Verbreiteten Kurienkardinäle „Desinformation“ über die Piusbruderschaft?

Wie Erzbischof Lefebvre behandelt wurde und warum die Behandlung des Opus Dei Erinnerungen daran weckt


Erzbischof Marcel Lefebvre als junger Bischof. Ein neues Buch, der Versuch einer Verteidigung, enthält das spannende Vorwort des Priesters Charles T. Murr.
Erzbischof Marcel Lefebvre als junger Bischof. Ein neues Buch, der Versuch einer Verteidigung, enthält das spannende Vorwort des Priesters Charles T. Murr.

„Ja“, sagt der Prie­ster und Frei­mau­rer-Exper­te Charles T. Murr1, ein enger Freund von Mut­ter Pas­ca­li­na Leh­nert, der per­sön­li­chen Assi­sten­tin von Papst Pius XII., und von Kar­di­nal Édouard Joseph Gagnon, in sei­nem Vor­wort zum neu­en Buch des US-ame­ri­ka­ni­schen Jour­na­li­sten Ken­ne­dy Hall von Life­Si­te. Des­sen Buch „SSPX: The Defence“ („Die Pius­bru­der­schaft: Eine Ver­tei­di­gung“) ist vor weni­gen Tagen erschie­nen. Unse­re geschätz­te Kol­le­gin Mai­ke Hick­son stell­te Murrs Bei­trag am Tag der Buch­ver­öf­fent­li­chung bei Life­Si­te vor. Hier ihr Text, samt dem von Ken­ne­dy Hall zur Ver­fü­gung gestell­ten Vor­wort, auf deutsch.

Priester und Freimaurer-Experte sagt: Vatikan-Kardinäle verbreiten „Desinformation“ über die Piusbruderschaft

Anzei­ge

Von Mai­ke Hickson

Murr unter­stützt mit sei­nem Vor­wort das Buch „SSPX: The Defence“ von Ken­ne­dy Hall, das ein Ver­such ist, die Arbeit der tra­di­tio­na­li­sti­schen Prie­ster­bru­der­schaft St. Pius X. zu ver­tei­di­gen, und beschreibt, wie zwei moder­ni­sti­sche Kuri­en­kar­di­nä­le in Rom alles taten, um Erz­bi­schof Mar­cel Lefeb­v­re zu bekämp­fen: die Kar­di­nä­le Jean-Marie Vil­lot (Staats­se­kre­tär von Papst Paul VI.) und Gabri­el-Marie Gar­ro­ne (Prä­fekt der Kon­gre­ga­ti­on für das Katho­li­sche Bil­dungs­we­sen).

Murr erklärt ihren Ein­fluß wie folgt:

Das Buch: „Pius­bru­der­schaft. Eine Verteidigung“

„Die bei­den Fran­zo­sen schie­nen die ’neue Ord­nung‘ der aktu­el­len und zukünf­ti­gen Din­ge zu ver­kör­pern. Sie waren zwei­fel­los die Ver­kör­pe­rung der moder­nen kirch­li­chen Macht und zeig­ten ihren Unter­ge­be­nen die kor­rek­te Rich­tung, in die man gehen, die kor­rek­te Hal­tung, die man ein­neh­men, und die kor­rek­ten Optio­nen, die man haben sollte.“

Murr zufol­ge haben die­se Kar­di­nä­le die „poli­ti­sche Kor­rekt­heit“ in der Kir­che ein­ge­führt, lan­ge bevor die­ser Begriff ver­wen­det wurde.

Murr ist der Autor des Buches „Mur­der in the 33rd Degree: the Gagnon Inve­sti­ga­ti­on into Vati­can Free­ma­son­ry“ („Mord im 33. Grad: die Gagnon-Unter­su­chung über die Frei­mau­re­rei im Vati­kan“) und war mehr­mals in der John-Hen­ry Westen Show (Life­Si­te) zu Gast.

Der Prie­ster ver­an­schau­licht in sei­ner Erin­ne­rung an die Ereig­nis­se rund um den Fall Lefeb­v­re, daß es im Vati­kan Kräf­te gab, die gegen jede fried­li­che und frucht­ba­re Lösung für die Pius­bru­der­schaft arbei­te­ten, die für den Erhalt der über­lie­fer­ten Mes­se und Sakra­men­te sowie der tra­di­tio­nel­len Leh­ren der Kir­che kämpfte.

