(Rom) Im vergangenen Dezember ließ das linksliberale Wochenmagazin L’Espresso die Bombe platzen. Nun legte das Magazin mit neuen Enthüllungen nach.
Am 21. Dezember verpaßte Papst Franziskus in seiner Weihnachtsbotschaft an die Römische Kurie den Mitarbeitern seine „traditionelle“ Kopfwäsche, und meinte damit die Nicht-Bergoglianer. Genau am selben Tag veröffentlichte jedoch das Wochenmagazin L’Espresso, daß ausgerechnet einer der engsten Vertrauten des Papstes, der honduranische Kardinal und „Vize-Papst“ Oscar Rodriguez Maradiaga, Koordinator des C9-Kardinalsrates, sich von der Katholischen Universität von Honduras monatlich mehr als 35.000 Euro überweisen ließ. Zu Weihnachten sogar fast 50.000 Euro.
„Extras“ für Kardinal Maradiaga, doch kein Aufschrei
Der große Aufschrei blieb aus. Das päpstliche Umfeld schwieg. Von den angeblichen Untersuchungen, die zunächst in den Raum gestellt wurden, war bereits nach drei Tagen nichts mehr zu hören. Vielmehr verteidigte Papst Franziskus den Kardinal zuletzt am 21. Januar auf dem Rückflug von Peru. Der Kardinal habe geantwortet und die Angelegenheit erklärt. Damit sei die Sache erledigt.
In der aktuellen Ausgabe legt das Wochenmagazin nach mit dem Artikel „Die dunkle Seite von Maradiaga“ (spanische Version). In der italienischen Originalausgabe heißt es: „Die Witwe greift den Kardinal an: wegen ihm betrogen.“
„Der Kardinal greift L’Espresso an. Er hat aber nicht erklärt, wofür ihm eine katholische Universität monatlich 35.000 Euro überwiesen hat.“
Das ist mehr als der Präsident der USA und die deutsche Bundeskanzlerin erhalten. Papst Franziskus hatte seinen Vertrauten, der sich mit einem Buch selbst als Papst in spe für die Franziskus-Nachfolge in Stellung brachte, damit verteidigt, daß die Überweisungen nicht für den Kardinal persönlich, sondern für seine Diözese gewesen seien.
Keine Spur des Geldes in Bistumsbilanz
L’Espresso veröffentlichte nun Bilanzauszüge des Erzbistums Tegucigalpa. Bei den Eingängen findet sich keine Spur von den Geldern der Universität.
Die Witwe des ehemaligen honduranischen Botschafters beim Heiligen Stuhl beschuldigt den Kardinal zudem „betrügerischer Vermittlungen“ in Zusammenarbeit mit einer Londoner Finanzgesellschaft. Der Purpurträger sei schuld, daß das Ehepaar ihr Vermögen verloren hat.
Kardinal Maradiaga reagierte auf die Dezember-Enthüllungen zunächst mit dem Vorwurf, die „Geschichte der monatlich von der Katholischen Universität von Tegucigalpa erhaltenen 35.000 Euro ist eine Verleumdung“. L’Espresso hatte damals geschrieben, der Kardinal habe jährlich rund eine halbe Million Euro extra kassiert. Das Geld habe er sich von der Universität, deren Großkanzler und somit höchste Autorität er ist, auf Privatkonten überweisen lassen.
Der Kardinal schimpfte damals, es gebe einen Journalisten, Emiliano Fittipaldi, „von geringer Ethik, der sein Geld mit niederträchtigen Büchern verdient“. Der Angriff gelte gar nicht ihm, so der Purpurträger, sondern sei in Wirklichkeit „ein Angriff auf den Heiligen Vater, weil man nicht will, daß er die Kurie reformiert“.
