(Rom) Gestern akzeptierte Papst Franziskus den Rücktritt von Kardinal Angelo Becciu vom Amt des Präfekten der Kongregation für die Heilig- und Seligsprechungsverfahren sowie, was noch sensationeller ist, „von allen Rechten” eines Kardinals. Der Vatikan nannte keine Gründe für diesen ungewöhnlichen Schritt, weshalb sie hier nachgereicht werden sollen.
Richtiggehend wurde der Schritt, unabhängig von der im Vatikan üblichen Formel des Rücktrittsangebots, als Aberkennung der Ämter gedeutet. Außergewöhnlich ist die Regelung, die Papst Franziskus wählte: die Schaffung einer neuen Kategorie, die der Kardinäle ohne Rechte. Sein Vertrauter bleibt Kardinal, verliert aber die damit verbundenen Rechte, so, als wäre der 72 Jahre alte Becciu bereits 80.
Es handelt sich bereits um die zweite „Aberkennung“ der Kardinalswürde im derzeitigen Pontifikat. Und erneut betrifft sie einen engen Vertrauten von Papst Franziskus. Gründe dafür wurden vom vatikanischen Presseamt keine genannt, dennoch sind diese in groben Zügen bekannt. Die Detonationen, die das derzeitige Pontifikat erschüttern, nähern sich dem Zentrum. Der Fall McCarrick, dem Papst Franziskus viel Einfluß bei den Bischofsernennungen in den USA eingeräumt hatte, bis sein homosexuelles Doppelleben publik wurde und er ihm die Kardinalswürde entzog, detonierte noch weit entfernt über dem großen Teich. Der Fall Becciu explodierte in unmittelbarer Nähe des Papstes. Um die Hintergründe ein wenig zu erklären, bedarf es etwas Zeit, denn in diesem Kontext kocht einiges unter dem Deckel.
Angelo der Sarde
Kardinal Giovanni Angelo Becciu, genannt Angelo, ein Sarde, gehört zum Kreis der Vatikandiplomaten, jener Korporation, die sich mit der Wahl von Papst Franziskus wieder jenen Einfluß an der Römischen Kurie zurückholten, den Papst Benedikt XVI. zurückgedrängt hatte. Seinen letzten Auftrag als Apostolischer Nuntius nahm er bis 2011 auf Kuba wahr. Dann wurde er auf Vorschlag des damaligen Kardinalstaatssekretärs Tarcisio Bertone als dessen Substitut an das vatikanische Staatssekretariat berufen. Becciu, obwohl Vatikandiplomat, wurde nicht zum Diplomatenkreis von Kardinal Angelo Sodano gerechnet, der die Revanche gegen Benedikt XVI. suchte, sondern galt als Technokrat.
Dieser Ruf sicherte ihm, obwohl von Benedikt XVI. in das hohe Amt berufen, auch das Wohlwollen von Franziskus. Unter diesem erlebte Becciu einen Karriereschub in ungeahnte Höhen. Er gehörte gleich zur ersten Gruppe von vier Kurienmitarbeitern, die vom neugewählten Papst in ihrem Amt bestätigt wurden. Drei davon waren Diplomaten.
Becciu reihte sich sogleich in die Bergoglio-Garde ein und wurde im Laufe der Jahre wiederholt von Medien als „Freund” von Franziskus genannt (im Gegensatz zu dessen „Feinden”, sprich Kritikern seiner Amtsführung). Das zeigte sich in der Verteidigung des umstrittenen nachsynodalen Schreibens Amoris laetitia. Als Kritik an Passagen laut wurde, deren Vereinbarkeit mit der kirchlichen Tradition bezweifelt wird, sprang Becciu im Herbst 2016 dem Papst zur Seite und bezichtigte die Kritiker, darunter vier Kardinäle, die sich mit Dubia (Zweifeln) an den Papst gewandt hatten, des Ungehorsams:
„Als demütiger Mitarbeiter des Papstes verspüre ich die Pflicht, ihm loyal zu sagen, was ich denke, wenn eine Entscheidung in Ausarbeitung ist. Sobald sie getroffen wurde, gehorche ich dem Heiligen Vater völlig. Die Einheit der Kirche, für die Jesus Blut geschwitzt hat und sein Leben gegeben hat, kommt vor meinen Ideen, so schön sie auch sein mögen. Jene, die im Ungehorsam ersonnen wurden, haben die Kirche ruiniert.“
Ein so „demütiger” Mitarbeiter war Becciu dann aber doch nicht, wie sich inzwischen zeigte. Vorerst blieb das päpstliche Vertrauen in ihn ungebrochen. Der sardische Prälat sicherte es sich als päpstlicher Prätorianer.