So besuch­te Murrs enger Freund Kar­di­nal Gagnon 1987 offi­zi­ell das Prie­ster­se­mi­nar der Pius­bru­der­schaft in Écô­ne und lob­te anschlie­ßend des­sen Arbeit in einem offi­zi­el­len Bericht an Papst Johan­nes Paul II. Murr erin­nert dar­an, daß Gagnon schrieb, der Lehr­plan des Semi­nars gehö­re „zu den besten Phi­lo­so­phie- und Theo­lo­gie­stu­di­en­gän­gen, die ich je gese­hen habe … und den­ken Sie dar­an: Ich war jah­re­lang Regens des Semi­nars.“ Und weiter:

„Das System, das sie haben, ver­dient es, in jedem Semi­nar der Welt nach­ge­bil­det zu wer­den. Es ist vorbildlich.“

Murr kom­men­tiert die Wor­te von Gagnon wie folgt:

„Offen gesagt, fand ich die Mei­nung des Kar­di­nals über Erz­bi­schof Mar­cel Lefeb­v­re, den Mann selbst, über­ra­schend. ‚Er [Lefeb­v­re] traut dem Vati­kan nicht. Und wer kann ihm das ver­den­ken? Wür­den Sie das? Jah­re­lang hat er ver­sucht, mit Vil­lot und Gar­ro­ne zu ver­han­deln. Und jah­re­lang haben sie nichts ande­res getan, als sei­ne Bemü­hun­gen zu blockie­ren, direkt mit dem Hei­li­gen Vater zu spre­chen und zu argu­men­tie­ren. Du wür­dest auch dem Vati­kan mißtrauen.‘“

Es ist zu hof­fen, daß Murrs frei­mü­ti­ges Vor­wort zu einer gerech­te­ren Beur­tei­lung der Geschich­te der Pius­bru­der­schaft und ihres Grün­ders, Erz­bi­schof Lefeb­v­re, bei­trägt. Es wird den Lesern sicher­lich auch mehr Ein­blick in die Fra­ge der Unter­wan­de­rung der katho­li­schen Kir­che durch Moder­ni­sten geben, die seit Jahr­zehn­ten die gro­ße Mis­si­on und den Auf­trag der Kir­che untergraben.

Das Vorwort von Fr. Charles T. Murr

In „SSPX: The Defence“ über­nimmt mein Freund Ken­ne­dy Hall eine noble, wenn auch schwie­ri­ge Auf­ga­be. Er wagt es, die vie­len Fra­gen zu Erz­bi­schof Mar­cel Lefeb­v­re und der Prie­ster­bru­der­schaft St. Pius X. zu beant­wor­ten. Erstaun­li­cher­wei­se gibt es heu­te dazu weit mehr Anfra­gen als je zuvor – was mei­ner Mei­nung nach in hohem Maße und iro­ni­scher­wei­se auf die feind­se­li­gen Angrif­fe von Papst Fran­zis­kus auf die über­lie­fer­te latei­ni­sche Mes­se zurück­zu­füh­ren ist.

Nun, die vie­len Fra­gen, die gestellt wer­den (eini­ge in Form von spit­zer Kri­tik), lau­fen eigent­lich auf zwei hin­aus: Was waren die aus­drück­li­chen Absich­ten von Erz­bi­schof Lefeb­v­re, als er die Pius­bru­der­schaft grün­de­te, und wie ist der tat­säch­li­che Zustand und die juri­sti­sche [kano­ni­sche] Stel­lung der Piusbruderschaft?

Kar­di­nal­staats­se­kre­tär Jean-Marie Villot

„Des­in­for­ma­ti­on“, trans­li­te­riert aus dem rus­si­schen Dezin­for­mat­si­ya, wird von sei­nen mar­xi­sti­schen Schöp­fern und Ent­wick­lern als Ver­brei­tung (in der Pres­se, im Radio usw.) von Falsch­mel­dun­gen defi­niert, die die öffent­li­che Mei­nung in die Irre füh­ren sol­len. Das Wort ist inzwi­schen fester Bestand­teil unse­res eige­nen Sprach­ge­brauchs gewor­den, wobei sei­ne ursprüng­li­che Schär­fe jedoch ziem­lich abge­schwächt wur­de. Des­in­for­ma­ti­on ist jetzt ein Sam­mel­be­griff für jede Nach­richt, die von den „Woken“ unter uns als unan­ge­nehm emp­fun­den wird. (In ähn­li­cher Wei­se bedeu­tet der selt­sa­me Cou­sin ersten Gra­des der Des­in­for­ma­ti­on, „Haß­re­de“, eigent­lich alles, was einem Libe­ra­len nicht beson­ders gefällt.) Nichts­de­sto­trotz erin­nern sich vie­le von uns, die vor der Kul­tur­re­vol­te von 1968 gelebt und gedacht haben, an das erste Mal, als wir die­sen oxy­mo­risch klin­gen­den Aus­druck hörten.