Der Päpstliche Visitator und die Zeugen
Fittipaldi schreibt in der aktuellen Espresso-Ausgabe:
„Die Anschuldigungen hat sich nicht der Unterfertigte ausgedacht, sondern stammen von einigen honduranischen Zeugen (darunter Seminaristen, Priester, Angestellte der Universität, enge Freunde des Kardinals), die darüber im Mai 2017 mit dem argentinischen Bischof Pedro Casaretto sprachen, dem Apostolischen Gesandten, den Bergoglio selbst nach Honduras geschickt hatte mit dem Auftrag, über die Diözese, über die es viel Gerede gibt, zu ermitteln.“
Der Visitator habe die Zeugenaussage genau protokolliert.
Im Avvenire, der Tageszeitung der Italienischen Bischofskonferenz, klärte Kardinal Maradiaga am 26. Dezember auf, daß es sein Weihbischof Juan Jose Pineda gewesen sei, der diese Visitation beantragt hatte. Pineda ist Maradiagas engster Vertrauter im Erzbistum Tegucigalpa und steht ebenfalls im Zentrum der Enthüllungen. Wörtlich sagte der Kardinal:
„Was die Universität betrifft, so stimmt es, daß sie dem Erzbistum gehört, und aus diesem Grund gibt die Universität dem Erzbistum eine Summe, die in etwa der [im Artikel] genannten entspricht. Aber nicht für den persönlichen Gebrauch des Kardinals. Dieses Geld ist für die Seminaristen und für die Priester in den Landpfarreien, die fast keine Ressourcen haben, um die Kirchen zu erhalten, für die Autos der Pfarreien, und um vielen armen Menschen zu helfen.“
Warum überwies die Universität auf Privatkonten?
L’Espresso schreibt nun dazu, daß das Wochenmagazin nie irgendeine Nutzung des Geldes behauptet habe, sondern den Geldfluß. Der Kardinal habe aber bis heute nicht erklärt, warum die Gelder – wenn sie für die Seminaristen, die Landpfarrer und die Armen bestimmt waren – von der Universität auf die Privatkonten des Kardinals überwiesen wurden und nicht auf jene des Erzbistums Tegucigalpa. Er habe bisher auch nicht erklärt, warum die Universität nicht nur dem Kardinal, sondern auch anderen Bischöfen, dem genannten Juan Jose Pineda und Romulo Emiliani, Gelder überwiesen hat, wenn auch deutlich weniger als dem Kardinal. Beide bezogen monatlich 3.500 Euro.
2016 verlor der Kardinal in einem Verleumdungsprozeß gegen die honduranische Zeitung El Confidencial, die über die ungewöhnlichen Zahlungen an den Kardinal berichtete, und dabei auch das Wort „Korruption“ verwendet hatte.
L’Espresso, so Fittipaldi, habe „geheime Dokumente einsehen können“. Vergleiche man diese mit den Aussagen des Kardinals „wird das Rätsel immer undurchsichtiger“.
Generalbilanz zum Ad-limina-Besuch 2017
Bei den Dokumenten handelt es sich unter anderem um eine Generalbilanz des Erzbistums Tegucigalpa vom September 2017. Sie wurde im Zusammenhang mit dem Ad-limina-Besuch der honduranischen Bischöfe bei Papst Franziskus erstellt, der in der Regel alle fünf Jahre stattfinden sollte. Im Rahmen dieses Besuches haben die jeweiligen Bischöfe den Papst auch über den finanziellen Zustand ihres Bistums zu informieren.
Die Generalbilanz des Erzbistums Tegucigalpa umfaßt den Zeitraum 2008–2016, da der letzte Besuch dieser Art 2008 stattgefunden hatte. Daraus gehe „zweifelsfrei“ hervor, so L’Espresso, daß die Summe, die von der Universität an Kardinal Maradiaga gezahlt wurde, nämlich 2015 14,5 Millionen Lempiras, so heißt die honduranische Landeswährung, in der Bilanz gar nicht aufscheinen können. Die Einnahmen des Erzbistums in den genannten Jahren werden nämlich mit jährlich lediglich 6,4–8,9 Millionen Lempiras angegeben. Diese Gelder kamen hauptsächlich aus den Abgaben der Pfarreien an das Erzbistum. Die Zahlungen erfolgten demnach laut offizieller Bilanz von den Pfarreien an das Erzbistum und nicht, wie der Kardinal sagte, vom Erzbistum an die Pfarreien.
