(Rom) In zwei Wochen beginnt im Vatikan der Sondergipfel über den sexuellen Mißbrauch Minderjähriger durch Kleriker. Einberufen wurde das Gipfeltreffen, an dem alle Vorsitzenden von nationalen Bischofskonferenzen teilnehmen werden, von Papst Franziskus. Obwohl kaum ein Thema mehr an den Grundfesten der kirchlichen Glaubwürdigkeit zehrt, weigert sich Franziskus, den wirklichen Grund der Krise beim Namen zu nennen. Kardinal Gerhard Müller erwähnte den Papst nicht, sagte aber in einem Interview am vergangenen Sonntag, daß jene die wahren Hintergründe nicht beim Namen nennen, die das Problem auch gar nicht lösen wollen. Wem gegenüber steht Franziskus aber „in der Pflicht“?
Geht es „nur“ um strategische Hintergedanken, es sich nicht mit dem linksliberalen Milieu zu vertun, das seit 25 Jahren die Homo-Fahne mit größter Inbrunst schwenkt?
Oder stützt sich Franziskus, folgt man Marcantonio Colonna alias Henry Sire, dem Autor von „Der Diktatorpapst“, bereits zu sehr auf „korrupte Elemente“?
Der Schlüssel zur unorthodoxen Personalpolitik und zum Umgang mit homosexuellem Verhalten?
Weder Henry Sire, und auch kein anderer Autor, deutete bisher eine homosexuelle Neigung bei Papst Franziskus an. Dennoch fällt auf, daß er sich mit gleich mehreren Personen umgeben hat, deren homosexuelles Verhalten bekannt war, oder gegen die es einen entsprechenden Verdacht gab.
Das sei kein Zufall, meint Henry Sire, sondern habe System: Es sei Teil des „Bergoglio-Systems“. Eine These, die auch von anderen Beobachtern bereits geäußert wurde. Franziskus wiege niemanden, auch nicht den engsten Mitarbeiter, in Sicherheit. Wer tief gefallen ist, dem gebe er bevorzugt eine zweite Chance, so Sire, weil solche Gestalten für Franziskus nicht nur eine zweite Chance verdienen würden, sondern er mit absoluter Dankbarkeit und Loyalität rechnen könne, auch für Aufträge und Aktionen, vor denen andere zurückschrecken würden.
Um die Bedeutung dieser These zu verstehen, muß weit zurückgeblättert werden bis in die Zeit, als Jorge Mario Bergoglio selbst am tiefsten Punkt seines eigenen Lebens eine zweite Chance bekam. Henry Sire beleuchtete diesen Moment etwas genauer als andere. An dieser Stelle soll der Fokus aber besonders auf ein „Detail“ gelegt werden, das ein Schüssel zu besonders auffälligen und umstrittenen Aspekten seiner unorthodoxen Personalpolitik als Papst sein kann – die in den Mißbrauchsgipfel von Ende Februar mündete.
Der britische Historiker Sire erwähnt in seinem Buch, daß Jorge Mario Bergoglio, von seinen Ordensoberen in die argentinische Provinz verbannt war und dort „kaltgestellt“ wurde. Das wurde bald nach seiner Wahl zum Papst auch in Europa einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Sire weiß jedoch mehr zu berichten.
Die plötzliche Wende in Bergoglios Leben, die zu einer beispiellosen zweiten Karriere führte, trat ein, als Kardinal Antonio Quarracino, der damalige Erzbischof von Buenos Aires und Primas von Argentinien, ihn aus der Verbannung zurückholte, indem er ihn zu seinem Weihbischof machte. Diese Wende im Leben Bergoglios wird als „Wunder am Rio de la Plata“ bezeichnet. Die zweite Karriere führte ihn bis auf den Stuhl Petri nach Rom.
Wie kam es zu dem Wunder?
Eine Reihe von Fragen dazu bleiben offen, doch ein Detail wurde bekannt. Laut Sire fädelte die Aktion ein Mann aus dem Hintergrund ein: der persönliche Sekretär von Kardinal Quarrancino, Msgr. Roberto Marcial Toledo Ihn beschreibt Sire als „ungeheuerliches Beispiel für den korrupten Klerus“. Für den Gesamtzusammenhang der derzeitigen Krise könnte aber ein Detail stehen. Der Mann, dem Bergoglio nach einem dunklen Abstieg den Beginn seines „strahlenden Aufstiegs“ verdankt, ist nicht nur ein „korrupter“, sondern auch ein homosexueller Kleriker.