Ich erin­ne­re mich, daß ich den Begriff „Des­in­for­ma­ti­on“ zum ersten Mal in einer Pre­digt eines litaui­schen Prie­sters hör­te, der Details aus dem Schau­pro­zeß gegen Józ­sef Kar­di­nal Minds­zen­ty im Jahr 1947 erzähl­te. Das war in den frü­hen 1960er Jah­ren. Ich war 11 oder 12 Jah­re alt. Es war auf dem Höhe­punkt des „Kal­ten Krie­ges“, jener mas­si­ven Front­bil­dung zwi­schen der west­li­chen Zivi­li­sa­ti­on und dem Sowjet­kom­mu­nis­mus, die mit dem Ende des Zwei­ten Welt­kriegs [1945] begann und mit der Auf­lö­sung der Sowjet­uni­on [1991] endete.

Was hat also eine Dis­kus­si­on über „Des­in­for­ma­ti­on“ in einem Buch über Erz­bi­schof Mar­cel Lefeb­v­re und die Pius­bru­der­schaft zu suchen, wenn auch nur kurz? Nun, ein­fach alles, das ist es!

Die Lüge, oder, wenn man so will, die „Kunst“, eine Unwahr­heit zu ver­brei­ten, ist der Modus ope­ran­di der Kri­ti­ker der Pius­bru­der­schaft von den Anfän­gen die­ser Prie­ster­bru­der­schaft bis zum heu­ti­gen Tag (wie der Leser die­ses Buches bald selbst fest­stel­len wird). Die Ver­un­glimp­fung des Erz­bi­schofs und sei­ner Anhän­ger war ein stän­di­ger „Dienst“ zwei­er sehr pro­mi­nen­ter und mäch­ti­ger Prä­la­ten des Vati­kans in den 1960er und 70er Jah­ren: der Kar­di­nä­le Jean-Marie Vil­lot (Staats­se­kre­tär des Hei­li­gen Stuhls) und Gabri­el-Marie Gar­ro­ne (Prä­fekt der Kon­gre­ga­ti­on für das Katho­li­sche Bil­dungs­we­sen des Hei­li­gen Stuhls). Die bei­den Fran­zo­sen schie­nen die „neue Ord­nung“ der aktu­el­len und zukünf­ti­gen Din­ge zu ver­kör­pern. Sie waren zwei­fels­oh­ne die Ver­kör­pe­rung der moder­nen kirch­li­chen Macht und zeig­ten ihren Unter­ge­be­nen, in wel­che kor­rek­te Rich­tung sie gehen, wel­che kor­rek­te Hal­tung sie ein­neh­men und wel­che kor­rek­ten Optio­nen sie haben sollten.

Diplo­ma­tisch gespro­chen waren Vil­lot und Gar­ro­ne die poli­ti­sche Kor­rekt­heit selbst, lan­ge bevor die­ser Begriff exi­stier­te und all­ge­mei­ne Ver­wen­dung fand. Sie wider­setz­ten sich ihrem Mit­bru­der im Bischofs­amt und Lands­mann bis zu ihrem Tod. Mit tat­kräf­ti­ger Unter­stüt­zung von Anni­ba­le Bug­nini und sei­nen neue­sten lit­ur­gi­schen Krea­tio­nen, die den Hori­zont der Nou­vel­le théo­lo­gie erwei­tern soll­ten, tru­gen Vil­lot und Gar­ro­ne dazu bei, einen wah­ren cou­pe-d’ég­li­se (Kir­chen­putsch) her­bei­zu­füh­ren, des­sen Aus­wir­kun­gen noch heu­te zu spü­ren sind.

