Zur Lage der Kirche – Frage 56

Warum gibt es so wenig Widerstand im Klerus?


Don Michael Gurtner: Zur Lage der Kirche

Von Don Micha­el Gurtner*

Anzei­ge

Fra­ge: Wenn sich alles ändert: War­um gibt es dann so wenig Wider­stand im Klerus?

Ant­wort: Die Grün­de dafür sind viel­schich­tig, aber es las­sen sich eini­ge gro­ße Grund­li­ni­en extra­po­lie­ren. Zunächst ein­mal muß man beden­ken: Die wenig­sten Prie­ster füh­len sich in der gegen­wär­ti­gen Situa­ti­on der Kir­che wirk­lich wohl, wenn­gleich die Grün­de unter­schied­lich sind. Kaum einer ist zufrie­den. Den einen ist es bereits viel zuviel an Reform, den ande­ren noch viel zu wenig. Glück­lich ist mit der gegen­wär­ti­gen Situa­ti­on jedoch nie­mand so wirk­lich. Es ist ein all­ge­mei­nes Unwohl­sein fest­zu­stel­len, einer­seits, weil die Kir­che sich offen­sicht­lich in einer Kri­sen­si­tua­ti­on befin­det, ande­rer­seits auch ob des über­aus man­gel­haf­ten mensch­li­chen Umgangs inner­halb der Kir­che, spe­zi­ell unter Klerikern.

Im idea­len Fall spielt der rech­te Glau­be eine zen­tra­le Rol­le für einen Prie­ster, und dar­auf hat er sei­ne gesam­te Exi­stenz auf­ge­baut. Wenn es nun scheint, als wäre der Kir­che der Glau­be selbst abhan­den­ge­kom­men, jeden­falls aus dem Zen­trum gerückt, und als wür­de die­ser in man­chen Berei­chen gleich­sam ange­grif­fen, so kommt es bei vie­len Geist­li­chen zu einem star­ken Unwohlsein.

Der Unter­schied der Kir­che, wie sie in der Jugend und in den Stu­di­en­jah­ren emp­fun­den wur­de, zur Gegen­wart erscheint vie­len als ekla­tant. Ist die Kir­che wirk­lich noch die­sel­be, mit dem­sel­ben Glau­ben, in deren Dienst man einst aus Über­zeu­gung und mit viel Enthu­si­as­mus ein­ge­tre­ten ist?

Zum Bei­spiel wur­de 1985 von einem Pfar­rer erwar­tet, gegen die Zulas­sung von Mini­stran­tin­nen zu sein, 1995 muß­te der­sel­be Pfar­rer plötz­lich dafür sein. 2005 durf­te und muß­te er es ableh­nen, daß Lai­en wäh­rend der Mes­se pre­di­gen, 2015 muß er dies man­cher­orts nun mit der­sel­ben Vehe­menz ver­tei­di­gen. Ähn­li­che Bei­spie­le lie­ßen sich zur Genü­ge finden.

Hier geht es aber um Über­zeu­gun­gen und Glau­bens­fra­gen: Kann sich das tat­säch­lich alles ändern? Auf wel­cher Basis? Und: Was, wenn sich die Glau­bens­über­zeu­gung nicht mit ändert?

Die Din­ge ändern sich der­zeit bestän­dig, und nicht zum Bes­se­ren, wäh­rend frü­her in der Kir­che alles Bestand hat­te. Die­se Ent­wick­lung ist grund­le­gend falsch, die Rich­tung stimmt nicht mehr, in die wir gehen. Man erkennt vie­les, was mitt­ler­wei­le falsch läuft, man erkennt die grund­le­gen­den Feh­ler in vie­len kirch­li­chen Ent­schei­dun­gen und Aus­sa­gen, aber man macht gute Mie­ne zum bösen Spiel, weil man muß, und traut sich meist nicht offen zu sprechen.

Vie­le Prie­ster sehen bei­spiels­wei­se indes­sen, daß die Ein­füh­rung von weib­li­chen Mini­stran­ten ein gro­ßer Feh­ler war, und sind nicht wirk­lich dafür, kön­nen es aber nicht mehr rück­gän­gig machen, weil das bedeu­ten wür­de, daß sie ihre Pfar­rei ver­lie­ren. Und ja, damit auch das Brot auf ihrem Tel­ler und das Bett unter ihrem Haupt, ganz zu schwei­gen vom Anse­hen, da man als geschei­tert gel­ten wür­de, wenn einem die Auf­ga­be ent­zo­gen wird.