Sire wörtlich:
„Hierbei gibt es jedoch ein besonderes Detail: Als Kardinal Quarrancinos Sekretär war Msgr. Toledo 1991 derjenige gewesen, der dafür verantwortlich gewesen war, Pater Bergoglio aus dem ordensinternen Exil zu retten, in das ihn die Jesuiten verbannt hatten, und der dafür sorgte, ihn zum Weihbischof von Buenos Aires zu ernennen. Seitdem war Bergoglio daran interessiert, sowohl das Ansehen Kardinal Quarrancinos als auch das Msgr. Toledos davor zu bewahren, durch die Skandale, die sich um die herum bildeten, getrübt zu werden.“
Biographische Schlaglichter: Roberto Toledo
Der Zusammenbruch des Banco Crédito Provincial (BCP) war einer der größten argentinischen Finanzskandale der 90er Jahre. Die Bank wickelte unter anderem die Finanzangelegenheiten des Erzbistums Buenos Aires ab. Über Msgr. Toledo und seinen homosexuellen Liebhaber, einen Fitneßtrainer, nahm die Privatbank Einfluß auf die Finanzen des Erzbistums.
Toledo, so Sire, hatte 1997 für ein Darlehen in der Höhe von zehn Millionen Pesos (damals 10 Millionen Dollar) für das Erzbistum Buenos Aires die Unterschrift von Kardinal Quarrancino gefälscht. Bergoglio war damals, da der Kardinal bereits krank war, Erzbischof-Koadjutor mit Nachfolgerecht. Als kurze Zeit später die Bank in eine Krise geriet, wurde die Rückzahlung des Darlehens eingefordert. Doch Kardinal Quarrancino erklärte, nie eine solche Unterschrift geleistet zu haben. Noch auf dem Sterbebett versicherte er, hintergangen worden zu sein, und machte seinen ersten Sekretär dafür verantwortlich.
Toledo, Jahrgang 1945, war 1967 Sekretär des damaligen Apostolischen Administrators seines Heimatbistums Avellaneda-Lanus geworden. Als Quarrancino 1968 von Paul VI. zum Bischof von Avellaneda ernannt wurde, übernahm er Toledo als seinen Sekretär. Eine Position, die Toledo 30 Jahre innehatte – bis zum Tod Quarrancinos.
Das Erzbistum weigerte sich aber unter Bergoglio, der im Frühjahr 1998 dem verstorbenen Quarrancino im Amt des Erzbischofs von Buenos Aires nachfolgte, die Rückzahlung vorzunehmen. Gegen Toledo, der 1999 im Zusammenhang mit dem Bankkonkurs wegen Urkundenfälschung und Betrugs verhaftet wurde, wenn auch nur für 24 Stunden, unternahm Bergoglio nichts.
Auf Toledo waren die Ermittler auch deshalb gekommen, weil mit einem Scheck, der seine Unterschrift trug, 700.000 Pesos (Dollar) von einem Konto des Erzbistums behoben worden waren, die Geldbewegung in der Bilanz des Erzbistums aber nicht aufschien. Toledo wurde von Bergoglio nach seiner Freilassung lediglich in sein Heimatbistum Avellaneda zurückgeschickt, das zur Kirchenprovinz Buenos Aires gehört. Dort konnte er als Pfarrer weiterwirken und brachte es 2000/2001, als der Bischofssitz vakant war, immerhin zum Apostolischen Administrator des Bistums. Bischof wurde er allerdings nicht, aber Dekan eines Dekanats und Mitglied des diözesanen Priesterrats der nun vergrößerten Diözese mit dem neuen Namen Avellaneda-Lanus.
Anfang 2005 wurde gegen ihn und die einstige Leitung der BCP vor Gericht Anklage erhoben, weshalb er alle Ämter im Bistum niederlegen mußte. Da es aber zu keiner Verurteilung kam und sich das Verfahren weiter verschleppte, konnte er im folgenden Jahr in die Pfarrseelsorge zurückkehren. In kurzen Abständen wurde er in den nächsten fünf Jahren von einer Pfarrei in die nächste versetzt, insgesamt neun verschiedene Orte. Erst 2010 erhielt er auf sechs Jahre eine Pfarrei verliehen. Das Mandat wurde 2016 um weitere sechs Jahre verlängert. Obwohl 2013 das Strafverfahren gegen ihn wegen der zehn Millionen Dollar ohne Verurteilung eingestellt worden war, entzog ihm der Diözesanbischof die Pfarrei ein Jahr nach der Verlängerung wieder.
