Zur Lage der Kirche – Frage 64

Wie Priesterberufungen fördern


Don Michael Gurtner: Zur Lage der Kirche

Von Don Micha­el Gurtner*

Anzei­ge

Fra­ge: Was müß­te die Kir­che unter­neh­men, um Prie­ster­be­ru­fun­gen zu fördern?

Ant­wort: Sehr vie­les. Denn hier liegt vie­les im argen, eini­ges haben wir bereits ange­spro­chen. Es wäre ein gan­zes Paket an Maß­nah­men nötig, um hier mit­tel­fri­stig etwas zum Guten zu bewe­gen.
Zum einen müs­sen wir sagen: Beru­fun­gen gibt es auch heu­te, der lie­be Gott möch­te uns auch heu­te vie­le geeig­ne­te Prie­ster schicken und streut auch in unse­ren Tagen zahl­rei­che Beru­fun­gen. Nur wer­den die­se meist sehr früh von der Kir­che selbst erstickt. Sie kön­nen sich nicht ent­fal­ten, und die Betrof­fe­nen leben sozu­sa­gen an ihrer Prie­ster­be­ru­fung vor­bei. Sie wer­den an der Ver­wirk­li­chung ihrer durch Got­tes Gna­den geschenk­ten Prie­ster­be­ru­fung gehin­dert, und zwar durch die Kir­che selbst.

Nur ein gan­zes Maß­nah­men­pa­ket könn­te die­se Ent­wick­lung stop­pen und umkeh­ren. Zum einen muß die Kir­che selbst wie­der deut­lich das Signal aus­sen­den: Wir wol­len Prie­ster, und wir wol­len auch wirk­lich geist­li­che, from­me Prie­ster, und wir för­dern sie in jeg­li­chen Belan­gen. Es ist näm­lich oft so, daß jun­ge Män­ner den Ein­druck haben, die Kir­che selbst wol­le nur sehr wider­wil­lig Prie­ster wei­hen, nur wenn es eben gar nicht anders geht, und so weni­ge wie möglich.

Heu­te wird durch die Kir­che selbst ver­mit­telt: Eigent­lich sei es bes­ser, man wird nicht Prie­ster. Eine Prie­ster­be­ru­fung wird heu­te sogar von man­chen Bischö­fen nicht mehr als Freu­de, son­dern als Last emp­fun­den. Das ist ein Grund­satz­pro­blem, das man ändern muß.

Dann gibt es den gesam­ten Bereich der Aus­bil­dung, der ein­fach nicht mehr funk­tio­niert. Eini­ges haben wir bereits ange­spro­chen. Da ist zum einen die Semi­nar­struk­tur: Der Rol­le des Spi­ri­tu­als wird viel zu wenig Bedeu­tung bei­gemes­sen, in eini­gen Semi­na­ren ist er gar nur alle paar Wochen stun­den­wei­se als Gast prä­sent. Dabei wäre er eine der zen­tral­sten Figu­ren der Prie­ster­aus­bil­dung, dem viel mehr Raum gege­ben wer­den müß­te, und zwar nicht nur als poten­ti­el­ler Gesprächs­part­ner für ver­trau­li­che Zwie­spra­chen, wor­auf er heu­te meist redu­ziert ist. Es wür­de in einem Prie­ster­haus meh­re­re Spi­ri­tua­le unter­schied­li­chen Alters brau­chen, min­de­stens drei, die kon­stant im Semi­nar leben und zur Ver­fü­gung ste­hen, die geist­li­che und theo­lo­gi­sche Vor­trä­ge hal­ten, das geist­li­che Leben anlei­ten und auch sonst vie­le Auf­ga­ben über­neh­men und so die ein­zel­nen Kan­di­da­ten lang­sam, aber kon­ti­nu­ier­lich in das Prie­ster­le­ben ein­füh­ren. Die ihnen über Jah­re hin­weg bei­brin­gen, gute Beicht­vä­ter zu wer­den und die hei­li­ge Lit­ur­gie hoch­zu­hal­ten. Die ihnen hel­fen, die ver­schie­de­nen lit­ur­gi­schen und außer­lit­ur­gi­schen Gebets­for­men zu ver­in­ner­li­chen, die geist­li­chen Gesän­ge zu pfle­gen und so weiter.

