Von Don Michael Gurtner*
Frage: Sie sprachen davon, wie der Klerus die Gläubigen schützen soll. Aber wie sollen sich die Katholiken verhalten und wie sich selbst und ihren Glauben vor Traditionis custodes und den durch den Klerus diktierten Maßnahmen schützen?
Antwort: Die Situation, in der sich die traditionelle Liturgie und die klassische Theologie ganz generell derzeit befindet, ist vergleichbar mit der Situation der Katholiken in kommunistischen Diktaturen. Das klingt vielleicht etwas hart und übertrieben, aber es ist mit einigen wenigen Ausnahmen nicht sehr unterschiedlich. Die Kommunisten wollten, daß die Katholiken möglichst bald nur mehr der Vergangenheit angehören, und drangsalierten sie deshalb mit Repressalien, etwa indem sie in den Untergrund gedrängt wurden und indem sich die Kommunisten in der Öffentlichkeit lustig über sie machten. Die katholische Kirche tut nun dasselbe mit jenen Katholiken, die sie – nicht ganz korrekterweise – als „Traditionalisten“ bezeichnet. Sogar der Papst spottet in aller Öffentlichkeit über die Traditionalisten und schimpft über sie, macht sie vor der Weltpresse und bei sämtlichen Treffen mit Bischöfen, Seminaristen, Priestern, Journalisten etc. schlecht und lächerlich und brüskiert unnötigerweise die „Frommen“. Das hat natürlich eine bestimmte, gewollte und kalkulierte Multiplikatorenwirkung, wenn das ein Papst macht: Es wird salonfähig, man kann ruhig so denken und darf es auch öffentlich so sagen. Es wird sozusagen zu einem kirchlich anerkannten Denken gemacht, so ist zumindest der Eindruck der bei vielen bleibt. „Traditionalismus ist nicht katholisch“ – immerhin denkt dies auch der Papst, und daher schließen sich viele blindlings dieser Meinung an. Zudem ist es das offiziell erklärte Ziel, die Tradition, ganz speziell die traditionelle katholische Liturgie, auszurotten. Das ist kein Horrorszenario und keine Verschwörungstheorie, sondern es gibt nachprüfbare offizielle Interviews und lehramtlich veröffentlichte Dokumente, welche dies sagen.
Wen es erschrecken sollte, daß der Heilige Stuhl diesbezüglich mit dem Kommunismus in Zusammenhang gebracht wird, der sei nur daran erinnert, wie die gegenwärtige Politik des Vatikans sich in China verhält: Der Heilige Stuhl spannt sich mit den offiziellen kommunistischen, antirömischen Religionsbehörden zusammen und hat die eigenen Leute, d. h. die romtreuen Katholiken, die schwere auch körperliche Verfolgung erleiden, zu Gunsten der sogenannten „patriotischen Kirche“, d. h. der Regimetreuen, durch Abkommen und einschlägige Personalpolitik verraten. Das ist nicht nur eine Sicht von außen, sondern auch die Sicht, wie es die betroffenen chinesischen Katholiken wahrnehmen, allen voran Kardinal Zen von Hongkong, der vom Papst weder gehört und noch nicht einmal empfangen wurde. Dies sei nur deshalb erwähnt, um zu zeigen, daß der Heilige Stuhl mittlerweile seine kommunismuskritische Haltung abgelegt und sich dem Kommunismus deutlich angenähert hat. Lagen einst Kirche und Kommunismus im Streit und galten aus gutem Grund als unversöhnbar verfeindet, so hat sich die Kirche heute mittlerweile mit dem Kommunismus stillschweigend versöhnt und gewisse Sichtweisen selbst in ihr eigenes Denken und Handeln, besonders was den politischen Bereich angeht, übernommen.
Diese Vorrede ist deshalb wichtig, weil wir für die Beantwortung Ihrer Frage auch den Gedanken mit einbeziehen müssen, von welcher Seite her Gefahr droht, und um Vergleiche aus der jüngeren und ferneren Geschichte anstellen zu können, wie die Katholiken vielleicht ähnliches durchgemacht haben und wie ihr Glaube überlebt hat. Das, was wir nämlich nicht übersehen dürfen, was aber leider leicht übersehen wird, ist, daß die Hauptgefahr gerade von da herkommt, wo wir sie am allerwenigsten erwarten. Wir sind mit dem Gedanken aufgewachsen, daß die Kirche den Kommunismus, den Liberalismus, den Modernismus und die Freimaurerei ablehnt und uns das Gegenteil lehrt. Wir sind zwar noch an diesen Gedanken gewöhnt und vertrauen darauf, jedoch heute ist dies leider nicht mehr so selbstverständlich der Fall: Es gibt enge, auch ideologisch und inhaltlich enge Verbindungen der Kirche mit diesen Gruppen, was uns zu denken geben muß und auch die Beantwortung Ihrer Frage mit beeinflußt. Weil diese Gruppen in die Kirche selbst eingedrungen sind, gerade auch was ihr Denken betrifft, finden wir in der Kirche momentan keinen zuverlässigen Schutz mehr. Es wäre daher ein Fehler, sich einfach blind auf die sichtbare Kirche zu verlassen im Vertrauen darauf, daß sie noch immer ist, wie sie immer war. Kommunismus und freimaurerisches Denken sind heute absolut präsent im Denken der kirchlichen Hierarchie und deren fester Bestandteil geworden, und sind letztlich auch die denkerische Wurzel, aus der Dokumente wie das sogenannte „Dokument von Abu Dhabi“, Traditionis custodes, Laudato si‘ oder Desiderio desideravi entstammen (als Beispiele – es gäbe noch viel mehr aufzulisten!). Man muß sich daher sozusagen selbst organisieren, wie man es auch etwa im Kommunismus tat, damals allerdings noch mit Hilfe der Kirche. Was die Bewahrung des Glaubens anbelangt, so können die sogenannten Traditionalisten heute von den Erfahrungen der Katholiken in Zeiten des Kommunismus lernen und einen nützlichen Ansatzpunkt finden, weil es mittlerweile durchaus Parallelen gibt.
*Mag. Don Michael Gurtner ist ein aus Österreich stammender Diözesanpriester, der in der Zeit des öffentlichen Meßverbots diesem widerstanden und sich große Verdienste um den Zugang der Gläubigen zu den Sakramenten erworben hat. Die aktuelle Kolumne erscheint jeden Samstag.
Das Buch zur Reihe: Don Michael Gurtner: Zur Lage der Kirche, Selbstverlag, 2023, 216 Seiten.
Bisher erschienen:
- Zur Lage der Kirche – eine neue Kolumne
- Zur Lage der Kirche – Frage 1
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