Von Don Michael Gurtner*
Frage: Es ist klar, daß es viel zu tun gäbe. Aber wenn Sie einen einzigen zentralen Punkt benennen müßten, auf den man seine Energien konzentrieren sollte, um einen Ausweg aus der anhaltenden Kirchenkrise zu finden: Wo würden Sie ansetzen?
Antwort: Auch das ist für mich vollkommen klar: Es muß von der allerheiligsten Eucharistie ausgehen und damit von der Heiligen Messe und der Liturgie insgesamt. Ich weiß, von vielen wird dieser Ansatzpunkt als naiv belächelt oder als viel zu oberflächliche Sicht der Dinge abgetan, wo es doch angeblich um wichtigere und bedeutendere Dinge als Liturgie oder liturgische Formen ginge. Aber mich bestätigt letztlich in meiner Ansicht, daß die Kritiker, die es für frömmlich-naiv halten, ausgerechnet in der heiligen Liturgie den Ansatzpunkt zu sehen, weil sie nicht die Haupt‑, sondern eine Nebensache der Kirche sei, eben genau dieselben sind, für die auch Christus, seine Lehre und seine Gebote nicht das Zentrum sind, sondern ihn an den Rand gerückt und seine Offenbarung durch menschliches Geklügel ersetzt haben. Denn Christus und Liturgie gehen letztlich immer mitsammen. Wie müssen an der Eucharistie ansetzen, weil wir an Christus ansetzen müssen, und ihn wieder in das Zentrum rücken. Keine schwammige „Christusbewegung“, keine undefinierte „Jesusphilosophie“, sondern wirklich Christus selbst: die hochheiligste Eucharistie.
Doch wie komme ich ausgerechnet auf die Liturgie als den zentralsten Punkt, von dem die Trendwende kommen muß? Es ist ganz einfach zu erkennen, weshalb es so ist, wenn man es nur erkennen und sich eingestehen will: Die Kirche wurde von Jesus nicht als Verein Gleichgesinnter gegründet, sie ist auch keine Interessensgesellschaft oder ein intellektueller Kulturclub, sondern wurde von Christus zu einem ganz bestimmten Zweck eingesetzt.
Christus ist gekommen, um uns zu erlösen – und das hat er am Kreuz getan. Diesem Kreuzesopfer hat er eine sehr konkrete transtemporale und translokale Kontinuität gegeben – im heiligen Meßopfer. Das heilige Meßopfer ist das unblutig fortdauernde Kreuzesopfer. Das ist der erste, oberste und heiligste Zweck der Kirche, letzter und einziger Urgrund all ihres Seins. Es ist ein unaufhörliches Lob‑, Dank‑, Sühn- und Bittopfer. Und dieses geschieht nun einmal in Form von Liturgie. So hat es Gott gewollt, so hat Er es gefügt und angeordnet. Im Alten Testament vorgebildet, durch Christus dann vollzogen und in der Kirche vollendet. Das ist der erste Zweck der Kirche und damit auch ihr oberster Auftrag: Es ist das, wofür sie eigentlich da ist – Liturgie zu halten.
Der oberste Auftrag des Menschen ist letztlich aber dasselbe: Gott ein Lobopfer darzubringen. Nicht weil Gott dessen bedürfte, um Gott zu sein, nicht um seinen Zorn zu besänftigen, nicht um ihm unsere Liebe zu zeigen, sondern weil der Mensch niemals so sehr seinem eigenen Wesen entspricht und niemals wirklich so sehr Mensch ist, als wenn er als Geschöpf sich mit seinem Schöpfer vereinigt. Und dies geschieht nirgends so vollkommen und „intensiviert“, als wenn er sich eben in genau jenem Heiligen Opfer des göttlichen Sohnes selbst mit DESSEN vollkommenem Opfer vereinigt: in der heiligen Eucharistie. Wieder also ist es Liturgie, ganz speziell die Heilige Messe, auf die alles hinausläuft.
