
Eine wichtige theologische und liturgische Studie vorgestellt von Wolfram Schrems*
Vor kurzem wurde ich von einem Anrufer auf eine Stellungnahme der Priesterbruderschaft St. Pius X. zum Problem der Liturgiereform hingewiesen und angefragt, ob ich diese anspruchsvolle Abhandlung für ein größeres Publikum verständlich aufbereiten könnte.

Nun ist es so, daß diese Publikation tatsächlich von großem Wert ist. Leider scheint sie wenig bekannt zu sein. Sie ist auch wirklich nicht ganz einfach.
In einer Zeit, in der die überlieferte römische Liturgie durch Papst Benedikt XVI. zaghaft rehabilitiert und nach dessen „freiwilligem Rücktritt“ gleich wieder zurückgedrängt wurde, in einer Zeit, in der also ein offener Kampf seitens maßgeblicher Teile der kirchlichen Hierarchie gegen die eigene Tradition tobt, benötigt man gute Schriften zur eigenen Orientierung und zur Unterweisung anderer.Da ich die gegenständliche Publikation als wichtig betrachte, soll sie hier für ein größeres Publikum aufbereitet werden.
Ich bin allerdings kein Liturgiewissenschaftler im akademischen Sinn des Wortes. Ich bin nur jemand, der sich aufgrund des verheerenden Zustandes der Liturgie seine Gedanken macht und dabei einschlägige Hinweise gelehrter und gläubiger Personen, Priester und Laien, gerne annimmt.
Worum geht es? – Die Wurzeln der „Liturgiereform“
Der Hauptgedanke der Publikation ist, daß hinter der „Liturgiereform“ der Jahre 1969 bzw. 1970 eigentlich keine „Reform“ stehe, also in dem Sinne, daß eine aus der Form geratene Sache, in diesem Fall die Liturgie, gemäß ihrer Grundidee „wieder in die richtige Form“ gebracht würde. Hinter der „Liturgiereform“ stehe im Gegenteil eine theologische Neuerung, d.h. eine neuartige Sicht auf die Liturgie, die unter dem Stichwort „Pascha-Mysterium“ firmiert. Die Autoren führen diese Neuerung auf den Maria Laacher Benediktinerpater Odo Casel (1886–1948) zurück.
Aber der Reihe nach.
Die Autoren gehen zunächst vom neuen Meßbuch Paul VI. aus und untersuchen es auf seine theologischen Voraussetzungen:
„Während also das traditionelle Meßbuch ein Opfer vollzieht, das auch als Eucharistie bezeichnet wird wegen eines seiner Zwecke, will das neue Meßbuch in erster Linie eine Danksagung als Gedächtnis vollziehen, deren eine Gedenktat das Opfer ist“ (22).
Was haarspalterisch klingt, wird doch nach und nach plausibel dargelegt:
„Der Schlüssel zum Verständnis des Mysteriums der Messe ist nicht mehr das Kreuzesopfer, sondern das Abendmahl (…). Es wird auch [im neuen Meßbuch] nicht die Opferdimension der Messe geleugnet, die mehrere Male erwähnt (…), aber nicht verdeutlicht wird“ (23).
Priester und Gemeinde
Unter dem Kapitel „Die Gegenwart Christi im geweihten Priester und in der Gemeinde“ findet sich die bemerkenswerte Einschätzung:
„Die systematische Minderung der Zeichen der wirklichen und substantiellen Gegenwart Christi als Opfergabe hat die geringe Beachtung der Gegenwart Christi als Priester ‚in der Person seines Dieners‘ zur Folge. Dafür wird die Gegenwart Christi in der Gemeinde verhältnismäßig so übersteigert, wie es bis dahin in der Liturgie unbekannt war. (…) Diese ‚liturgische Versammlung‘ (…) wird auf sehr hochtrabende Weise beschrieben: sie ist das „heilige Volk“ (…)“ (31).
