Zur Lage der Kirche – Frage 35

Was ist die Absicht, daß Teile des Evangeliums ausgelassen werden?


Don Michael Gurtner Zur Lage der Kirche

Von Don Micha­el Gurtner*

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Fra­ge: Kann man das viel­leicht an ein oder zwei Bei­spie­len zeigen?

Ant­wort: Ein beson­ders ein­drück­li­ches Bei­spiel (im nega­ti­ven Sin­ne) ist die Strei­chung der letz­ten drei Ver­se der zwei­ten Lesung zu Fron­leich­nam im Lese­jahr C: 1 Kor 11,23–26, die Ein­set­zung der Eucha­ri­stie. Im tra­di­tio­nel­len Ritus hat die gan­ze Kir­che frü­her an die­sem Tag jedoch 1 Kor 11,23–29 gele­sen, also drei Ver­se mehr. In die­sen drei weg­ge­las­se­nen Ver­sen geht es um die ein­dring­li­che War­nung des Herrn, sich selbst vor dem Kom­mu­nion­emp­fang zu prü­fen, um nicht unwür­dig zu kom­mu­ni­zie­ren und sich dadurch schul­dig am Leib des Herrn zu machen. Wer ohne Unter­schei­dung den Leib Chri­sti emp­fängt, der zieht sich dadurch das Gericht zu. Das sind ern­ste und wich­ti­ge Wor­te, die auch auf das See­len­heil Aus­wir­kun­gen haben. Was ist die Moti­va­ti­on dahin­ter, wenn man die­se wich­ti­ge Mah­nung im Gegen­satz zu frü­her heu­te ver­schweigt? Wel­chen geist­li­chen Vor­teil soll es den Men­schen brin­gen, ihnen nur mehr die Hälf­te zu sagen? Was steht da dahinter?

Ein zwei­tes, beson­ders zyni­sches Bei­spiel sei zur wei­te­ren Illu­stra­ti­on hier ange­führt: Es han­delt sich um den 22. Sonn­tag im Jah­res­zy­klus B. An die­sem Sonn­tag läßt die Lit­ur­gie der Kir­che Mk 7,1–8.14–15.21–23 lesen. Allein schon an der Anga­be der Schrift­stel­le sieht man, wie vie­le Aus­las­sun­gen es gibt: Von 23 Ver­sen sind 10 ent­fernt wor­den, näm­lich 9–13 und 16–20. Das sind immer­hin 43 Prozent!

Die ver­blie­be­nen Stel­len, anein­an­der­ge­stückelt, lesen sich so, als wäre Jesus gegen sämt­li­che reli­giö­se Riten und Regeln, beson­ders die lit­ur­gi­schen. Und dar­auf zie­len auch vie­le der „Hin­füh­run­gen“ zum Evan­ge­li­um ab, die man auf offi­zi­el­len kirch­li­chen Sei­ten liest und die vie­len Prie­stern als Pre­digt­vor­be­rei­tung die­nen: Jesus woll­te eigent­lich gar kei­ne Lit­ur­gie, kei­ne reli­giö­sen Riten und Vor­schrif­ten, er hät­te sich gegen alles „Äußer­li­che“ aufgelehnt.

Die­ser Ein­druck kann tat­säch­lich ent­ste­hen, aller­dings nur weil durch die Aus­las­sun­gen eine voll­kom­men neue Situa­ti­on ent­steht, die sich so gar nicht zuge­tra­gen hat bzw. die Jesus abso­lut nicht gemeint hat.

Denn aus­ge­las­sen wur­den aus­ge­rech­net jene Stel­len, in denen Jesus selbst sei­ne eige­nen Wor­te inter­pre­tiert und erklärt! Er kri­ti­siert genau das Gegen­teil von dem, was uns durch die­se Aus­las­sun­gen sug­ge­riert wird, näm­lich nicht die Regeln, son­dern daß die Pha­ri­sä­er ver­su­chen, durch geschick­te Mani­pu­la­ti­on Got­tes Gebo­te, die Regeln und Geset­ze aus­zu­he­beln und die Offen­ba­rung Got­tes so zu miß­brau­chen, daß sie in bös­wil­li­ger Absicht Tei­le der Offen­ba­rung Got­tes dazu ver­wen­den, um ande­re Tei­le der Offen­ba­rung Got­tes aus­zu­he­beln und mani­pu­la­tiv zu ver­än­dern. Wört­lich sagt er: „Ihr gebt Got­tes Gebot preis und hal­tet euch an Über­lie­fe­rung der Men­schen. Sehr geschickt setzt ihr Got­tes Gebot außer Kraft, um eure eige­ne Über­lie­fe­rung auf­zu­rich­ten“. Er kri­ti­siert also nicht Lit­ur­gie, son­dern genau das Gegen­teil, näm­lich daß die Wei­sun­gen Got­tes nicht befolgt wer­den, wobei man sich auf Gott selbst beruft: so als ob Gott sich selbst wider­spre­chen würde.

Kurz: Zyni­scher­wei­se kri­ti­siert Jesus in die­ser Peri­ko­pe, wenn man sie ganz und mit­samt ihren Aus­las­sun­gen liest, genau das, was die Refor­mer der lit­ur­gi­schen Lese­ord­nung bzw. der lit­ur­gi­schen Ord­nung im all­ge­mei­nen genau hier selbst machen: näm­lich den Sinn der Hei­li­gen Schrift so zu mani­pu­lie­ren, daß ein völ­lig ande­rer, von ihnen gewoll­ter Sinn dabei her­aus­kommt. Sie erset­zen das, was Gott gefügt hat, mit ihrem Eige­nen, und beru­fen sich dabei noch auf die von ihnen zu ihren eige­nen Zwecken mani­pu­lier­te Offenbarung.

Auch hier fragt man sich: Wel­che Moti­va­ti­on und wel­che Inten­ti­on ste­hen hin­ter die­ser Mani­pu­la­ti­on der Hei­li­gen Schrift? Was ist Sinn und Zweck, und was soll­te das bei den Gläu­bi­gen bewir­ken? Die Ant­wort scheint eben­so erschreckend wie offen­sicht­lich, doch lei­der hat es tat­säch­lich gewirkt.

*Mag. Don Micha­el Gurt­ner ist ein aus Öster­reich stam­men­der Diö­ze­san­prie­ster, der in der Zeit des öffent­li­chen Meß­ver­bots die­sem wider­stan­den und sich gro­ße Ver­dien­ste um den Zugang der Gläu­bi­gen zu den Sakra­men­ten erwor­ben hat. Die aktu­el­le Kolum­ne erscheint jeden Samstag.


Das Buch zur Rei­he: Don Micha­el Gurt­ner: Zur Lage der Kir­che, Selbst­ver­lag, 2023, 216 Seiten.


Bis­her erschienen:

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