Die Distanzierung von Pater Cavalcoli
So trat er im November 2016 persönlich vor die Mikrophone von Radio Vatikan, um sich vom bekannten Dominikaner Pater Giovanni M. Cavalcoli zu distanzieren. Der Dogmatiker hatte in seiner Sendung von Radio Maria Italien auf die Frage eines Hörers geantwortet, ob Gott „reuelose Sünder straft”. Im Detail ging es in der Frage darum, ob Naturkatastrophen wie das Erdbeben, das damals soeben Mittelitalien erschüttert hatte, auch eine Folge von Gesetzen „gegen den Willen Gottes” sein könnten wie der Legalisierung der „Homo-Ehe”. P. Cavalcoli beantwortete die Grundfrage mit einem klaren ja. Die Naturkatastrophen seien Teil der gefallenen Natur, und damit eine Konsequenz der Ursünde. Was konkrete Zuschreibungen anbelangt, äußerte sich Cavalcoli sehr zurückhaltend und mahnte zur Vorsicht. Der Dogmatiker ging auf den Begriff der „Strafe Gottes“ ein, der vielen „nicht gefällt, aber ich verwende ihn dennoch, weil es ein biblisches Wort ist“. Es sei „natürlich wichtig“, was unter „Strafe“ zu verstehen sei, was Gott damit meine, und welcher Zusammenhang sich darin für die gesamte Existenz des Menschen und sein Heil ausdrücke.
Die Frage, ob eine Naturkatastrophe wie nun die Erdbeben in Mittelitalien die Folge eines bestimmten Ereignisses seien, sei „schwer mit Sicherheit zu beantworten“. Die Frage sei „sehr heikel“. Der Dominikaner wollte darauf nur eine „ganz persönliche Meinung“ äußern. Ihn habe vor allem die Zerstörung der Basilika von Norcia, dem Geburtsort des heiligen Benedikt, am Morgen des 30. Oktober erschüttert. Er wolle „nichts hineininterpretieren, weil das heikel sei, aber zumindest zu bedenken geben, daß Benedikt von Nursia der Patron Europas ist. Er ist der Vater der christlichen Zivilisation, der Vater des Abendlandes, Europas, das nicht nur katholische, sondern auch laizistische Gelehrte in einer schweren Krise sehen.”
Becciu, damals die Nummer zwei des vatikanischen Staatssekretariats, distanzierte sich über Radio Vatikan von diesen Aussagen. P. Cavalcoli habe die „Barmherzigkeit” Gottes nicht verstanden. Die Meldung ging um die Welt: Die Frankfurter Allgemeine Zeitung titelte wahrheitswidrig: „Priester bezeichnet Erdbeben als Strafe Gottes“.
Der Grund für die Aufregung war die in Frage und Antwort angedeutete Koppelung mit der Legalisierung der „Homo-Ehe” in Italien. Radio Vatikan sprach von „beleidigenden” Aussagen für die Opfer der Erdbeben (und meinte implizit für die Homosexuellen). Der Osservatore Romano folgte mit der Schlagzeile: „Beleidigende Behauptungen”. Die vatikanischen Medien machten sich dabei nicht die Mühe, P. Cavalcoli zu kontaktieren. Die Distanzierungswelle rollte gnadenlos. Der Dominikaner knickte aber nicht ein, weil er nur gesagt habe, „was die Kirche lehrt“, doch Radio Maria Italien setzte ihn wegen der Becciu-Kritik vor die Tür.