Ich würde es mit eigenen Worten so sagen: Die neue Liturgie überhöht auf unnüchterne, auf geradezu euphorische Weise die Gläubigen. Man stelle sich nur einmal eine durchschnittliche Land- oder auch Stadtpfarre vor und man wird das Disproportionale dieser Übersteigerung sofort bemerken. Sicher: Die Heilige Schrift spricht tatsächlich vom „heiligen Volk“ u. dgl. (1 Petr 2,9). Aber die Sakralität der gläubigen Gemeinde ist weitgehend verschwunden. Offensichtlich hat die inflationäre Beschwörung dieser Sakralität nicht funktioniert. Denn gleichzeitig gibt es ja schon seit Jahrzehnten keine angemessene liturgische Bildung und Initiation. Wenn die Gläubigen ihre Berufung als „heiliges Volk“ tatsächlich auch erkennbar ausüben sollen, müßten sie eben auch entsprechend eingeführt werden. Genau das ist aber nicht passiert.
Die Liebe Gottes und die Sühne der Sünde – der verdrängte Aspekt der Gerechtigkeit
Die Autoren legen dar, daß gemäß dem neuen theologischen Verständnis beim Erlösungsgeschehen auf Golgotha, somit auch in der Heiligen Messe, der Aspekt der Genugtuung zugunsten des Aspektes der unbeirrbaren Liebe Gottes zurücktritt. Nun bestreitet auch kein Christ die Liebe Gottes. Was aber jetzt zu kurz kommt, ist die Dimension der Gerechtigkeit und die geschuldete Genugtuung für die durch die Ursünde und die Sünden beleidigte Ehre Gottes, die Jesus Christus in seiner Menschheit leistet:
„Das traditionelle Meßbuch erbittet die Genugtuung für die Sündenstrafen für die Lebenden und die Toten, und zwar durch die Verdienste der Passion Christi und die Werke der Heiligen, die sie ergänzen (Kol 1,24). Es lehrt die Lebenden zusätzlich, sich diesem Leiden anzugleichen (Gal 2,19). Diese feinen Unterschiede sind im neuen Meßbuch fast ganz weggelassen“ (42).
Daraus ergibt sich auch eine radikale Verharmlosung der biblischen Lesungen im neuen Meßbuch in Bezug auf „alles, was die göttliche Gerechtigkeit betrifft“ (ebd.). Zusätzlich wurden die Hochgebete 2–4 und die neuen Orationen in genau diesem Geist gestaltet:
„Also erscheint hier eine neue Auffassung der Messe: diese wird weniger gelebt als Zuwendung der Erlösung, sondern vielmehr als eine Liturgie der Geretteten (…)“ (44).
Auch diese Analyse mag als Haarspalterei empfunden werden. Aber auch dann stellt sich die Frage: Warum haben dann die Liturgiereformer den Zug in diese Richtung gelenkt?
Wie so oft: der Einfluß Kants und des Idealismus als Zerstörung der Vernunft
Die Autoren führen den neuen Ansatz des „Pascha-Mysteriums“ auf Weichenstellungen Kants und des deutschen Idealismus zurück (66f), wobei hier sehr interessante Aussagen getroffen werden, die wir aus Platzgründen nicht erörtern können. (Meine persönliche Meinung, mit der ich gar nicht hinter dem Berg halten möchte, ist, daß die Kantsche Lehre und der Deutsche Idealismus ohnehin pathologische Wahnsysteme sind. Aber das nur nebenbei.)
Gedächtnis, Sühne und die judaisierenden Tendenzen
Unter dem Gesichtspunkt der „Gedächtnisfeier“ schreiben die Autoren in einer sehr guten Gegenüberstellung:
„Die [neue] Lehre vom Pascha-Mysterium rühmt mehr den Offenbarungsaspekt der Handlungen Christi als ihren genugtuenden Wert (…) und gelangt so dahin, das Sakrament eher unter dem Gesichtspunkt zu betrachten, daß es die Handlungen Christi – jene, welche die Liebe des Vaters offenbaren – gegenwärtig macht, als unter dem Gesichtspunkt eines wirksamen Heilsmittels kraft der Zuwendung der Verdienste Jesu Christi (…). Diese Änderung in der Betrachtungsweise macht den Opfercharakter, den der Meßritus bis dahin deutlich aufwies, zunichte“ (76).