Beide, sowohl die Kirche als auch der Mensch, finden in der Liturgie des Heiligen Opfers ihre höchste Erfüllung, hier verwirklicht sich für beide der oberste und einzig wirkliche Sinn ihres Seins. Mensch und Kirche vereinigen sich so und fließen in die Eucharistie – in Christus – über. Die Kirche bittet bei jeder Opferbereitung darum, wenn sie dem Wein ein Tröpfchen Wasser hinzufügt, daß wir durch das Geheimnis des Wassers und des Weines teilhaben mögen an der Gottheit Jesu Christi, der sich herabgelassen hat, unsere Menschennatur anzunehmen. In diesem kleinen Gebet der alten Messe ist die Antwort darauf zusammengefaßt, weshalb wir bei Christus, und deshalb an der Eucharistie, und deshalb an der heiligen Liturgie ansetzen müssen, wenn wir eine Trendwende in der Kirche herbeiführen wollen.
Die derzeitige Krisensituation der Kirche ist Konsequenz aus einem ursächlichen Mangel des liturgischen Opfervollzuges – und damit meine ich nicht ein schlampig gemachtes Kreuz über dem Kelch oder eine vergessene Verneigung beim Gloria, sondern eine tiefsitzende, substantielle Fehlerhaftigkeit im Verständnis und im vorgesehenen Vollzug dessen, als was Kirche und Mensch in Wirklichkeit und von Gott her gedacht sind. Dieser Mangel im Vollzug und im Selbstverständnis manifestiert sich notwendiger Weise in einer Krise der Kirche und damit ebenso in einer Krise des Menschen. Sie sind kausal zusammenhängend, weil sie miteinander innerlich verwoben sind.
Man kann aber eine Krise – eine jede Krise – nur beheben, indem man ihre Ursache korrigiert – und diese ist eben im Kern der Kirche zu finden, der gottgewollt ein liturgischer ist. Anders als liturgisch ist Kirche nicht denkbar, und anders als kirchlich und daher liturgisch ist auch der Mensch nicht denkbar, jedenfalls nicht in seiner geistlichen Wesensentsprechung.
Einer der Grundfehler ist es, daß wir die geistliche Sicht der Dinge selbst in Kirchenkreisen nicht mehr mit einbeziehen, aber gerade daran hängt alles. Die Kirche ist keine Organisation und kein Großunternehmen, sie ist nicht Menschenwerk, sondern sie ist das Opus Dei, Gottes Werk. Die Probleme der Kirche sind nur geistlich zu lösen, weil es im Grunde eben geistliche Probleme sind – nicht strukturelle oder administrative.
Aus diesem Grund bin ich der festen und unumstößlichen Überzeugung, daß sich die Krise der Kirche, die auch eine Krise des Menschen nach sich zieht, allein liturgisch gelöst werden kann, so einfältig das manchen auch erscheinen mag.
*Mag. Don Michael Gurtner ist ein aus Österreich stammender Diözesanpriester, der in der Zeit des öffentlichen (Corona-) Meßverbots diesem widerstanden und sich große Verdienste um den Zugang der Gläubigen zu den Sakramenten erworben hat. Die aktuelle Kolumne erscheint jeden Samstag.
Das Buch zur Reihe: Don Michael Gurtner: Zur Lage der Kirche, Selbstverlag, 2023, 216 Seiten.
Bisher erschienen:
- Zur Lage der Kirche – eine neue Kolumne
- Zur Lage der Kirche – Frage 1
- Zur Lage der Kirche – Frage 2
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Was geschieht jetzt in der Kirche, ist eine Katastrophe. Einen grösseren Niedergang kann man kaum vorstellen. Die Kirche ist heutzutage in einer Situation, die der Schriftsteller Kosmas Flama beschreibt (1930) in seinem Buch „Athanasius kommt in Grossstadt, oder die Tiergrube“. Er schreibt über die Christen die leben in der Grossstadt Teilope, nennen sie sich zwar Christiani, aber mit Christus haben fast nichts mehr zusammen. Sie haben sich völlig an die Heiden der Stadt angepasst. Athanasius sagt dieser Gruppe: „Ihr seid völlig verdorben… Ihr wollt Kinder des Lichtes werden, aber ihr liebt mehr Finsternis der Welt… Ihr sollt über die Busse denken, aber ihr träumt über die Fortschritt in der Welt… Ihr wollt in der Mitte zwischen Licht und der Welt sein… Ihr seid Meister des Kompromisses…“ Und dann sagt der Athanasius; „Sie nennen sich nach Christus, aber es wäre besser, wenn sie sich nach Pilatus nennen“.
Diese Worte passen ganz genau besonders an die Kirche in Deutchland und anderen Westländer..