Zur Lage der Kirche – Frage 43

Die faktische Kirchenspaltung ist längst Realität


Don Michael Gurtner: Zur Lage der Kirche

Von Don Micha­el Gurtner*

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Fra­ge: Wür­de eine sol­che Debat­te über das Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil nicht die Gefahr einer Kir­chen­spal­tung bergen?

Ant­wort: Ich wür­de das eher umge­kehrt sehen: Die Spal­tung im Glau­ben ist nicht erst eine dro­hen­de Gefahr in der Zukunft, son­dern sie ist bereits eine gegen­wär­ti­ge Rea­li­tät. Sie ist schon lan­ge da und sie tritt uns mitt­ler­wei­le auch sehr sicht­bar ent­ge­gen, nur ist sie bis­lang noch nicht for­mell voll­zo­gen und erklärt. Aber das ändert nichts und macht die Sache des­halb nicht bes­ser, denn im Inne­ren der Kir­che ist die Kir­chen­spal­tung schon längst eine ver­fe­stig­te Rea­li­tät. Man sieht dies bei­spiels­wei­se dar­an, daß es inner­halb derer, die sich theo­re­tisch zu der­sel­ben katho­li­schen Kir­che beken­nen, viel zu vie­le grund­le­gen­de Unter­schie­de im Glau­ben gibt, als daß man wirk­lich noch von einem gemein­sa­men, sel­ben Glau­ben spre­chen kann. Das sind längst kei­ne Detail­fra­gen mehr, son­dern betrifft auch ganz grund­sätz­li­che, fun­da­men­ta­le Säu­len des Glaubens.

Dabei muß man aber beach­ten, wo die Linie der Kir­chen­spal­tung ent­lang­läuft. Es wäre näm­lich viel zu kurz gegrif­fen, die Kir­chen­spal­tung als eine blo­ße Spal­tung, Tren­nung oder Ent­frem­dung inner­halb der Gemein­schaft der Gläu­bi­gen zu betrach­ten, oder als eine rei­ne Tren­nung von der „Orga­ni­sa­ti­on“ Kirche.

Kir­che, d. h. Chri­stus­zu­ge­hö­rig­keit, defi­niert sich näm­lich von Chri­stus und des­sen Leh­re her. Das, was oft als „Amts­kir­che“ oder „hier­ar­chi­sche Kir­che“ bezeich­net wird, bzw. gene­rell als die sicht­ba­re Kir­che, ist im letz­ten nur ein Reflex der unsicht­ba­ren Kir­che Jesu Chri­sti. Man kann nicht, im eigent­li­chen Bedeu­tungs­sin­ne, zur Kir­che gehö­ren, aber nicht zu Chri­stus, oder umge­kehrt, zu Chri­stus gehö­ren, aber nicht zur Kir­che, da Kir­che im eigent­li­chen Sin­ne eine über­na­tür­li­che Wirk­lich­keit ist, und kei­ne inner­welt­lich-orga­ni­sa­to­ri­sche. Des­halb läuft eine Kir­chen­spal­tung letzt­lich immer ent­lang einer ver­ti­ka­len Trenn­li­nie, also immer ent­lang einer Tren­nung von Chri­stus, und nicht als eine hori­zon­ta­le Tren­nung inner­halb ein­zel­ner Gruppen.

Bild­lich kön­nen wir das, was Kir­chen­spal­tung bedeu­tet, anhand des Bei­spiels eines guten Hir­ten und sei­ner Her­de ver­an­schau­li­chen. Der Gute Hirt ist Chri­stus, die Scha­fe sind die Men­schen. Jener Teil der Scha­fe, wel­che sich um den Guten Hir­ten sam­meln und sei­ner Stim­me gehor­chen, sind die Glie­der der Kir­che. Spal­ten sich nun fünf der Scha­fe von die­ser Grup­pe ab, und 95 blei­ben beim Hir­ten, so haben sich die­se fünf in eine Kir­chen­spal­tung bege­ben – aber nicht weil sie sich von den 95 ande­ren Scha­fen los­ge­sagt haben, son­dern weil sie nicht mehr auf die Stim­me des Guten Hir­ten hören und nun einem ande­ren Hir­ten fol­gen. Glei­ches gilt, wenn sich 95 Scha­fe abson­dern und nur fünf beim Guten Hir­ten blei­ben: Nicht die­se fünf hät­ten sich dann von der Kir­che gespal­ten, weil sie als klei­ne Min­der­heit nicht der Mehr­heit der 95 fol­gen, son­dern die Mehr­heit der 95 Scha­fe hät­te die Kir­che gespal­ten, weil sie sich vom Guten Hir­ten los­ge­löst haben. Die klei­ne Min­der­heit der 5 Scha­fe, wel­che bei ihrem Hir­ten blie­ben, wäre der „klei­ne Rest“ der Her­de, also der Kir­che Jesu Chri­sti. Nicht die Mehr­heit ist das Kri­te­ri­um, son­dern Christus!