Von da aus ergibt sich auch eine übertriebene Parallelisierung mit dem jüdischen Paschafest. Man bekommt überhaupt den Eindruck, daß liturgische Änderungen und so genannte „Reformen“ überhaupt tendenziell mit einer gewissen Judaisierung verbunden sind. So habe ich mit Erstaunen selbst miterlebt, daß die modernen movimenti oft einen starken judaisierenden Zug besitzen: Genannt seien die Samstagabend-Liturgien der Gemeinschaft der Seligpreisungen mit ihren skurrilen, angeblich oder wirklich jüdischen Tänzen und die ebenfalls Samstagabend-Liturgien des Neokatechumenats, die ebenfalls eine starke jüdische Zeichensprache besitzen. Man kann das nur als Verirrung werten – oder als bewußte Subversion. Denn alle diese Skurrilitäten verdunkeln ja gerade das Heilsgeheimnis.
Das alttestamentliche Pascha-Fest weist auf Christus voraus und nicht auf die Pascha-Feiern des nach-neutestamentlichen Judentums. Denn Christus sprengt den Rahmen des mosaischen Pascha-Festes ins „Allgemeine“, ins „Katholische“. Jetzt ausgerechnet in der Kirche wieder auf das Pascha zurückzuverweisen, macht daher keinen Sinn.
Ganz abgesehen davon, daß manche dieser Gruppen oft einen sektiererischen Zug aufweisen.
Das Konzil von Trient als unverrückbarer Bezugspunkt
Sodann wird das Konzil von Trient im Hinblick auf seine Lehrentscheidungen ausgewertet. Es wird festgehalten, daß sich die „Neue Theologie“ objektiv vom Tridentinum entfernt:
„Man kann also mit vollem Recht den Gegensatz zwischen der klassischen Theologie und der Neuen Theologie anhand der Auslegung zusammenfassen, die jede von ihnen dem Verb repraesantare, das vom Konzil von Trient verwendet wurde, gibt“ (85).
Dieses Kapitel gehört zum – schwierigen – Kernbestand des Buches: Die Autoren legen dar, daß in der neuen Liturgieauffassung Auferstehung und Himmelfahrt Christi in der Messe eingeschlossen sind bzw. sein müssen, und folgern:
„Fortan ist die getrennte Konsekration der heiligen Gestalten [Trennung von Leib und Blut als Symbol des Opfertodes Christi] von sich aus unfähig, das Opfer Christi zu bezeichnen, denn sie verweist nur auf seinen Tod und in keiner Weise auf seine Auferstehung und Himmelfahrt“ (86).
Dagegen steht die alte Lehre, die von Pius XII. 1947 neu entfaltet wird:
„In [der Enzyklika] Mediator Dei ist die Messe ein Opfer, nicht weil sie ein Gedächtnis ist, das das Opfer von Kalvaria gegenwärtig macht, sondern weil sich in ihr, unter dem Begriff der doppelten Konsekration, eine wirklich unblutige rituelle Opferung vollzieht (…), die selbst ein Hinweiszeichen für die blutige Opferung ist (…)“ (87).
Resümee

Folgt man den Erläuterungen der Autoren, wird man schlußfolgern können: Wesen und Aussage der hl. Messe verschieben sich im Meßbuch Pauls VI. ins Unklare. Die neue Weichenstellung schwächt den Sühnecharakter des Todes Christi und somit der Messe ab. Dabei tritt zwangsläufig eine Verharmlosung der Sünde, somit eine Verharmlosung der Situation des Menschen ins Bewußtsein der Kirche.
Das zieht eine neue Euphorie nach sich: Die Gläubigen werden auf neue, unnüchterne und unrealistische Weise, gleichzeitig aber auch ohne adäquate Unterweisung, als „Volk Gottes“ gefeiert. Gleichzeitig tritt die Bedeutung des Priestertums in den Hintergrund, und zwar sowohl des Priestertums Jesu Christi selbst als auch die von dessen geweihten Dienern, die „in persona Christi“ das Opfer darbringen sollen.
Das reale Hier und Jetzt des Opfers verflüchtigt sich in der Neuen Theologie und in der Neuen Liturgie tendenziell ins Vage bzw. ins Mysteriöse. (Es muß zugestanden sein, daß die Messe ein Mysterium IST. Daraus folgt aber nicht, daß sie begrifflich-doktrinär nicht in Worte zu fassen wäre. Hinter das Konzil von Trient und Mediator Dei (1947) kann man in diesem Zusammenhang nicht zurückgehen.)