Woher weiß ich sol­che Din­ge? Und vor allem, wer bin ich, daß ich sie sagen kann? Seit 73 Jah­ren hat Gott es in sei­ner Groß­her­zig­keit und Barm­her­zig­keit für ange­bracht gehal­ten, mir das fas­zi­nie­rend­ste, alles ande­re als lang­wei­li­ge Leben zu schen­ken. Vie­le Male hat er mich an die erstaun­lich­sten Orte ver­pflanzt, ent­wur­zelt und wie­der ein­ge­pflanzt und mich dabei immer mit den unter­schied­lich­sten Cha­rak­te­ren umge­ben: von wah­ren Freun­den und fal­schen Fein­den bis hin zu fal­schen Freun­den und wah­ren Fein­den und natür­lich der all­ge­gen­wär­ti­gen Fül­le von Zwischendingern.

Aber von allen Jahr­zehn­ten, die ich auf Erden ver­bracht habe, war das Jahr­zehnt mei­ner Zwan­zi­ger das glor­reich­ste. Von 1971 bis 1980 leb­te ich in Rom. In den letz­ten fünf Jah­ren arbei­te­te ich neben mei­nem Dok­to­rats­stu­di­um im Pres­se­amt des Vati­kans. Im Jahr 1974 schloß ich Freund­schaft mit zwei bemer­kens­wer­ten Her­ren, die mein Leben prä­gen soll­ten. Der aus Raven­na stam­men­de Mon­si­gno­re Mario Mari­ni war Minutant im Staats­se­kre­ta­ri­at des Vati­kans [spä­ter wur­de er Sekre­tär der Kon­gre­ga­ti­on für den Got­tes­dienst und die Sakra­men­ten­ord­nung sowie Sekre­tär der Päpst­li­chen Kom­mis­si­on Eccle­sia Dei]. Mari­ni mach­te mich bald mit dem fran­ko­ka­na­di­schen Erz­bi­schof Édouard Joseph Gagnon bekannt, dem Vor­sit­zen­den des Päpst­li­chen Rates für die Fami­lie. [Gagnon wur­de spä­ter zum Kar­di­nal erho­ben und 1987 von Papst Johan­nes Paul II. zu einem Tref­fen mit Erz­bi­schof Mar­cel Lefeb­v­re nach Écô­ne geschickt.] Im Jahr 1977 nah­men wir drei, Mari­ni, Gagnon und ich, unse­ren Wohn­sitz in der liba­ne­si­schen Resi­denz in Rom in der Nähe des Gia­ni­co­lo-Hügels. Ich blieb die­sen bei­den gro­ßen Män­nern ver­bun­den, bis Gott sie zu sich rief: Kar­di­nal Gagnon im Jahr 2007, Mon­si­gno­re Mari­ni im Jahr 2009.

Ich habe mei­nen Freund Mario Mari­ni sel­ten wütend gese­hen, aber ein Ereig­nis, das mir beson­ders in Erin­ne­rung geblie­ben ist, war mei­ne Pri­miz in der Patri­ar­chal­ba­si­li­ka San­ta Maria Mag­gio­re. Ich soll­te mei­ne erste Mes­se in der Borg­he­se-Kapel­le an dem Altar zele­brie­ren, an dem auch Euge­nio Pacel­li sei­ne Pri­miz gefei­ert hat­te. Mut­ter Pas­ca­li­na bot an, mir das wei­ße Meß­buch von Papst Pius XII. zu lei­hen, das ich für den römi­schen Kanon ver­wen­den konn­te. Bis der Rek­tor des Mexi­ka­ni­schen Kol­legs (mein recht­mä­ßi­ger Vor­ge­setz­ter zu die­ser Zeit) pro­te­stier­te. Er woll­te nicht an einer „lefeb­vria­nisch-häre­ti­schen“ Zere­mo­nie teil­neh­men! Der klei­ne Dumm­kopf behaup­te­te, daß die Ver­wen­dung die­ses kost­ba­ren Meß­buchs mei­ne erste Mes­se ungül­tig machen könn­te. Mari­ni war wütend:

„Wer hät­te sich in sei­nen kühn­sten Alb­träu­men vor­stel­len kön­nen, daß das Meß­buch von Pius XII. als häre­tisch gebrand­markt wer­den wür­de! Das ist der rei­ne Wahnsinn!“

