(Rom) Auf die spektakuläre Entlassung des Generalrevisors des Vatikans im Juni 2017 folgte nun in diesem Fall eine nicht weniger spektakuläre Wende. Der Vatikan ließ den entlassenen Generalrevisor Libero Milone nun wissen, daß gegen ihn weder eine Verurteilung vorliegt noch ein Verfahren anhängig ist. Wie das?
Papst Franziskus schuf 2014 mit dem Wirtschaftssekretariat ein neues Ministerium, in dem Wirtschaft, Finanzen und Verwaltung zusammengefaßt werden sollten. Das Ministerium wollte aber nicht wirklich starten. Franziskus selbst demontierte es Schritt um Schritt wieder, noch bevor es überhaupt tätig werden konnte. Inzwischen erfolgte auch eine Umbenennung samt Zurückstufung: Aus dem Wirtschaftssekretariat wurde ein Wirtschaftsdikasterium. Das könnte nach den Plänen zur Kurienreform von Papst Franziskus auch von einem Laien geleitet werden. Nominell ist nach wie vor Kardinal George Pell Präfekt. Der aber hat den Vatikan bereits vor einem Jahr verlassen. In Wirklichkeit ist das Ministerium daher führungslos und eigentlich kaum mehr als eine leere Schachtel.
Im Mai 2015 schuf Franziskus, immer als Teil seiner Reformen des Wirtschafts- und Finanzsektors, auch das neue Amt eines Generalrevisors. Die Stelle war mit dem Auftrag verbunden, eine Kontrollfunktion auszuüben und die Modernisierung des Finanz- und Wirtschaftssystems des Vatikans voranzutreiben. Zum Generalwirtschaftsprüfer des Heiligen Stuhls machte Franziskus den Finanzexperten „von internationalem Rang“ Libero Milone, der zuvor bereits für Deloitte, Telecom, Fiat, Falck und die UNO gearbeitet hatte.
Der Rücktritt
Im Juni 2017 warf Milone überraschend das Handtuch. Die Gründe schienen unklar. Nur soviel wurde bekannt, daß in den ersten Monaten seiner Tätigkeit als Generalrevisor Unbekannte in seinen Computer im Vatikan eingedrungen waren. Der Vorfall löste den Skandal Vatileaks 2 aus.
Kurz vor dem Rücktritt Milones war es zudem zu einer harten Auseinandersetzung mit Kardinal Domenico Calcagno, dem damaligen Präfekten der Apostolischen Güterverwaltung (APSA) gekommen. Kardinal Calcagno wurde mit Erreichung des 75. Lebensjahres vor kurzem von Papst Franziskus emeritiert, was verwunderte, da Calcagno kein Hehl daraus machte, den amtierenden Papst im Konklave unterstützt zu haben. Offensichtlich war nicht er der „mächtige“ Mann, der in Sachen Finanzen selbst dem Papst seinen Willen aufzwingen konnte.
Erst dreieinhalb Monate nach dem Rücktritt enthüllte Milone in der zweiten September-Hälfte einige Hintergründe. Unter anderem sagte er:
„Direktoren, Präsidenten, Wirtschaftsprüfer werden entlassen, aber die, die alles zu kontrollieren hätten, die AIF [Vatikanische Finanzinformationsbehörde] bleibt immer unangetastet und unbeachtet, als würde sie gar nicht existieren?“
Vor allem aber berichtete er in einem Pressegespräche, das in der Kanzlei seines Rechtsanwaltes stattfand, zum Rücktritt „gezwungen“ worden zu sein.
„Ich habe diesen Posten nicht gesucht. Ich wurde von Miami, vom Studio Egon Zehnder, kontaktiert und habe zugesagt, weil ich an die Reformen von Papst Franziskus geglaubt habe.“
Seine Einstellung sei mit der Vorgabe erfolgt, „allein dem Papst weisungsgebunden“ zu sein, dem er Bericht zu erstatten habe. Die Ernennung galt für eine Amtszeit von fünf Jahren. Doch nach zwei Jahren war bereits Schluß.
Während Milone mit Kardinal Pell, dem Präfekten des Wirtschaftssekretariats, gut zusammenarbeitete, war das Verhältnis zu Kardinal Calcagno und dessen APSA von Anfang an belastet. Kardinal Calcagno wollte keinerlei Aufsicht über sein Dikasterium akzeptieren. Erfolgreich demontierte er Kardinal Pell und dessen Wirtschaftssekretariat und ebenso Milone als Generalrevisor. Dazu brauchte er mehr als nur einen Helfer und offenbar noch deutlich einflußreichere.