Ein künf­ti­ger Prie­ster, der ja ein „Geist­li­cher“, wie man frü­her noch öfters so schön sag­te, wer­den soll, muß ganz selbst­ver­ständ­lich nicht nur theo­lo­gisch, son­dern in aller erster Linie eben gera­de „geist­lich“ aus­ge­bil­det wer­den. Eine sol­che For­mung und Prä­gung gibt es in den mei­sten Prie­ster­se­mi­na­ren heu­te ein­fach nicht. Die­se sind zu einer Art des halb­welt­li­chen Stu­den­ten­wohn­heims gewor­den, in dem alle jene leben müs­sen, die Prie­ster wer­den wollen.

Wenn das „Beicht­se­mi­nar“, also die Beicht­aus­bil­dung, sich bei­spiels­wei­se auf ein oder zwei Halb­ta­ge und auf ein klei­nes Rol­len­spiel beschränkt, dann ist das kei­ne Prie­ster­aus­bil­dung, son­dern die Reduk­ti­on unter­halb eines Mini­mums, so daß man gera­de noch so sagen kann: „Haben wir ja eh gelehrt, kön­nen wir also abhaken“.

Des­halb müs­sen wir uns aber auch nicht über die „Qua­li­tät“ der heu­ti­gen Prie­ster wun­dern. Die Beich­te in all ihren oft sehr kom­pli­zier­ten Aspek­ten, wie vie­le ande­re Din­ge auch, gehört über die gesam­ten Semi­nar­jah­re hin­durch regel­mä­ßig und kon­ti­nu­ier­lich behan­delt und ein­ge­übt – um nur ein Bei­spiel kurz anzusprechen.

Auch die Rol­le des Regens, also des „Semi­nar­di­rek­tors“, muß wie­der eine ande­re wer­den: In vie­len, wenn­gleich nicht in allen Prie­ster­se­mi­na­ren herrscht eine regel­rech­te Angst vor ihm. Man muß ihm um jeden Preis gefal­len, um nicht ent­las­sen zu wer­den, und vie­le Alum­nen haben das Gefühl (oft berech­tigt): Eigent­lich ist er nicht dazu da, um einem jeden ein­zel­nen von uns zu hel­fen, ein guter, hei­lig­mä­ßi­ger Prie­ster nach dem Her­zen Jesu zu wer­den, son­dern um mög­lichst alle rea­len oder ver­meint­li­chen Feh­ler und Män­gel aus­zu­nut­zen, um eine Wei­he zu verhindern.

Der Regens wird aus gutem Grund in vie­len Diö­ze­sen von den Prie­ster­amts­kan­di­da­ten als das feind­li­che Gegen­über wahr­ge­nom­men, der nicht für, son­dern gegen einen ist, wie ein lau­ern­der Feind, der jeder­zeit lachen­den Gesich­tes unge­recht­fer­tigt oder völ­lig grund­los ent­las­sen kann. Der nicht hilft und för­dert, son­dern akri­bisch nach Ent­las­sungs­grün­den sucht und dann ver­nich­tend zuschlägt, sobald er kann – und auch wenn er nicht kann. Oft­mals blei­ben dabei die Ent­las­sungs­grün­de unklar und vage, um die Ent­schei­dung der Ent­las­sung unan­fecht­bar zu machen, davon abge­se­hen, daß Semi­na­ri­sten ohne­dies kei­ne wirk­li­chen Rech­te oder Ein­spruchs­mög­lich­kei­ten bei Ent­las­sung haben. Der Will­kür ste­hen alle Wege offen.

Sehr oft gibt es nichts Kon­kre­tes, was gegen einen Semi­na­ri­sten erho­ben wird, son­dern es bleibt im unbe­stimm­ten. Es herrscht vie­ler­orts rei­ne Will­kür dies­be­züg­lich, und es wird nach Sym­pa­thie und Anti­pa­thie ent­schie­den. Nicht sel­ten heißt es auch: „Natür­lich haben Sie eine Prie­ster­be­ru­fung – aber bit­te nicht bei uns, suchen Sie sich etwas ande­res. Wir wün­schen Ihnen alles Gute für Ihre Zukunft und Got­tes Segen“. Am Ende blei­ben das aber zyni­sche Floskeln.