Durch Gagnon und Mari­ni erfuhr ich eini­ges über die Des­in­for­ma­ti­on, die von Leu­ten wie Jean-Marie Kar­di­nal Vil­lot und Gabri­el-Marie Kar­di­nal Gar­ro­ne über Erz­bi­schof Lefeb­v­re ver­brei­tet wur­de. Bei­de Fran­zo­sen, vor allem aber Vil­lot, fan­den das Ohr des fran­ko­phi­len Pap­stes Paul VI. und übten gro­ßen Druck auf den fran­zö­si­schen Epi­sko­pat aus. Eben­so beun­ru­hi­gend war die Tat­sa­che, daß Vil­lot mit einem ande­ren „gleich­ge­sinn­ten“ Prä­la­ten des Vati­kans, Seba­stia­no Kar­di­nal Bag­gio, Prä­fekt der Bischofs­kon­gre­ga­ti­on, auf Du und Du war. Bag­gio sorg­te dafür, daß jeder Kan­di­dat für ein fran­zö­si­sches Bischofs­amt modern(istisch) dach­te, der die Unter­stüt­zung Vil­lots genoß. Es dau­er­te eini­ge Jah­re, bis der fran­zö­si­sche Katho­li­zis­mus dekon­stru­iert war, aber schließ­lich war jeder akti­ve Bischof in Frank­reich ein „frei­den­ke­ri­scher“ Pro­gres­si­ver, der Lefeb­v­re und die Pius­bru­der­schaft als reli­giö­se und sozia­le Reak­tio­nä­re betrach­te­te, die mit der Zeit – hof­fent­lich sehr bald – ein­fach ver­blas­sen und aus­ster­ben würden.

Wäh­rend Staats­se­kre­tär Vil­lot dafür sorg­te, daß sich jede vati­ka­ni­sche Kon­gre­ga­ti­on, jedes Dik­aste­ri­um, jeder Rat und jedes Komi­tee mit der „Öku­me­ne“ befaß­te und mit jeder nicht­ka­tho­li­schen Ein­rich­tung, die für den neu­en Geist des Zwei­ten Vati­ca­num offen sein könn­te, „im Dia­log“ stand, unter­nahm er nichts, um einen Dia­log zwi­schen dem Vati­kan und Écô­ne zu för­dern. Im Gegen­teil, er war dage­gen. Nach Aus­sa­ge des Minutan­ten am Staats­se­kre­ta­ri­at Mario Mari­ni und des Per­so­nal­chefs des Staats­se­kre­ta­ri­ats Gugliel­mo Zan­no­ni zog nichts den Zorn von Kar­di­nal Jean-Marie Vil­lot schnel­ler und deut­li­cher auf sich, als daß jemand Erz­bi­schof Lefeb­v­re zur Spra­che brach­te. Bis zu sei­nem Tod im Jahr 1979 schien der fran­zö­si­sche Staats­se­kre­tär damit zufrie­den zu sein, daß Erz­bi­schof Lefeb­v­re von den fran­zö­si­schen Bischö­fen geäch­tet und a divi­nis sus­pen­diert wor­den war. Für Vil­lot war „L’af­fai­re Lefeb­v­re“ erle­digt, eine Sor­ge weni­ger – und damit, com­me on dit, war die Sache abgeschlossen.

Nach­dem Vil­lot in sei­ne ewi­ge Beloh­nung gegan­gen war, war sein lang­jäh­ri­ger Unter­ge­be­ner Erz­bi­schof Ago­sti­no Casaro­li eif­rig dabei, sei­ne lee­ren Schu­he zu fül­len. Nach Jah­ren des Schwei­gens, des Akten­schie­bens und des Ent­lee­rens von Ziga­ret­ten­stum­meln Mar­ke Gau­loi­ses aus stin­ken­den Aschen­be­chern brann­te Casaro­li dar­auf, sei­ne Mei­nung zu sagen und sei­ne eige­ne Inter­pre­ta­ti­on der Ost­po­li­tik vor­an­zu­trei­ben und dem Mythos des Dia­logs mit der Sowjet­uni­on und ihren Satel­li­ten­staa­ten einen ech­ten Impuls zu ver­lei­hen. Und jetzt, mit dem neu­en pol­ni­schen Papst im Rücken, schien kein Berg zu hoch zu sein, den der klei­ne Beam­te nicht bezwin­gen konn­te. All das soll hei­ßen: Casaro­li war genau­so wenig gewillt, die Sache mit den „Lefeb­v­ri­sti“ einer Lösung zuzu­füh­ren wie sein frü­he­rer Vor­ge­setz­ter. Das heißt: Er war es ganz und gar nicht.