Cavalcoli kommentierte die vatikanische Attacke mit den Worten:
„Papst Franziskus ist nicht häretisch. Er umgibt sich aber mit falschen Freunden und schlechten Ratgebern“
Die Enthauptung des Malteserordens
Franziskus belohnte die Knüppelarbeit seines Vertrauten, indem er ihn am 4. Februar 2017 zum Päpstlichen Delegaten für den Souveränen Malteserorden ernannte. Bis gestern übte Becciu damit im Orden die faktische Kontrolle aus. Vorausgegangen war ein beispielloser Skandal. Papst Franziskus, vom Staatssekretariat (also auch Becciu) in diesem Sinne beeinflußt, hatte den rechtmäßig und auf Lebenszeit gewählten Fürsten und Großmeister des Malteserordens, Fra Matthew Festing, am 28. Januar 2017 seines Amtes enthoben, obwohl sich dieser nichts zuschulden hatte kommen lassen. Allerdings hatte sich der Großmeister den Interessen einer Gruppe entgegengestellt, die über bessere Kontakte in den Vatikan verfügte. Die Folge dieser „Freunderlwirtschaft” war eine Intrige zum Sturz des störenden Großmeisters. Dabei spielte Becciu eine zentrale Rolle. Die ganze Dimension des Skandals ist noch nicht bekannt. Das Ausmaß läßt sich aber an den linksliberalen Weltleitmedien wie New York Times, Washington Post und BBC erahnen, die sich in der Sache engagierten.
Sie behaupteten, daß der Sturz des Großmeisters der Abwehr einer quasi „tödlichen” Gefahr für das gefeierte Pontifikat von Papst Franziskus gedient hätte. Drahtzieher dieser Bedrohung sei Kardinal Raymond Burke gewesen, der damalige Kardinalprotektor des Malteserordens, also päpstlicher Botschafter beim Orden. Der Titel wurde Kardinal Burke nach dem Sturz von Großmeister Festing zwar belassen, doch alle Zuständigkeiten entzogen und Becciu übertragen.
In Wirklichkeit ging es im beispiellosen Machtkampf nicht nur um die Ehre und das Ansehen von Albrecht Freiherr von Boeselager, den Großmeister Festing seines Amtes als Großkanzler des Ordens enthoben hatte – was der Auftakt zum Sturz Festings wurde –, sondern mehr noch um eine in der Schweiz gebunkerte, ominöse Schenkung in dreistelliger Millionenhöhe eines französischen Adeligen und Maltesers, auf welche die erwähnte Gruppe die Hand legen wollte.
Die Wegbeförderung
Am 26. Mai 2018 folgte für Becciu der nächste Karrieresprung: Papst Franziskus ernannte ihn zum Präfekten der Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungsprozesse und erhob ihn am 28. Juni desselben Jahres in den Kardinalsrang. Damit galt es als ziemlich sicher, daß er im nächsten Konklave zu den Papstwählern gehören würde.
Den Ernennungen war eine Reihe von Gerüchten vorausgegangen. Bereits 2016 wurde Becciu als künftiger Kardinalpräfekt der Heiligsprechungskongregation genannt. Anfang 2018 verdichteten sich die Stimmen von persönlichen Konflikten zwischen Kardinalstaatssekretär Parolin und seinem Substituten. Die Rede war von Mentalitäts- und Temperamentsunterschieden zwischen dem Sarden Becciu und der „nordischen” Nüchternheit von Kardinal Parolin. Die Tageszeitung Il Fatto Quotidiano schrieb im Januar 2018:
„Eine klassische ‚politische Rivalität‘ zwischen Kardinal Pietro Parolin und dem bereits genannten Becciu kann Bergoglio zu einer aufsehenerregenden Entscheidung drängen. […] Die Zeit hat den Spielraum im Staatssekretariat verkleinert. Parolin und Becciu geraten aneinander, und im Doppel kommen zu viele Ellbogen zum Einsatz.
Um Becciu einzudämmen, hat Franziskus vor wenigen Monaten im Staatssekretariat eine ‚dritte Sektion‘ geschaffen, die sich um die Nuntien kümmert. Das reicht aber nicht. ‚Wenn Becciu nicht geht, wird Parolin gehen‘, sagt eine vatikanische Quelle zum Fatto. Bergoglio hat nicht die Absicht, Becciu zu ‚bestrafen‘, er kann ihn aber befördern und entfernen: ihn zum Kardinal erheben und in ein Dikasterium verschieben.“
Genau das tat Franziskus einige Monate später. Doch das war nicht die ganze Wahrheit.
