(Rom) Papst Franziskus hat seine Nachfolge fest im Blick. „Das ist nicht mehr nur eine Hypothese, sondern Gewißheit“, so der Vatikanist Sandro Magister. „Was nach mir sein wird“, sei sein fester Gedanken, sagte Franziskus in einem Interview, das vor wenigen Tagen von der Presseagentur ADN Kronos veröffentlicht wurde.
„Ich fürchte nichts, ich handle im Namen und im Auftrag unseren Herrn. Bin ich verantwortungslos? Lasse ich es etwa an Klugheit mangeln? Ich wüßte nicht, was ich sagen sollte: Mich leiten der Instinkt und der Heilige Geist.“
Franziskus mache sich damit das Motto der Blues Brothers zu eigen, kommentiert Magister sarkastisch. Tatsächlich aber weisen schon seit einiger Zeit wichtige Personalentscheidungen darauf hin, daß Franziskus seine Nachfolge auf dem Stuhl Petri selber regeln will. Dazu gehören in erster Linie die von ihm betriebenen Kardinalserhebungen – aber nicht nur.
So stellte Franziskus Angelo Kardinal Becciu Ende September „brutal ins Abseits“. Der Technokrat Becciu galt zwar nicht als „Papabile“, hätte aber von sich aus in einem Konklave eine Rolle spielen können. Seine acht Jahre als Substitut des Kardinalstaatssekretärs verschafften ihm eine starke Stellung mit direktem Zugang zum Papst und vielen Kontakten rund um den Globus.
Laut offiziellen Mitteilungen darf Kardinal Becciu nicht mehr an einem Konklave teilnehmen, doch die Frage ist kirchenrechtlich nicht eindeutig geklärt.
Der Sturz Beccius geht auf seinen Umgang mit den Vatikanfinanzen zurück, die bisher vom Staatssekretariat verwaltet wurden, darunter dem Peterspfennig. Allerdings zeichnet sich auch ab, daß er dabei nicht so im Verborgenen gehandelt hatte, wie es zunächst vermittelt wurde. Der vatikanischen Staatsanwaltschaft liegt ein Dokument vor, das Ende Oktober auch von ADN Kronos veröffentlicht wurde, aus dem hervorgeht, daß Papst Franziskus von Becciu über seine Schritte informiert wurde und jeweils die päpstliche Zustimmung erhielt. Auch Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin wußte von den Immobilienkäufen, wie andere Dokumente belegen, und stand persönlich mit der angeblichen Geheimdienstexpertin Cecilia Marogna in Kontakt, die Becciu vor einigen Jahren angeworben hatte. Marogna wurde aufgrund eines vatikanischen Rechtshilfeansuchen am 13. Oktober von der italienischen Polizei verhaftet.
Magister spricht davon, daß den Papst bis vor kurzem ein „enges Vertrauensverhältnis“ mit Becciu verband. Beweis dafür ist auch, daß Becciu im Februar 2017 von Franziskus zu seinem Sonderdelegaten beim Souveränen Malteserorden ernannt wurde. Damit vertraute der Papst ihm einen besonders heiklen Auftrag an, da Franziskus wenige Tage zuvor den Großmeister des Ordens, Fra Matthew Festing, zum Rücktritt gezwungen und dadurch große Unruhe im Orden ausgelöst hatte.
Nun, da Becciu aller Ämter verlustig ging, ernannte Franziskus „einen anderen von seinen Favoriten“, so Magister, zum Nachfolger. Neuer Päpstlicher Sonderdelegat beim Malteserorden wurde Silvano Maria Tomasi, ein Vatikandiplomat, der bis zu seiner Pensionierung Ständiger Beobachter bei der UNO in Genf war und 2017 direkt in den Putsch gegen Großmeister Festing verstrickt war. Tomasi, der dem Kardinalstaatssekretär nahesteht, gehört zu den neuen Kardinälen, die Franziskus Ende November kreieren wird.