Doch der neue Pon­ti­fex, Papst Johan­nes Paul II., woll­te mit Erz­bi­schof Lefeb­v­re zu einer Aus­söh­nung kom­men. Er woll­te eine Ver­söh­nung. Abge­se­hen von der offen­sicht­li­chen Hoff­nung, die Ein­heit der Chri­sten zu erhal­ten (oder wie­der­her­zu­stel­len), wuchs kei­ne ande­re katho­li­sche Gemein­schaft so stark und schnell wie die Pius­bru­der­schaft. Mei­ner beschei­de­nen Mei­nung nach hät­te nie­mand in der Kir­che und zu jener Zeit Papst Johan­nes Paul II. mehr dabei hel­fen kön­nen, die­ses und vie­le ande­re edle Zie­le, die er zu ver­wirk­li­chen hoff­te, zu errei­chen, als Gio­van­ni Kar­di­nal Benel­li. Und nie­mand wuß­te dies bes­ser als Papst Johan­nes Paul II. und natür­lich Gio­van­ni Benel­li selbst. Doch weni­ger als zwei Wochen, nach­dem er die Bit­te des Pap­stes ange­nom­men hat­te, Flo­renz zu ver­las­sen und als Staats­se­kre­tär in den Vati­kan zurück­zu­keh­ren, erlitt Gio­van­ni Kar­di­nal Benel­li im Alter von ein­und­sech­zig Jah­ren und bei schein­bar guter Gesund­heit einen töd­li­chen Herz­in­farkt und starb am 26. Okto­ber 1982 in Flo­renz. Ago­sti­no Kar­di­nal Casaro­li, der amtie­ren­de Staats­se­kre­tär, über­brach­te die trau­ri­ge Nach­richt an Papst Johan­nes Paul. Eini­ge Tage spä­ter bestä­tig­te der Papst ihn als Staatssekretär.

Anfang Novem­ber 1987 erhielt ich einen Brief mit Son­der­zu­stel­lung. Ich wuß­te sofort, daß er aus dem Vati­kan stamm­te, denn ein Post­be­am­ter hat­te die rech­te obe­re Ecke des Umschlags für sei­ne Brief­mar­ken­samm­lung abge­ris­sen. Eine in Mexi­ko übli­che Pra­xis. In dem hand­ge­schrie­be­nen Schrei­ben von Kar­di­nal Édouard Gagnon stand an erster Stel­le eine beson­de­re Gebets­bit­te. Er schrieb, er und Joseph Kar­di­nal Ratz­in­ger hät­ten sich mehr­mals mit dem Hei­li­gen Vater getrof­fen. The­ma des Gesprächs: die kir­chen­recht­lich pre­kä­re Situa­ti­on von Erz­bi­schof Mar­cel Lefeb­v­re und der Pius­bru­der­schaft. Dar­auf­hin beauf­trag­te Papst Johan­nes Paul II. Kar­di­nal Gagnon in die Schweiz zu rei­sen, mit Erz­bi­schof Lefeb­v­re zu spre­chen und die Prie­ster­bru­der­schaft, ins­be­son­de­re ihr Prie­ster­se­mi­nar, zu untersuchen.

Wie Kar­di­nal Gagnon mir spä­ter in New York erklär­te, kam er am 11. Novem­ber [1987] in Écô­ne an und blieb dort bis zum 9. Dezem­ber. Obwohl es ihm nicht gelun­gen war, Lefeb­v­re davon zu über­zeu­gen, den Vor­schlag des Hei­li­gen Stuhls zu akzep­tie­ren – d. h. in erster Linie, daß Lefeb­v­re nur einen neu­en Bischof weiht, um das Über­le­ben der Prie­ster­bru­der­schaft zu sichern, und nicht vier –, betrach­te­te er [Gagnon] die Mis­si­on nicht als völ­li­gen Miß­er­folg. In sei­nem offi­zi­el­len Bericht an Papst Johan­nes Paul II. lob­te er die Prie­ster­bru­der­schaft und ins­be­son­de­re das Prie­ster­se­mi­nar von Écô­ne: „Es gehört zu den besten Phi­lo­so­phie- und Theo­lo­gie­stu­di­en­gän­gen, die ich je gese­hen habe … und den­ken Sie dar­an: Ich war jah­re­lang Regens eines Prie­ster­se­mi­nars.“ Er ging sogar noch wei­ter mit sei­ner Ein­schät­zung des Prie­ster­se­mi­nars der Pius­bru­der­schaft: „Das System, das sie haben, ver­dient es, in jedem Prie­ster­se­mi­nar der Welt nach­ge­bil­det zu wer­den. Es ist vor­bild­lich.

