Von Don Michael Gurtner*
Frage: Würde eine solche Debatte über das Zweite Vatikanische Konzil nicht die Gefahr einer Kirchenspaltung bergen?
Antwort: Ich würde das eher umgekehrt sehen: Die Spaltung im Glauben ist nicht erst eine drohende Gefahr in der Zukunft, sondern sie ist bereits eine gegenwärtige Realität. Sie ist schon lange da und sie tritt uns mittlerweile auch sehr sichtbar entgegen, nur ist sie bislang noch nicht formell vollzogen und erklärt. Aber das ändert nichts und macht die Sache deshalb nicht besser, denn im Inneren der Kirche ist die Kirchenspaltung schon längst eine verfestigte Realität. Man sieht dies beispielsweise daran, daß es innerhalb derer, die sich theoretisch zu derselben katholischen Kirche bekennen, viel zu viele grundlegende Unterschiede im Glauben gibt, als daß man wirklich noch von einem gemeinsamen, selben Glauben sprechen kann. Das sind längst keine Detailfragen mehr, sondern betrifft auch ganz grundsätzliche, fundamentale Säulen des Glaubens.
Dabei muß man aber beachten, wo die Linie der Kirchenspaltung entlangläuft. Es wäre nämlich viel zu kurz gegriffen, die Kirchenspaltung als eine bloße Spaltung, Trennung oder Entfremdung innerhalb der Gemeinschaft der Gläubigen zu betrachten, oder als eine reine Trennung von der „Organisation“ Kirche.
Kirche, d. h. Christuszugehörigkeit, definiert sich nämlich von Christus und dessen Lehre her. Das, was oft als „Amtskirche“ oder „hierarchische Kirche“ bezeichnet wird, bzw. generell als die sichtbare Kirche, ist im letzten nur ein Reflex der unsichtbaren Kirche Jesu Christi. Man kann nicht, im eigentlichen Bedeutungssinne, zur Kirche gehören, aber nicht zu Christus, oder umgekehrt, zu Christus gehören, aber nicht zur Kirche, da Kirche im eigentlichen Sinne eine übernatürliche Wirklichkeit ist, und keine innerweltlich-organisatorische. Deshalb läuft eine Kirchenspaltung letztlich immer entlang einer vertikalen Trennlinie, also immer entlang einer Trennung von Christus, und nicht als eine horizontale Trennung innerhalb einzelner Gruppen.
Bildlich können wir das, was Kirchenspaltung bedeutet, anhand des Beispiels eines guten Hirten und seiner Herde veranschaulichen. Der Gute Hirt ist Christus, die Schafe sind die Menschen. Jener Teil der Schafe, welche sich um den Guten Hirten sammeln und seiner Stimme gehorchen, sind die Glieder der Kirche. Spalten sich nun fünf der Schafe von dieser Gruppe ab, und 95 bleiben beim Hirten, so haben sich diese fünf in eine Kirchenspaltung begeben – aber nicht weil sie sich von den 95 anderen Schafen losgesagt haben, sondern weil sie nicht mehr auf die Stimme des Guten Hirten hören und nun einem anderen Hirten folgen. Gleiches gilt, wenn sich 95 Schafe absondern und nur fünf beim Guten Hirten bleiben: Nicht diese fünf hätten sich dann von der Kirche gespalten, weil sie als kleine Minderheit nicht der Mehrheit der 95 folgen, sondern die Mehrheit der 95 Schafe hätte die Kirche gespalten, weil sie sich vom Guten Hirten losgelöst haben. Die kleine Minderheit der 5 Schafe, welche bei ihrem Hirten blieben, wäre der „kleine Rest“ der Herde, also der Kirche Jesu Christi. Nicht die Mehrheit ist das Kriterium, sondern Christus!
Daß die Kirche in sich tief gespalten ist, erkennt man beispielsweise daran, daß Aussagen der einzelnen Bischöfe sehr weit voneinander divergieren und einander geradezu entgegengesetzt sind. Diese mangelnde Einheit untereinander kommt dadurch zustande, daß sich viele von ihnen in ihrem Glauben und ihren Lehren von der Lehre Jesu Christi gelöst haben und ihre eigenen Wege gehen, auch wenn sie sich als katholisch bezeichnen und vielleicht auch tatsächlich so sehen. Doch was katholisch ist und was nicht, bestimmt sich nicht dadurch, welchen Stempel man sich selbst aufdrückt oder wie man sich selbst beschriftet, sondern mißt sich an der Übereinstimmung mit der Offenbarung Gottes. Somit zeigt die Gespaltenheit untereinander nur die Existenz einer Spaltung von Christus auf: Die Kirche ist gespalten, weil sich ein guter Teil des Klerus und der Gläubigen von Christus entfernt haben, während andere bei Ihm geblieben sind. Daß dabei die Abgespaltenen diese Spaltung bestreiten, ändert nichts an der Tatsache.