Die Vergessenen
Bereits in der Vergangenheit überging Franziskus bei Kardinalserhebungen die Inhaber bedeutender Bischofssitze, die traditionell mit der Kardinalswürde verbunden waren. Er überging ebenso herausragende und wichtige Kirchenmänner unter den Bischöfen. Zu den Übergangenen gehört der Patriarch von Venedig, wovon schon lange niemand mehr spricht, und auch Erzbischof Chaput von Philadelphia, der inzwischen bereits emeritiert wurde. Dazu gehören auch wieder die Erzbischöfe von Los Angeles, Msgr. José Horacio Gómez, und von Paris, Msgr. Michel Aupetit. Dabei wurde letzterer bereits von Franziskus ernannt. Magister schreibt dazu:
„Der eine wie der andere verfügt über außergewöhnliche Eigenschaften und genießt große Wertschätzung, hat aber in den Augen von Franziskus den Nachteil, zu weit von der Linie des aktuellen Pontifikats entfernt zu sein. Aupetit verfügt auch über Erfahrung als Arzt und Bioethiker, wie der niederländische Erzbischof und Kardinal Willem Jacobus Eijk. Und es ist kein Rätsel, daß sowohl Gómez als auch Aupetit, wenn sie zu Kardinälen ernannt würden – was aber nicht passieren wird –, in einem Konklave in die engere Kandidatenauswahl mit einem soliden alternativen Profil zu Franziskus kämen, einem Kreis, zu dem bereits Eijk und der ungarische Kardinal Peter Erdö gehören, der dafür bekannt wurde, als Generalberichterstatter bei der Doppelsynode über die Familie klug und entschlossen den Widerstand gegen die Befürworter der Scheidung und der neuen homosexuellen Moral geführt zu haben.“
Die Dankbaren
Unter den Kirchenmännern, denen Franziskus am 28. November den Kardinalspurpur verleihen wird, stechen für Magister drei Männer hervor, die ihre Karriere Franziskus verdanken und ihm daher in Dankbarkeit verbunden sind.
In den USA, wo die Kirche in den vergangenen Jahren durch den homosexuellen Mißbrauchsskandal erschüttert wurde, den Franziskus sich aber als solchen zu benennen weigert, sorgte die Beförderung von Erzbischof Wilton Gregory für Aufsehen. Franziskus hatte Gregory zuvor bereits auf den wichtigen Erzbischofsstuhl von Washington berufen. Gregory wird der erste afroamerikanische Kardinal der US-Geschichte sein, weshalb seine Ernennung in Zeiten des rassistischen Anti-Rassismus von Black Lives Matter vor allem mit seiner Hautfarbe in Verbindung gebracht wird. Dies gilt erst recht, da Franziskus eine Vorliebe für aufsehenerregende Gesten nicht abgesprochen werden kann. Gregory steht jedoch auch dem Kreis um den ehemaligen Kardinal McCarrick nahe, dem auch sein Vorgänger als Erzbischof von Washington, Kardinal Donald Wuerl, angehörte. Gregory ist zudem in politischer Hinsicht ein verbissener Gegner von US-Präsident Donald Trump. Eine Gegnerschaft, die er mit Santa Marta teilt.
Von der Inselrepublik Malta, dem einstigen Hauptsitz des Malteserordens, stammt ein anderer neuer Kardinal. Msgr. Mario Grech wurde als entschiedener Verfechter der „Synodalität“ bekannt, jener neuen Regierungsform, die Franziskus nach seinem Amtsantritt ins Gespräch brachte. Grech wurde von Franziskus vor kurzem zum Generalsekretär der Bischofssynode ernannt.
Der künftige Kardinal aus Malta zeigte sich erkenntlich, indem er sich sofort ins Gefecht stürzte. Am 3. Oktober veröffentlichte die römische Jesuitenzeitschrift La Civiltà Cattolica ein Interview mit ihm, das von P. Antonio Spadaro geführt wurde, einem sehr engen Papstvertrauten und zugleich Schriftleiter der Zeitschrift. Darin erging sich Msgr. Grech in Gläubigenbeschimpfung, einer Haltung, die durch Papst Franziskus eingeführt und seither in bestimmten klerikalen Kreisen zum „guten Ton“ gehört. Er bezichtigte jene Christen des „geistlichen Analphabetentums“ und des „Klerikalismus“, die unter der Aussperrung von den heiligen Messen wegen der Corona-Maßnahmen von Regierungen und Bischöfen leiden. Sie würden nämlich, so Msgr Grech, nicht verstehen, daß man auch ohne Sakramente auskommen könne, weil es „andere Möglichkeiten gibt, sich auf das Geheimnis einzulassen“.
