Zur Lage der Kirche – Frage 45

Das Recht auf den überlieferten Ritus


Don Michael Gurtner: Zur Lage der Kirche

Von Don Micha­el Gurtner*

Anzei­ge

Fra­ge: Gibt es also ein „Recht auf Ritus“, das sich dar­aus ableitet?

Ant­wort: Ich wür­de die­se Fra­ge etwas anders for­mu­lie­ren und nicht so sehr sagen, daß es ein „Recht auf einen Ritus“ gibt, son­dern wür­de eher ein natür­li­ches, im Wesen des Men­schen und des Glau­bens ver­an­ker­tes Recht auf voll­kom­me­ne Authen­ti­zi­tät und Glau­bens­ent­spre­chung eines jeden Ritus postu­lie­ren. Es gibt also eine Art Recht auf „Qua­li­tät“ und Voll­stän­dig­keit der Lit­ur­gie, auf eine Genü­gung in deren Beschaf­fen­heit. Daß dies nicht ganz das­sel­be ist, läßt sich dar­an erken­nen, daß es auch inner­halb der vor­kon­zi­lia­ren Lit­ur­gie ver­schie­de­ne Eigen­ri­ten gab, etwa ter­ri­to­ri­al wie die Riten von Mai­land, Lyon oder Tole­do, oder bei­spiels­wei­se die ordens­ei­ge­nen Riten wie etwa den Domi­ni­ka­ner­ri­tus, Kar­täu­ser­ri­tus und ande­re. Man könn­te jetzt nicht ein­fach in einem Berg­dorf im Hima­la­ya das Recht bean­spru­chen, daß bei­spiels­wei­se der ambro­sia­ni­sche Ritus zele­briert wird, so wie man in Mai­land nicht dar­auf bestehen könn­te, daß der römi­sche Ritus zele­briert wird, oder der Domi­ni­ka­ner­ri­tus in einer Pfar­rei oder bei den Kapu­zi­ne­rin­nen. In die­sem Sin­ne kann man sich die Riten nicht frei nach Belie­ben und Geschmack aus­wäh­len, weil sie auch ihre eige­ne Gene­se in sich tragen.

Sehr wohl wür­de ich es aller­dings beja­hen, daß es ein Recht der Gläu­bi­gen (und auch der Prie­ster) dar­auf gibt, unein­ge­schränk­ten Zugang zu jener Lit­ur­gie zu haben, wie sie vor der Lit­ur­gie­re­form des Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zils in Gebrauch war. Und zwar ganz ein­fach des­halb, weil sie eine unver­kürz­te Glau­bens­ent­spre­chung vor­wei­sen kann. Die klas­si­sche Lit­ur­gie ist sozu­sa­gen die Voll­form kirch­li­cher Lit­ur­gie. Die neue Lit­ur­gie stellt ihr gegen­über hin­ge­gen eine deut­li­che Redu­zie­rung dar. Die klas­si­sche Lit­ur­gie ist gewis­ser­ma­ßen voll­stän­di­ger, wäh­rend die neue Lit­ur­gie zwar gül­tig ist, aber deut­li­che Män­gel und Aus­las­sun­gen auf­weist und ihr letzt­lich auch ein voll­kom­men ande­res theo­lo­gi­sches Ver­ständ­nis zugrun­de liegt, das der katho­li­schen Tra­di­ti­on fremd und in vie­lem sogar wider­spre­chend ist. Sie ist sehr zwei­deu­tig gewor­den. Erst aus dem natür­li­chen Recht auf die Voll­stän­dig­keit des Glau­bens ergibt sich das Recht auf eine dem­entspre­chen­de Lit­ur­gie – und dies ist eben nur in den tra­di­tio­nel­len Lit­ur­gien der Kir­che gege­ben und gewähr­lei­stet. Es genügt nicht ein­fach zu sagen: „Haupt­sa­che gül­tig“ und die Gläu­bi­gen damit abzu­spei­sen ganz nach dem Mot­to „friß oder stirb“, son­dern das Recht auf die „alte Lit­ur­gie“ ergibt sich aus deren grö­ße­rer Tie­fe und Voll­stän­dig­keit. Das Vol­le hat gegen­über dem Redu­zier­ten stets den Vor­rang. Das gilt ganz gene­rell für alle Berei­che, auch die pro­fa­nen, aber erst recht, wenn es um Sakra­les geht. So wie die Gläu­bi­gen ein natür­li­ches Recht dar­auf haben, daß ihnen die Hei­li­ge Schrift und der katho­li­sche Glau­be voll­stän­dig und unver­fälscht dar­ge­bo­ten wer­den, so haben sie eben­so ein Anrecht auf Voll­stän­dig­keit und Unver­kürztheit der Lit­ur­gie. Die klas­si­sche Lit­ur­gie ist gegen­über der neu­en eben umfas­sen­der, ihr liegt ein kom­plett ande­res Selbst­ver­ständ­nis zugrun­de und sie ermög­licht eine Form kirch­li­chen Betens, wel­che durch die neue Lit­ur­gie nicht ersetzt wer­den kann und somit ver­un­mög­licht wird, wenn die alte Lit­ur­gie fehlt. Und weil das Voll­stän­di­ge und Kor­rek­te­re in der klas­si­schen Lit­ur­gie sehr viel deut­li­cher und bes­ser ver­wirk­licht ist, ergibt sich eben auch ein Recht auf die­se Lit­ur­gie­form: nicht wegen eines „Rechts auf Ritus“, son­dern wegen eines „Rechts auf die höchst­mög­li­che Qua­li­tät“. Die Gläu­bi­gen haben ein Recht, Zugang zu einer Erbau­ung der See­le zu haben, wie sie durch die neue Lit­ur­gie nicht erfol­gen kann, und zwar prin­zi­pi­ell nicht, weil in der neu­en Lit­ur­gie selbst zen­tra­le Ele­men­te feh­len, die zwar nicht die Gül­tig­keit des Sakra­men­tes betref­fen, sehr wohl aber die geist­li­che Erbau­ung und die geist­li­che For­mung der Seele.

Aus die­sen Unter­schie­den ergibt sich also erst das Recht auf die alte Mes­se: nicht weil es ein Recht auf Ritus gäbe, aber ein Recht auf Fül­le gegen­über dem Redu­zier­ten. Man darf sich hier­bei, ana­log zur Moral­theo­lo­gie, also sozu­sa­gen neh­men, was einem als Katho­li­ken zusteht, man darf sich auch uner­laubt das neh­men, was einem an Not­wen­di­gem schuld­haft vor­ent­hal­ten wird. Und die­se Not­wen­dig­keit ergibt sich dar­aus, daß die neue Lit­ur­gie nicht alles zu erset­zen imstan­de ist, was sie gegen­über der alten auf­ge­ge­ben und ver­än­dert hat. Des­halb darf und soll auch ein Prie­ster trotz Ver­bot für sich selbst und die Gläu­bi­gen sämt­li­che Lit­ur­gien im alten Ritus zelebrieren.

*Mag. Don Micha­el Gurt­ner ist ein aus Öster­reich stam­men­der Diö­ze­san­prie­ster, der in der Zeit des öffent­li­chen Meß­ver­bots die­sem wider­stan­den und sich gro­ße Ver­dien­ste um den Zugang der Gläu­bi­gen zu den Sakra­men­ten erwor­ben hat. Die aktu­el­le Kolum­ne erscheint jeden Samstag.


Das Buch zur Rei­he: Don Micha­el Gurt­ner: Zur Lage der Kir­che, Selbst­ver­lag, 2023, 216 Seiten.


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