
(Rom) Als Reaktion auf die Veröffentlichung des Dokumentarfilms „Francesco“ mit den umstrittenen Aussagen von Papst Franziskus zur Homosexualität erfolgten Versuche, den Skandal einzudämmen oder herunterzuspielen: Der Papst habe als „Privatperson“ gesprochen, es handle sich um eine „nicht offizielle“ Aussage. Jenen, deren wichtigstes Anliegen es scheint, unter keinen Umständen den Papst zu kritisieren oder als Papstkritiker gebrandmarkt zu werden, machte nun einer der engsten Papstvertrauten einen Strich durch die Rechnung.
Erzbischof Víctor Manuel Fernández ist seit Jahren als Ghostwriter von Papst Franziskus tätig. In dieser Funktion diente er bereits Jorge Mario Bergoglio, als dieser noch Erzbischof von Buenos Aires war. Msgr. Fernández gilt als ein „Ziehsohn“ des regierenden Kirchenoberhauptes. Für seine Ernennung zum Rektor der Päpstlichen Katholischen Universität von Argentinien hatte sich Kardinal Bergoglio mit der römischen Kongregation für das katholische Bildungswesen überworfen, die Bergoglios Kandidaten für fachlich ungeeignet hielt. Bergoglio setzte sich 2011 nach einem längeren Tauziehen durch – und rächte sich, sobald er zum Papst gewählt war, indem er die Führungsspitze der Bildungskongregation, die sich ihm seinerzeit widersetzt hatte, aus ihren Ämtern entfernte. Noch zuvor ernannte er Fernández demonstrativ zum Titularerzbischof, um allen im Vatikan und in Argentinien zu signalisieren, wer nun das Sagen hatte. Im Dezember 2016 berief er Fernández auch in ein offizielles Amt an der Römischen Kurie und machte ihn zum Consultor – ausgerechnet der Bildungskongregation. 2017 war es Fernández, der als „authentischer Interpret“ des Papstes zum Streit um das umstrittene nachsynodale Schreiben Amoris laetitia erklärte:
„Ja, Franziskus hat mit Amoris laetitia die Disziplin der Kirche geändert, und zwar irreversibel.“
Da in der Kirche eine natürliche Scheu herrscht, den Papst zu kritisieren, wurde Msgr. Fernández als einer der engsten Vertrauten von Franziskus zur Zielscheibe der Kritik. Der damalige Glaubenspräfekt Gerhard Kardinal Müller attestierte Fernández, „häretische“ Positionen zu vertreten. Als sich diese verschärfte, setzte Franziskus zu einem Doppelschritt an. Man könnte auch von einem Doppelstreich sprechen, den er gegen seine Kritiker ausführte. Er entzog Fernández der Kritik, indem er ihn im Juni 2018 zum Erzbischof von La Plata ernannte, dem zweitwichtigsten argentinischen Bistum nach Buenos Aires. La Plata war noch mehr, es war bis dahin der Bischofsstuhl von Msgr. Hector Ruben Aguer, Bergoglios wichtigstem Gegenspieler im argentinischen Episkopat. Auch das wurde als eine Vergeltung verstanden.
Fernández meldet sich seither aus La Plata zu Wort, nun in anderer Position und mit anderem Gewicht – und nicht mehr aus Rom, was manchen wichtig sein mag, aber im digitalen Zeitalter nur mehr von begrenzter Bedeutung ist: Er verteidigt dabei konsequent die päpstliche Linie und tritt als ihr Interpret mit Insiderwissen auf.
Im Januar 2019, nur ein halbes Jahr nach seiner Amtseinführung in La Plata, eliminierte er in seinem Erzbistum das Motu proprio Summorum Pontificum. Eine Rüge aus Rom hat er nicht zu befürchten.
