Von Don Michael Gurtner*
Frage: Wenn sich alles ändert: Warum gibt es dann so wenig Widerstand im Klerus?
Antwort: Die Gründe dafür sind vielschichtig, aber es lassen sich einige große Grundlinien extrapolieren. Zunächst einmal muß man bedenken: Die wenigsten Priester fühlen sich in der gegenwärtigen Situation der Kirche wirklich wohl, wenngleich die Gründe unterschiedlich sind. Kaum einer ist zufrieden. Den einen ist es bereits viel zuviel an Reform, den anderen noch viel zu wenig. Glücklich ist mit der gegenwärtigen Situation jedoch niemand so wirklich. Es ist ein allgemeines Unwohlsein festzustellen, einerseits, weil die Kirche sich offensichtlich in einer Krisensituation befindet, andererseits auch ob des überaus mangelhaften menschlichen Umgangs innerhalb der Kirche, speziell unter Klerikern.
Im idealen Fall spielt der rechte Glaube eine zentrale Rolle für einen Priester, und darauf hat er seine gesamte Existenz aufgebaut. Wenn es nun scheint, als wäre der Kirche der Glaube selbst abhandengekommen, jedenfalls aus dem Zentrum gerückt, und als würde dieser in manchen Bereichen gleichsam angegriffen, so kommt es bei vielen Geistlichen zu einem starken Unwohlsein.
Der Unterschied der Kirche, wie sie in der Jugend und in den Studienjahren empfunden wurde, zur Gegenwart erscheint vielen als eklatant. Ist die Kirche wirklich noch dieselbe, mit demselben Glauben, in deren Dienst man einst aus Überzeugung und mit viel Enthusiasmus eingetreten ist?
Zum Beispiel wurde 1985 von einem Pfarrer erwartet, gegen die Zulassung von Ministrantinnen zu sein, 1995 mußte derselbe Pfarrer plötzlich dafür sein. 2005 durfte und mußte er es ablehnen, daß Laien während der Messe predigen, 2015 muß er dies mancherorts nun mit derselben Vehemenz verteidigen. Ähnliche Beispiele ließen sich zur Genüge finden.
Hier geht es aber um Überzeugungen und Glaubensfragen: Kann sich das tatsächlich alles ändern? Auf welcher Basis? Und: Was, wenn sich die Glaubensüberzeugung nicht mit ändert?
Die Dinge ändern sich derzeit beständig, und nicht zum Besseren, während früher in der Kirche alles Bestand hatte. Diese Entwicklung ist grundlegend falsch, die Richtung stimmt nicht mehr, in die wir gehen. Man erkennt vieles, was mittlerweile falsch läuft, man erkennt die grundlegenden Fehler in vielen kirchlichen Entscheidungen und Aussagen, aber man macht gute Miene zum bösen Spiel, weil man muß, und traut sich meist nicht offen zu sprechen.
Viele Priester sehen beispielsweise indessen, daß die Einführung von weiblichen Ministranten ein großer Fehler war, und sind nicht wirklich dafür, können es aber nicht mehr rückgängig machen, weil das bedeuten würde, daß sie ihre Pfarrei verlieren. Und ja, damit auch das Brot auf ihrem Teller und das Bett unter ihrem Haupt, ganz zu schweigen vom Ansehen, da man als gescheitert gelten würde, wenn einem die Aufgabe entzogen wird.
Ähnlich die Einführung des Volksaltares oder der lauten Rezitation des Hochgebetes, und viele andere ähnliche Dinge.
Die meisten von ihnen beißen dann die Zähne zusammen und setzen widerwillig um, wovon sie überzeugt sind, daß es falsch ist und nicht dem Willen Christi entspricht und auf falschen Prämissen aufbaut.
Dadurch entsteht nach und nach auch viel Frustration im Klerus, weil man sich in einem System gefangen sieht, das einen zwingt, entgegen den ursprünglichen und eigentlichen Überzeugungen zu handeln – und man zugleich weiß, welche Auswirkungen dies auf den Glauben der Menschen hat, und man sich auch schon vor dem eigenen großen Richtspruch Gottes sieht.
