
Von Don Michael Gurtner*
Frage: Weil es gerade angedeutet wurde: Was hat der Umgang der Kirche in und mit der Corona-Krise bezüglich der Situation Ihres Glaubens gezeigt?
Antwort: Kurz gesagt: Es hat sich offen gezeigt, wie sehr jene recht hatten und haben, die schon seit Jahrzehnten vor einem innerkirchlichen Glaubensabfall zuerst warnten bzw. diesen dann schließlich auch diagnostizierten. Und es hat sich gezeigt, wie weit dieser Prozeß mittlerweile schon vorangeschritten ist. Die offiziell in unseren Breiten wahrgenommene Kirche, so zeigte sich, ist völlig entkernt und nur mehr eine äußere Hülle, der ihre Identität und ihr Selbstverständnis abhandengekommen ist. Gerade dorten, wo am meisten von einer „lebendigen Kirche“ gesprochen wird, hat sie sich als mausetot erwiesen. Dafür gibt es konkrete Beweise. Zum einen sieht sich die Kirche selbst offenkundig nicht mehr als systemrelevant an, und schon gar nicht als heilsrelevant. Wo staatliche Restriktionen verhängt wurden, fehlte bis auf ganz wenige Ausnahmen, etwa durch das altrituelle Institut St. Philipp Neri in Berlin, jeglicher Widerspruch. Die Kirche unterstellte sich von sich aus dem Staat. Und sogar dort, wo die staatlichen Behörden die Sakramentenspendung zugelassen haben, hat die Kirche diese selbst ausgesetzt, so wie es beispielsweise durch die österreichischen Bischöfe geschah. Offenkundig ist der Zugang zum heiligen Meßopfer und zu den anderen Sakramenten nicht erstrangig, sie gehören nicht zur geistlichen Grundversorgung. Damit verkommt der Meßbesuch in der öffentlichen Wahrnehmung jedoch zu einer Freizeitaktivität, die man bei entsprechenden Umständen besuchen kann, die jedoch auch ausgesetzt werden kann. Die Messe reiht sich somit irgendwo zwischen Kino und Kaffeehaus ein. Unabhängig von der Frage, wie schwer COVID-19 tatsächlich war, und unabhängig davon, ob generell die staatlichen Maßnahmen gerechtfertigt waren: Aber gerade in Zeiten, die man als besonders bedrohlich ansieht, erst recht wenn eine tatsächliche oder fälschlich angenommene Bedrohung globale Ausmaße hat, würde man sich von der Kirche doch erwarten, daß sie ihr Leben in Sakramenten und Sakramentalien verstärkt und intensiviert. Aber die Leute eiskalt auf ein privates Gebet zu vertrösten, oder auf „Messen am Fernseher“, das geht gar nicht. Dann ist es auch irgendwo nachvollziehbar, wenn sich manche Leute sagen: „So wichtig kann das alles dann doch nicht sein“, und dauerhaft der Kirche fernbleiben. Ganz offensichtlich glaubt die Kirche selbst nicht mehr an das, was sie predigt. Ähnlich das Verbot der Mundkommunion (die übrigens sehr viel hygienischer ist als die Handkommunion): Daß die Kirche die eigentliche bzw. einzig korrekte Form des Kommunionempfangs verbietet, so als ob die Handkommunion gleichermaßen richtig wäre, zeigt, wie sehr sie sich auch in ihrem Denken und in ihren Einstellungen geändert hat. Die Kirche ist in ihrem Gesamt geistlich verwahrlost. Oder ein ganz besonders schlimmes Beispiel: Wenn die Bischöfe schon meinen, die Priester müßten sich vor der Kommunionausteilung die Hände desinfizieren, dann ist das eine Sache. Aber anstatt die Priester anzuweisen, ihre Fingerspitzen – die ja den Leib Christi bereits berührt haben und deshalb eventuell mit konsekrierten Partikeln behaftet sind – zuerst über dem Kelch mit Wasser zu reinigen, und sich (wenn schon) danach erst die Hände zu desinfizieren, war die Anweisung, sich direkt zu desinfizieren: und damit die Partikel des Leibes Christi sozusagen wegzuwaschen. Es ist vollkommen klar, daß dabei Abertausende von Partikeln des Leibes Christi einfach mit Handgel „weggerieben“ wurden und verloren gingen! In manchen Bistümern waren sogar Gummihandschuhe bei der Kommunionspendung vorgeschrieben! Aber welcher Glaube an die katholische Eucharistielehre steht da noch dahinter? Sind das auch Früchte der Liturgiereform und des so hochgepriesenen Zweiten Vaticanum? Ich würde es schon meinen. Irgendwo zeigt das Verhalten der Kirche im Lockdown eben doch, daß sie von ihrem eigenen Glauben nicht mehr überzeugt ist. Aber eine solche Kirche kann andere folglich auch nicht mehr vom Wahrsein der katholischen Lehre überzeugen. Das ist eine ganz natürliche Folgeerscheinung. Die Frage ist nur: Möchte die Kirche überhaupt noch an ihrer bisherigen Lehre festhalten, und zwar vollumfänglich? Hier wird mir manchmal bang, denn dieselbe Frage drängt sich auch aus anderen Gründen auf, etwa wenn wir an die liturgischen Belange denken. Ganz zentral ist auch hier wieder die Frage nach dem eucharistischen Glauben: Ist die Heilige Messe wirklich das Kreuzesopfer, von dem auch Früchte und Gnaden ausströmen? Dann ist es absolut unverzichtbar. Oder ist es bloß ein gemeinschaftliches Gedächtnis mit Mahlcharakter? Dann kann man es auch einmal aussetzen. Und da man sie einfach so ausgesetzt hat, scheint mir dies doch auch ein Hinweis auf ein ungesund verändertes Meß- und Kirchenverständnis zu sein, wie es auch aus der Liturgiereform ablesbar ist. Die warnenden Stimmen von einst werden durch das faktische Verhalten der Kirche in der Gegenwart bestätigt und sogar noch übertroffen. Das, was einst der innerste Zentralkern der Kirche war, von dem her sie sich definierte, ist nun zum verhandelbaren Angebot verkommen. Das ist eine schwerwiegende Degenerationserscheinung, die nicht folgenlos sein wird.
*Mag. Don Michael Gurtner ist ein aus Österreich stammender Diözesanpriester, der in der Zeit des öffentlichen Meßverbots diesem widerstanden und sich große Verdienste um den Zugang der Gläubigen zu den Sakramenten erworben hat. Die aktuelle Kolumne erscheint jeden Samstag.
Das Buch zur Reihe: Don Michael Gurtner: Zur Lage der Kirche, Selbstverlag, 2023, 216 Seiten.
Bisher erschienen:
- Zur Lage der Kirche – eine neue Kolumne
- Zur Lage der Kirche – Frage 1
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