„Franziskus hat schon in Buenos Aires homosexuelle Verbindungen verteidigt“
Fernández, von Freunden „Tucho“ genannt, kommentierte auf Facebook auch die Aussagen von Papst Franziskus zur Homosexualität und enthüllte, daß Jorge Mario Bergoglio „schon immer“ so gedacht habe:
„Was der Papst zu diesem Thema gesagt hat, hat er auch als Erzbischof von Buenos Aires vertreten.“
Für Franziskus, so Fernández weiter, habe der Begriff „Ehe“ eine genaue Bedeutung und gelte „nur für eine stabile Verbindung zwischen einem Mann und einer Frau, die offen für die Weitergabe des Lebens ist“.

Fernández führt den Gedanken noch aus:
„Diese Vereinigung ist einzigartig, weil sie den Unterschied zwischen dem Mann und der Frau impliziert, die sich in Gegenseitigkeit vereinen und durch diesen Unterschied bereichert und auf natürliche Weise fähig werden, Leben zu zeugen. Daher gibt es ein Wort, ’Ehe’, das nur für diese Realität gilt. Jede andere ähnliche Verbindung erfordert einen anderen Namen.“
Bergoglio habe jedoch „immer erkannt“, daß es, „ohne es ‚Ehe‘ zu nennen, tatsächlich sehr enge Verbindungen zwischen Menschen gleichen Geschlechts gibt. Das bedeute an sich keine sexuelle Beziehung, aber eine sehr intensive und stabile Verbindung“, so der Erzbischof von La Plata.
„Sie kennen sich gut, sie teilen sich viele Jahre das gleiche Dach, sie kümmern sich umeinander, sie bringen füreinander Opfer. Dann kann es vorkommen, daß sie es vorziehen, im Extremfall oder bei einer Krankheit nicht ihre Verwandten zu konsultieren, sondern die Person, die ihre Absichten genau kennt. Und aus dem gleichen Grund bevorzugen sie, daß es diese Person ist, die ihr gesamtes Vermögen usw. erbt. Dies kann im Gesetz in Betracht gezogen werden und wird als ‚Zivilunion‘ oder ‚eingetragene Partnerschaft‘ bezeichnet – nicht als Ehe.“
Und noch einmal bekräftigt Fernández die kitschige „Erzählung“, die so wenig mit dem Gesamtphänomen Homosexualität und der Forderung der Homo-Lobby nach der „Homo-Ehe“ zu tun hat wie ein Elefant mit einem Coronavirus:
„Bergoglio hatte immer diese Meinung, und noch vor Jahren gab es eine Diskussion im argentinischen Episkopat, in der Bergoglio das verteidigte, aber verloren hat. Die meisten [Bischöfe] sagten, das würde mit der Ehe verwechselt werden, und zogen es vor, keine Innovationen zu entwickeln.“
Die Gegenseite wurde damals von Erzbischof Aguer angeführt, der seine Ablehnung weit deutlicher formuliert, als es „Tucho“ Fernández wiedergibt. Vor allem geht es nicht nur um die Verwechslungsgefahr, die offenkundig ist. Das vom Staat geschützte Rechtsinstitut der Ehe wird nicht nur von manchen Ideologen und politischen Parteien, sondern offenbar auch von Bergoglios „Ziehsohn“ und sogar vom Papst selbst nicht mehr verstanden.
Versteht Franziskus das Rechtsinstitut Ehe nicht?
