Zur Lage der Kirche – Frage 48

Von der Erfahrung der verfolgten Kirche im Kommunismus lernen


Don Michael Gurtner: Zur Lage der Kirche

Von Don Micha­el Gurtner*

Anzei­ge

Fra­ge: Sie spra­chen davon, wie der Kle­rus die Gläu­bi­gen schüt­zen soll. Aber wie sol­len sich die Katho­li­ken ver­hal­ten und wie sich selbst und ihren Glau­ben vor Tra­di­tio­nis cus­to­des und den durch den Kle­rus dik­tier­ten Maß­nah­men schützen?

Ant­wort: Die Situa­ti­on, in der sich die tra­di­tio­nel­le Lit­ur­gie und die klas­si­sche Theo­lo­gie ganz gene­rell der­zeit befin­det, ist ver­gleich­bar mit der Situa­ti­on der Katho­li­ken in kom­mu­ni­sti­schen Dik­ta­tu­ren. Das klingt viel­leicht etwas hart und über­trie­ben, aber es ist mit eini­gen weni­gen Aus­nah­men nicht sehr unter­schied­lich. Die Kom­mu­ni­sten woll­ten, daß die Katho­li­ken mög­lichst bald nur mehr der Ver­gan­gen­heit ange­hö­ren, und drang­sa­lier­ten sie des­halb mit Repres­sa­li­en, etwa indem sie in den Unter­grund gedrängt wur­den und indem sich die Kom­mu­ni­sten in der Öffent­lich­keit lustig über sie mach­ten. Die katho­li­sche Kir­che tut nun das­sel­be mit jenen Katho­li­ken, die sie – nicht ganz kor­rek­ter­wei­se – als „Tra­di­tio­na­li­sten“ bezeich­net. Sogar der Papst spot­tet in aller Öffent­lich­keit über die Tra­di­tio­na­li­sten und schimpft über sie, macht sie vor der Welt­pres­se und bei sämt­li­chen Tref­fen mit Bischö­fen, Semi­na­ri­sten, Prie­stern, Jour­na­li­sten etc. schlecht und lächer­lich und brüs­kiert unnö­ti­ger­wei­se die „From­men“. Das hat natür­lich eine bestimm­te, gewoll­te und kal­ku­lier­te Mul­ti­pli­ka­to­ren­wir­kung, wenn das ein Papst macht: Es wird salon­fä­hig, man kann ruhig so den­ken und darf es auch öffent­lich so sagen. Es wird sozu­sa­gen zu einem kirch­lich aner­kann­ten Den­ken gemacht, so ist zumin­dest der Ein­druck der bei vie­len bleibt. „Tra­di­tio­na­lis­mus ist nicht katho­lisch“ – immer­hin denkt dies auch der Papst, und daher schlie­ßen sich vie­le blind­lings die­ser Mei­nung an. Zudem ist es das offi­zi­ell erklär­te Ziel, die Tra­di­ti­on, ganz spe­zi­ell die tra­di­tio­nel­le katho­li­sche Lit­ur­gie, aus­zu­rot­ten. Das ist kein Hor­ror­sze­na­rio und kei­ne Ver­schwö­rungs­theo­rie, son­dern es gibt nach­prüf­ba­re offi­zi­el­le Inter­views und lehr­amt­lich ver­öf­fent­lich­te Doku­men­te, wel­che dies sagen.

Wen es erschrecken soll­te, daß der Hei­li­ge Stuhl dies­be­züg­lich mit dem Kom­mu­nis­mus in Zusam­men­hang gebracht wird, der sei nur dar­an erin­nert, wie die gegen­wär­ti­ge Poli­tik des Vati­kans sich in Chi­na ver­hält: Der Hei­li­ge Stuhl spannt sich mit den offi­zi­el­len kom­mu­ni­sti­schen, anti­rö­mi­schen Reli­gi­ons­be­hör­den zusam­men und hat die eige­nen Leu­te, d. h. die rom­treu­en Katho­li­ken, die schwe­re auch kör­per­li­che Ver­fol­gung erlei­den, zu Gun­sten der soge­nann­ten „patrio­ti­schen Kir­che“, d. h. der Regime­treu­en, durch Abkom­men und ein­schlä­gi­ge Per­so­nal­po­li­tik ver­ra­ten. Das ist nicht nur eine Sicht von außen, son­dern auch die Sicht, wie es die betrof­fe­nen chi­ne­si­schen Katho­li­ken wahr­neh­men, allen vor­an Kar­di­nal Zen von Hong­kong, der vom Papst weder gehört und noch nicht ein­mal emp­fan­gen wur­de. Dies sei nur des­halb erwähnt, um zu zei­gen, daß der Hei­li­ge Stuhl mitt­ler­wei­le sei­ne kom­mu­nis­mus­kri­ti­sche Hal­tung abge­legt und sich dem Kom­mu­nis­mus deut­lich ange­nä­hert hat. Lagen einst Kir­che und Kom­mu­nis­mus im Streit und gal­ten aus gutem Grund als unver­söhn­bar ver­fein­det, so hat sich die Kir­che heu­te mitt­ler­wei­le mit dem Kom­mu­nis­mus still­schwei­gend ver­söhnt und gewis­se Sicht­wei­sen selbst in ihr eige­nes Den­ken und Han­deln, beson­ders was den poli­ti­schen Bereich angeht, übernommen.

