
Von Don Michael Gurtner*
Frage: Ist dies ein Grund, weshalb es so wenige Priesterberufungen heute gibt?
Antwort: Zum Teil sicherlich auch. Ich denke aber nicht, daß es wirklich so wenige Priesterberufungen gibt, aber die meisten der guten Leute kommen eben gar nicht erst ans Ziel. Viele Männer fragen sich, wo sie denn heute noch eintreten können, und finden einfach kein geeignetes Seminar bzw. Bistum mehr. Gute Institute, speziell traditionsorientierte, werden systematisch verfolgt oder ganz aufgelöst. Die letzten guten Bischöfe wurden ebenso systematisch durch modernistisch gesinnte ersetzt, die alles ändern und keinen Sinn für den überlieferten katholischen Glauben mehr haben. Wo soll man da noch hingehen? Auch die Seminare der Piusbruderschaft sind verständlicherweise nicht für jedermann geeignet, einfach vom Lebensrhythmus her: Sie sind für viele, die Weltpriester werden wollen, zu ordensähnlich und zu stark auf Gemeinschaft ausgerichtet. Sie sind einfach keine klassischen Pfarrer. Von daher scheitern viele bereits am Eintreten: Es gibt kaum noch geeignete Bistümer, wo man getrost und vertrauensvoll hingehen kann und wo man eine gesunde und gediegene Ausbildung bekommt und eine Perspektive hat, dann auch als Säkularkleriker wirken zu können.
Auch vom rein intellektuellen Niveau her ist das Theologiestudium heute für einen normal begabten jungen Mann eher abschreckend als anziehend: Man läßt es irgendwie über sich ergehen, weil man halt den Abschluß braucht. Gerade junge Menschen haben das natürliche und gesunde Bedürfnis, in deren jeweiligem Studium auch intellektuell etwas zu leisten – und das ist im Theologiestudium heute nicht mehr wirklich möglich. Rein intellektuell-akademisch gesprochen ist es sehr viel befriedigender für einen jungen Menschen, Naturwissenschaften, Jus oder Medizin zu studieren. Auch eine Vertiefung im Glauben darf man sich nicht erwarten, weil man den katholischen Glauben nicht kennenlernt bzw. nicht vermittelt bekommt. Im Gegenteil: Viele Vorlesungen bestehen eher darin, zu erklären, weshalb alles falsch ist, was Gott offenbarte und die Kirche deshalb bislang lehrte. Es ist ein wenig so, als würde man im Medizinstudium lernen, weshalb die Schulmedizin gar nichts hilft, sondern die Homöopathie und die alten Schamanen und Medizinmänner doch viel mehr bringen.
Auch die rein beruflichen Perspektiven sind eher abschreckend: Wer nicht perfekt in das sterile, glaubensarme Schema einer eher rein sozialpsychologisch orientierten Kirche paßt, weiß genau, daß er im „beruflichen Umfeld“, also auf Ebene der Pfarrei und des Bistums, mit erheblichen und dauerhaften Schwierigkeiten zu rechnen hat. Dazu kommt, daß man den Priestern, gerade auch den Pfarrern, sukzessive mehr und mehr Kompetenzen wegnimmt und entzieht. War früher der Empfang der Weihe eine Voraussetzung für viele Aufgaben in der Kirche, so ist sie heute für dieselben Ämter und Aufgaben nicht selten ein Hindernis geworden: beinahe als ob es etwas Schlechtes sei, Priester zu sein. Viele Aufgaben, etwa innerhalb eines Bistums oder auch in anderen Bereichen wie etwa im akademischen Sektor, wurden einst von Priestern ausgeübt, während heute dieselben Ämter Priestern von vornherein verschlossen bleiben, weil man dezidiert Laien möchte und nur ja keine Priester. Das betrifft etwa Lehrstühle, zahlreiche Aufgaben in der Kirchenmusik, das Amt des Kanzlers, sogar Personalchefs des Klerus sind teils von vornherein Laien, und viele andere interessante Aufgaben für eine Diözese, die sich als Klerikerverband eben selbst verwaltet, ebenso.
Dadurch reduziert sich das potentielle Aufgabenfeld eines Priesters beinahe nur noch auf die Pfarrei, und gerade dort wird sein Wirkbereich immer weiter reduziert: Ihm bleiben immer weniger Leitungsfunktionen und autonome Entscheidungsbefugnisse, welche aber wichtig sind, um fruchtbar wirken zu können und nicht zum ausführenden Organ fremdbestimmter Entscheidungen zu werden, die mitunter nicht mit dem Glauben konform sind. An die Stelle des Pfarrers als Leiter der Pfarre treten vermehrt „Pfarreileiter“, angeblich um ihn für die Seelsorge zu entlasten – doch paradoxer Weise ist er gerade in der Seelsorge de facto immer häufiger stark eingeschränkt (es gibt Fälle, in denen der Priester vom Laienseelsorger des Spitals die Erlaubnis einholen muß, die Kranken und Sterbenden besuchen und die letzte Ölung spenden zu dürfen – und ihm dies unter Berufung auf Laienkompetenzen mitunter verwehrt wird). Die Kanzel muß er mancherorts regelmäßig einem „pastoralen Mitarbeiter“ überlassen, selbst in der Liturgie wird ihm mitunter von Laien vorgeschrieben, was er wie zu tun und zu unterlassen hat. Sogar die Möglichkeit der täglichen Zelebration ist nicht mehr überall eine Selbstverständlichkeit, und mancherorts wird es ihm verwehrt, Beerdigungen zu halten, um die Laienmitarbeiter nicht „zu verdrängen“ und ihnen ja ihren Platz zu lassen. Vermehrt betrifft dies neuerdings auch Taufe und Trauung, die immer öfters von „Beauftragten“ gespendet werden. Der Priester wird in immer mehr seiner ureigenen Funktionen ersetzt und aus seinen Aufgaben gedrängt. Die klassische Pfarrei, so wie sie früher selbstverständlich war, wird immer seltener.
*Mag. Don Michael Gurtner ist ein aus Österreich stammender Diözesanpriester, der in der Zeit des öffentlichen Meßverbots diesem widerstanden und sich große Verdienste um den Zugang der Gläubigen zu den Sakramenten erworben hat. Die aktuelle Kolumne erscheint jeden Samstag.
Das Buch zur Reihe: Don Michael Gurtner: Zur Lage der Kirche, Selbstverlag, 2023, 216 Seiten.
Bisher erschienen:
- Zur Lage der Kirche – eine neue Kolumne
- Zur Lage der Kirche – Frage 1
- Zur Lage der Kirche – Frage 2
- Zur Lage der Kirche – Frage 3
- Zur Lage der Kirche – Frage 4
- Zur Lage der Kirche – Frage 5
- Zur Lage der Kirche – Frage 6
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