Dadurch aber kön­nen sich die Kan­di­da­ten nicht mehr offen und frei äußern und ver­hal­ten, son­dern es ent­steht eine Art von Über­le­bens­kampf, der Stra­te­gien erfor­dert, die sich dann dau­er­haft ver­fe­sti­gen kön­nen. Was zurück­bleibt, ist der Ein­druck: In der Kir­che muß man gefal­len, um über­le­ben zu kön­nen. Das erklärt heut­zu­ta­ge auch das eigen­tüm­li­che Ver­hal­ten vie­ler Prie­ster. Sie haben es, indi­rekt, im Semi­nar so erlebt und gelernt, es ver­in­ner­licht und es schließ­lich mehr oder weni­ger bewußt in ihr Prie­ster­le­ben mit über­nom­men. Vie­len ist die­ses Ver­hal­tens­mu­ster geblie­ben – und den Gläu­bi­gen fällt dies als Schwä­che der Per­sön­lich­keit nega­tiv auf.

Als drit­ter Punkt der Kate­go­rie „Aus­bil­dung“ wäre die theo­lo­gi­sche Aus­bil­dung zu benen­nen, auch hier ist bereits eini­ges ange­klun­gen. Das gro­ße Pro­blem der heu­ti­gen Tage ist, daß die wis­sen­schaft­li­che Aus­bil­dung (die an sich höchst begrü­ßens­wert und wich­tig ist!) kein geist­li­ches Fun­da­ment mehr hat, und des­halb gleich­sam ent­wur­zelt ist. Sie nährt sich nicht mehr von ihrem Urgrund her, sie ent­wächst nicht mehr aus Glau­ben, Lit­ur­gie und Gebet, son­dern wird wie eine athe­isti­sche Wis­sen­schaft betrie­ben. Man betreibt sie mehr als eine Art neu­tra­le, ste­ri­le Reli­gi­ons­wis­sen­schaft und redet über Gott, als glau­be man nicht an ihn, ganz so, als sei­en es nur ande­re, Pri­mi­ti­ve­re, die an ihn glauben.

Theo­lo­gie, so lernt man heu­te, müs­se sogar frei und unab­hän­gig vom Glau­ben gelehrt wer­den, um wis­sen­schaft­lich zu sein. Das ist frei­lich Unsinn, denn man han­delt somit von einer Tat­sa­che, von der man jedoch so tun muß, als wäre sie kei­ne. Solch eine Sicht­wei­se, die heu­te gera­de­zu als selbst­ver­ständ­lich vor­aus­ge­setzt wird, ist kata­stro­phal und ein Selbstwiderspruch.

Es wird sogar von theo­lo­gi­schen Fakul­tä­ten berich­tet, in denen man for­der­te, die Kreu­ze aus den Hör­sä­len zu ent­fer­nen, da deren Anwe­sen­heit nicht reli­gi­ons­neu­tral und unwis­sen­schaft­lich sei. Eine sol­che theo­lo­gi­sche Fakul­tät hat dann aber auch ihre Daseins­be­rech­ti­gung ver­lo­ren und frißt den ande­ren Fakul­tä­ten nur noch das Geld weg.

Künf­ti­ge Prie­ster müs­sen eine wis­sen­schaft­lich anspruchs­vol­le, tief­gläu­bi­ge, intel­lek­tu­ell her­aus­for­dern­de Theo­lo­gie stu­die­ren kön­nen. Sie müs­sen sozu­sa­gen auf ihren eige­nen Knien eine hei­li­ge Theo­lo­gie stu­die­ren. Nicht bloß Ein­zel­mei­nun­gen und sinn­lo­ses Geplau­de­re hören, wo alles gleich­be­rech­tigt neben­ein­an­der­ge­stellt wird, und es kein Rich­tig und Falsch mehr gibt.

