
Frage: Und wie sollten sich die gläubigen Katholiken diesbezüglich organisieren?
Antwort: Auf Grund des eben Gesagten sowie einigen jüngsten Neuerungen des Kirchenrechtes, die auszuführen in diesem kleinen Rahmen zu weit führen würde, ergibt sich nämlich eine wichtige Kondition: Wichtig ist, daß sich Gruppen rein privater Natur zusammenfinden, ohne eine klar definierte Struktur oder gar eine Anerkennung durch die Diözese anzustreben. Am besten ist es, lose Zusammenschlüsse traditionsbewußter Gläubiger zu gründen, die sich sozusagen rein privat „unter Freunden und Gleichgesinnten“ treffen, ohne dabei ein offizieller (katholischer) Verein zu werden. Denn ansonsten wird es nur schwieriger, man wird erfahrungsgemäß hingehalten und gehemmt, wo es nur geht. Hat man hingegen keine wirkliche Vereinsstruktur, so ist man weniger greifbar, und somit auch weniger angreifbar. Man handelt freier und aus privater Initiative heraus und ist keiner Instanz wirklich Rechenschaft schuldig.
Solch ein loser Zusammenschluß von Personen soll sich einen geeigneten Priester (oder mehrere) suchen, der bereit ist, diese Gruppe von Personen geistlich zu betreuen, sei es durch die Spendung der heiligen Sakramente und Sakramentalien, sei es durch Katechesen, Glaubensunterweisungen, Vorträge oder auch durch ganz praktische Hilfestellungen, etwa indem er die Räumlichkeiten wie Kirchen, Kapellen oder auch einen Vortragssaal zur Verfügung stellt. Wo man keine Kirchen, Kapellen und Vortragssäle finden kann, muß man auf private Räume ausweichen und die Hl. Messe, notgedrungen, auf Tragealtären zelebrieren.
Wer diese Möglichkeit zur Teilnahme an der Hl. Messe im alten Ritus nicht hat, dem empfehle ich gerne eine schöne Andachtsübung aus dem Mittelalter, die heute nahezu völlig in Vergessenheit geraten ist und sogar verächtlich gemacht wird, nämlich die Frömmigkeitsübung der „Missa sicca“, also der „trockenen Messe“. Dazu betet man für sich zu Hause mit einigen Ausnahmen aus dem Meßkanon die Texte der Heiligen Messe – speziell die Wandlungsworte werden ausgelassen –, und anstatt der Kommunion betet man die geistige Kommunion. In einigen Orden war es üblich, daß die Priestermönche nach ihrer privaten Heiligen Messe noch eine Missa sicca beteten, ebenso wie dies die Laien taten, wenn sie nicht am Hl. Meßopfer teilnehmen konnten. Diese Andachtsform sollte man durchaus wiederbeleben, gerade auch in Hinblick auf den oftmals mangelnden Zugang zu einer Heiligen Messe im alten Ritus.
Über das Geistlich-Liturgische hinaus, was sicherlich im Zentrum steht, ist dann aber auch das Geistig-Intellektuelle, das heißt die beständige Beschäftigung mit der Tradition und intellektuelle Vertiefung der liturgischen Texte und Riten notwendig: Man muß die Schätze der Kirche und deren Bedeutung zunächst kennen, um dann auch zu erkennen, was einem eigentlich alles vorenthalten wird. Man muß wissen, was einem entzogen wurde, um danach zu streben und es rechtmäßig von der Kirche als unser heiliges und gottgegebenes Recht einzufordern. Dazu müssen wir versuchen, mit dem Reichtum und der Fülle der kirchlichen Tradition vertraut zu werden. Besonders auch Hilfsmittel wie Bilder und Videos können dabei sehr hilfreich sein, ganz besonders auch wenn wir Kinder für diesen Schatz sensibilisieren wollen: Es ist wichtig, bereits die Kinder in diese für sie auch spannende Welt einzuführen und nicht auch selbst noch ihnen das vorzuenthalten, was die Kirche ihnen nicht mehr zu geben willig ist. Wo die Amtsträger der Kirche auslassen, müssen andere einspringen, so gut es geht! Bilder und Videoaufnahmen lassen uns erkennen, Fragen stellen und erwecken eine Sehnsucht in uns, selbst auch wieder Zugang zu diesen Quellen wahrer katholischer Frömmigkeit zu bekommen. Wir sollten uns bemühen, die Bedeutung und Botschaft der scheinbar unscheinbaren Kleinigkeiten wiederzuentdecken, denn der klassische Ritus ist alles andere als oberflächlich, wie es heute der Fall ist: Er ist sehr genau und präzise und versucht, so gut als es geht, den Glauben in seinen Details zu erfassen. Deshalb sind auch in vielen scheinbaren rituellen Kleinigkeiten oder sprachlichen Formulierungen wichtige Aussagen enthalten, die einfach aus dem Bewußtsein und damit auch aus dem Glauben der Leute verschwinden, wenn man sie beiseite läßt und aus der Liturgie eliminiert. Wenn man aus der Liturgie etwas entfernte oder änderte, dann nur deshalb, damit es auch aus dem Glauben der Leute verschwindet oder sich ändert.
Man muß aber auch einmal sagen, daß dieser Prozeß zwar durch das zweite Vatikanum und dessen Liturgiereform Schwung genommen hat, aber nicht dessen Erfindung war. Es hat jedoch Türen aufgestoßen, die die Kirche bis dahin aus gutem Grund verschlossen gehalten hatte. Bereits die unglückliche Reform der Karwoche (mit Abschaffung der Pfingstvigil) und das Missale 1962 weisen im Kern bereits dieselben destruktiven und manipulativen Tendenzen auf, wie sie dann im Missale 1970 zum Durchbruch kamen, wenngleich noch nicht gar so drastisch. Aber der „Ungeist“ war bereits in den Jahrzehnten vor dem Konzil aktiv und begann sich auszubreiten und Fahrt aufzunehmen. Man hat es wohl unterschätzt – was fatal war.
*Mag. Don Michael Gurtner ist ein aus Österreich stammender Diözesanpriester, der in der Zeit des öffentlichen Meßverbots diesem widerstanden und sich große Verdienste um den Zugang der Gläubigen zu den Sakramenten erworben hat. Die aktuelle Kolumne erscheint jeden Samstag.
Das Buch zur Reihe: Don Michael Gurtner: Zur Lage der Kirche, Selbstverlag, 2023, 216 Seiten.
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