Das dritte von Magister angeführte Beispiel ist die Beförderung von Bischof Marcello Semeraro, den Franziskus auf einen anderen von Becciu geräumten Posten setzte. Semeraro wurde am 15. Oktober zum neuen Präfekten der Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungsprozesse ernannt. Auch für ihn, den bisherigen Bischof von Albano bei Rom, folgte nur wenige Tage später der nächste Karrieresprung, als Franziskus am 25. Oktober seine Erhebung in den Kardinalsrang bekanntgab.
Msgr. Semarero, der zuvor ziemlich unbekannt war, wurde mit der Wahl von Papst Franziskus zu einer „Schlüsselfigur“ am bergoglianischen Hof, wie Magister anfügt. Franziskus ernannte ihn zum Sekretär jenes neuen Kardinalsrates mit zuletzt schwankender Mitgliederzahl, der den Papst bei der Kurienreform und der Leitung der Weltkirche beraten soll.
Magister verweist zu Semeraro, der als Professor der Ekklesiologie an der Päpstlichen Lateranuniversität nur engen Fachkreisen ein Begriff war, auf die Bischofssynode von 2001, die letzte, die unter Papst Johannes Paul II. stattfand. Semeraro, damals seit wenigen Jahren Bischof des kleinen Bistums Oria in seiner apulischen Heimat, wurde zum Synodensekretär bestellt. Bei dieser Gelegenheit kam er mit Kardinal Jorge Mario Bergoglio in Kontakt, der überraschend anstelle von Kardinal Edward Egan, dem Erzbischof von New York, die Einführungsrede halten sollte, der sich wegen des Attentats auf die Twin Towers gezwungen sah, in den USA zu bleiben. Damals entstand eine Verbundenheit zwischen Semeraro und Bergoglio, die sich in den folgenden Jahren festigte. Wann immer Kardinal Bergoglio nach Rom kam, stattete er Semeraro einen Besuch ab.
Der damalige Bischof von Albano und künftige Kardinal betont gerne, daß er und Bergoglio sich am Tag vor dem Konklave für „einige Stunden“ zusammensetzten. Bergoglio sei damals „seltsam still“ gewesen. Semeraro war nach der Papstwahl auch der erste Bischof, den Franziskus in Audienz empfing. An seinem 70. Geburtstag überraschte ihn Papst Franziskus mit einem Besuch in Albano Laziale.
Was aber verbindet die drei künftigen Kardinäle noch, außer daß sie ihre jüngsten und größten Karrieresprünge Papst Franziskus zu verdanken haben? Dazu Magister:
„Sowohl Gregory als auch Grech und noch mehr Semeraro sind seit Jahren aktive Befürworter einer Änderung der Lehre und Praxis der katholischen Kirche im Bereich der Homosexualität. In der Diözese Albano veranstaltete Semeraro jedes Jahr das Forum italienischer LGBT-Christen. Und es ist sein Vorwort zum jüngsten Buch „L’amore possibile“ („Die mögliche Liebe. Homosexuelle und christliche Moral“) von Don Aristide Fumagalli, Professor an der theologischen Fakultät von Mailand und in Italien Nachahmer des amerikanischen Jesuiten James Martin, einem noch berühmteren Verfechter der neuen homosexuellen Moral, dem auch schon Papst Franziskus seine Wertschätzung entgegenbrachte.“
Die Bevorzugten
In den vergangenen Wochen fehlte es nicht an weiteren Schritten, mit denen Franziskus andere ihm nahestehende Kardinäle förderte. Dabei ragt besonders die Ernennung von Kardinal Kevin Farrell am 5. Oktober zum Vorsitzenden der Kommission für vertrauliche Angelegenheiten hervor. Diese Kommission mit dem geheimnisvollen Namen war erst am 29. September neu errichtet und ausnahmslos mit engsten Vertrauten des Papstes besetzt worden. Sie verfügt über Zuständigkeiten, die außerhalb der geltenden Konstitution der Römischen Kurie stehen und der höchsten Geheimhaltungsstufe unterliegen.