Die Autoren fassen zusammen:
„Da die Theologie des Pascha-Mysteriums der Ansicht ist, die Sünde ziehe keinerlei Strafe forderndes Schuldigwerden gegenüber der verhöhnten Ehre Gottes nach sich, und folglich die stellvertretende Genugtuung Christi nicht mehr als ein wesentliches Element der Erlösungstat betrachtet, hat die Liturgiereform aus dem Meßritus alles gestrichen, was in Zusammenhang stehen konnte mit der durch die Sünde verdienten Strafe, wie auch den Sühnezweck der Messe. (…) [Das] neuere Lehramt [gemeint sind die Päpste vor dem II. Vaticanum, Anm.] [hat uns] vor einer ‚symbolischen Theologie‘ gewarnt, die das Sakrament nur unter dem Gesichtspunkt des ‚Mysteriums‘ betrachtet, denn eine solche Theologie würde sich als gefährlich erweisen für den Glauben. (…) Die Lehre des Pascha-Mysteriums mit ihren schwerwiegenden doktrinalen Schwächen steht also am Ursprung der Liturgiereform. Sicher, das Meßbuch, welches daraus hervorgegangen ist, leugnet nicht explizit das katholische Dogma, aber die Gesten und Worte sind in diesem Sinne ausgerichtet; bedeutsame Auslassungen wurden angehäuft, viele zweideutige Ausdrücke wurden eingeführt (…). In diesem Zusammenhang sind wir also verpflichtet, uns an die traditionelle Liturgie zu halten, die sicher Gottes würdig ist, nie abgeschafft wurde und die Zeiten hindurch so viele Früchte der Heiligkeit hervorgebracht hat“ (106ff).
Der kanonistische Anhang zeigt, daß das Meßbuch von Paul VI. keine ausreichende kanonische Verbindlichkeit besitzt und das Meßbuch des hl. Pius V. (1570) niemals abgeschafft wurde. Damit wurde Summorum Pontificum von 2007 in gewisser Hinsicht vorweggenommen.
Odo Casel und die Liturgische Bewegung – das Desiderat einer fairen und differenzierten Bewertung
Wenn man im Jahr 2015 Texte von oder über Odo Casel liest, wird man diesen Mönch als fromm, gläubig, ehrfürchtig und für heutige Maßstäbe „ultra-konservativ“ empfinden. Es ist nicht glaubhaft, daß das derzeitige liturgische Chaos von P. Casel akzeptiert, noch viel weniger beabsichtigt worden wäre.

Wie anderswo zu lesen ist, war P. Casel aber „als intuitivem Denker das diskursive Denken eher fremd“. Das könnte unter Umständen leider auch bedeuten, daß er seine Auffassungen nicht genügend begründen konnte. „Intuitive“ Denker tendieren eben manchmal zu euphorischer Wortwahl und einem Zug ins Apodiktische. Damit bricht eine gewisse Unnüchternheit aus, manchmal auch Rechthaberei. Um zu beurteilen, ob das bei P. Casel tatsächlich der Fall war, reicht meine Fachkenntnis nicht aus.
Ich würde mich nach meinem Kenntnisstand dagegen aussprechen, daß man Odo Casel schlechten Willen unterstellt. In seinem ganzen Leben und Dulden, im Umgang mit den Mitmenschen und im Sterben (während der Osternachtsliturgie) hat er offensichtlich starken Glauben und vorbildliches menschliches Format bewiesen. Man wird auch nicht sagen können, daß er das Kloster der Benediktinerinnen in Herstelle spirituell schlecht geführt hätte.
Es ist klar, daß es für die Katastrophen der Liturgiereform 1969 Zwischenstufen brauchte, Autoren und Agitatoren, die woanders hinwollten. Odo Casel war ja schon 1948 verstorben.
Er konnte also nicht mehr denjenigen in den Arm fallen, die seine Ideen verwendeten. Die Frage ist eben auch, ob sie das legitimerweise oder illegitimerweise taten. Analoges gilt für Romano Guardini, Pius Parsch und alle anderen, die man zur „Liturgischen Bewegung“ zählt. Man kann sich nach der Lektüre von Vom Geist der Liturgie Romano Guardinis beispielsweise nicht vorstellen, daß dieser den derzeitigen liturgischen Schabernack gutgeheißen hätte. Man darf daher keinem dieser Männer Unrecht tun. Die Frage ist aber, ob in ihren Schriften objektiv Schwächen und Verundeutlichungen enthalten sind. Wenn ja, dann muß das aufgedeckt werden.