Aber man zögert, offen Widerstand zu leisten, weil man als Priester letztlich abhängig und dadurch auch irgendwie erpreßbar ist. Denn für einen Priester sind „Leben“ und „Kirche“ letztlich ident. Wird ein Priester suspendiert oder auch nur ohne eine wirkliche Aufgabe gelassen, so verliert er damit alles: nicht nur das, wofür er innerlich lebt, sondern auch seinen Beruf (berufliche Alternativen gibt es meist nicht, weil es für alles einer bischöflichen Ernennung bedarf und man deshalb sofort überall blockiert ist), seine Existenz und Wohngelegenheit (als Priester hat man meist eine Dienstwohnung, die man mit der Suspendierung verliert, aber kein eigenes Zuhause), sein soziales Umfeld (ein suspendierter oder isolierter Priester wird von seinen Kollegen meist gemieden, um nicht selbst in eine schiefe Optik zu geraten, außerdem ist er meist gezwungen, seinen bisherigen Wirkungsort zu verlassen, wo er seine meisten Sozialkontakte hat) und so weiter.
Ein Priester, der auf Grund seiner Rechtgläubigkeit und seines Einstehens für den Glauben bei Widerständen Probleme mit seinem Orden oder seinem Bistum bekommt und der nicht mehr eingesetzt wird, steht meist vollkommen isoliert da. Es gibt jüngere Priester, die sogar wieder bei Mama und Papa in ihr altes Kinderzimmer einziehen müssen. Es gibt Geistliche, die mit 50 oder 60 Jahren noch immer bzw. schon wieder zu Hause bei den Eltern leben müssen oder bei sonst jemandem: Geschwister, Freunden oder der Häuserin. Ältere Priester haben nicht einmal mehr diese Möglichkeit: Familie haben sie ja keine, etwaige Geschwister sind selbst verheiratet oder leben woanders. Meist bleiben dann nur sehr demütigende „Notlösungen“ bei Freunden, meist ohne geregeltes Einkommen. Man gilt als gescheiterte Existenz, ein Außenseiter auf der ganzen Linie sozusagen. Selbst wenn es zu keiner kanonischen Suspension kommt, hat man meist kaum etwas zu tun, Einladungen zu Aushilfen sind selten und eher eine Geste des Mitleids – was vielleicht nett gemeint, aber auch demütigend ist. Ein Priester ohne ausfüllende, geeignete Aufgabe ist gar nicht so selten, wie man vielleicht meinen möchte. Laster sind meist eine Folge: Speise, Trank oder schlimmer.
Diese dräuende Situation, welche die meisten eher als eine Bedrohung sehen und daher vermeiden wollen, trägt auch dazu bei, daß viele Priester letztlich doch sehr manövrierbar sind und sich auch gegen ihre Überzeugungen leicht dem Druck von oben beugen. Außerdem kommt das Bewußtsein hinzu, letztlich gar nichts mehr tun oder bewirken zu können, wenn man erst einmal auf ein Abstellgleis geschoben wurde. Sie sagen sich: Besser wenig bewirken als gar nichts. Doch dieses Denken ist eine Falle – in der man sich erst recht wieder gefangen fühlt. Man ist also über diese Schiene als Priester sehr leicht erpreßbar, und der Leidensdruck ist dadurch bei vielen sehr hoch.
Auch, daß für gewöhnlich Büro, Konferenzzimmer, Küche und Schlafzimmer im selben Haus sind, d. h., daß sich das Privatleben und der Berufsalltag im selben Gebäude abspielen, ist nicht wirklich förderlich, gerade wenn es Konflikte gibt. Man ist nämlich nie weg, es wird schwierig, sich am Abend innerlich vom Tag zu erholen und Distanz zu den Problemen zu gewinnen, denn man ist immer da. Dies erhöht unter Umständen den Frustrationsfaktor, der kaum abgelassen wird, und kann bei vielen so zu einem zusätzlichen Druck führen, der sich bei manchen ungesund in bereits genannte Laster kanalisiert. Und der falsche Freund Alkohol ist dann immer gern für einen da, speziell am Abend…
Um solchen oder ähnlichen Konsequenzen zu entgehen, neigen Priester dazu, sich zu beugen, lassen vieles über sich ergehen und trauen sich nicht zu sagen, was sie wirklich denken, besonders nicht öffentlich – doch das Bewußtsein, eigentlich in vielem gegen den Willen Christi zu handeln und zu reden, bedrückt und frustet viele. Denn man weiß genau: Im Konfliktfall stellt sich auch das Bistum auf die andere Seite. Das führt zu einem stummen Klerus, weil die meisten darauf bedacht sind, nur ja immer politisch und kirchlich korrekt zu sein und allgefällig zu reden. Nicht immer aus Überzeugung, oft jedoch aus Furcht.
