
Von Friedrich Romig*
Die rege Publikationstätigkeit des relativ jungen amerikanischen Professors für Philosophie, Taylor R. Marshall, hat 2019 den Bestseller „Infiltration – The Plot to Destroy the Church from Within“ hervorgebracht, zu dem Weihbischof Athanasius Schneider das Vorwort beisteuerte. Aus dem Englischen übertragen, liegt die 33 Kapitel umfassende Untersuchung inzwischen auch in deutscher Sprache vor.
Seit ihrer Gründung vor fast zweitausend Jahren hatte die Kirche gegen äußere Feinde zu kämpfen und sich durchzusetzen. Doch „in den letzten 60 Jahren hat die Feindseligkeit gegenüber der göttlichen Person Christi und seinem Anspruch, der alleinige Erlöser und Lehrer der Menschheit zu sein, kontinuierlich zugenommen“, stellt Athanasius Schneider fest (S. 13) und setzt fort:
„In der heutigen Zeit hat diese Feindseligkeit ihren Höhepunkt erreicht. Nicht wenige Vertreter der kirchlichen Hierarchie haben sich nicht nur den unablässigen Forderungen der modernen Welt gefügt, sondern sie betreiben bei der Umsetzung ihrer Prinzipien in jedem Bereich und auf allen Ebenen aktive Kollaboration – sei es aus innerer Überzeugung oder Opportunismus“ (S. 13f).
Diese moderne Welt, „ist unleugbar von den Prinzipien der Französischen Revolution durchdrungen: vom Geist der absoluten Unabhängigkeit des Menschen gegenüber jeglicher Offenbarung und jedem Gebot Gottes, von der absoluten Gleichheit, die nicht nur jedwede sozialen oder religiösen Hierarchien ablehnt, sondern sogar die Unterschiede zwischen den Geschlechtern, und von der Ideologie einer Verbrüderung aller Menschen, die derart unkritisch ist, dass sie sogar die Differenz auf religiösem Gebiet beseitigen will“ (S. 14). Und mit Recht nennt es Schneider „unredlich und unverantwortlich lediglich die Tatsache der gegenwärtigen inneren Krise der Kirche zu benennen und sich auf die Symptome zu beschränken. Wir haben vielmehr die Wurzel der Krise zu analysieren, die in entscheidendem Maße als eine Infiltrierung der Kirche durch die ungläubige Welt, und zwar insbesondere durch die Freimaurer, identifiziert werden kann – eine Infiltration, die, nach menschlichen Maßstäben, nur mittels eines langen, methodischen Prozesses bewerkstelligt werden konnte“ (S. 14).
Den „roten Faden“ in der globalen Krise der Kirche und ihrer neuzeitlichen Geschichte offenzulegen und zu erkennen, ist die Aufgabe, der sich Marshall unterzieht.
Alta Vendita ist das „Hohe Geschäft“ der Freimauerei. Beschrieben wird dieses „Geschäft“ mit größter Genauigkeit in dem von dem vor wenigen Jahren heiliggesprochenen Pius IX. unterstützten, epochemachenden Werk des Franzosen Jacques Crétineau-Joly: „Die römisch-katholische Kirche im Angesicht der Revolution“ (1859).1
Crétinau-Joly, der den vollständigen Text von „Alta Vendita“ veröffentlichte, dürfte die wohl entscheidende Unterlage für den Syllabus errorum Pius‘ IX. geliefert haben, mit dem der Pantheismus, Indifferentismus, Naturalismus, Rationalismus, Sozialismus, Kommunismus und Liberalismus sowie die Zivilehe und die Trennung von Kirche und Staat verurteilt wurden.

Durch diese Verurteilung, welche die Päpste zumindest bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts ständig wiederholten, ließ sich das „Hohe Geschäft“ der Freimaurerei, die Kirche zu zerstören, nicht aufhalten. Schrittweise und konsequent verfolgte sie ihre Strategie oder ihren „Plot“, die Jugend durch die „Korrumpierung der Familien, Bücher, Gedichte, Kollegien, Gymnasien, Universitäten“ zu verführen und mit ihren „Lehren die Herzen des jungen Klerus und sogar der Klöster zu öffnen“ (S. 31f). Dieser junge Klerus würde alsbald alle Ämter bekleiden, er wird regieren, verwalten, richten und schließlich den künftigen Papst wählen, der der freimaurerischen Herrschaft „würdig ist“ (S. 31).