Offen gesagt, fand ich die Mei­nung des Kar­di­nals über Erz­bi­schof Mar­cel Lefeb­v­re, den Mann selbst, über­ra­schend. „Er [Lefeb­v­re] traut dem Vati­kan nicht. Und wer kann ihm das ver­den­ken? Wür­den Sie das? Jah­re­lang hat er ver­sucht, mit Vil­lot und Gar­ro­ne zu ver­han­deln. Und jah­re­lang haben sie nichts ande­res getan, als sei­ne Bemü­hun­gen zu blockie­ren, direkt mit dem Hei­li­gen Vater zu spre­chen und zu argu­men­tie­ren. Du wür­dest dem Vati­kan auch miß­trau­en. Nein, ich kann zwar nicht gut­hei­ßen, was er getan hat [vier Bischö­fe zu wei­hen statt einem], aber ich kann ver­ste­hen, war­um er es getan hat. Sie [der Hei­li­ge Stuhl] erlau­ben ihm, einen Bischof zu wei­hen. Einen Bischof. Er [Lefeb­v­re] stirbt. Irgend­wann stirbt auch sein ein­zi­ger Bischof. Der Vati­kan schickt der Pius­bru­der­schaft dann einen moder­ni­sti­schen Ersatz – und schon ist alles vor­bei!

Komisch, wie eine Erin­ne­rung eine ande­re aus­lö­sen kann. Im Jahr 2022 begann Papst Berg­o­glio damit, den bemer­kens­wer­ten Ein­fluß und die recht­li­che Stel­lung des Opus Dei zu beschnei­den. Die Per­so­nal­prä­la­tur von 1982, die mit Papst Johan­nes Paul II. ver­ein­bart wor­den war und nun unter dem wach­sa­men Auge des Argen­ti­ni­ers steht, wur­de all­mäh­lich „ver­än­dert“. Als erstes wur­de der Per­so­nal­prä­lat der Per­so­nal­prä­la­tur abge­schafft. Das Opus Dei ist nun bischofs­los. Außer­dem unter­steht es nicht mehr der Bischofs­kon­gre­ga­ti­on, son­dern wird nun stän­dig von der Kle­rus­kon­gre­ga­ti­on über­wacht. Das Dik­tat des Argen­ti­ni­ers an das Opus Dei lau­tet: kei­ne Bischö­fe oder so irgend­et­was wie bischöf­li­che Rech­te für euch.

Kaum hat­te ich davon erfah­ren, hör­te ich wie­der die­sen unnach­ahm­li­chen fran­ko­ka­na­di­schen Akzent in mein Ohr flü­stern: „Lefeb­v­re traut dem Vati­kan nicht. Und wer kann ihm das ver­den­ken? Wür­den Sie das tun?

In die­sem Buch „SSPX: The­De­fence“ („Die Pius­bru­der­schaft. Eine Ver­tei­di­gung“) beant­wor­tet Ken­ne­dy Hall eini­ge der Beden­ken, die eini­ge Katho­li­ken in bezug auf Erz­bi­schof Mar­cel Lefeb­v­re und die Pius­bru­der­schaft noch haben mögen. Was mich betrifft, dach­te ich, eini­ge dunk­le Ahnun­gen bei­zu­steu­ern, die sich dar­aus erge­ben, wie Erz­bi­schof Mar­cel Lefeb­v­re und die Pius­bru­der­schaft im ver­gan­ge­nen hal­ben Jahr­hun­dert vom moder­ni­sti­schen Rom und einer Rei­he eng­stir­ni­ger „Pro­gres­si­sten“ behan­delt wurden.