Das Riesenloch im Peterspfennig
Zu Becccius Sturz mag einiges vom bisher Gesagten beigetragen haben, doch der eigentliche Grund waren undurchsichtige Immobiliengeschäfte, mit denen man sich verspekuliert hatte und die ein Riesenloch in die Kassen des Vatikans gerissen haben. Auf dem Rückflug von Japan, am 26. November 2019, bestätigte Papst Franziskus bei der fliegenden Pressekonferenz, daß Hunderte Millionen Dollar aus dem Peterspfennig über zweifelhafte Wege für verlustreiche Immobiliengeschäfte in London eingesetzt worden waren. Die Bestätigung erfolgte, nachdem es während der Auslandsreise des Papstes in Rom zu einem „Kampf aller gegen alle ums Geld” (Sandro Magister) gekommen war und der Skandal explodierte.
Kurz vor seiner Abreise nach Fernost hatte Franziskus am 14. November einen neuen Präfekten für das Wirtschaftssekretariat ernannt. Anderthalb Jahre nach dem Abgang von Kardinal George Pell aus Rom machte der Papst seinen Mitbruder, den Jesuiten Juan Antonio Guerrero Alves, zu dessen Nachfolger.
Dem war vorausgegangen, daß am 1. Oktober die Räumlichkeiten der vatikanischen Finanzinformationsbehörde AIF von der vatikanischen Gendarmerie durchsucht worden war. Grund dafür waren Ermittlungen, weil sich Ungereimtheiten bei der Abwicklung von Immobiliengeschäften erhärtet hatten. Die Durchsuchung hatte den Ausschluß der AIF aus der Egmont Group, dem europäischen Netzwerk der Finanzaufsichtsbehörden, zur Folge. Im Raum steht seither der Verdacht von Geldwäsche. Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin sprach Ende Oktober 2019 von „undurchsichtigen“ Geschäften.
Am Abend vor dem Abflug des Papstes nach Thailand wurde vom Vatikan plötzlich die Ernennung eines neuen AIF-Präsidenten angekündigt, dessen Name aber erst nach der Rückkehr des Papstes bekanntgegeben werde. Die Vorgangsweise war ungewöhnlich. Hatte der Vatikan den Eindruck erweckt, es handle sich um einen notwendigen Schritt, da die Amtszeit des bisherigen AIF-Präsidenten René Brüelhart auslaufe, widersprach dieser. Der Schweizer gab über Reuters bekannt, ein unbefristetes Mandat erhalten zu haben, aber nun zurückgetreten zu sein. Mit ihm gingen noch zwei weitere AIF-Vorstände, der Schweizer Marc Odendall und der US-Amerikaner Juan Carlos Zarate. Odendall war auch Mitglied der päpstlichen Untersuchungskommission, die in der Causa Malteserorden den von Großmeister Festing abgesetzten Großkanzler Boeselager rehabilitiert und an der Absetzung von Großmeister Festing durch Papst Franziskus mitgewirkt hatte.
Einen Tag nach der Durchsuchung der AIF-Räumlichkeiten und der Beschlagnahmung von Dokumenten und Computern durch die vatikanische Gendarmerie erfolgte die Suspendierung von fünf Vatikanfunktionären, darunter auch des AIF-Direktors Tommaso Di Ruzza, Schwiegersohn von Antonio Fazio, dem mächtigen ehemaligen Präsidenten der italienischen Notenbank Banca d’Italia. Zu den fünf suspendierten Vatikanfunktionären gehörte Msgr. Mauro Carlino, der zuvor Beccius Sekretär war.
Ins Visier geriet auch Becciu. Die vatikanische Ermittlungsbehörde hatte wegen der starken Verdachtsmomente angeordnet, daß Kardinal Becciu den Vatikan nicht verlassen dürfe. Kardinalstaatssekretär Parolin erteilte seine Zustimmung, nicht aber Papst Franziskus. Die vatikanische Staatsanwaltschaft konnte auch nicht direkt gegen Becciu ermitteln, da für Ermittlungen gegen Kardinäle die Erlaubnis des Papstes nötig ist. Noch gehörte der Papst-Vertraute Becciu zu den „Unantastbaren“.