Die Enthüllung
Am 19. Juni 2017 erlebte Milone etwas, was er sich „wirklich nicht erwartet“ hatte:
„Vom Substituten des Staatssekretärs, Msgr. Becciu, empfangen, wurde mir gesagt, daß das Vertrauensverhältnis zum Papst einen Riß bekommen habe: Der Heilige Vater wolle meinen Rücktritt. Ich fragte nach den Gründen, und er nannte mir einige, die mir unglaublich schienen. Ich antwortete, daß die Anschuldigungen falsch und erfunden seien, um sowohl ihn als auch Franziskus zu täuschen; und daß ich mit dem Papst darüber sprechen würde. Doch die Antwort war, daß das nicht möglich sei.“
Statt zum Papst vorgelassen zu werden, dem er allein weisungsgebunden war, wurde Milone von der vatikanischen Gendarmerie abgeführt. Er machte nachträglich kein Hehl daraus, in jenem Augenblick gedacht zu haben, verhaftet zu werden und in einer Zelle zu verschwinden. Laut seiner Darstellung sei genau das beabsichtigt gewesen, um ihn zur Unterzeichnung der Rücktrittserklärung zu bewegen. Obwohl alles am 19. Juni geschah, trug das ihm vorgelegte Rücktrittsschreiben das Datum vom 12. Mai. Die Aktion war von langer Hand vorbereitet worden. Milone sprach von „Drohungen“ und „Einschüchterungen“, mit denen er zum Rücktritt gedrängt worden sei.
Nachdem er Ende September 2017 diese Enthüllungen machte, meldete sich erstmals auch der Vatikan zum Abgang des Generalrevisors zu Wort. Die vom vatikanischen Presseamt veröffentlichte Erklärung ging auf den damaligen Kurienerzbischof Angelo Becciu, damals Substitut des Kardinalstaatssekretärs zurück. Heute ist Becciu selbst Kardinal und Präfekt der Heiligsprechungskongregation. Er gilt als einer der engsten Papst-Vertrauten.
Beccius Erklärung im Wortlaut:
„Der Heilige Stuhl nimmt mit Erstaunen und Bedauern die Aussagen von Dr. Libero Milone, ehemaliger Generalrevisor, zur Kenntnis. Dadurch hat er das Abkommen mißachtet, die Gründe seines Rücktritts vom Amt vertraulich zu behandeln. Es wird aufgrund der Statuten daran erinnert, daß es Aufgabe des Generalrevisors ist, die Bilanzen zu analysieren sowie die Konten den Heiligen Stuhles und der damit verbundenen Verwaltungen. Tatsache ist, daß das von Dr. Milone geleitete Amt, außerhalb seiner Zuständigkeit, illegal eine externe Gesellschaft beauftragt hatte, Ermittlungen über das Privatleben von Vertretern des Heiligen Stuhles durchzuführen.
Das stellt nicht nur eine Straftat dar, sondern hat auf unüberbrückbare Weise das in Dr. Milone gesetzte Vertrauen zerbrochen, der, zur Rede gestellt, aus freien Stücken akzeptiert hat, seinen Rücktritt einzureichen. Es wird versichert, daß die Untersuchungen mit aller Sorgfalt und Respekt vor der Person geführt wurden.“
Milone hatte in seinem Pressegespräch im September 2017 beteuert, „zu tausend Prozent unschuldig“ und sich keiner Schuld bewußt zu sein.
Die Wende
Vor wenigen Tagen gab Milone in einem Interview mit dem Fernsehsender Sky Tg24 bekannt, daß er von der vatikanischen Staatsanwaltschaft und dem Vorsitzenden des vatikanischen Gerichtshofes informiert wurde, daß gegen ihn weder eine Verurteilung vorliegt noch ein Verfahren anhängig ist.
Was war dann aber mit den angeblich „illegalen“ Aktivitäten, die Milone zum Vorwurf gemacht wurden, und die das in ihn „gesetzte Vertrauen“ zerbrechen hatten lassen? Warum also das Ganze?
Milone sagte im Herbst des vorigen Jahres, daß sich offenbar durch seine Kontrolltätigkeit „einige bedroht fühlten“, er könnte dem Papst oder dem Kardinalstaatssekretär melden, „was ich in ihren Abteilungen und Berichten gesehen hatte“.
Die Wendung im Fall Milone beschert dem soeben kreierten Kardinal Becciu einen unangenehmen Start. Laut Milone hatte Becciu ihm gedroht:
„Wenn ich nicht zurücktrete, werde man mir den Prozeß machen“.
Der Vatikanist Edward Pentin schrieb im National Catholic Register unter Berufung auf eine ungenannte Quelle, daß Milone „klare Beweise für Geldunterschlagungen“ gefunden hatte. Das sei der wirkliche Grund für seine Entlassung gewesen. Wahrscheinlicher ist, daß Milone – wie er selbst bestätigte – klare Verdachtsmomente hatte. Das genügte, um ihn für jemand zur Gefahr werden zu lassen.
Pentin wandte sich bereits am 5. Juli mit Fragen in der Sache an das Büro von Kardinal Becciu, die bis heute unbeantwortet blieben, weil – wie das Büro mitteilte – der Kardinal „auf Urlaub ist“.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Vatican.va (Screenshot)/Wikicommons
Die Tatsache dass Milone nachträglich die Bestätigung bekommen hat, dass er unschuldig ist, ändert nichts daran, dass gewisse Kreise ihr ursprüngliches Ziel erreicht haben in dem er seinen Posten räumen musste.