Wenn die Aussage von Kardinal Maradiaga stimmt, daß die Katholische Universität, deren Großkanzler er ist, die Gelder für das Erzbistum zahlte, warum aber scheint dann in den Bilanzen des Erzbistums nichts davon auf?
In der Bilanz von 2015 scheint eine weitere Summe nicht auf: die 30 Millionen Lempiras (rund eine Million Euro), die der engste Mitarbeiter des Kardinals, Weihbischof Pineda von der honduranischen Regierung für die „Sicherheit der Bevölkerung“ erhalten hat. Laut honduranischen Medien würde diese Summe deshalb nicht aufscheinen, weil sie direkt an den Bischof geflossen sei.
Handelt es sich auch dabei nur um einen kuriosen Umweg des Geldflusses über Privatkonten der Bischöfe?
Der Kardinal, der Botschafter und ein Londoner Finanzmanager
Kardinal Maradiaga, so L’Espresso, habe sehr genervt auf die Anschuldigung einiger Zeugen reagiert, die sich im Mai 2017 an Bischof Casaretto gewandt hatten. Sie sprachen von „großen Summen“, die „auf Vermittlung des Kardinals“ an einige Finanzgesellschaften in London geflossen seien, darunter Leman Wealth Management von Youssry Henien, der als „eine Art von Finanzguru“ bezeichnet wird. Henien, sei ein Finanzberater mit „verschiedenen Portfolios“ für „reiche Kunden“. Ein Teil des auf Vermittlung des Kardinals geflossenen Geldes sei aber „verschwunden“. Der Kardinal scheint bei seinen „Empfehlungen“ eine Verurteilung durch die britische Justiz nicht erwähnt zu haben. Vom Espresso wird der Purpurträger mit den Worten zitiert:
„Das Erzbistum hat einen Wirtschaftsrat, der nie diese Art von Überweisungen genehmigt hat.… und was mich betrifft: Ich weiß nicht, ob es in London ein Finanzunternehmen dieses Namens gibt“.
„Es mag sein“, so das Wochenmagazin, „daß der Kardinal nicht den Namen der englischen Gesellschaft kennt“ (Henien ist zudem in Florida, in Genf und den Arabischen Emiraten aktiv). Tatsache sei jedoch, daß während der Päpstlichen Visitation im Mai 2017 Martha Alegria Reichmann „ausführlich über die engen Verbindungen zwischen Maradiaga und dem Londoner Finanzmanager Henien berichtete, der auch in Dubai Gesellschaften besitzt“ und laut Eigenangaben auch Finanzinteressen des saudischen Königshauses vertritt.
Die Witwe des Botschafters
Der Visitationsbericht, der geheim ist, wurde von Bischof Casaretto dem zuständigen Präfekten der Bischofskongregation, Kardinal Marc Ouellet, und mit Sicherheit auch Papst Franziskus vorgelegt. Ob dieser ihn gelesen hat, steht natürlich auf einem anderen Blatt geschrieben. Nach dem ersten Espresso-Artikel vom 21. Dezember möchte man das annehmen. Sollte er ihn gelesen haben, wären die päpstlichen Aussagen bei der fliegenden Pressekonferenz vom 21. Januar unter diesem Blickwinkel zu betrachten.