Die­se Vor­re­de ist des­halb wich­tig, weil wir für die Beant­wor­tung Ihrer Fra­ge auch den Gedan­ken mit ein­be­zie­hen müs­sen, von wel­cher Sei­te her Gefahr droht, und um Ver­glei­che aus der jün­ge­ren und fer­ne­ren Geschich­te anstel­len zu kön­nen, wie die Katho­li­ken viel­leicht ähn­li­ches durch­ge­macht haben und wie ihr Glau­be über­lebt hat. Das, was wir näm­lich nicht über­se­hen dür­fen, was aber lei­der leicht über­se­hen wird, ist, daß die Haupt­ge­fahr gera­de von da her­kommt, wo wir sie am aller­we­nig­sten erwar­ten. Wir sind mit dem Gedan­ken auf­ge­wach­sen, daß die Kir­che den Kom­mu­nis­mus, den Libe­ra­lis­mus, den Moder­nis­mus und die Frei­mau­re­rei ablehnt und uns das Gegen­teil lehrt. Wir sind zwar noch an die­sen Gedan­ken gewöhnt und ver­trau­en dar­auf, jedoch heu­te ist dies lei­der nicht mehr so selbst­ver­ständ­lich der Fall: Es gibt enge, auch ideo­lo­gisch und inhalt­lich enge Ver­bin­dun­gen der Kir­che mit die­sen Grup­pen, was uns zu den­ken geben muß und auch die Beant­wor­tung Ihrer Fra­ge mit beein­flußt. Weil die­se Grup­pen in die Kir­che selbst ein­ge­drun­gen sind, gera­de auch was ihr Den­ken betrifft, fin­den wir in der Kir­che momen­tan kei­nen zuver­läs­si­gen Schutz mehr. Es wäre daher ein Feh­ler, sich ein­fach blind auf die sicht­ba­re Kir­che zu ver­las­sen im Ver­trau­en dar­auf, daß sie noch immer ist, wie sie immer war. Kom­mu­nis­mus und frei­mau­re­ri­sches Den­ken sind heu­te abso­lut prä­sent im Den­ken der kirch­li­chen Hier­ar­chie und deren fester Bestand­teil gewor­den, und sind letzt­lich auch die den­ke­ri­sche Wur­zel, aus der Doku­men­te wie das soge­nann­te „Doku­ment von Abu Dha­bi“, Tra­di­tio­nis cus­to­des, Lau­da­to si‘ oder Desi­de­rio desi­dera­vi ent­stam­men (als Bei­spie­le – es gäbe noch viel mehr auf­zu­li­sten!). Man muß sich daher sozu­sa­gen selbst orga­ni­sie­ren, wie man es auch etwa im Kom­mu­nis­mus tat, damals aller­dings noch mit Hil­fe der Kir­che. Was die Bewah­rung des Glau­bens anbe­langt, so kön­nen die soge­nann­ten Tra­di­tio­na­li­sten heu­te von den Erfah­run­gen der Katho­li­ken in Zei­ten des Kom­mu­nis­mus ler­nen und einen nütz­li­chen Ansatz­punkt fin­den, weil es mitt­ler­wei­le durch­aus Par­al­le­len gibt.

*Mag. Don Micha­el Gurt­ner ist ein aus Öster­reich stam­men­der Diö­ze­san­prie­ster, der in der Zeit des öffent­li­chen Meß­ver­bots die­sem wider­stan­den und sich gro­ße Ver­dien­ste um den Zugang der Gläu­bi­gen zu den Sakra­men­ten erwor­ben hat. Die aktu­el­le Kolum­ne erscheint jeden Samstag.


Das Buch zur Rei­he: Don Micha­el Gurt­ner: Zur Lage der Kir­che, Selbst­ver­lag, 2023, 216 Seiten.


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