Das war auch ein Grund, weshalb sich viele nicht trauten die vollkommen absurden und verrückten Corona-Maßnahmen in ihren Diözesen oder Pfarreien zu kritisieren bzw. nicht umzusetzen: Die Angst ging im Klerus um, und viele Priester hatten einfach Furcht, abgesetzt zu werden. Es gab Ordinariate, welche ihre Priester wissen ließen: Wer nicht alles peinlichst genau umsetzt, wird der Staatsanwaltschaft gemeldet und muß auch mit innerkirchlichen Konsequenzen rechnen. Wenn aber das gesamte Leben letztlich nur aus „Kirche“ beseht, dann verliert man damit alles, vom Ansehen bis zum Zuhause.
*Mag. Don Michael Gurtner ist ein aus Österreich stammender Diözesanpriester, der in der Zeit des öffentlichen Meßverbots diesem widerstanden und sich große Verdienste um den Zugang der Gläubigen zu den Sakramenten erworben hat. Die aktuelle Kolumne erscheint jeden Samstag.
Das Buch zur Reihe: Don Michael Gurtner: Zur Lage der Kirche, Selbstverlag, 2023, 216 Seiten.
Bisher erschienen:
- Zur Lage der Kirche – eine neue Kolumne
- Zur Lage der Kirche – Frage 1
- Zur Lage der Kirche – Frage 2
- Zur Lage der Kirche – Frage 3
- Zur Lage der Kirche – Frage 4
- Zur Lage der Kirche – Frage 5
- Zur Lage der Kirche – Frage 6
- Zur Lage der Kirche – Frage 7
- Zur Lage der Kirche – Frage 8
- Zur Lage der Kirche – Frage 9
- Zur Lage der Kirche – Frage 10
- Zur Lage der Kirche – Frage 11
- Zur Lage der Kirche – Frage 12
- Zur Lage der Kirche – Frage 13
- Zur Lage der Kirche – Frage 14
- Zur Lage der Kirche – Frage 15
- Zur Lage der Kirche – Frage 16
- Zur Lage der Kirche – Frage 17
- Zur Lage der Kirche – Frage 18
- Zur Lage der Kirche – Frage 19
- Zur Lage der Kirche – Frage 20
- Zur Lage der Kirche – Frage 21
- Zur Lage der Kirche – Frage 22
- Zur Lage der Kirche – Frage 23
- Zur Lage der Kirche – Frage 24
- Zur Lage der Kirche – Frage 25
- Zur Lage der Kirche – Frage 26
- Zur Lage der Kirche – Frage 27
- Zur Lage der Kirche – Frage 28
- Zur Lage der Kirche – Frage 29
- Zur Lage der Kirche – Frage 30
- Zur Lage der Kirche – Frage 31
- Zur Lage der Kirche – Frage 32
- Zur Lage der Kirche – Frage 33
- Zur Lage der Kirche – Frage 34
- Zur Lage der Kirche – Frage 35
- Zur Lage der Kirche – Frage 36
- Zur Lage der Kirche – Frage 37
- Zur Lage der Kirche – Frage 38
- Zur Lage der Kirche – Frage 39
- Zur Lage der Kirche – Frage 40
- Zur Lage der Kirche – Frage 41
- Zur Lage der Kirche – Frage 42
- Zur Lage der Kirche – Frage 43
- Zur Lage der Kirche – Frage 44
- Zur Lage der Kirche – Frage 45
- Zur Lage der Kirche – Frage 46
- Zur Lage der Kirche – Frage 47
- Zur Lage der Kirche – Frage 48
- Zur Lage der Kirche – Frage 49
- Zur Lage der Kirche – Frage 50
- Zur Lage der Kirche – Frage 51
- Zur Lage der Kirche – Frage 52
- Zur Lage der Kirche – Frage 53
- Zur Lage der Kirche – Frage 54
- Zur Lage der Kirche – Frage 55
Das was in Deutschland passiert, ist sehr typisch. Die Deutsche Gesellschaft ist mehrheitlich leider eine vollkommen größenwahnsinnige Industriegesellschaft. Man bildet sich was ein, bloß weil man die Technik auf seiner Seite hat. Das kenne ich sehr gut. Ich komme aus der Industrie und das was hier passiert gefällt mir ganz und gar nicht. Diese Entwicklung kommt von den Industrie- und Handelskammern. Die wollen alle diesen ganzen modernen Blödsinn. Dieser größenwahnsinnigen Industriegesellschaft gehört das Maul gestopft. Wir brauchen Priester. Liebe Priester, lassen Sie sich nicht alles gefallen. Bibel ist Bibel und Gottes Wort und Punkt! Nein Frauen müssen nicht auf der Kanzel stehn.