Die Zeugin Reichmann ist Kardinal Maradiaga jedenfalls bestens bekannt. Sie ist die Witwe von Alejandro Valladares, dem ehemaligen honduranischen Botschafter beim Heiligen Stuhl. Valladares hatte dieses Amt 22 Jahre inne, so daß er 2008 sogar Dekan des beim Vatikan akkreditierten Diplomatischen Korps wurde. Der Botschafter galt als hochanständiger Mann. Seit dem 16. Lebensjahr besuchte er jeden Tag die Heilige Messe. Von seinem Vater, der erster honduranischer Botschafter beim Heiligen Stuhl war, hatte er die Leidenschaft für die Geschichte vererbt bekommen. Valladares veröffentlichte mehrere wissenschaftliche Studien, darunter über zwei Päpste des 11. Jahrhunderts, für die er vom mit dem nach Papst Bonifaz VIII. benannten Preis der Accademia Bonifaciana ausgezeichnet wurde. Zudem verlegte der Vatikanverlag immerhin ein Buch von Martha Reichmann.
Sie berichtete im vergangenen Frühjahr dem Päpstlichen Visitator, daß Maradiaga ein alter Freund der Familie ist und durch Jahrzehnte, wann immer er in Rom war, beim 2013 verstorbenen Botschafter und seiner Frau wohnte. Ihr Mann habe sich Anfang 2013 vom Kardinal überreden lassen, auf dessen Empfehlung hin, das Familienvermögen bei der genannten Londoner Finanzgesellschaft anzulegen. Maradiaga habe damit geworben, daß er auch Gelder des Erzbistums Tegucigalpa dort angelegt habe. Das sei vertrauenserweckend gewesen.
Der „Vermittlungsbetrug“
Ihr Mann hätte dem Rat aber nie folgen sollen, so die Witwe. Es sei nämlich ein „Vemittlungsbetrug“ gewesen. Implizit läßt die Aussage vermuten, daß die Witwe annimmt, der Kardinal habe für die Vermittlung auch eine Provision kassiert. Im Februar 2015 mußte die Witwe, so ihre Darstellung, jedenfalls feststellen, daß das Geld der Familie, das angeblich auf deutschen Banken lag, verschwunden war, und die Zertifikate, die das Ehepaar für die Finanzaktion erhalten hatte, Fälschungen waren. Als sie Henien oder Maradiaga kontaktieren wollte, um zu erfahren, was geschehen war, sei sie „kläglich gescheitert“. Soweit, laut L’Espresso, der Visitationsbericht. Das Wochenmagazin kontaktierte die Witwe, die aber zu keiner Stellungnahme bereit war.
Das Resümee der Zeitschrift: „Wir wissen nicht, ob die Witwe von Valladares konkrete Beweise besitzt, um die schweren Anschuldigungen beweisen zu können. Wir wissen ebensowenig, ob es im Erzbistum Tegucigalpa eine Parallelbilanz gibt“, in der die Zahlungen der Universität an Maradiaga oder die Zahlungen der Regierung an Weihbischof Pineda verbucht sind.
Es sei jedoch schwer vorstellbar, daß sich Zeugen gegenüber einem Päpstlichen Visitator, darunter nicht nur die Witwe des ehemaligen, mit dem Kardinal befreundeten Botschafters, sondern auch einfache Landpfarrer in den tropischen Wäldern Honduras und Seminaristen, irgendwie verschworen haben. Wozu? Um dem Kardinal und seinem engsten Mitarbeiter, Weihbischof Pineda, zu schaden mit der eigentlichen Absicht, ein Komplott gegen den Papst zu betreiben. „So stellt es nämlich ein Großteil der katholischen und weltlichen Medien dar“, wie L’Espresso vermerkt. Das Wochenmagazin schreibt abschließend:
„Zu wissen ist auch: Wir haben dem Kardinal eine E‑Mail geschickt und ihn um Aufklärung gebeten, ohne eine Antwort zu erhalten. Der Vatikan zieht es vor, keinen Kommentar abzugeben mit dem Hinweis, daß dafür das Erzbistum Tegucigalpa zuständig sei.“
Text: Giuseppe Nardi
Bild: SSM/L’Espresso/El Heraldo (Screenshots)
Tango corrupti!