, griechisch, hebräisch. Auf lateinisch stand darauf Iesus Nazarenus Rex Iudaeorum, woraus sich das berühmte Akronym INRI ergibt.
Übersetzt man dies in das Hebräische, so erhält man Yeshua Hanotsri Wemelek Hayehudim (wobei zu beachten ist, daß das Hebräische im Unterschied zum Lateinischen von rechts nach links geschrieben wird und nicht umgekehrt!).
Deshalb erhält man so, wie man im Lateinischen das Akronym INRI erhält, im Hebräischen den für fromme Juden unaussprechlichen Gottesnamen YHWH – was übersetzt ἐγώ εἰμι heißt, bzw. „ich bin“. Somit hat sich die Prophezeiung Jesu aus Joh 8,28 bei der Kreuzigung tatsächlich erfüllt.
Freilich war dies den Juden ein Skandal, denn letztlich stand über dem als Gotteslästerer Angeklagten, daß er tatsächlich Gott ist: Jesus von Nazareth, König der Juden, der „ich bin“/YHWH/Gott.
*Mag. Don Michael Gurtner ist ein aus Österreich stammender Diözesanpriester, der in der Zeit des öffentlichen Meßverbots diesem widerstanden und sich große Verdienste um den Zugang der Gläubigen zu den Sakramenten erworben hat. Aktuell veröffentlicht er auf Katholisches.info die Kolumne „Zur Lage der Kirche“, die jeden Samstag erscheint.
Bild.: Wikicommons
Wunderbarer Kommentar! Welch ein neues u. klares Licht! Danke, lieber Mitbruder!
Danke für diesen ausgezeichneten Kommentar mit der Erklärung der Zusammenhänge.
Wahrlich wunderbar, vielen Dank!
Auch an anderer Stelle, nämlich Johannes 18:1–18, treibt die offensichtliche Luthersche Falschübersetzung von „ego sum“ ihr Unwesen.
Warum hätten die Kriegsknechte zu Boden fallen sollen, wenn Jesus nur „Ich bin es“ geantwortete hätte? Ego sum bedeutet „ich bin“, also JHWH, den unaussprechlichen Gottesnamen. Luther hat das mit „ego est“ verwechselt.
Am 25. April 1995 fotografierte und wog die Kirchengeschichtlerin Maria-Luisa Rigato von der Gregoriana-Universität in Rom die Tafel. Sie identifizierte die Buchstaben der ersten Zeile als aramäisch ישו נצר מ מ (Jeschu nazara m m), wobei die Abkürzung m m für malkekem stehe: „Jesus Nazara euer König“. (Wikipedia)
Wie ist das zu sehen?
Grossartig, daß dieser Zusammenhang endlich enthüllt wird.
Die Propheten im alten Testament hatten Gotteserscheinungen. Diese Gotteserscheinungen waren so fürchterlich mächtig, daß selbst Mose versucht hat, sich ihnen zu entziehen. Es war aber niemals der Vater selbst, der sich offenbart hat, sondern der Vater hat sich durch sein Wort offenbart. Und in der ausserbiblischen Überlieferung wird dann gesagt, wie die Erscheinung des Wortes ausgesehen hat. Das Wort sah so aus, wie es später auf Erden inkarniert sein sollte. In anderen Worten, hätten sie Moses gefragt, hätte er ihnen sagen können: Ja er ist es, den ich gesehen habe.
Um den Lesern des neuen Testamentes klar zu machen, daß der Auferstandenene keine Erscheinung war, sondern der leibliche Jesus, wird ausdrücklich darauf hingewiesen, der auferstandene Jesus hat mit ihnen gegessen und getrunken. Auch der ungläubige Thomas war nicht ungläubig, sondern es geschah, damit Zeugnis abgelegt wird.
In Saudi-Arabien gibt es einen Berg, der der eigentliche Sinai sein soll. Der Name Sinai in bezug auf Ägypten ist irreführend. Die gesamte Bergspitze des echten Sinai ist schwarz, während alle benachbarten Berge helles Gestein aufweisen. Ein Relikt, weil die Erscheinung Gottes so mächtig war, daß sie den Berg verbrannt hat.
Auf dem Titulus bei Fra Angelico (ca. 1441–1450) kann man tatsächlich das Akronym Jodh-Hé-Waw-Hé identifizieren.
Fra Angelico wurde hier offensichtlich geholfen, recht wahrscheinlich von einem Konvertiten.
Das Akronym scheint wenig Aufmerksamkeit gefunden zu haben.
Etwa 150 Jahren später findet sich ein großer Titulus bei der Kreuzaufrichtung von Peter Paul Rubens (Liebfrauenkathedrale, Antwerpen).
In großen schwarzen Letter vom Bomberg-typ, aber soweit ich beurteilen kann, ohne das erste „Hé“.
Es dürfte sich hier um hebräische Rückübersetzung von B.Arias Montano handeln, wie 1571 in der Bibla Regia Polyglotta gedruckt (1571), damals unter Plantin aber Jan Moretus schon tätig in der Offizin.
Plantin hat sich gerühmt, daß er die Bomberg’sche Lettertypen erworben hatte; Jan Moretus selbst war ein guter Freund von Rubens.