Ähn­lich die Ein­füh­rung des Volks­al­ta­res oder der lau­ten Rezi­ta­ti­on des Hoch­ge­be­tes, und vie­le ande­re ähn­li­che Dinge.

Die mei­sten von ihnen bei­ßen dann die Zäh­ne zusam­men und set­zen wider­wil­lig um, wovon sie über­zeugt sind, daß es falsch ist und nicht dem Wil­len Chri­sti ent­spricht und auf fal­schen Prä­mis­sen aufbaut.

Dadurch ent­steht nach und nach auch viel Fru­stra­ti­on im Kle­rus, weil man sich in einem System gefan­gen sieht, das einen zwingt, ent­ge­gen den ursprüng­li­chen und eigent­li­chen Über­zeu­gun­gen zu han­deln – und man zugleich weiß, wel­che Aus­wir­kun­gen dies auf den Glau­ben der Men­schen hat, und man sich auch schon vor dem eige­nen gro­ßen Richt­spruch Got­tes sieht.

Aber man zögert, offen Wider­stand zu lei­sten, weil man als Prie­ster letzt­lich abhän­gig und dadurch auch irgend­wie erpreß­bar ist. Denn für einen Prie­ster sind „Leben“ und „Kir­che“ letzt­lich ident. Wird ein Prie­ster sus­pen­diert oder auch nur ohne eine wirk­li­che Auf­ga­be gelas­sen, so ver­liert er damit alles: nicht nur das, wofür er inner­lich lebt, son­dern auch sei­nen Beruf (beruf­li­che Alter­na­ti­ven gibt es meist nicht, weil es für alles einer bischöf­li­chen Ernen­nung bedarf und man des­halb sofort über­all blockiert ist), sei­ne Exi­stenz und Wohn­ge­le­gen­heit (als Prie­ster hat man meist eine Dienst­woh­nung, die man mit der Sus­pen­die­rung ver­liert, aber kein eige­nes Zuhau­se), sein sozia­les Umfeld (ein sus­pen­dier­ter oder iso­lier­ter Prie­ster wird von sei­nen Kol­le­gen meist gemie­den, um nicht selbst in eine schie­fe Optik zu gera­ten, außer­dem ist er meist gezwun­gen, sei­nen bis­he­ri­gen Wir­kungs­ort zu ver­las­sen, wo er sei­ne mei­sten Sozi­al­kon­tak­te hat) und so weiter.

Ein Prie­ster, der auf Grund sei­ner Recht­gläu­big­keit und sei­nes Ein­ste­hens für den Glau­ben bei Wider­stän­den Pro­ble­me mit sei­nem Orden oder sei­nem Bis­tum bekommt und der nicht mehr ein­ge­setzt wird, steht meist voll­kom­men iso­liert da. Es gibt jün­ge­re Prie­ster, die sogar wie­der bei Mama und Papa in ihr altes Kin­der­zim­mer ein­zie­hen müs­sen. Es gibt Geist­li­che, die mit 50 oder 60 Jah­ren noch immer bzw. schon wie­der zu Hau­se bei den Eltern leben müs­sen oder bei sonst jeman­dem: Geschwi­ster, Freun­den oder der Häu­se­rin. Älte­re Prie­ster haben nicht ein­mal mehr die­se Mög­lich­keit: Fami­lie haben sie ja kei­ne, etwa­ige Geschwi­ster sind selbst ver­hei­ra­tet oder leben woan­ders. Meist blei­ben dann nur sehr demü­ti­gen­de „Not­lö­sun­gen“ bei Freun­den, meist ohne gere­gel­tes Ein­kom­men. Man gilt als geschei­ter­te Exi­stenz, ein Außen­sei­ter auf der gan­zen Linie sozu­sa­gen. Selbst wenn es zu kei­ner kano­ni­schen Sus­pen­si­on kommt, hat man meist kaum etwas zu tun, Ein­la­dun­gen zu Aus­hil­fen sind sel­ten und eher eine Geste des Mit­leids – was viel­leicht nett gemeint, aber auch demü­ti­gend ist. Ein Prie­ster ohne aus­fül­len­de, geeig­ne­te Auf­ga­be ist gar nicht so sel­ten, wie man viel­leicht mei­nen möch­te. Laster sind meist eine Fol­ge: Spei­se, Trank oder schlimmer.