Father Charles T. Murr

Einleitung/​Übersetzung/​Fußnote: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: LifeSite/​Wikicommons


1 Charles T. Murr aus St. Paul in Min­ne­so­ta, der 1977 zum Prie­ster der Erz­diö­ze­se New York geweiht wur­de, hat­te am Ange­li­cum (Päpst­li­che Uni­ver­si­tät hei­li­ger Tho­mas von Aquin) und an der Päpst­li­chen Uni­ver­si­tät Gre­go­ria­na in Rom stu­diert, aber auch an der Uni­ver­si­tät Salz­burg, um sich in Psy­cho­lo­gie zu ver­tie­fen und die deut­sche Spra­che zu erler­nen. In Rom arbei­te­te er zunächst für Kar­di­nal Peri­c­le Feli­ci, anschlie­ßend ab 1974 für Kar­di­nal Édouard Gagnon. 1979 wur­de Murr vom Erz­bi­schof von Gua­d­a­la­ja­ra nach Mexi­ko geru­fen, wo er am Prie­ster­se­mi­nar unter­rich­te­te. Da er die Not vor Ort sah, grün­de­te er dort ein Wai­sen­haus. Um die­ses Lie­bes­werk finan­zie­ren zu kön­nen, arbei­te­te er zwei Som­mer lang an der Wall Street. 1993 wur­de er im Erz­bis­tum New York inkar­di­niert, wo er bis 2004 in Man­hat­tan in der Pfarr­seel­sor­ge tätig war, unter ande­rem an der deut­schen Natio­nal­kir­che. Seit­her grün­de­te er meh­re­re Initia­ti­ven, unter ande­rem 2013 die Stif­tung Veri­tas, die sich seit­her mit ver­schie­de­nen inve­sti­ga­ti­ven Aktio­nen und zur Unter­stüt­zung von Opfern von Unge­rech­tig­keit einen Namen mach­te.

Kar­di­nal Peri­c­le Feli­ci (1911–1982) war es, der als Pro­to­dia­kon 1978 der Welt die Wahl von Papst Johan­nes Paul I. ver­kün­de­te. Als Prä­fekt des Ober­sten Gerichts­hofs der Apo­sto­li­schen Signa­tur war er der ober­ste Rich­ter der Kir­che (nach dem Papst) und einer der weni­gen Kar­di­nä­le, die auch nach der Lit­ur­gie­re­form im über­lie­fer­ten Ritus zele­brier­ten. Er starb erst 70jährig im Amt.

Der fran­ko­ka­na­di­sche Sul­pi­zia­ner Édouard Gagnon (1918–2007) war wäh­rend der bei­den letz­ten Sit­zungs­ses­sio­nen des Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zils als Peri­tus nach Rom beru­fen wor­den. Dort blieb er und erhielt von den Päp­sten ver­schie­de­ne Auf­ga­ben zuge­wie­sen. 1983 ernann­te ihn Papst Johan­nes Paul II. zum ersten Vor­sit­zen­den des soeben errich­te­ten Päpst­li­chen Rats für die Fami­lie. Als sol­cher ver­tei­dig­te er die Enzy­kli­ka Hum­a­nae vitae gegen die Ableh­nung des Ver­bots künst­li­cher Ver­hü­tungs­mit­tel. Bis zu sei­nem Tod blieb er ein uner­schrocke­ner Ver­tei­di­ger der kirch­li­chen Ehe­leh­re gegen Bestre­bun­gen, in Kana­da die „Homo-Ehe“ ein­zu­füh­ren.
1985 kre­ierte Johan­nes Paul II. den dama­li­gen Titu­lar­erz­bi­schof zum Kar­di­nal. 1987 erhielt Gagnon von die­sem Papst den Spe­zi­al­auf­trag einer Visi­ta­ti­on der Prie­ster­bru­der­schaft St. Pius X. (FSSPX), für die der kana­di­sche Kar­di­nal Sym­pa­thien heg­te. Sei­ne Mis­si­on schei­ter­te jedoch 1988 an den ohne Erlaub­nis des Pap­stes durch­ge­führ­ten Bischofs­wei­hen.
Einen ande­ren, bis heu­te kaum bekann­ten Spe­zi­al­auf­trag hat­te Gagnon aber bereits in den 70er Jah­ren für Paul VI. durch­ge­führt, als die­ser ihn mit einer Visi­ta­ti­on der Römi­schen Kurie beauf­trag­te – eine beson­ders heik­le Mis­si­on. Das gilt umso mehr, wenn man den genau­en Auf­trag kennt: Erz­bi­schof Gagnon soll­te her­aus­fin­den, wie vie­le Frei­mau­rer es an der Kurie gab. Der jun­ge Charles Murr war dabei sein Assi­stent. Drei Jah­re, von 1975 bis 1978, dau­er­te die Visi­ta­ti­on, da Erz­bi­schof Gagnon auf „gro­ße Schwie­rig­kei­ten“ stieß, so Murr, bis er Paul VI. sei­nen Bericht vor­le­gen konnte.

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