Eine goldene Nase
Soweit bisher bekannt, verdienten sich mit dem Kauf der Londoner Harrods-Immobilie in der Sloane Avenue zwei vom Vatikan hinzugezogene „Finanzexperten“ hintereinander eine goldene Nase im zweistelligen Millionenbereich, einer unter Becciu, der andere unter dessen Nachfolger Peña Parra. Das Geld stammte aus dem Peterspfennig, den Spenden der Gläubigen der ganzen Welt zur Unterstützung der apostolischen und karitativen Aktivitäten des Heiligen Stuhls.
Becciu verteidigte den ganzen Oktober 2019 hindurch sein Vorgehen mit Vehemenz. In diesem Zusammenhang ist auch die überraschende Entlassung von Generalinspektor Domenico Giani, dem Kommandanten des Gendarmeriekorps des Staates der Vatikanstadt, zu sehen, die am 14. Oktober 2019, keine zwei Wochen nach der Durchsuchung der AIF-Räumlichkeiten, erfolgte. Grund für den Zorn auf Giani war nicht das damals von einigen Medien, dann auch vom vatikanischen Presseamt behauptete läppische Durchsickern von Informationen an die Öffentlichkeit, sondern die Korruptionsermittlungen gegen ranghohe Mitarbeiter des vatikanischen Staatssekretariats. Der Ranghöchste unter ihnen war Kardinal Becciu.
Am 30. Oktober stieg dann Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin selbst in den Ring. Obwohl beide treue Bergoglianer sind, ist das Verhältnis zwischen Parolin und Becciu schon länger unterkühlt. Der Kardinalstaatssekretär hielt sich lange aus dem Spiel. Ende Oktober nahm er doch Stellung und bezeichnete die Londoner Immobilienoperation als „undurchsichtig“ und forderte die Justiz des Vatikans auf, Klarheit zu schaffen. Damit hatte er alle Verteidigungsversuche Beccius mit einem Schlag zunichtegemacht.
Die Reaktion Beccius erfolgte „sofort und stürmisch“ (Sandro Magister). „Es gab nichts Undurchsichtiges“, ließ er wissen. Mit den Anschuldigungen wolle man ihn lediglich mit „Dreck bewerfen“. Obwohl selbst Parolin auf Distanz gegangen war, hielt Papst Franziskus weiter zu seinem Vertrauten, weshalb selbst jetzt nichts geschah.
Nach der Rückkehr aus Japan ernannte Franziskus lediglich den Italiener Carmelo Barbagallo zum neuen AIF-Präsidenten, der bis dahin Direktor der Abteilung Banken- und Finanzaufsicht der Banca d’Italia war.
Die Ermittlungen der vatikanischen Gendarmerie, die weitergingen, waren durch Anzeigen der Vatikanbank IOR ins Rollen gebracht worden, die nicht nur die AIF betrafen, sondern gerüchteweise auch das Staatssekretariat. Das war auch der Grund, weshalb für den Kardinalstaatssekretär eine rote Linie überschritten war. Die zentrale Frage war, um welche „Finanzoperationen” es sich handelte, von denen in der vatikanischen Presseerklärung vom 1. Oktober zum Polizeieinsatz in den AIF-Räumlichkeiten die Rede war.
Katholisches.info schrieb dazu:
„Die wichtigste Operation ist der Kauf einer Luxusimmobilie in der Londoner Sloane Avenue, die den Vatikan 200 Millionen Dollar kostet. Durchgeführt wurde er ab 2014 über verschlungene und wenig vertrauenswürdige Wege durch die Erste Sektion des Staatssekretariats, die vom damaligen Substituten des Kardinalstaatssekretärs, Msgr. Angelo Becciu, geleitet wurde. Becciu wurde inzwischen von Papst Franziskus zum Kardinal erhoben und als Präfekt an die Spitze der Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungsverfahren befördert.
Der von Papst Franziskus fallengelassene Kardinal Pell hatte sich als Präfekt des Wirtschaftssekretariats erfolglos gegen den Kauf gestemmt. Was Pell damals noch weniger ahnte: Er machte sich damit einige einflußreiche Personen zu Gegnern.”