Toledo war nämlich Anfang 2017 mit dem Verdacht verhaftet worden, einen Mann ermordet und dessen Testament gefälscht zu haben.
Biographische Schlaglichter: Norberto Silva
Im April 2016 war der 55 Jahre alte Architekt Norberto Silva unerwartet gestorben. Der Tod des als „kerngesund“ beschriebenen Mannes löste besonders bei einem um elf Jahre älteren Bruder Verdacht aus, als Msgr. Toledo als Alleinerbe von Norberto Silvas Millionenvermögen auftrat.
Die beiden Männer, der Priester Toledo und der Architekt Silva, beide homosexuell, waren seit vielen Jahren miteinander bekannt und unterhielten eine „seltsame Beziehung“, wie Infobae die Art der Beziehung etwas verklausuliert formulierte. Kennengelernt hatten sie sich, als der 16 Jahre jüngere Silva in Buenos Aires das Privatgymnasium Santa Catalina besuchte, wo der junge Priester Toledo damals unterrichtete. Daraus wurde eine (homosexuelle) Freundschaft, die „bis zum Tag des Todes dauerte“, so die Wochenzeitung Tiempo Argentino im Dezember 2017.
Nachdem Silva mit Bravour sein Architekturstudium absolviert hatte, verschaffte ihm Toledo den ersten Auftrag für den Bau einer Kapelle. Es folgten zahlreiche weitere kirchliche Aufträge. Damals entstand auf Vermittlung Toledos auch der Kontakt zu Quarrancino, der noch Bischof von Avellaneda war. Silva arbeitete als gefragter Architekt auch für weltliche Auftraggeber und verdiente insgesamt ein Millionenvermögen.
Der Name von Norberto Silva war zusammen mit dem Toledos bereits 20 Jahre vor seinem Tod im Finanzskandal des BCP in den Polizeiakten aufgetaucht. Der Architekt arbeitete damals für das Erzbistum Buenos Aires, was ihm ein „ausgezeichnetes ökonomisches Auskommen“ verschaffte, so Infobae. Als Quarrancino Erzbischof von Buenos Aires wurde, wechselten Toledo und Silva mit ihm in die argentinische Bundeshauptstadt.
Kardinal Quarrancino hatte den Laien, auf Empfehlung Toledos, zu seinem zweiten Sekretär ernannt.
Die Polizei stellte bei den Ermittlungen Ende der 90er Jahre fest, daß auf das erwähnte Konto des Erzbistums, von dem die 700.000 Dollar abgehoben worden waren, nur drei Männer Zugriff hatten: Kardinal Quarrancino und seine beiden homosexuellen Sekretäre Toledo und Silva. Gegen Silva wurden die Ermittlungen allerdings schnell eingestellt.
Mit Hilfe von Erzbischof Bergoglio, der Staats- und Regierungschef Carlos Menem mobilisierte, der mit den Bankeigentümern eng verbunden war, wurde die Angelegenheit auch für Toledo aus der Welt geräumt. Die zehn Millionen stammten aus einem Pensionsfonds des Militärs. Beide Seiten, Militär und Erzbistum, kamen durch die Intervention des Staatspräsidenten überein, gleichermaßen Opfer der Bank geworden zu sein. Das Militär zog die Anzeige gegen das Erzbistum zurück.
Der Tod und das Erbe
Norberto Silva war am 6. April 2017 an einem Herzversagen gestorben. Silvas Bruder beschuldigte Toledo des Mordes, weil Norberto am 4. April bei Toledo in dessen Pfarrei zu Abend gegessen hatte. Am 5. April war es Toledo, der Norberto in ein Krankenhaus bringen ließ.