Seit ihrer Gründung im Jahr 1717 ist „die Freimaurerei der Hauptfeind der katholischen Kirche“ (S. 47).
„Es überrascht nicht, dass die Freimaurerei immer dort Erfolg hatte, wo bereits der Protestantismus Wurzeln geschlagen hatte. Schottland (Presbyteranismus), England (Anglikanismus) und Deutschland (Luthertum) sind die traditionellen Zentren des Freimaurertums. Ebenso wurde das protestantische Amerika durch die Freimaurerei infiziert, vor allem die protestantischen Südstaaten“ (S. 29).
Es kann nicht übergangen werden, dass „die protestantische Reformation von 1517 … die europäische Christenheit ausgelöscht hat“ (S. 26). Dieses harsche Urteil deckt sich mit dem im Vorwort von Athanasius Schneider ausgesprochenen Verdikt über die „moderne Welt“ (S. 14).
„Während der Reformation nahmen diese Freimaurerlogen jedoch die Form subversiver Geheimgesellschaften mit okkulten Riten und einer gnostischen Philosophie an. Diese okkulte Freimaurerei leitet sich wahrscheinlich von Rosenkreuzerriten her…“ (S. 27).
Die mit solchen Riten durchsetzte Freimaurerei verehrt den „Großen Weltbaumeister“, der über allen Religionen steht und auf dessen Altar Bibel, Koran, die Veden, das Zend Avesta, der Zohar, die Kabbala, die Bagavad Gita und die Upanischaden als gleich gültige „Heilige Schriften“ liegen und respektiert werden (vgl. S. 29f). „Da das Göttliche nur durch die Vernunft, nicht durch Glauben, Taufe, Predigt, Eucharistie, Liturgie oder Priestertum vermittelt werden und vor allem nicht durch das Papsttum“ (S. 30), braucht die Menschheit keinen Glauben, sondern nur ein höheres Maß an Vernunft, um den Novus Ordo Saeculorum mit dem ewigen Frieden zu installieren und den Vetus Ordo, die alte Ordnung der katholischen Kirche, zu ersetzen.

Nach der Darstellung der Grundziele dieses Ordo novus im Kapitel 2 behandelt das Buch zwei Themenkreise. Erstens die Überlieferungen, Offenbarungen, Visionen und Aussagen von Evangelisten, Aposteln, Päpsten, Kirchenlehrern und Sehern über die Folgen des Abfalls vom christlichen Glauben sowohl für die Gläubigen wie für die Kirche; und zweitens über die Art und Weise der „Infiltration“.
Die Warnungen vor dem Glaubensabfall werden in der Neuzeit vornehmlich in Marienerscheinungen deutlich, die Kindern und glaubenserfüllten Seherinnen zuteil wurden. Marshall geht in extenso ein auf die Botschaften von La Salette (Kapitel 3) und Fatima (Kapitel 7, 11 und 15), lässt aber auch die Visionen nicht unberücksichtigt, die Leo XIII. veranlassten, den Schutz des heiligen Michael vor den satanischen Umtrieben zu erflehen (Kapitel 5).
Als Art und Weise der „Infiltration“ wird der Einfluss des Kommunismus auf den Klerus (Kapitel 11) und die Liturgie (Kapitel 12) behandelt. Großer Raum wird dem Vormarsch des Modernismus unter dem Roncalli-Papst (Johannes XXIII.) und dem Zweiten Vatikanum eingeräumt. Die Infiltration durch Verstrickungen in die Geldgeschäfte der Vatikanbank unter Paul VI. (Kapitel 24), Johannes Paul I. (Kapitel 25) und Benedikt XVI. (Kapitel 30) hat mafiose Strukturen in der Kirche offengelegt, die auch mit dem Hinweis auf die Weltfremdheit kirchlicher Würdenträger kaum zu entschuldigen sind.
Noch weniger aber hat die „Öffnung zur Welt“, „die Weltoffenheit“, die Glaubwürdigkeit der Kirche erhöht. Nach Marshall hat die Wahl von Bergoglio (Kapitel 31) zum Papst die durch „die St.-Gallen-Mafia“ herbeigeführte Verbindung von Kommunismus, Freimaurerei und Homosexualität bereits jenen Punkt erreicht, der in naher Zukunft zum „Ende der Zeit“ führen wird.