Die Intrige gegen Kardinal Pell
Becciu hatte tatkräftig am Stuhl des Australiers George Pell mitgesägt, der seit 2014 erster Kardinalpräfekt des neuerrichteten Wirtschaftssekretariats war. Der britisch geprägte Pell packte sein neues Amt an der Römischen Kurie unter dem offenbar naiven Aspekt einer ordnungsgemäßen und effizienten Verwaltung an. Daß er damit für einige zum Störenfried wurde, der ihren Interessen unangenehm werden konnte, ahnte er nicht. Noch weniger ahnte er, wozu sie bereit waren, um sich und ihre Interessen zu schützen. Als er es erkannte, war es zu spät. Die Intriganten gegen Pell saßen in der Güterverwaltung des Apostolischen Stuhls APSA und – was für den Fall Becciu maßgeblich ist – im Staatssekretariat. Am 14. März 2019 zitierte Katholisches.info den Vatikanisten Marco Tosatti:
„Als jene Probleme auftraten, die als ‚Fall Libero Milone’ bekannt wurden (der Generalrevisor des Vatikans, der für die Verwaltungs- und Finanzkontrolle zuständig war, aber aus dem Vatikan hinausgeworfen und sogar angezeigt wurde, weil er unerlaubt Ermittlungen über kuriose und verdächtige Finanzbewegungen und zu einigen ebenso kuriosen Konten aufgenommen hatte), wollte Kardinal Pell der Sache auf den Grund gehen und Licht in die von Milone aufgezeigten Unklarheiten bringen.
Und so flatterte das ‚Brieflein’ aus Australien auf seinen Schreibtisch, dessen Ergebnis von allen Medien berichtet wurde.”
Tosatti deutete damit an, daß die Anzeige gegen Kardinal Pell, die dazu führte, daß er sich vor australischen Gerichten wegen eines angeblichen sexuellen Mißbrauchsfalls verantworten mußte, in Wirklichkeit aus dem Vatikan gesteuert worden sei. Pell kostete es fast Kopf und Kragen. Mit der Anzeige auf dem Tisch und von Papst Franziskus in seinen Bemühungen im Stich gelassen, Klarheit in dubiose Finanzoperationen zu bringen, resignierte der Australier und begab sich auf seinen persönlichen Kalvarienweg.
Er entschied sich, nach Australien zurückzukehren und sich dem Gericht zu stellen, wobei er diesen Gang ausdrücklich in eine geistliche Dimension stellte. Die australischen Medien lynchten ihn bereits vor Prozeßbeginn. Auf die Vorverurteilung folgte die Verurteilung in erster und zweiter Instanz zu sechs Jahren Gefängnis. Erst der Oberste Gerichtshof kippte das in sich „unlogische” Urteil. Pell ging nach der Verurteilung erster Instanz ins Gefängnis, indem er auf die Möglichkeit verzichtete, den Hausarrest zu beantragen, solange das Urteil nicht rechtskräftig war. Obwohl er im vergangenen Frühjahr freigesprochen und sofort enthaftet wurde, nahm sich Franziskus bisher nicht die Zeit, seinen unschuldig verfolgten und geschundenen Kardinal zu empfangen. Aber das ist eine andere Geschichte. Tatsache ist jedoch, daß der Fall Pell mit dem Fall Becciu zusammenhängt. Es ist eine kriminologische Weisheit, daß zur Vertuschung einer Tat (Straftat, Sünde, Bloßstellung) weitere Taten begangen werden können.
Spätes Handeln
Die Beförderung Beccius zum Präfekten der Heiligsprechungskongregation, die mit dem 1. August 2018 aktiv wurde, läßt sich rückblickend als eine Entfernung aus dem Staatssekretariat lesen. Papst Franziskus glaubte offenbar, die ihm nicht unbekannt gebliebenen Gerüchte über die Londoner Immobilienkäufe damit „lösen” und das Staatssekretariat, aber auch Becciu schützen zu können. Bekanntlich läßt Franziskus keine Vertrauten fallen, solange sie nicht die Loyalität ihm gegenüber verletzen oder er durch die Öffentlichkeit dazu gezwungen wird, um größeren Schaden abzuwenden.
Zehn Monate sind allein vergangen, seit der Finanzskandal um den Kauf der Harrods-Immobilie in der Londoner Sloane Avenue öffentlich bekannt wurde und die Rolle von Kardinal Becciu thematisiert wird. Zehn Monate, die Franziskus verstreichen ließ.