Daß die Kir­che in sich tief gespal­ten ist, erkennt man bei­spiels­wei­se dar­an, daß Aus­sa­gen der ein­zel­nen Bischö­fe sehr weit von­ein­an­der diver­gie­ren und ein­an­der gera­de­zu ent­ge­gen­ge­setzt sind. Die­se man­geln­de Ein­heit unter­ein­an­der kommt dadurch zustan­de, daß sich vie­le von ihnen in ihrem Glau­ben und ihren Leh­ren von der Leh­re Jesu Chri­sti gelöst haben und ihre eige­nen Wege gehen, auch wenn sie sich als katho­lisch bezeich­nen und viel­leicht auch tat­säch­lich so sehen. Doch was katho­lisch ist und was nicht, bestimmt sich nicht dadurch, wel­chen Stem­pel man sich selbst auf­drückt oder wie man sich selbst beschrif­tet, son­dern mißt sich an der Über­ein­stim­mung mit der Offen­ba­rung Got­tes. Somit zeigt die Gespal­ten­heit unter­ein­an­der nur die Exi­stenz einer Spal­tung von Chri­stus auf: Die Kir­che ist gespal­ten, weil sich ein guter Teil des Kle­rus und der Gläu­bi­gen von Chri­stus ent­fernt haben, wäh­rend ande­re bei Ihm geblie­ben sind. Daß dabei die Abge­spal­te­nen die­se Spal­tung bestrei­ten, ändert nichts an der Tatsache.

Noch deut­li­cher wird die Spal­tung, wenn man das, was die Kir­che heu­te all­ge­mein durch ihre Bischö­fe lehrt, mit jenem ver­gleicht, was sie etwa im Jah­re 1900 oder 1850 oder 1700 gelehrt hat: Wür­de bei­spiels­wei­se ein Papst Leo XIII. die heu­ti­gen Doku­men­te der römi­schen Kurie oder vie­ler Kar­di­nä­le, Bischö­fe oder Prie­ster noch als katho­li­sche Leh­re aner­ken­nen kön­nen? Auch hier­an erkennt man, wie tief die Kir­chen­spal­tung de fac­to bereits vor­an­ge­schrit­ten ist, wenn­gleich man sie offi­zi­ell nicht nach außen voll­zo­gen hat.

Die­se Spal­tung hat zwar nicht allein im letz­ten Kon­zil ihren Ursprung, denn das Den­ken wur­de schon in den Jah­ren und Jahr­zehn­ten zuvor lang­sam vor­be­rei­tet (wie es sich etwa an der schief­ge­lau­fe­nen Reform der Kar­wo­chen­lit­ur­gie und den nicht gera­de posi­ti­ven Ände­run­gen im Mis­sa­le 1962 nach­wei­sen läßt), aber doch zu einem guten Teil, und es wur­de jeden­falls von die­sem aktiv und weit­ge­hend geför­dert. Des­halb ist zumin­dest eine gründ­li­che Kor­rek­tur des jüng­sten Kon­zils uner­läß­lich, um die vor­an­schrei­ten­de Kir­chen­spal­tung zu unterbinden.

*Mag. Don Micha­el Gurt­ner ist ein aus Öster­reich stam­men­der Diö­ze­san­prie­ster, der in der Zeit des öffent­li­chen Meß­ver­bots die­sem wider­stan­den und sich gro­ße Ver­dien­ste um den Zugang der Gläu­bi­gen zu den Sakra­men­ten erwor­ben hat. Die aktu­el­le Kolum­ne erscheint jeden Samstag.


Das Buch zur Rei­he: Don Micha­el Gurt­ner: Zur Lage der Kir­che, Selbst­ver­lag, 2023, 216 Seiten.


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1 Kommentar

  1. Das The­ma passt ja sehr gut in den Advent. Mir scheint, die ange­nom­me­ne Spal­tung bei den Kir­che­trei­ben­den ver­läuft genau zwi­schen Jesus und Chri­stus. Aber auch jeder gläu­bi­ge Katho­lik kann sich jeden Tag aufs Neue die Fra­ge stel­len, wel­cher Ver­rat ihm heu­te der Näher­lie­gen­de ist: „Ich ken­ne IHN“ (Judas Iska­ri­ot) oder “ Ich ken­ne IHN nicht“ (Simon Petrus). Bei­de haben ja auch in gewis­ser Wei­se recht, die alte Kir­che weiß ja auch noch von der Braut­zeit, d. h. der Ver­lo­bungs­zeit, in der sich die Anver­lob­ten schon etwas ken­nen, aber ande­rer­seits auch noch nicht. Advent – Ankunft, er war schon mal kurz da, kommt doch wie­der, wir leben ja auch noch in Erwar­tung. Wach­sam sein in der gro­ßen Dun­kel­heit, in der das Licht doch schon auf­strahlt. Vie­le Leu­te auch außer­halb der Kir­che lie­ben die­se heu­te soge­nann­te Weih­nachts­zeit, sie ist ihnen näher als das Geburts­fest Jesu Chri­sti selbst, viel­leicht, weil es ihrer Wahr­heit näher kommt?
    Der auf­ge­klär­te Mensch, beherrscht vom Mate­ria­lis­mus in der Maschi­nen­welt und von Ver­herr­li­chung von Natur, die so nur eine Ideo­lo­gie ist , exi­stiert in gro­ßer Angst und Ver­zweif­lung, die sich nicht durch end­los­re­den und stuhl­krei­sen auf­lö­sen lässt.
    Wir müs­sen neu erfah­ren, dass wir war­ten kön­nen und uns vor­freu­en dür­fen, dass wir Unsi­cher­heit aus­hal­ten kön­nen und dass wir uns nicht das eigent­li­che Fest durch vor­zei­ti­gen Ver­zehr und unrech­ten Genuss ver­der­ben. Ler­nen wir die Weis­heit der alten Kir­che wie­der­ent­decken, in den viel­ge­lieb­ten Geschich­ten der Hei­li­gen, in den Apo­kry­phen und im Kanon der Hei­li­gen Schrift und im Fei­ern der Hei­li­gen Mes­se, wo man viel­leicht gar nichts ver­steht, aber sehr viel Ahnung bekommt von der Span­nung zwi­schen wah­rem Men­schen und rea­lem Men­schen und einer zukünf­ti­gen guten Ehe.

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