Im Schlussteil seines Buches erörtert Marshall Auswege aus der Krise (Kapitel 32) und verweist auf „spirituelle Waffen gegen dämonische Feinde“ (Kapitel 33). Viel hält Marshall nicht vom Kritisieren, Protestieren und Widerstehen. Nicht selten leiten solche Aktivitäten nur Wasser auf die Mühlen der Gegner und fördern unbeabsichtigt die „Geschäfte“ der Kirchenzerstörer. Die „Hauptfeinde sind nicht Freimaurer, Kommunisten, Modernisten, Küng, Schillebeckx oder die Sankt-Gallen-Mafia. Unsere Feinde sind der Teufel und all die bösen Geister, die niemals sterben werden“ (S. 272). Gegen sie helfen nur geistige Waffen: „der Rosenkranz, das Skapulier, das Gebet, das Fasten, die Abstinenz, die Novenen, die Almosen, Advent und die Fastenzeit, die Quatembertage, die Herz-Jesu-Freitage, die Herz-Maria-Sühnesamstage, Keuschheit, Sittsamkeit, die regelmäßige Katechese für die Kinder und das gründliche Studium der Lehren unseres katholischen Glaubens. Ebenso müssen wir die unverfälschte katholische Lehre, nachdem wir sie gründlich kennengelernt haben, als Waffe gebrauchen und vor möglichen Häresien und Schismen schützen, die auch unsere Reihen gefährden könnten, und vor ihnen auf der Hut sein…“

„Als Leo XIII. sah, wie sich die Dämonen über Rom sammelten, errichtete er keine neuen Kongregationen und ergriff keine politischen Maßnahmen. Er führte weitere Gebete ein, die sich an die Gottesmutter und den hl. Erzengel Michael, den Führer der himmlischen Heerscharen, richten. Dämonen haben für politisches Kalkül nur ein müdes Lächeln übrig – aber sie erzittern im Angesicht der Gottesmutter und des hl. Erzengels Michael.“
Vielleicht hat mancher von uns für solche Ratschläge auch nur „ein müdes Lächeln“ übrig? Helfen würde dann sicher ein wenig, sich mit dem Lebensweg von Taylor Reed Marshall zu beschäftigen. Er graduierte an der A&M Universität in Texas als Philosoph 1999 und wurde nach dem Studium am Westminister Theologischen Seminar zum Priester der Episcopal-Kirche ordiniert. 2006 wurden er und seine Frau Katholiken. 2012 errang Marshall den Doktorgrad in Philosophie (PH.D.) an der Universität Dallas mit einer Arbeit über „Thomas von Aquin und das Naturrecht“. Kurz darauf wurde er Rektor („Chancelor“) des College of Saints Joseph Fisher & Thomas More und hielt dort Vorlesungen in Philosophie. Gleichzeitig arbeitete er als Vizedirektor für das Catholic Information Center der Erzdiözese Washingtons. Das Information Center ist nur „wenige Blocks vom Weißen Haus“ entfernt. Sein Einfluß auf die Administration unter Trump mit gewissen Anzeichen der Rekatholisierung Amerikas (Oberstes Gericht etc.) ist unbestritten. Marshall ist Gründer des New Thomas Institute, verbreitet katholische Bildungsprogramme und kümmert sich um die katholischen Pfadfinder-Troops of Saint George. Seit 1999 mit einer Kommilitonin verheiratet, darf er sich jetzt an einer mit 8 Kindern gesegneten Großfamilie erfreuen. Natürlich ist er „umstritten“, aber wenn man sich auch nur oberflächlich über seine zahlreichen Aktivitäten und Publikationen informiert, wird „das müde Lächeln“ rasch vergehen.