Erst als vor wenigen Tagen, am 19. September, weitere dubiose Immobilienkäufe in London bekannt wurden und der Verdacht der Geldwäsche gestern vom Wochenmagazin L’Espresso öffentlich auf Kardinal Becciu fiel, folgten Taten, die zur Amtsenthebung Beccius und zum Entzug der Rechte eines Kardinals führten. Um 20 Uhr, eine ungewöhnliche Zeit für den Heiligen Stuhl, gab das vatikanische Presseamt die entsprechenden Schritte bekannt.
Im vergangenen Juni wurden mehrere Personen durch den Promotor Iustitiae, die vatikanische Staatsanwaltschaft, verhaftet, darunter der Finanzbroker Gianluigi Torzi, der Berater des vatikanischen Staatssekretariats und ehemalige Funktionär von Credit Suisse Enrico Crasso, der Leiter des Verwaltungsamtes des Staatssekretariats Fabrizio Tirabassi und noch einige Nebenfiguren. Gegen Torzi wird wegen Erpressung ermittelt. Er habe sich dem vatikanischen Staatssekretariat angeboten (gemeint ist die damals von Becciu geleitete Sektion), dabei behilflich zu sein, die Probleme rund um den Kauf der Harrods-Immobilie zu lösen. Daraus wurde ein Fall im Fall, denn stattdessen habe er versucht, nachdem er offenbar ausreichend Informationen über die undurchsichtigen Geschäfte erhalten hatte, den Vatikan (wiederum konkret die Becciu-Sektion) um 15 Millionen Euro zu erpressen.
Der eigentliche zweite Immobilienfall betrifft jedoch eine Reihe von Finanztransaktionen, bei denen sich die Beteiligten Vermittlungszahlungen in Millionenhöhe sicherten, die um 100–150 Prozent über den üblichen Zahlungen lagen. Die Immobiliengeschäfte in London setzten 2014 ein.
Die vatikanischen Ermittler wollen wissen, wie es dazu kommen konnte, daß Verträge zu so überhöhten Bedingungen unterschrieben wurden. In den Ermittlungsakten taucht in diesem Zusammenhang auch der Name von Alessandro Nocetì auf, der damals für die Credit Suisse tätig war. Auf die Käufe folgten weitere dubiose Transaktionen, was die Verwaltung der Immobilien betrifft. Offenbar sahen einige in den Immobilien eine Kuh, die möglichst lange gemolken werden sollte. Gemolken wurden letztlich der Vatikan und dessen Kassen.
Becciu überantwortete Crasso den „gesamten Tresor des Vatikans“, so L’Espresso, der ihn über Steuerparadiese für Spekulationen einsetzte.
Becciu ersuchte die Italienische Bischofskonferenz und die Verwaltung des Peterspfennigs ihm Geld zu leihen, das nicht zurückgezahlt werden müsse. Zweimal erhielt er solche Leistungen von der Bischofskonferenz, einmal vom Peterspfennig. Jeweils floß das Geld an die Genossenschaft Spes, den operativen Arm der Caritas des sardischen Bistums Ozieri, deren gesetzlicher Vertreter Beccius Bruder Tonino ist.
Aus den komplizierten, da verschleierten Geschäftspraktiken, zu denen ermittelt wird, soll nur ein Punkt herausgegriffen werden, der Kardinal Becciu direkt betrifft. Dieser hatte als Substitut des Staatssekretariats nicht nur den Londoner Immobilienkauf und die folgenden Verträge genehmigt, sondern steht auch im Verdacht der Geldwäsche.
Im Dezember 2017 erteilte die Consortia Directors Limited mit Sitz auf der Kanalinsel Jersey, die die Londoner Vatikanimmobilien verwaltet, einem zwischengeschalteten Unternehmen den Auftrag, einen Betrag in der Höhe von 700.000 Pfund an die Eight Lotus Petals Limited mit Sitz auf den britischen Jungferninseln zu überweisen. Diese Transaktion wurde von der Finanzaufsicht der Bank des zwischengeschalteten Unternehmens wegen des Verdachts der Geldwäsche gestoppt. Davon wurde auch die vatikanische Finanzaufsichtsbehörde AIF unterrichtet, die davon Kardinal Becciu in Kenntnis setzte, der damals noch Substitut des Staatssekretariats war.
