Von Don Michael Gurtner*
Frage: Sind die Änderungen im liturgischen Ausdruck und das faktische Verbot der klassischen Liturgie der katholischen Kirche also Anzeichen für einen Umbau der Kirche oder gar ihres Glaubens? Riskiert die katholische Kirche folglich, bald nicht mehr katholisch zu sein?
Antwort: Das ist eindeutig so, ja. Der Glaube, so wie ihn die Kirche heute offiziell lehrt, hat sich im Vergleich zu vorkonziliaren Zeiten ganz offensichtlich geändert, zumindest in vielen Bereichen, gerade auch in den zentralen. Man braucht nur Hirtenbriefe oder Enzykliken von heute mit jenen von etwa 1850, 1900 oder 1950 zu vergleichen. Und es ist gewiß keine Vertiefung des Verständnisses, sondern mehrheitlich handelt es sich um eine Entfernung der Lehre, so wie sie von der Kirche heute dargestellt wird, von der Offenbarung Gottes. Wir stellen also keine Vertiefung fest, sondern eine Verflachung.
Eine Verwässerung und ein Abrücken vom traditionellen katholischen Glauben, so wie er über Jahrhunderte hindurch von der Kirche gelehrt wurde, können nicht mehr geleugnet werden. Das ist eine große Gefahr, die dringend korrigiert werden muß: nicht rein kosmetisch, sondern an der Wurzel selbst. Die katholische Kirche bedarf einer Reinigung ihres Glaubens und ihrer Lehre, die viel zu zweideutig und zu christusvergessen geworden ist. Heute sind die allermeisten ihrer Verlautbarungen reine Rhetorik, teils sehr psychologisch motiviert, von Christus entfernt und eine populistische Huldigung an den Zeitgeist. Die Kirche kommt ihrem Auftrag, den sie von Christus erhalten hat, nur mehr sehr unzureichend nach.
Dabei ist es seit Jahrzehnten dieselbe Dynamik, die sich wiederholt und allmählich zu einer signifikativen Änderung der Kirche und ihres Glaubens führt: Zunächst gibt es ein Thema, das festgefaßt zu sein scheint und das als sichere Position gilt. Anschließend erlaubt man darüber zu diskutieren, wobei es noch legitim erscheint, die bisherige Position zu vertreten. Irgendwann kippt es jedoch, und es wird zum unverzeihlichen Skandal, die bisherige Position der Kirche weiterhin zu vertreten. Wer es dennoch tut, wird ins Abseits befördert. Das war beispielsweise bei der Ökumene so: Ein Pfarrer, der sich heute weigern würde, an ökumenischen Gottesdiensten teilzunehmen, wenn diese durch seine Vorgänger etabliert wurden, wäre längstens Pfarrer gewesen. Ebenso wenn jemand den Volksaltar entfernen würde oder nur Buben ministrieren dürften, oder er keine Laienpredigten mehr zulassen würde, wenn sich diese in einer Pfarrei erst einmal etabliert haben, oder er die „darstellerischen Elemente“ während der Erstkommunion, Firmung und anderen „Jugendgottesdiensten“ unterbinden und auf eine normale Messe bestehen würde. Er müßte gehen, und man würde sagen: Es war ein Fehler, so jemanden Priester werden zu lassen.
Momentan bahnen sich mit derselben subtilen Taktik weitere Änderungen an, beispielsweise die kirchliche Segnung homosexueller Verbindungen. Bald wird es auch hier so sein, daß es allgemein anerkannt sein wird, und wer aus der Reihe tanzt, muß gehen, weil er die Änderung nicht „wie alle anderen ja auch“ mitgemacht hat, und so etwas gilt dann als skandalös und nicht tragbar.
Nach und nach ändert man alles, und irgendwann wird die Kirche eine andere geworden sein. Es ist so, als ob man einen Kirchenbau hat, der aus zehntausend Einzelbausteinen besteht. Wechselt man jeden Tag ein einziges kleines Bauelement aus, so scheint er, im Vergleich zum jeweiligen Vortag, immer noch derselbe zu sein: es war ja nur eine kleine Korrektur, kaum wahrnehmbar im Ganzen. Doch nach und nach wird ein Viertel, die Hälfte und schließlich alles ausgetauscht sein, die Kirche steht vielleicht noch am selben Ort und trägt dieselbe Aufschrift, aber sie wird nach und nach eine komplett andere sein, weil irgendwann jeder Baustein ein anderer geworden ist. Nicht in einem drastischen Schritt für alle sichtbar abgerissen und anders wieder neu aufgebaut, sondern langsam Schritt für Schritt verändert. Doch das Endergebnis ist dasselbe: Das alte Gebäude wird nicht mehr bestehen, es wird einem anderen, neuen gewichen sein.