Schließlich wird auch die Konstitution Sacrosanctum Concilium des II. Vatikanums noch einer gründlichen Auswertung gemäß deren Inhalt, deren Ideengebern und deren lehramtlicher Verbindlichkeit bedürfen.
Klar ist daher, daß das Herumpfuschen am Meßverständnis und in weiterer Folge am Meßritus durch die kirchliche Hierarchie selbst keinen Segen gebracht hat.
Dazu noch drei kurze grundsätzliche Erwägungen:
Lex dubia non obligat
Jede lehrmäßige Verunklärung dessen, was in der Liturgie geschieht, zieht Verwirrung nach sich. Unklare Vorgaben entfalten keine Bindekraft: Lex dubia non obligat – Ein zweifelhaftes Gesetz verpflichtet nicht. Die Verunklärung vermag z. B. Konversionswillige nicht mehr im selben Ausmaß am katholischen Glauben zu interessieren: Wenn die Kirche selber an der dogmatischen Klarheit der Sakramente herumpfuscht, wird auch der Katechist nur mit großem Aufwand die katholischen Lehre erklären können.
Erfahrung?

Ein Punkt der Liturgiereformer, der auf dem Hintergrund der Erfahrungen der letzten Jahrzehnte als besonders problematisch ins Auge sticht, ist die starke Betonung der „Erfahrung“ (etwa bei Casel). Das historische Leben Christi und auch sein Leben in der Herrlichkeit würden nach Casel für die Gottesdienstgemeinde gegenwärtig gesetzt, die dessen Wirkung erfahren könne. „Wie das möglich ist, konnten weder Casel noch seine Schüler sagen“ (vgl. dazu).
Aus heutiger Sicht hat sich jede Abwendung von einer doktrinär exakt formulierten und nüchtern-unaufgeregten Betrachtung der hl. Messe und die Hinwendung zur „Erfahrung“ als fatal erwiesen. „Glaubenserfahrungen“ bleiben immer eine zwiespältige Sache. Es bleibt ja auch vollkommen unklar, WAS genau „erfahren“ werden soll.
In den schon erwähnten neuen movimenti existiert auch eine gewisse Obsession mit „Erfahrung“. Diese ist etwa bei Communione e liberazione ein Schlüsselbegriff. Das gibt der ganzen dort geübten Spiritualität eine aufgeregte Note („Hast du heute schon Christus erfahren?“). Etwas Unnüchternes und Euphorisches hat sich eingeschlichen. Damit ist der Selbsttäuschung Tür und Tor geöffnet.
Es wäre eben falsch, bei der Feier der hl. Messe irgendwelche speziellen inneren „Erfahrungen“ zu suchen. Jeder, der mit dem geistlichen Leben vertraut ist, weiß erstens, daß Stimmungen wechseln, und zweitens vor allem, daß die Ruhe der Gewissenszustimmung bzw. der Glaubenszustimmung in der Messe unspektakulär ist.
Wird nun in der Messe ein als „Erfahrung“ deklariertes Gefühl gesucht, dann liegt es nahe, dieses Gefühl durch Gruppendynamik und exstatische Musik direkt zu erzeugen. Was natürlich nur im völligen Überdruß enden kann – und in der Aufgabe des Meßbesuches.
Participatio actuosa
Ähnlich liegt der Fall bei der berühmten „participatio actuosa“.
Eine Folge der Caselschen Weichenstellungen war die Weckung des Bewußtseins, daß alle Gemeindemitglieder die Liturgie mitzutragen haben, nicht bloß der Zelebrant. Das ist sicher gut und richtig. Die Frage ist nur, wie man das umsetzt. Die participatio actuosa, die schon der hl. Pius X. eingemahnt hatte, bedeutet ja eine innere Beteiligung an der hl. Messe. Auch P. Casel hatte nicht vor, alle möglichen Leute durch den Altarraum huschen zu lassen. Dennoch wurde von Casel eine – wie genau oder ungenau auch immer definierte – Beteiligung der Laien im äußeren Sinn abgeleitet. Dabei wurde unterschlagen, daß Casel eine sorgfältige liturgische Bildung gefordert hatte („Mystagogie“).
