Von Don Michael Gurtner*
Frage: Woher kommt dann aber eine kapitalfeindliche Haltung?
Antwort: Mir scheint, daß eine betont antikapitalistische Haltung, so wie sie manche vertreten, oft sehr stark von Neid geprägt ist, und auch von einer großen Kurzsichtigkeit. Das Gefälle von arm und reich beseitigen wir nicht dadurch, daß wir alle arm machen wollen, sondern indem wir versuchen, daß möglichst alle einen guten Wohlstand erreichen und ihnen ein anständiges Dasein gesichert ist, und zwar nicht durch Geldschenkungen, sondern durch eigene Erwerbstätigkeit, soweit dies möglich ist – diese Möglichkeiten müssen wir aber auch schaffen. Wenn wir den Menschen immer mehr durch Automatisierung und Maschinen ersetzen, dann wird das in vielerlei Hinsicht der Sache und dem Menschen nicht dienlich sein.
In diesem Kontext kann nicht unerwähnt bleiben, daß diese Kurzsichtigkeit dazu geführt hat, daß manche Geistliche den Menschen beinahe schon ein schlechtes Gewissen machen, wenn sie nicht nur das billigste und einfachste Produkt wählen, sondern für eine etwas teurere Version optieren.
Denn wenn alle nur bei der billigsten Großkette einkaufen, um nur ja bescheiden zu sein bzw. zumindest so zu wirken, so kaufen sie erstens vermutlich keine Produkte, bei deren Erzeugung alle ihren gerechten Lohn erhalten haben. Außerdem würden besonders kleinere oder lokale Betriebe nicht mehr überleben können, und mit ihnen auch deren Zulieferer, Vertreiber etc. Wer den Anzug immer nur im internationalen Großvertrieb kauft, läßt seinen Schneider um die Ecke verhungern, und auch dessen Stofflieferanten und Nadelfabrikanten, um es etwas formelhaft und vereinfacht zu sagen.
Und wer immer nur das Einfachste kauft und auf schöne Ausstattungen verzichtet, obwohl er es sich leisten könnte, schließt andere von seinem Reichtum aus. Von daher hat man im richtigen Anliegen um eine gerechte Verteilung der Güter nichts gewonnen, wenn man nur predigt, möglichst wenig auszugeben, und immer das Allerbilligste kauft, wenn man nicht unbedingt muß.
Ähnliches gilt auch für die Kirche: Sie tut nicht nur sich selbst nichts Gutes, wenn sie keinen Wert mehr auf das kulturell Hochstehende und das Schöne legt, sondern das Pfarrhaus vom Billiggroßhändler einrichten läßt, keine geschreinerten Möbel und Kunstobjekte wie schöne Gemälde mehr anschafft und die Kirchen modern einrichtet. Darunter leiden Handwerker, Tourismusbetriebe, Gastronomie, und die Armut würde dadurch gewiß nicht kleiner.
Man sagt immer, die Kirche sei so reich an Kunstschätzen und anderen Gütern, während in Indien die Kinder hungern. Aber erstens, von der Sakraldimension einmal ganz abgesehen, haben diese Güter erst im Laufe der Zeit ihren heutigen Wert erhalten, zweitens haben diese Güter zur Zeit ihrer Entstehung viele Familien finanziell überleben lassen, die mit diesem Geld wiederum anderen Leuten Arbeit gaben, drittens würde auch ein Verkauf nichts daran ändern, daß es sie nun einmal gibt und sie eben jenen Wert haben, den sie haben, und viertens leben heute noch zahlreiche Berufsgruppen davon, von Kunsthistorikern über Restauratoren bis hin zu Hotels und Gasthäusern. Von daher wäre es eine nachhaltige Investition, von der viele etwas haben, und zwar über Generationen hinweg, wenn die Kirche wieder zu einem ausgewogeneren Verhältnis zu Kunst, Kultur und Konsum im allgemeinen zurückkehren würde, wie es für sie in vergangenen Jahrhunderten auch selbstverständlich war. Es waren sehr nachhaltige Investitionen, die auch heute noch nicht nur Brot, sondern sogar noch eine Scheibe Käse darauf auf den Teller vieler Familien legen.
*Mag. Don Michael Gurtner ist ein aus Österreich stammender Diözesanpriester, der in der Zeit des öffentlichen Meßverbots diesem widerstanden und sich große Verdienste um den Zugang der Gläubigen zu den Sakramenten erworben hat. Die aktuelle Kolumne erscheint jeden Samstag.
Das Buch zur Reihe: Don Michael Gurtner: Zur Lage der Kirche, Selbstverlag, 2023, 216 Seiten.
Bisher erschienen:
- Zur Lage der Kirche – eine neue Kolumne
- Zur Lage der Kirche – Frage 1
- Zur Lage der Kirche – Frage 2
- Zur Lage der Kirche – Frage 3
- Zur Lage der Kirche – Frage 4
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