Gar nicht so sel­ten rei­chen Vor­le­sun­gen nicht ein­mal an die Qua­li­tät von Stamm­tisch­phi­lo­so­phie her­an, und es geht dabei nur um ein Schlecht­ma­chen und ver­meint­li­ches Wider­le­gen der katho­li­schen Leh­re und des Glau­bens. Theo­lo­gie­pro­fes­so­ren ver­la­chen und ver­höh­nen in ihren Vor­le­sun­gen auf uner­träg­lich prä­po­ten­te und zyni­sche Wei­se den from­men Glau­ben der „ein­fa­chen Leu­te“ oder ihrer Studenten.

Meist wird das Theo­lo­gie­stu­di­um des­halb von Alum­nen als ein not­wen­di­ges, zeit­ver­schwen­den­des Übel durch­lit­ten, weil es weder Geist noch See­le nährt und intel­lek­tu­ell nicht fordert.

Mir ist sogar von einem ita­lie­ni­schen Semi­nar bekannt, das den Wei­he­kan­di­da­ten den Lehr­film der Pius­bru­der­schaft zur rech­ten Zele­bra­ti­on der hei­li­gen Mes­se vor­ge­führt hat – aller­dings nur des­halb, um die dar­in gezeig­te Ehr­furcht und lit­ur­gi­sche Genau­ig­keit zu ver­höh­nen und als schlech­tes Bei­spiel zu ver­spot­ten und um davor zu war­nen, wie man nie­mals wer­den dürfe!

Es kann und darf aber nicht der Sinn der Prie­ster­aus­bil­dung sein, sogar in solch einem gif­ti­gen Umfeld zu über­le­ben, nach dem Mot­to: Wer das alles bis zum Ende durch­hält, wird geweiht. Vie­le Stu­den­ten las­sen sich von die­sem Kli­ma ver­gif­ten. Bei ihrer ersten Vor­le­sung sind sie noch fromm und tief­gläu­big, und bei ihrer letz­ten Vor­le­sung glau­ben sie an nichts mehr und belä­cheln die From­men selbst­ge­recht von oben her­ab und tram­peln auf deren gesun­der Glau­bens­pra­xis her­um. Dem­entspre­chend wir­ken und amtie­ren heu­te vie­le Geistliche.

Ein Prie­ster aber muß der Ver­tei­di­ger des from­men Glau­bens der (ver­meint­lich) „klei­nen Beter“ sein! Natür­lich muß man da und dort manch­mal etwas zurecht­rücken, wo es nötig ist, aber eben nur dort, wo es schwe­re Feh­ler gibt – aber nicht, um den rech­ten Glau­ben aus­zu­trei­ben zu ver­su­chen, wie es heu­te zahl­rei­che stu­dier­te Theo­lo­gen tun!

Im Ide­al­fall wer­den die theo­lo­gi­schen Fächer von Prie­stern gelehrt und es fin­det die aka­de­mi­sche Aus­bil­dung der Alum­nen im Semi­nar statt, wo sich die Lek­tio­nen in das Semi­nar­le­ben inte­grie­ren – und sich nicht das ohne­dies kaum vor­han­de­ne Semi­nar­le­ben an den exter­nen Fakul­tä­ten ori­en­tie­ren muß.

Neben dem Grund­sätz­li­chen und der Aus­bil­dung muß sich aber auch das sozu­sa­gen „Beruf­li­che“, wenn man es so nen­nen will, ändern, wenn Prie­ster­be­ru­fe wie­der geför­dert wer­den sol­len. Zunächst ein­mal muß der Prie­ster­be­ruf wie­der vari­an­ten­rei­cher wer­den, wie es frü­her auch üblich war. Die Beru­fung ist näm­lich die eines Prie­sters, nicht die eines Pfar­rers! Das heißt, Pfar­rer zu sein ist eine von vie­len mög­li­chen Arten, sein Prie­ster­tum frucht­bar aus­zu­üben, nicht aber die ein­zi­ge. „Prie­ster“ de fac­to mit „Pfar­rer“ gleich­zu­set­zen, bedeu­tet eine unge­recht­fer­tig­te Ver­en­gung, wel­che weder der Kir­che noch den Prie­stern wohlbekommt.