In genau diesem Prozeß befinden wir uns in der gegenwärtigen Geschichtsstunde der Kirche. Stück für Stück ändert man, bis schließlich etwas vollkommen anderes da sein wird, was jedoch noch immer denselben Namen tragen wird. Wir gehen einer neuen, anderen Kirche entgegen, die nicht mehr die katholische Kirche sein wird, auch wenn sie sich weiterhin so nennen wird. Es gibt Bischöfe und Kardinäle, die teils auch offen eine neue, andere Kirche fordern. Das ist kein künftiges Bedrohungszenario mehr, sondern wir sind mitten drin in diesem Umbauprozeß, der bereits weit vorangeschritten ist.
In dieser Hinsicht hat man sozusagen aus den „Fehlern“ der Vergangenheit gelernt: Luther und andere Reformatoren sagten sich offen los von der katholischen Kirche. Und das Zweite Vatikanische Konzil trat offen zur Kirchenreform an und endete mit einem wilden Paukenhieb, der alles über Nacht veränderte – und viele gingen nicht mit, sondern verabschiedeten sich auf die eine oder andere Weise.
Diesmal macht man es klüger, man überrumpelt die Menschen scheibchenweise, immer einen kleinen Schritt weiter, so daß die Änderungen als kleiner und weniger schwerwiegend empfunden werden. Man spricht nicht mehr groß darüber, alles zu verändern, sondern man tut es einfach und versichert, es sei letztlich alles gleich geblieben. Schon heute sehen wir ganz eindeutig: Die Kirche, so wie sie von Christus gedacht und gewollt ist, ist in ihrer heutigen reellen Gestalt nicht mehr wiederzuerkennen. Doch so weit brauchen wir nicht einmal zurückgehen: Vergleicht man allein die Kirche von vor 20, 30 oder 40 Jahren mit der von heute, so ist es so, als hätte es ein weiteres, ebenso fatales Konzil gegeben. Auch die „synodalen Prozesse“, die derzeit im Gange sind und sogar von kirchlicher Seite gewollt und eingeleitet wurden, sind nichts anderes als eine weitere Kirchenreform, ein Konzil ohne Konzilsversammlung, eine Abkehr von dem, was als genuin katholisch galt. Ob dies in einem einzigen großen Schritt durch ein Konzil geschieht oder nach und nach durch einzelne kleinere Schritte, spielt dafür keine Rolle: Das Ergebnis ist am Ende des Tages dasselbe.
Doch eine solche Kirche wird zu einem reinen Menschenwerk. Wir sind dabei, uns selbst zu erfinden und zu erschaffen, doch damit hören wir irgendwann auch auf, noch wirklich die Kirche Jesu Christi zu sein, wie sie in der katholischen Kirche bestand. Und somit wäre die katholische Kirche eines Tages tatsächlich nicht mehr katholisch, wenn wir uns nicht bald zurückbesinnen und die Fehler der letzten Jahrzehnte korrigieren.
*Mag. Don Michael Gurtner ist ein aus Österreich stammender Diözesanpriester, der in der Zeit des öffentlichen Meßverbots diesem widerstanden und sich große Verdienste um den Zugang der Gläubigen zu den Sakramenten erworben hat. Die aktuelle Kolumne erscheint jeden Samstag.
Das Buch zur Reihe: Don Michael Gurtner: Zur Lage der Kirche, Selbstverlag, 2023, 216 Seiten.
Bisher erschienen:
- Zur Lage der Kirche – eine neue Kolumne
- Zur Lage der Kirche – Frage 1
- Zur Lage der Kirche – Frage 2
- Zur Lage der Kirche – Frage 3
- Zur Lage der Kirche – Frage 4
- Zur Lage der Kirche – Frage 5
- Zur Lage der Kirche – Frage 6
- Zur Lage der Kirche – Frage 7
- Zur Lage der Kirche – Frage 8
- Zur Lage der Kirche – Frage 9
- Zur Lage der Kirche – Frage 10
- Zur Lage der Kirche – Frage 11
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