Was dabei herausgekommen ist, sehen wir anhand des rapide eingebrochenen Meßbesuches in Europa.
Man kann schlußfolgern, daß allzu hochgespannte Erwartungen an die Gottesdienstgemeinde in ihr Gegenteil umschlagen. War es also wirklich so viel schlechter, als man früher – in traditioneller Terminologie – „die Messe hörte“ oder „der Messe beiwohnte“? Ist das nicht eine Überforderung des Meßbesuchers, jetzt plötzlich ein Teil eines „heiligen, priesterlichen Volkes“ zu sein, ja – manchmal sogar ausdrücklich so formuliert – „Kon-Zelebrant“? Ganz abgesehen davon, daß letzteres allenfalls in einem analogen Sinne stimmt, sodaß man diese Terminologie also unterlassen sollte.
Schlußbemerkung
Ich danke dem Anrufer, der mich auf diese wertvolle Schrift aufmerksam gemacht hat. Sie hat mir geholfen, für mich selber einige Gedanken zu klären. Vor allem der Hinweis auf das Tridentinum und die davon ausgehende Tradition vom Catechismus Romanus bis Pius XII. Mediator Dei (1947) ist hilfreich. Ich hoffe, es ist gelungen, auch dem Leser dieser Seite die Grundgedanken halbwegs verständlich gemacht zu haben.
Man kann der Priesterbruderschaft St. Pius X. empfehlen, zwei Überarbeitungen dieser Schrift vorzunehmen: Eine gekürzte und popularisierbare Version, die andere zu einer wissenschaftlichen Abhandlung erweiterte, die auch die römischen Lehraussagen sowie die akademischen Erörterungen seit 2001 miteinbezieht.
Letztere soll so beschaffen sein, daß Lehramt und akademische Theologie nicht daran vorbeikommen können.
Die Verwirrung muß sich endlich entwirren.
Priesterbruderschaft St. Pius X., Das Problem der Liturgiereform – Die Messe des II. Vaticanum und Pauls VI., Eine theologische und liturgische Studie, Vereinigung St. Pius X., Stuttgart 2001, 112 S., erhältlich über Sarto-Verlag, www.sarto.de
*MMag. Wolfram Schrems, Linz und Wien, Theologe, Philosoph, kirchlich gesendeter Katechist, gelangte über die östlichen Riten zur Traditionellen Lateinischen Messe
Bild: Wikicommons/Ars Christiana
Klare Vorgaben durch das Konzil v. Trient; dieses hat in der 7. Sitzung Folgendes dogmatisch festgelegt:
-
6.
Wenn jemand behauptet der Mess Kanon enthalte einige Fehler und man müsse es abschaffen, der sei Anatema
[.…]
13.
Wenn jemand behauptet, die von der katholischen Kirche überlieferten und genehmigten, in der feierlichen Verwaltung der Sakramente zu beobachten üblichen Gebräuche, können entweder missachtet, oder, ohne Sünde, von den Verwaltern nach Belieben weggelassen, oder von jeglichem Kirchenhirten mit anderen neuen Riten ausgetauscht werden, der sei im Bann.
-
Wir erinnern uns:
Kardinal Bugnini hat die „Neue Messe“ unter Mitarbeit von sechs protestantischen „Beobachtern†verfaßt.
Diese waren dem Rat für die Liturgiereform zugeteilt !
Das Resultat ist bekannt !
Von der Lex orandi zur Lex credendi ist es nicht weit!
Und genau das war die Absicht der liturgischen „Erneuerer“, besser gesagt der liturgischen Abrißkommission, nämlich die Protestantisierung (mein Vater sagte immer: die „Verblauung“) der katholischen Kirche.
Was hat man uns alles vorgegaukelt! Ein „neuer Frühling“ sollte in der Kirche ausbrechen, selbst die Fernstehenden würden wieder in die Kirchen strömen, denn jetzt sei man ja endlich „modern und aufgeschlossen“, jeder verstünde, was am Altar geschieht usw. usf. Vielleicht haben das ja einige von den Modernisten und Bilderstürmern selbst geglaubt, und manche glauben es wohl heute immer noch, wenn sie uns von den „Früchten des Konzils“ erzählen. Ich habe jedenfalls noch nirgends solche Früchte angetroffen, denn das genaue Gegenteil ist eingetreten: horrender Priestermangel, Rückgang der Gottesdienstbesucher um bis zu 90 %, der Glaube ist binnen einer Generation „verdunstet“, wie ein deutscher Bischof erst kürzlich beklagte. Er vergaß aber zu sagen, warum das wohl so gekommen ist.