Man kann auf vie­len ver­schie­de­nen Wei­sen Prie­ster nach dem Her­zen Jesu sein, frei­lich auch als Pfar­rer, aber eben auch als Gym­na­si­al­leh­rer, als Uni­ver­si­täts­pro­fes­sor, als Kom­po­nist und Musi­ker, als Erzie­her, als Natur­for­scher, als Histo­ri­ker, als Autor, und auf vie­le ande­re mehr. All das wird heu­te viel­fach aus­ge­schlos­sen, und die­se Ver­ar­mung im kon­kre­ten Ein­satz­ge­biet, die in der Redu­zie­rung auf das immer unat­trak­ti­ver wer­den­de Pfarr­amt hin­aus­läuft, hin­dert auch Män­ner dar­an, über­haupt erst ins Semi­nar ein­zu­tre­ten. Nicht weni­ge wol­len zurecht Prie­ster wer­den – aber ja nicht Pfar­rer. Eine Hal­tung, die man unter den heu­te gege­be­nen Umstän­den lei­der sehr gut nach­voll­zie­hen kann und die nicht von irgend­wo herrührt.

Frü­her sag­te man mit einer gewis­sen Groß­zü­gig­keit: Was hin­dert einen Prie­ster dar­an, sein Prie­ster­tum auch als Gym­na­si­al­pro­fes­sor, etwa für Latein und Mathe­ma­tik aus­zu­üben oder als Dom­or­ga­nist und Kom­po­nist? Erin­nern wir uns an einen Kar­di­nal Bar­to­luc­ci oder einen Dom­ka­pell­mei­ster Ratz­in­ger, an Abt Gre­gor Johann Men­del, dem wir die moder­ne Ver­er­bungs­leh­re ver­dan­ken, oder an einen Geor­ges Lemaît­re, einen Astro­phy­si­ker, dem wir die soge­nann­te Urknall­theo­rie ver­dan­ken (deren unglück­lich gewähl­ter Name übri­gens nicht von ihm stammt, son­dern als Pole­mik von sei­nen Geg­nern so gewählt wur­de) und auf der heu­te die moder­ne Kos­mo­lo­gie auf­baut. Sie waren alle Prie­ster mit Leib und See­le, haben ihr Leben lang sehr frucht­bar als sol­che gewirkt, die Sakra­men­te gespen­det und der Kir­che treu gedient, aber eben nicht in einer Pfar­rei, son­dern außer­halb die­ser Struk­tur. Wären sie heu­te noch­mals jung, wür­de man ihnen sagen: Als Musi­ker, als For­scher, als Leh­rer mußt Du nicht unbe­dingt Prie­ster sein, bei­des geht nicht, bes­ser Du wirst nicht Geist­li­cher. Man sagt es, weil man selbst in der Kir­che das Prie­ster­amt nicht mehr hoch­schätzt, wie man es eigent­lich sollte.

Das ist ein unge­heu­rer Para­dig­men­wech­sel, dem eine fun­da­men­tal ande­re, ent­kern­te Sicht des Prie­ster­tums zugrun­de liegt. Es wird rein funk­tio­nal anstatt geist­lich gese­hen, es geht nicht mehr um das Sein, nicht mehr um das Opfer, das man dar­bringt, son­dern dar­um, ob man es für den „Beruf“ (denn nur in die­ser Kate­go­rie denkt man heu­te, wenn man vom Prie­ster spricht) unbe­dingt braucht oder nicht. Will man Pfar­rer wer­den, „braucht“ man die Wei­he, also ist sie gerecht­fer­tigt. Als Kir­chen­mu­si­ker oder Theo­lo­gie­pro­fes­sor aber nicht – und wer eine sol­che Auf­ga­be anstrebt, soll daher bes­ser gar nicht erst geweiht werden.

Die Fra­ge, ob man nicht auch in solch einem Beruf prie­ster­lich frucht­bar wir­ken kann, stellt man sich erst gar nicht. Ja man geht sogar so weit, daß man sagt: Jeder Prie­ster, der bei­spiels­wei­se Leh­rer oder Pro­fes­sor wird oder in der Kurie arbei­tet, nimmt einem Lai­en einen Posten weg. Das ist letzt­lich auch eine Form von Dis­kri­mi­nie­rung von Prie­stern, außer­dem wird es dem Prie­ster­tum selbst nicht gerecht.