Kardinal Farrell ist irischer Abstammung und war ursprünglich Mitglied der Legionäre Christi, dann Bischof in den USA, bis ihn Franziskus 2016 als Präfekt des neuerrichteten Dikasteriums für Laien, Familie und Leben an die Römische Kurie berief. Drei Monate später kreierte er ihn zum Kardinal und ernannte ihn 2019 zum Kardinalkämmerer der Heiligen Römischen Kirche. Dieser ist während der Sedisvakanz für die Organisation des Konklaves und die Amtsgeschäfte des Heiligen Stuhls verantwortlich.
In schneller Folge legte Franziskus ungewöhnlich viele Zuständigkeiten in Farrells Hände, die nicht zuletzt auch mit der Wahl des nächsten Papstes zu tun haben. Auch Farrell verbindet ein unsichtbares Band mit den erwähnten neuen Kardinälen. Er war mehrere Jahre als Weihbischof ein enger Mitarbeiter von Theodore McCarrick, als dieser Erzbischof von Washington war. Mit diesem teilte er sogar dieselbe Unterkunft. In jenen Jahren, 2002–2006, zahlten die Bistümer Metuchen und Newark, die McCarrick zuvor geleitet hatte, Geld an laisierte Priester, damit diese ihre Anzeigen gegen Kardinal McCarrick zurückzogen, den sie beschuldigten, sie sexuell mißbraucht zu haben. Bereits damals waren erste Gerüchte in Umlauf über noch weitergehende homosexuelle Mißbrauchsfälle, nämlich von Minderjährigen, die 2018 schließlich zu McCarricks Sturz führten. Ihm wurde die Kardinalswürde aberkannt und schließlich durch Laisierung auch das Priestertum. Dabei hatte er in den Jahren zuvor unter Papst Franziskus noch einmal einen ungeahnten Aufstieg erlebt. Dieser geschah zwar mehr im Hintergrund, machte ihn dafür aber umso einflußreicher.
Farrell behauptete immer, trotz seiner Nähe zu McCarrick, nichts von dessen homosexuellem Doppelleben gewußt zu haben. Es habe auch nichts gegeben, was für ihn ein Grund gewesen wäre, Verdacht zu schöpfen.
Nach den Enthüllungen des ehemaligen Apostolischen Nuntius in den USA, Erzbischof Carlo Maria Viganò, über die engen Verbindungen zwischen McCarrick und Papst Franziskus, kündigte der Heilige Stuhl im Frühherbst 2018 an, einen detaillierten Bericht vorzulegen, der einerseits Papst Franziskus entlasten werde, so die Ankündigung, aber zugleich aufdecken werde, ob und wer McCarricks Machenschaften gedeckt habe oder gar sein Komplize war.
Seither sind mehr als zwei Jahre vergangen und dieser Bericht wurde noch immer nicht vorgelegt. In unregelmäßigen Abständen wurde seine Veröffentlichung zwar in Aussicht gestellt, doch nie erfüllt. Die jüngste Ankündigung verspricht, daß er morgen, am 10. November, auf den Tisch gelegt werde. Magister bleibt jedoch skeptisch:
„Die Ernennung Farrells zum Hüter der vertraulichsten Angelegenheiten stellt nicht sicher, daß dieser Bericht vollständige Klarheit schaffen wird.“
Als Präfekt des Dikasteriums für Laien, Familie und Leben war es zudem Farrell, der im päpstlichen Auftrag den homophilen amerikanischen Jesuiten James Martin 2018 zum Weltfamilientreffen nach Dublin holte und diesem einen eigenen homophilen Programmteil aufzwang. Auch hier schließt sich der Kreis.