Denken wir einmal zurück an die Zeit vor 1962 (dem Beginn des Konzils): Die Kirchen waren voll, die Klöster blühten und konnten sich über Nachwuchsmangel nicht beklagen, die Priesterseminare waren gut ausgelastet, es gab in weiten Teilen des Landes (ich spreche von West-Deutschland) Bekenntnisschulen, zahlreiche soziale Einrichtungen, wie Krankenhäuser, Altenheime etc., standen unter geistlicher Leitung. Die im Krieg zerstörten Kirchen wurden wieder aufgebaut, neue kamen hinzu (über deren Ausstattung wollen wir jetzt nicht reden), kurzum: kein halbwegs vernünftiger Manager hätte ein Unternehmen, was sich in solch stabilem und blühenden Zustand befand, umfassend umgestalten wollen. Ist es da ein Wunder, wenn ein britischer Wissenschaftler öffentlich fragte: Ist die katholische Kirche verrückt geworden?
Fortsetzung:
IST DIE KATHOLISCHE KIRCHE VERRÜCKT GEWORDEN?
Diese Frage stellte der britische Gelehrte John Eppstein vor mehr als 50 Jahren, und wenn man die heutige traurige Realität betrachtet, so erscheint diese Frage mehr als berechtigt.
Denn: Kirchen und Priesterseminare werden geschlossen und profaniert, ein Kloster nach dem anderen wird aufgelöst, mangels Nachwuchs, und die noch verbliebenen mutieren zu Altersheimen mit Insassen von 70 Jahren aufwärts, die Eucharistische Anbetung ist so gut wie ausgestorben, das Fronleichnamsfest wird zu allen möglichen Events mißbraucht, aber der eigentliche Sinn des Festes, nämlich die Verehrung des verborgenen Gottes, ist völlig in den Hintergrund getreten. Der Tabernakel wurde in eine dunkle Ecke verbannt, das Bußsakrament ist fast gänzlich aus dem öffentlichen Bewußtsein geschwunden, stattdessen gibt es sogenannte Bußandachten, in denen von Buße allenfalls – wenn überhaupt – am Rande die Rede ist (ein benachbarter Pfarrer tat folgenden Ausspruch: Ich betrete das „Wochenendhäuschen“ erst gar nicht; gemeint war der Beichtstuhl!), unsere Bischöfe laufen dem Zeitgeist hinterher, haben Verständnis für alles und jeden, nur nicht für die kleine Herde der diffamierten Traditionalisten, ein Kardinal (Lehmann mit Namen) bekundet öffentlich, daß er nicht an die Kirche glaubt (sic!), die Sonntagsgottesdienste werden zu Kaffeekränzchen und – je nach Jahreszeit – Karnevals- oder Erntedankfesten mißbraucht, am Altar, der mehr einer Kiste als einem Opfertisch ähnelt, tummeln sich alle möglichen Gestalten und machen in „Action“, die hl. Kommunion wird verteilt wie Pommes an der Imbißbude etc.pp.
Doch das alles wird uns als „neuer Frühling“ und „Aufbruch in die neue Zeit“ verkauft.
Begonnen hat es zweifelsfrei mit dem Abbruch der alten Liturgie, und da steckte von Anfang an System und Absicht dahinter.
Da möchte ich wieder aus dem Gedicht (ist ein prophetisches Gedicht über die für ihn damals noch zukünftige negative Entwicklung) von Pfarrer Franz Sales Handwercher (1830) zitieren:
…
(5. Sonntag:)
„…Da ich nun das Innere schaute,
Hat sich mir das Herz empöret;
Betstühl, Kanzel und Altäre
sind gestürzet und zerstöret.“
….
(6. Sonntag:)
„…Und es wurden alle Stühle (=Beichtstühle)
Samt den Priestern, die drin saßen,
Dorthin, wo sie niemand schaden,
In die Wüste fortgeblasen.“ ….