Wich­tig wäre es, daß man einem jeden Prie­ster die Mög­lich­keit bie­tet, als sol­cher auch zu wir­ken – in wel­chem „Beruf“ auch immer, ob in der Wis­sen­schaft, in der Kunst, der Erzie­hung oder in ande­ren Berei­chen. Wür­de man dies­be­züg­lich wie­der offe­ner wer­den, so wie man es frü­her auch war, wür­den auch wie­der mehr Män­ner Prie­ster wer­den. Und als sol­che wür­den sie dann auch Pfar­rer ent­la­sten, denn gera­de vie­le Pfar­rei­en behin­dern heu­te eher das geist­li­che Leben und Wir­ken als es zu för­dern. Daher ist es nicht sel­ten das Ein­ge­bun­den­sein in ein System, das einen genau in dem ein­schränkt, wofür man eigent­lich Prie­ster gewor­den ist, und nicht weni­ge von dem Schritt ins Semi­nar abhält, obwohl sie eigent­lich dazu beru­fen sind.

Zuletzt ist auch noch der rein mensch­li­che Umgang in der Kir­che zu erwäh­nen, das „kol­le­gia­le“ Umfeld sozu­sa­gen, das einen erwar­tet. Auch die­ses Man­ko erken­nen jun­ge Män­ner sehr schnell, sobald sie nur ein wenig hin­ter die Kulis­sen blicken. Auch über die Medi­en bekommt man immer häu­fi­ger und unge­schmink­ter mit, wie man im Kle­ri­ker­stand mit­ein­an­der umgeht. Das betrifft alle Ebe­nen, von der Pfar­rei über die Bis­tü­mer bis hin zur römi­schen Kurie. Wie man vie­le gute Pfar­rer, Prie­ster, Bischö­fe und Kar­di­nä­le behan­delt und regel­recht abge­sägt hat und wie sie oft genug auch öffent­lich, teils sogar von ihren Obe­ren, lächer­lich gemacht oder kalt­ge­stellt wer­den, bleibt kaum jeman­dem mehr ver­bor­gen und ist lei­der zum inner­kirch­li­chen Stan­dard geworden.

Das „Betriebs­kli­ma“ ist im all­ge­mei­nen kata­stro­phal, viel schlech­ter als in einem nor­ma­len Betrieb, was teil­wei­se auch damit zu tun hat, daß es eben nicht nur ein Beruf ist, son­dern Glau­bens­über­zeu­gun­gen und Lebens­kon­zep­te untrenn­bar damit zusam­men­hän­gen. Zu sehen, was einen in die­ser Hin­sicht nach den Jah­ren im Prie­ster­se­mi­nar, die immer­hin irgend­wann vor­bei­ge­hen, heu­te erwar­tet, ist ein wei­te­rer Punkt, der davon abhält, den Schritt zu wagen, an die Pfor­ten eines Prie­ster­se­mi­nars zu klopfen.

Zahl­reich sind die Bei­spie­le, in denen wirk­lich gute und see­len­eif­ri­ge Prie­ster von den Diö­ze­sen und ihren Bischö­fen fal­len­ge­las­sen wur­den, wenn es in den Pfar­rei­en zu Schwie­rig­kei­ten kam, die sich oft­mals als nich­tig oder als von Leu­ten mit per­sön­li­chen Eigen­in­ter­es­sen künst­lich her­bei­ge­re­det erwie­sen. Vie­le soge­nann­te Skan­da­le waren in Wirk­lich­keit ganz anders, als in den Medi­en – meist durch beein­drucken­de und auf­ge­bläh­te Adjek­ti­ve – dar­ge­stellt und ver­dreht. Unzäh­li­ge Schlag­zei­len sind ein­fach nur orche­striert, insze­niert und wort­ge­wal­tig mit mani­pu­la­ti­ver Rhe­to­rik auf­ge­bauscht. Es läuft dabei heu­te nicht anders als zu Beginn der Neu­zeit in der welt­li­chen Gerichts­bar­keit: Es genügt das bewußt gestreu­te Gerücht, es folgt wie bestellt die Het­ze durch den Mob und die erho­be­ne Ankla­ge der Medi­en, und „die Hexe“ wird ver­brannt – heu­te eben medi­al, gesell­schaft­lich und beruflich.