Darauf erfolgte im Januar 2018 die Zahlung genau der gleichen Summe durch die SC Alpha, ein Unternehmen der Gruppe Sloane & Cadogan Investment Management, die in den Harrods-Kauf involviert ist, an die Five Ruby Red Limited, die auf den genannten Alessandro Nocetì zurückzuführen ist. Als Überweisungsgrund wurden „Leistungen bezüglich Investitionsvertrag” angegeben. Die Zahlung wurde über eine Barclays-Filiale in einem Steuerparadies abgewickelt. Seither interessiert die Ermittler, ob derselbe Betrag für die gestoppte Zahlung im Dezember 2017 und die erfolgte Zahlung im Januar 2018 nur Zufall oder ein zweiter Zahlungsanlauf in derselben Sache war. Vor allem interessiert auch, welche Rolle der damalige Erzbischof Becciu in der Sache spielte. Ihm waren Erkenntnisse übermittelt worden, die ihn vielleicht direkt betrafen: Blieb er deshalb untätig oder veranlaßte er sogar die zweite Überweisung?
Die vatikanische Staatsanwaltschaft hat, wie La Verità berichtet, zwei Ermittlungen zu den Londoner Immobiliengeschäften laufen. Eine betrifft die Harrods-Immobilie, die zweite die anderen vier Immobiliengeschäfte. Ob ein direkter Zusammenhang zwischen beiden besteht, interessiert auch die vatikanischen Ermittler. Mindestens zwei Namen von Verdächtigen tauchen in beiden Ermittlungen auf.
Die Sache ist hochbrisant, denn zumindest im ersten Fall geht es um Gelder aus dem Peterspfennig. Papst Franziskus fordert die Trockenlegung eines Sumpfes, den er selbst (zu lange) in seiner Nähe geduldet hatte.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Vatican.va/MiL (Screenhots)
Ein Hinweis auf den „Synodalen Weg“ sei hier angebracht. Reinhard Kardinal Marx hat, während alle diese Dinge liefen, seine Augen und Ohren offengehalten. Als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz achtete er mit Argusaugen darauf, daß es zu diesem monströsen Finanzskandal keinerlei Spuren in die Kirche in Deutschland gingen. Spätestens, als ihm bewußt wurde, daß das faktisch das gesamte Vermögen weltkirchlicher Aufgaben und Patoral vernichtet war, dämmerte es ihn, daß man sich dann an die Kirche in Deutschland halten würde, daß durch Kirchensteuer und „Kirchgeld“ gemäß dem kanonischen Recht die weltkirchlichen Aufgaben zu unterstützen seien, etc…
Daraus blieb nur eine Folgerung: „Los von Rom!“ Selbst wenn die deutschen Diözesen und Ordensgemeinschaften all ihr Vermögen dem Heiligen Stuhl überschrieben hätten, wäre das Finanzloch nicht annähernd gedeckt. Und die eigenen Skandale (Sexueller und Pastoraler Mißbrauch, Verschwendung von Kirchenvermögen und Veruntreuung desselben durch Kirchenmitarbeiter in allen Ständen) standen und stehen noch einer säkulargerichtlichen Klärung aus. Hierfür ist gerade noch soviel vorhanden, daß man mit Erhaltung der Notfallsubstanz davonkommt. Natürlich erklärt man in der Kirche nicht so einfach „Rom bekommt von uns nichts mehr!“, man will den Schwarzen Peter Rom zuschicken, indem man dann Rom vorwirft, ins Schisma gegangen zu sein, sobald sich der „Synodale Weg“ durchsetzt. „Heuschrecken und Wilder Honig“, so endete einst eine vielbelächelte Pfarrer-Serie des Zweiten Deutschen Fernsehen („Mit Leib und Seele“), aber darauf läuft es hinaus.
Es bleibt nur noch die Überlieferte Liturgie, der Überlieferte Glaube, so wie es Marcel Lefebrve, Padre Pio, Maksymilljan Kolbe und letztlich der Hl. Papst Pius X. für diese Zeit vorgegeben hat. Nur durch ein massives Wunder innerhalb UND außerhalb der Kirche kann so das soziale Königtum Christi wiederhergestellt werden. Und ich sage es heimit zu erstenmal: Wenn Christus in Menschengestalt heute in den Vatikan käme, würde er eine Geißel nehmen und alle rausjagen. Hier hätte Klaus Kinski aus „Jesus Christus, Erlöser!“ rechtbehalten.