Die Beförderten
Auch im Bereich der sogenannten Vatikanbank IOR setzte Franziskus jüngst einige Schritte, die im Zusammenhang mit seiner Nachfolge gesehen werden. Ein Aufsichtsorgan über das Institut ist die Kardinalskommission. Am 21. September berief er zwei seiner Schützlinge in dieses Gremium. Es handelt sich um den polnischen Kardinal Konrad Krajewski, der als Päpstlicher Almosenier karitative Werke mit besonderem Eifer und manchmal auch ungewöhnlichen Methoden vollbringt, und um Kardinal Luis Antonio Tagle, der bis vor kurzem Erzbischof von Manila war. Der Kardinal mit philippinischem Vater und chinesischer Mutter wurde von Franziskus als Präfekt der Kongregation für die Evangelisierung der Völker nach Rom geholt. Er gilt als der eigentliche „Kronprinz“ von Papst Franziskus, was auch Magister bestätigt:
„Er wird allgemein für den Mann gehalten, den Franziskus am meisten als seinen Nachfolger haben möchte.“
Um Platz für die Neuernannten zu schaffen, mußten bisherige Mitglieder ihren Posten in der Kardinalskommission räumen. Zu ihnen gehört auch Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin, was „an eine Deklassierung sowohl von ihm als auch des Staatssekretariats denken ließ“. Magister sieht das anders:
„In Wirklichkeit ist der Rückzug aus der IOR-Kommission ein Vorteil für Parolin.“
Es sei Parolins Bestreben, so wenig wie möglich mit den Geldgeschäften des Heiligen Stuhls, besonders mit den „schlechten Geschäften“ Beccius, in Verbindung gebracht zu werden. Es liege in seinem Interesse, so Magister, „sich von einem Sturm fernzuhalten, der bald das IOR treffen könnte“.
Dem IOR wird von zwei maltesischen Investmentfonds vorgeworfen, sie um Dutzende Millionen Euro geschädigt zu haben, weil der Vertrag zum Kauf des ehemaligen Börsengebäudes in Budapest aufgekündigt wurde.
Schwerer wiegt für Kardinal Parolin, daß dem Staatssekretariat von Franziskus alle Finanzen und Immobilien entzogen und der Apostolischen Güterverwaltung übertragen wurden. Damit wurde die Eigenständigkeit der obersten vatikanischen Behörde deutlich eingeschränkt.
„Parolin wurde seit längerem unter die ‚Papabili‘ gerechnet, ist nun aber gerupft.“
Für Magister war Parolins Stern, was die Nachfolge von Franziskus betrifft, schon seit zwei Jahren im Sinken begriffen. Die Mißwirtschaft seiner Untergebenen beschädigten die Zustimmung für eine mögliche Kandidatur. Der Versuch, durch die Entfernung Beccius aus dem Staatssekretariat, was 2018 gelang, die Angelegenheit unter Kontrolle zu bringen, war letztlich nicht ausreichend erfolgreich. Vielleicht wiegt aber noch mehr, daß Parolin auf dem diplomatischen Parkett, worauf Magister hinweist, keine wirklichen Erfolge erzielen konnte. Der von Franziskus vorgegebene Rahmen erlaubte keine solchen, schon gar nicht in der Volksrepublik China, wo sich die neue Ostpolitik in der Sackgasse befindet.
„Und selbst seine gepriesene Fähigkeit, den durch das Pontifikat von Franziskus in der Kirche hervorgerufenen Zustand der Verwirrung einzudämmen und auszugleichen, erwies sich als bescheiden, falls überhaupt vorhanden.“
Die Kommandoebene
Als Kardinalstaatssekretär käme Parolin die Ausübung der Kommandoebene zu, doch Papst Franziskus bevorzugt dafür einen anderen Kardinal, den Honduraner Oscar Rodríguez Maradiaga. Ihn bestätigte Franziskus Mitte Oktober als Koordinator des erwähnten Kardinalsrates, der derzeit aus sieben Mitgliedern besteht.
„Wie sich Franziskus weiterhin auf Maradiaga verlassen kann, bleibt ein Rätsel.“
Magister spielt damit auf die Vorfälle in Maradiagas Erzbistum Tegucigalpa an, die es 2018 denkbar machten, daß auch er hinweggefegt werden könnte wie McCarrick. Dem früheren Vorsitzenden der Caritas Internationalis werden finanzielle Unregelmäßigkeiten angelastet. Zudem hatte er jahrelang mit Juan José Pineda Fasquelle einen Weihbischof an seiner Seite, dem er bei Abwesenheit die Leitung des Erzbistums anvertraute, der aber ein homosexuelles Doppelleben führte. Im Sommer 2018 büßte Pineda sein Amt ein, um jenes von Maradiaga zu retten. Wie im Fall McCarrick wurde auch Pineda vorgeworfen, eigene Seminaristen sexuell korrumpiert zu haben.