Die Ehe wird vom Staat nicht aus Spaß an der Freud‘ geschützt. Es geht dem Staat auch nicht primär darum, daß zwei Menschen sich „stabil“ verbinden. Das ist nur ein positiver Nebeneffekt. Auch werden Eheleute nicht deshalb „privilegiert“, um andere zu „diskriminieren“. Der Staat zwingt niemand zur Ehe. Die Ehe wurde von den Staaten stets aus gutem Grund deshalb in hohem Maße als schützenswert betrachtet wegen der Kinder. Die Ehe zwischen einem Mann und einer Frau wird geschützt, weil sie für den Staat die beste Voraussetzung für die Zeugung von Kindern ist, und Kinder sind die Zukunft eines Volkes und Staates. Ohne Kinder keine Zukunft. Ihre Erziehung wird durch die Ehe im geborgenen Ort der Familie sichergestellt. Die Ehe erfüllt dadurch eine ganz zentrale Aufgabe für den Fortbestand des Gemeinwesens und wird für dieses Verdienst, weil sie für ihn ein vitales Gut darstellt, vom Staat anerkannt und besonders geschützt (nicht privilegiert). Der Diskriminierungsdiskurs, der im Gefolge der 68er-Bewegung zur Gleichstellung von „wilden Ehen“ und seit den 90er Jahren von homosexuellen Verbindungen geführt wird, geht daher völlig an der Sache vorbei. Das gilt auch für die Frage etwa der Altersversorgung einer nahestehenden Person. Dafür kennt der Staat andere Instrumente, die aber ursächlich in keinem Zusammenhang mit dem herausragenden Alleinstellungsmerkmal der Ehe stehen. Die Tatsache, daß Ehepaare aus verschiedenen Gründen kinderlos bleiben können, wird vom Staat hingenommen, weil die Gültigkeit der Regel dadurch nicht beeinträchtigt wird. In offenem Widerspruch dazu steht hingegen eine homosexuelle Verbindung, der es objektiv a priori am wichtigsten Bestandteil mangelt, der Zeugung von Kindern.
Die Anerkennung der „wilden Ehe“ durch das Rechtsinstitut der „eingetragenen Partnerschaft“ stellt eine rein ideologisch motivierte Anomalie dar, weil die 68er nicht bereit waren, von ihrem ideologischen Roß herunterzusteigen und eine Ehe zu schließen, obwohl sie mit der „eingetragenen Partnerschaft“ genau das tun. Auch für sie gilt: Wir schließen eine Ehe, Hauptsache wir nennen sie nicht so, denn sonst wäre es ja ein Eingeständnis, daß wir einen falschen politischen Kampf geführt haben.
In der einen wie der anderen Form steht dahinter der Kampf gegen Ehe und Familie, das sollte gerade Papst Franziskus bekannt und bewußt sein. Er weiß auch, was bei Wikipedia nachzulesen ist:
„In vielen Ländern, in denen die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare geöffnet wurde, ging der Eheöffnung die Einführung von eingetragenen Partnerschaften voraus. Je nach Region oder Land, in dem Paare eingetragene Partnerschaften begründen können, sind diese im Vergleich zur Ehe entweder anders oder völlig identisch ausgestaltet.“
Die Tendenz zielt auch dort, wo die Ausgestaltung noch „anders“ ist, auf eine „völlig identische“ hin. Die von Fernández dem Papst attestierte Sonderstellung der Ehe bezieht sich auf das Ehesakrament. Deshalb solle eine begriffliche Unterscheidung gegeben sein. Das ist aber eine ganz andere Ebene und bestätigt nur, daß Papst Franziskus die Bedeutung des weltlichen Rechtsinstituts der Ehe nicht versteht oder verstehen will.
Die Behauptung, die Papst Franziskus antreibt, man solle ein der Ehe gleichgestelltes Rechtsinstitut schaffen, aber nur nicht Ehe nennen, dann habe es auch nichts mit der Ehe zu tun, wird von den Fakten widerlegt. Das ist daher als das zu benennen, was es ist: ein päpstlicher Griff in die semantische Trickkiste. Kardinal Gerhard Müller nannte es gestern in einem Interview mit dem Corriere della Sera eine „Haarspalterei“ mit dem Zusatz:
„Der Papst steht nicht über dem Wort Gottes.“
Erzbischof Fernández hat jenen, die nach den Papstworten wieder zu beschwichtigen versuchen, den Boden entzogen.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Vatican.va (Screenshot)/MiL