Toledo war es auch, der die Leiche aus dem Krankenhaus holte, Silvas Begräbnis organisierte und die Beerdigung vornahm. Nur den „letzte festen Partner“ von Silva, ein Innenarchitekt, informierte Toledo mit der Auflage, nichts Silvas Familie mitzuteilen. Als „Norbertos Leiche noch nicht kalt war“, tauchte Toledo in der gemeinsamen Wohnung auf, die Silva mit dem Innenarchitekten bewohnt hatte. Es kam zu einer Auseinandersetzung, die so massiv wurde, daß der Innenarchitekt die Polizei rief. Darauf informierte dieser, trotz Toledos Anweisung, einen Neffen Silvas.
Der Bruder Rodolfo Silva beklagte, daß Toledo die Familie und auch sonst kaum jemand über die Einlieferung in das Krankenhaus informiert hatte. Bei der Begräbnis, an der zahlreiche Kirchenvertreter teilnahmen, sprach Toledo ausführlich über seine enge Beziehung zu Norberto Silva. Über die Homosexualität der beiden sagte er nichts, dafür gab er bekannt, Silvas Alleinerbe zu sein.
Das handschriftliche Testament, das Toledo kurz darauf bei Gericht vorlegte, war ohne Zeugen aufgesetzt worden und datierte aus dem Jahr 2009. Als Toledo das Verfahren zur Testamentsvollstreckung einleitete, erstattete die Familie Silva Anzeige wegen des Verdachts, Norberto Silva ermordet zu haben, um an sein Vermögen zu gelangen.
Der Grund war eine frühere Überraschung, die Silvas Brüder 2003 nach dem Tod der Mutter erlebt hatten. Damals rief der älteste Bruder Oscar den mittleren Bruder Rodolfo an und teilte ihm mit, daß ihn ein Anwalt kontaktiert hatte, weil das Erbe der Mutter zu klären sei. Beide älteren Brüder waren erstaunt, denn sie waren überzeugt, daß die Mutter nichts zu vererben hatte. Wie sich aber herausstellte, waren unter ihrem Namen Dutzende Immobilien registriert. „Ihr gehörte fast halb Buenos Aires“, wie der mittlere Silva-Bruder die Sache schilderte.
Norberto hatte die Mutter als Strohmann verwendet, „weil ich sonst zuviel Steuern zahlen hätte müssen“, wie er den staunenden Brüdern die Situation erklärte. Die älteren Brüder waren überzeugt, daß die Immobilien aus dem kirchlichen Bereich stammten. Sie brachen den Kontakt mit ihrem jüngsten Bruder ab, weil sie ihm nicht verzeihen konnten, ihre Mutter mißbraucht zu haben. „Wenn er eine Unterschrift braucht, weiß er ja, wie man sie fälscht“, waren die letzten direkten Worte, die Rodolfo seinem Bruder Norberto sagte. Kontakt mit ihrem Priester-Onkel hielten dann nur mehr eine Nichte und ein Neffe.
Während der älteste und der jüngste Silva-Bruder für die Kirche arbeiteten, nennt sich der mittlere Bruder, Rodolfo, einen „Atheisten und Ketzer“. Deshalb lehnte er eine Zusammenarbeit mit der Kirche ab. Er war es auch, der Anzeige gegen Toledo erstattete, seinen jüngeren Bruder wegen seines Vermögens vergiftet zu haben.
Die Justiz sah es anders: Die Anzeige wurde abgewiesen und das Testament anerkannt. Rodolfo legte Berufung dagegen ein und spricht von einem „Manöver einflußreicher Kreise, um alles zu vertuschen“.
Tatsache ist, daß Msgr. Toledo, über dessen Verbleib aktuell keine Kenntnisse vorliegen, trotz mehrfacher Ermittlungen und Anklagen von keinem Gericht verurteilt wurde. Die Verfahren vor weltlichen Gerichten wurden entweder aus Mangel an Beweisen oder wegen Verjährung archiviert. Und Verfahren vor kirchlichen Gerichten gab es dank schützender Hände nie.
Die Mordanschuldigungen gegen Toledo konnten von Silvas Bruder nicht bewiesen werden. Gegen die Abweisung seiner Anzeige legte Rodolfo Silva Einspruch ein. Die Sache ist noch anhängig.
Msgr. Roberto Toledo ist die entscheidende Gestalt, der Jorge Mario Bergoglio den Weg zurück „ans Licht“ verdankt. Toledo gehört zum Kreis derer, die im Dunkeln sitzen und unerkannt aus dem Hintergrund handeln. Wer beachtet schon persönliche Sekretäre.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Infobae/InfoCatolica (Screenshots)