Man hat ver­stan­den: Oft­mals genügt es, wie ein klei­nes Kind, mit Hil­fe der Medi­en nur laut genug auf­zu­schrei­en und viel Lärm zu machen, um sei­nen Wil­len durch­zu­set­zen – und Leu­te abzu­set­zen. Das Pro­blem dabei ist: Das funk­tio­niert wirk­lich in der Kir­che. In den mei­sten Fäl­len stel­len sich die Diö­ze­san­ku­ri­en, um nicht selbst in die Kri­tik zu gera­ten, bei­na­he reflex­ar­tig auf die Sei­te der Medi­en und gegen den betrof­fe­nen Pfar­rer, der somit von zwei Sei­ten ange­grif­fen wird und allein gegen alle steht.

Das geschieht oft genug wider bes­se­res Wis­sen, ein­fach auch aus Angst vor einem Kon­flikt. Dadurch bekom­men die Medi­en eine enor­me Macht in die Hand. Indem sie mit Lärm dro­hen, mani­pu­lie­ren sie gezielt und geschickt die sach­li­chen und per­so­nel­len Ent­schei­dun­gen. Wie oft hieß es schon, teils sogar öffent­lich, im nach­hin­ein: Die­ser Prie­ster oder jener Bischof hat zwar nichts falsch gemacht, wur­de aber trotz­dem ent­fernt, weil er zu vie­le Geg­ner hatte.

Weil die­ses unver­schäm­te Vor­ge­hen aber ganz offen­sicht­lich sehr gut wirkt, da man sich ja nicht dage­gen wehrt, son­dern es wir­ken läßt, wird jeder Ent­schei­dungs­trä­ger, und auch die Kir­che ins­ge­samt, leich­ter mani­pu­lier­bar. Jeder Kle­ri­ker ist heu­te über die­se Masche irgend­wie erpreß­bar, weil er direkt oder indi­rekt in die­ses toxi­sche System ein­ge­bun­den ist. Nicht mehr die Fak­ten schei­nen zu zäh­len, nicht mehr die Wahr­heit und Chri­stus, gera­de auch in der Kir­che, son­dern die öffent­li­che Mei­nung und das gute Anse­hen vor der Mehrheit.

Man stellt sich nur all­zu bereit­wil­lig auf die Sei­te derer, die am lau­te­sten plär­ren. Denn dort fühlt man sich „rich­tig“ und geschützt. Die offen­sicht­li­che Kehr­sei­te ist, daß die der­zeit herr­schen­de Regie­rungs­ebe­ne als struk­tu­rel­le Medio­kra­tie zu bezeich­nen ist, und zwar in ihrem dop­pel­ten Wort­sin­ne – in der Kir­che fast noch mehr als im Staat.

Wer begibt sich ger­ne als Prie­ster frei­wil­lig in ein System, das so funk­tio­niert, wie es eben umzeich­net wur­de? Wohl nur noch ein heil­los irr­wit­zi­ger Idea­list. Und davon gibt es eben nur sehr wenige.

Das wären, in einer kur­zen Syn­the­se zusam­men­ge­faßt, eini­ge zen­tra­le Punk­te, an denen man anset­zen müß­te, wenn man die Prie­ster­be­ru­fun­gen wirk­lich för­dern woll­te. Aber momen­tan sieht es hier­bei nicht nach einer Ver­bes­se­rung aus. Die­se gra­vie­ren­den Män­gel in den eben ange­deu­te­ten Berei­chen auf sich zukom­men zu sehen schreckt lei­der gera­de die beson­ders guten und brauch­ba­ren Män­ner davon ab, heu­te noch Prie­ster zu werden.

*Mag. Don Micha­el Gurt­ner ist ein aus Öster­reich stam­men­der Diö­ze­san­prie­ster, der in der Zeit des öffent­li­chen (Coro­na-) Meß­ver­bots die­sem wider­stan­den und sich gro­ße Ver­dien­ste um den Zugang der Gläu­bi­gen zu den Sakra­men­ten erwor­ben hat. Die aktu­el­le Kolum­ne erscheint jeden Samstag.


Das Buch zur Rei­he: Don Micha­el Gurt­ner: Zur Lage der Kir­che, Selbst­ver­lag, 2023, 216 Seiten.


Bis­her erschienen:

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