Noch deutlicher wird die Spaltung, wenn man das, was die Kirche heute allgemein durch ihre Bischöfe lehrt, mit jenem vergleicht, was sie etwa im Jahre 1900 oder 1850 oder 1700 gelehrt hat: Würde beispielsweise ein Papst Leo XIII. die heutigen Dokumente der römischen Kurie oder vieler Kardinäle, Bischöfe oder Priester noch als katholische Lehre anerkennen können? Auch hieran erkennt man, wie tief die Kirchenspaltung de facto bereits vorangeschritten ist, wenngleich man sie offiziell nicht nach außen vollzogen hat.
Diese Spaltung hat zwar nicht allein im letzten Konzil ihren Ursprung, denn das Denken wurde schon in den Jahren und Jahrzehnten zuvor langsam vorbereitet (wie es sich etwa an der schiefgelaufenen Reform der Karwochenliturgie und den nicht gerade positiven Änderungen im Missale 1962 nachweisen läßt), aber doch zu einem guten Teil, und es wurde jedenfalls von diesem aktiv und weitgehend gefördert. Deshalb ist zumindest eine gründliche Korrektur des jüngsten Konzils unerläßlich, um die voranschreitende Kirchenspaltung zu unterbinden.
*Mag. Don Michael Gurtner ist ein aus Österreich stammender Diözesanpriester, der in der Zeit des öffentlichen Meßverbots diesem widerstanden und sich große Verdienste um den Zugang der Gläubigen zu den Sakramenten erworben hat. Die aktuelle Kolumne erscheint jeden Samstag.
Das Buch zur Reihe: Don Michael Gurtner: Zur Lage der Kirche, Selbstverlag, 2023, 216 Seiten.
Bisher erschienen:
- Zur Lage der Kirche – eine neue Kolumne
- Zur Lage der Kirche – Frage 1
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- Zur Lage der Kirche – Frage 41
- Zur Lage der Kirche – Frage 42
Das Thema passt ja sehr gut in den Advent. Mir scheint, die angenommene Spaltung bei den Kirchetreibenden verläuft genau zwischen Jesus und Christus. Aber auch jeder gläubige Katholik kann sich jeden Tag aufs Neue die Frage stellen, welcher Verrat ihm heute der Näherliegende ist: „Ich kenne IHN“ (Judas Iskariot) oder “ Ich kenne IHN nicht“ (Simon Petrus). Beide haben ja auch in gewisser Weise recht, die alte Kirche weiß ja auch noch von der Brautzeit, d. h. der Verlobungszeit, in der sich die Anverlobten schon etwas kennen, aber andererseits auch noch nicht. Advent – Ankunft, er war schon mal kurz da, kommt doch wieder, wir leben ja auch noch in Erwartung. Wachsam sein in der großen Dunkelheit, in der das Licht doch schon aufstrahlt. Viele Leute auch außerhalb der Kirche lieben diese heute sogenannte Weihnachtszeit, sie ist ihnen näher als das Geburtsfest Jesu Christi selbst, vielleicht, weil es ihrer Wahrheit näher kommt?
Der aufgeklärte Mensch, beherrscht vom Materialismus in der Maschinenwelt und von Verherrlichung von Natur, die so nur eine Ideologie ist , existiert in großer Angst und Verzweiflung, die sich nicht durch endlosreden und stuhlkreisen auflösen lässt.
Wir müssen neu erfahren, dass wir warten können und uns vorfreuen dürfen, dass wir Unsicherheit aushalten können und dass wir uns nicht das eigentliche Fest durch vorzeitigen Verzehr und unrechten Genuss verderben. Lernen wir die Weisheit der alten Kirche wiederentdecken, in den vielgeliebten Geschichten der Heiligen, in den Apokryphen und im Kanon der Heiligen Schrift und im Feiern der Heiligen Messe, wo man vielleicht gar nichts versteht, aber sehr viel Ahnung bekommt von der Spannung zwischen wahrem Menschen und realem Menschen und einer zukünftigen guten Ehe.