Die­se dräu­en­de Situa­ti­on, wel­che die mei­sten eher als eine Bedro­hung sehen und daher ver­mei­den wol­len, trägt auch dazu bei, daß vie­le Prie­ster letzt­lich doch sehr manö­vrier­bar sind und sich auch gegen ihre Über­zeu­gun­gen leicht dem Druck von oben beu­gen. Außer­dem kommt das Bewußt­sein hin­zu, letzt­lich gar nichts mehr tun oder bewir­ken zu kön­nen, wenn man erst ein­mal auf ein Abstell­gleis gescho­ben wur­de. Sie sagen sich: Bes­ser wenig bewir­ken als gar nichts. Doch die­ses Den­ken ist eine Fal­le – in der man sich erst recht wie­der gefan­gen fühlt. Man ist also über die­se Schie­ne als Prie­ster sehr leicht erpreß­bar, und der Lei­dens­druck ist dadurch bei vie­len sehr hoch.

Auch, daß für gewöhn­lich Büro, Kon­fe­renz­zim­mer, Küche und Schlaf­zim­mer im sel­ben Haus sind, d. h., daß sich das Pri­vat­le­ben und der Berufs­all­tag im sel­ben Gebäu­de abspie­len, ist nicht wirk­lich för­der­lich, gera­de wenn es Kon­flik­te gibt. Man ist näm­lich nie weg, es wird schwie­rig, sich am Abend inner­lich vom Tag zu erho­len und Distanz zu den Pro­ble­men zu gewin­nen, denn man ist immer da. Dies erhöht unter Umstän­den den Fru­stra­ti­ons­fak­tor, der kaum abge­las­sen wird, und kann bei vie­len so zu einem zusätz­li­chen Druck füh­ren, der sich bei man­chen unge­sund in bereits genann­te Laster kana­li­siert. Und der fal­sche Freund Alko­hol ist dann immer gern für einen da, spe­zi­ell am Abend…

Um sol­chen oder ähn­li­chen Kon­se­quen­zen zu ent­ge­hen, nei­gen Prie­ster dazu, sich zu beu­gen, las­sen vie­les über sich erge­hen und trau­en sich nicht zu sagen, was sie wirk­lich den­ken, beson­ders nicht öffent­lich – doch das Bewußt­sein, eigent­lich in vie­lem gegen den Wil­len Chri­sti zu han­deln und zu reden, bedrückt und fru­stet vie­le. Denn man weiß genau: Im Kon­flikt­fall stellt sich auch das Bis­tum auf die ande­re Sei­te. Das führt zu einem stum­men Kle­rus, weil die mei­sten dar­auf bedacht sind, nur ja immer poli­tisch und kirch­lich kor­rekt zu sein und all­ge­fäl­lig zu reden. Nicht immer aus Über­zeu­gung, oft jedoch aus Furcht.

Das war auch ein Grund, wes­halb sich vie­le nicht trau­ten die voll­kom­men absur­den und ver­rück­ten Coro­na-Maß­nah­men in ihren Diö­ze­sen oder Pfar­rei­en zu kri­ti­sie­ren bzw. nicht umzu­set­zen: Die Angst ging im Kle­rus um, und vie­le Prie­ster hat­ten ein­fach Furcht, abge­setzt zu wer­den. Es gab Ordi­na­ria­te, wel­che ihre Prie­ster wis­sen lie­ßen: Wer nicht alles pein­lichst genau umsetzt, wird der Staats­an­walt­schaft gemel­det und muß auch mit inner­kirch­li­chen Kon­se­quen­zen rech­nen. Wenn aber das gesam­te Leben letzt­lich nur aus „Kir­che“ beseht, dann ver­liert man damit alles, vom Anse­hen bis zum Zuhause.

*Mag. Don Micha­el Gurt­ner ist ein aus Öster­reich stam­men­der Diö­ze­san­prie­ster, der in der Zeit des öffent­li­chen Meß­ver­bots die­sem wider­stan­den und sich gro­ße Ver­dien­ste um den Zugang der Gläu­bi­gen zu den Sakra­men­ten erwor­ben hat. Die aktu­el­le Kolum­ne erscheint jeden Samstag.


Das Buch zur Rei­he: Don Micha­el Gurt­ner: Zur Lage der Kir­che, Selbst­ver­lag, 2023, 216 Seiten.


Bis­her erschienen:

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