Der Rezensent muss gestehen, dass das Buch bei ihm so manche Wissenslücke ausfüllte. Nie war er z. B. dem Text der Botschaft von La Salette begegnet. La Salette ist ein Dorf im Süden Frankreichs. Dort sahen am 19. September 1846 zwei Kinder, der zwölfjährige Maxime de Giraud und die fünfzehnjährige Mélanie Calvat, bei der Heimkehr vom Kühehüten auf dem Mont-sous-les-Baisses eine hübsche Dame sitzen, die bitterlich weinte und zu den Kindern in deren okzitanischem Dialekt von einer Hungersnot sprach, die 1846 Frankreich und ein Jahr später Irland heimsuchen sollte. Sie offenbarte den Kindern auch ein Geheimnis, das Mélanie in schriftlicher Form nur weitergeben wollte, wenn es auf direktem Wege und verschlossen dem Papst zugestellt würde. So geschah es, und was die allerseligste Jungfrau in diesem Geheimnis offenbarte, war „die Warnung vor einem Komplott der Freimaurer mit dem Ziel der Vernichtung der katholischen Kirche in Frankreich“ (S. 38). Der schließlich mit bischöflichem Imprimatur versehene ausführliche Bericht Mélanies über die Erscheinungen löste heftige Diskussionen und Stellungnahmen aus. Die Marienerscheinung wurde nach fünfjähriger Untersuchung kirchlich anerkannt. Pius X. war von ihr so überzeugt, dass er sogar einen Seligsprechungsprozess für Mélanie anregte, der allerdings nie zu Ende geführt wurde (3. Kapitel, S. 32–45). Allein schon durch diese ausführliche Information wird das Buch von Taylor Marshall einen Ehrenplatz in der Bibliothek des Rezensenten einnehmen.
Taylor R. Marshall: Infiltriert – Die Verschwörung zur Zerstörung der Kirche. Aus dem Englischen übertragen von Philipp Liehs und Julian Voth. 312 Seiten. Renovamen-Verlag, Bad Schmiedeberg 2020. ISBN 978–3‑95623–141‑6. € 16,-
*Univ.-Doz. em. Dr. Friedrich Romig, zuletzt bei Katholisches.info erschienen: Hilaire Belloc: Die Feinde der Katholischen Kirche und Augustin Cochin: Die Französische Revolution „satanique“.
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1 Frühe Darstellungen erfolgten besonders ausführlich durch die Dokumentation Macerata, ed altri Luoghi Di più Delitti hrsg. vom Ministerrat des päpstlichen Kirchenstaates, Rom 1818, sowie durch die Tageszeitung Österreichischer Beobachter vom 8. Oktober 1820 und die Zeitung La France chrétienne vom 31. März und 18. April 1821, Anm. Katholisches.info.
Wenn die Geldgeschäfte des Vatikans behandelt werden, scheint niemand den ursprünglichen Sündenfall zu erwähnen, in dem sich das Papsttum den antichristlichen Mächten unterstellte. Link leider nur auf Englisch.
https://en.wikipedia.org/wiki/Rothschild_loans_to_the_Holy_See
Von einer „Fünften Kolonne“, welche bereits in den kirchlichen Mauern emsig tätig ist, schrieb bereits 1973 (!) der katholische Philosoph Prof. Dr. von Hildebrand in seinem Werk „Der verwüstete Weinberg“: „Heute können wir die Situation in der Heiligen Kirche nicht mehr „Das Trojanische Pferd in der Stadt Gottes“ nennen. Die Feinde, die im trojanischen Pferd verborgen waren, sind aus dieser Behausung herausgetreten, und die aktive Zerstörungsarbeit ist in vollem Gange. Die Seuche ist fortgeschritten von kaum bemerkbaren Irrtümern und Verfälschungen des Geistes Christi und der Heiligen Kirche bis zu den flagrantesten Häresien und Blasphemien“ (a.a.O. Seite 9).
In seinem Werk „Der Sinn der Geschichte“ macht Prof. Romig übrigens sehr interessante Ausführungen zur gegenwärtigen gesellschaftlichen Umgestaltung. Wer sich bislang über eine immer menschenfeindlichere und krankmachende Arbeitswelt, die irritierende Bereitwilligkeit der politischen Klasse zum unkontrollierten Zufluß von ungezählten Flüchtlingsströmen aus aller Welt und der gezielt stimulierten „Refugies welcome“-Hysterie wundert, dem sei ein Blick in das Buch empfohlen.
Primär veranschaulicht anhand Sir Karl Poppers „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“, sozusagen das „Drehbuch“ für die nachfolgenden Ereignisse und die heute herrschende politisch-korrekte Philosophie.