Gerade im Sommer 2018, als die Homo-Skandale McCarrick, Barros (Chile) und Pineda aufflogen, ernannte Papst Franziskus den venezolanischen Kurienerzbischof und Vatikandiplomaten Edgar Peña Parra zum Substituten des Kardinalstaatssekretärs. Peña übernahm damit den Posten von Becciu, der damals zum Präfekten der Heiligsprechungskongregation befördert worden war. Substitut Peña , der als Diplomat von 2002 bis 2005 Gesandtschaftsrat an der Apostolischen Nuntiatur in Honduras war, gehört zu den engen Freunden von Kardinal Maradiaga und des gestürzten Pineda. Peña hatte sich für dessen Ernennung zum Weihbischof stark gemacht.
Obwohl auch Peña selbst Fehlverhalten vorgeworfen wurde, kam es im Vatikan vor seiner Berufung als Substituten zu keiner Überprüfung durch den Vatikan.
Die einflußreichste Lobby
Magister geht schließlich der Frage nach, ob Kardinal Tagle tatsächlich der Wunschnachfolger ist, den Franziskus für den Stuhl Petri in pectore hat.
„Daß der sino-philippinische Kardinal der ‚Papabile‘ ist, der Bergoglio am liebsten ist, steht außer Zweifel.“
Ob ein Konklave ihn allerdings wählen wird, stehe auf einem ganz anderen Blatt geschrieben. Wahrscheinlicher sei, so Magister, daß Tagle, der zu sehr in allem an eine Kopie von Franziskus erinnert, dem Wunsch zum Opfer fallen könnte, das derzeitige Pontifikat hinter sich zu lassen. Da Franziskus der Leidensdruck der kirchlichen Hierarchie nicht entgeht, ist nicht ausgeschlossen, daß er einen weiteren Kandidaten für einen „Plan B“ bereithält, der dann bessere Aussichten haben könnte, um eine Mehrheit für einen zweiten Anlauf, ein Pontifikat Franziskus light, hinter sich zu scharen. Damit könnte die Linie von Franziskus fortgesetzt werden, aber ohne die Launen und Spitzen des derzeitigen Pontifikats.
Und dieser Kandidat „könnte der chamäleonhafte Kardinal von Bologna Matteo Zuppi sein, der einige Pfeile zu seinen Gunsten im Köcher hat“. Im vergangenen Monat etwa wurde Kardinal Zuppi mit einem Philosophiepreis ausgezeichnet. Seine Hausmacht ist die Gemeinschaft Sant’Egidio, deren Mitbegründer er ist:
„Und die zweifellos weltweit die mächtigste, einflußreichste und allgegenwärtigste katholische Lobby der vergangenen Jahrzehnte und in der hohen Hierarchie der Kirche sehr stark verankert ist.“
Unter Papst Franziskus erreichte die Gemeinschaft Sant’Egidio auch im Vatikan einen Höhepunkt an Einfluß: mit Erzbischof Vincenzo Paglia an der Spitze der vatikanischen Einrichtungen für das Leben und die Familie, mit Matteo Bruni als Vatikansprecher und Direktor des vatikanischen Presseamtes, mit Andrea Ricciardi als Choreograph des interreligiösen Gebetstreffens am 20. Oktober auf dem Kapitol, an dem Papst Franziskus teilnahm, und vor allem mit Matteo Zuppi, dem ersten Mitglied der Gemeinschaft, das zum Kardinal erhoben wurde.
Zuppi hört es gerne, wenn man ihn in Analogie zu den „Straßenpriestern“ als „Straßenkardinal“ bezeichnet. Vor allem aber ist Zuppi Autor des Vorworts zur italienischen Ausgabe des Buches von James Martin SJ, mit dem dieser eine neue homosexuelle Moral für die Kirche fordert.
Offenbar wissen einige Kirchenmänner sehr genau, mit welcher Visitenkarte sie einen sicheren Platz im Hofstaat von Papst Franziskus erhalten.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: MiL/VaticanInsider/AsiaNews/Adveniat (Scresnshots)