(Rom) Die Bischöfe der Emilia-Romagna erlauben wiederverheirateten Geschiedenen den Zugang zu den Sakramenten. Gestern veröffentlichten sie Richtlinien zur Umsetzung des Achten Kapitels des umstrittenen, nachsynodalen Schreibens Amoris laetitia. Sie sagen alles noch deutlicher und eindeutiger als die Bischöfe von Buenos Aires. Der von Papst Franziskus angestoßene Prozeß entfaltet den beabsichtigten Dominoeffekt.
Die leise Revolution
Seit einigen Tagen waren sie erwartet worden, nun liegen sie vor, die Richtlinien der regionalen Bischofskonferenz der italienischen Emilia-Romagna. Im Juni 2017 wurde in den Acta Apstolicae Sedis stillschweigend ein päpstlicher Privatbrief veröffentlicht, den Franziskus am 5. September 2016 an die Bischöfe von Buenos Aires geschrieben hatte. Damit wurde aus einem privaten Brief plötzlich ein Dokument des päpstlichen Lehramtes. Seither steht die Richtung fest, in welche sich die Kirche bewegen soll – angeschoben vom Papst.
Die Veröffentlichung in den Acta wurde erst einige Monate später bekannt. Auf so ungewöhnlich leisen, geradezu verstohlenen Sohlen bewegt sich die innerkirchliche „Revolution“. Ihre Promotoren haben dazugelernt, nachdem sie – aus ihrer Sicht – eine jahrzehntelange Durststrecke durchmachen mußten, während der sie mit ihren Anliegen am römischen Felsen gescheitert sind.
Seither suchen sie nicht mehr die direkte Konfrontation. Sie gilt ihnen als zu gefährlich. Der Widerstand wird noch immer als zu groß eingeschätzt. Es wird der Wege der kleinen und vor allem der getarnten Schritte gegangen, auf dem solange jede Änderung geleugnet wird, bis sie durch vollendete Tatsachen unter Dach und Fach ist.
Nach einem fortschrittsgläubigen Denkmuster wird sich die Revolution dann von alleine den Weg bahnen. Daraus erklärt sich, warum keine einheitlichen Bestimmungen für die Universalkirche angestrebt werden. Das würde zwangsläufig jene Konfrontation provozieren, die man gerade vermeiden will. Deshalb soll unter dem Stichwort der „Dezentralisierung“ jede Diözese und jede Bischofskonferenz für sich entscheiden. Wenn die Deutschen die Scheidung anerkennen wollen, sollen sie es tun können. Wenn die Polen und weite Teile der USA es nicht wollen, müssen sie es natürlich nicht. So hatte es Kardinal Kasper schon im Vorfeld der Bischofssynode skizziert.
Die Strategie verfolgt den Zweck, Breschen in der Mauer zu suchen und zu nützen, durch die der Umbruch in die Kirche getragen werden kann. Der Fortschritt werde dann eine Sogwirkung erzeugen, die auch jene Länder und Diözesen mitreißen wird, die jetzt noch widerstehen. Es sei nur eine Frage der Zeit, dann würden – laut dieser Annahme – mit der nächsten Generation von Bischöfen, Priestern und Gläubigen auch Länder wie Sambia oder Teile Kanadas fallen.
Der nächste „jesuitische“ Streich folgt sogleich?
Was mit der Anerkennung von Scheidung und Zweitehe bereits umgesetzt wird, wird in Sachen Priestertum gerade vorbereitet. Erst am 9. September 2017 rief Franziskus in Kolumbien den Gläubigen zu:
„Also, kommt mir nicht mit einer Geschichte dieser Art: ‚Sicher, es gibt nicht viele Berufungen für den besonderen Weihedienst, weil, es ist klar, in dieser Krise, die wir durchleben …‘. Wißt ihr, was das ist? Ein Märchen! Clarito? Ist das klar?“
Der Papst gab jene Antwort die Gegner des Priesterzölibats wie der österreichische Missionsbischof Erwin Kräutler nicht verstehen wollen:
„Auch inmitten einer Krise beruft Gott weiter.“
Clarito?
Offensichtlich nicht. Denn unterdessen läuft schon das Vorprogramm zur Aufweichung des Priesterzölibats. Die engsten Mitarbeiter des Papstes sprechen bereits offen darüber, wie es seit Montag von Kardinal Beniamino Stella bekannt ist. Stella ist zuständiger Kardinalpräfekt für den Klerus und in seinem Amt ein bloßer Platzhalter des Papstes ohne Eigeninitiative.
Die Bekräftigung „Clarito?“ von Kolumbien dient offenbar derselben Irreführung der kirchlichen Hierarchie und des gläubigen Volkes wie die Anweisung an Erzbischof Bruno Forte, dem Sondersekretär der Bischofssynode über die Familie, die wiederverheirateten Geschiedenen im Synoden-Schlußdokument nicht zu erwähnen. Eine Vorgehensweise, die Forte wohlwollend als „typisch jesuitisch“ bezeichnete. Fällt auch das „Clarito?“ demnach unter diese Kategorie? Vieles spricht dafür.
Demokratisch und antidiskriminierend
Die Strategie ist „demokratisch“ und „gegen Diskriminierung“ und wird auch zur Beseitigung des Priesterzölibats in Stellung gebracht. „Nur“ wegen eines „Notstandes“ und „nur im fernen Amazonas-Urwald“ werden „nur“ ältere, gestandene und verheiratete Männer zur Priesterweihe zugelassen. Und auf entlegenen Südseeinseln. Und im Kongobecken. Und… im Großstadtdschungel. Die Möglichkeit zum Meßbesuch sei unter Berufung auf das Zweite Vatikanische Konzil nämlich ein „Recht“, dessen Verweigerung eine „Diskriminierung“ darstellt. So argumentiert in diesen Tagen Bischof Kräutler, mit dem Pathos der „emazipatorischen“ Sprache der politischen Linken, für die Amazonas-Indigenen. Was für die Urwald-Indios gilt, müßte dann ebenso für die Gläubigen von Obervordertux gelten, die wegen des trockengelegten Berufungsstromes keinen Pfarrer mehr haben.
Eben.
So oder ähnlich wird es in den kommenden zwei Jahren also zu hören sein. Und danach erst richtig. In der Praxis wird dann jede Diözese und jede Bischofskonferenz ihren „Notstand“ ausrufen und von der „Ausnahmeregelung“ Gebrauch machen können. Und siehe da, aus der Ausnahme wird die Regel. So scheint es ja auch beabsichtigt. Und Papst Franziskus wird bis zum Frühjahr 2020 eisern zu verheirateten Priestern und der schrittweisen Abschaffung des Priesterzölibats schweigen.
Die äußeren Folgen sind absehbar, das Ausmaß der inneren Folgen für die Kirche und das Volk Gottes nicht annähernd. Jeder Verweis auf die orthodoxen Kirchen geht an der Sache schon aus historischen und kulturellen Gründen vorbei. Der Umbruch in der katholischen Kirche wird ja nicht aus dem Geist der Orthodoxie versucht, sondern aus dem Geist des Protestantismus und zum Teil sogar des westlichen Relativismus.
Wie Dominosteine
Papst Franziskus spricht von „Prozessen“, die er „anstoßen“ will, um hinzuzufügen, daß sie aber „irreversibel“ sein sollen. Dahinter steht die Annahme eines Dominoeffekts, und der scheint sich mit Amoris laetitia auch abzuzeichnen.
Kardinal Schönborn, der für Franziskus die Bischofssynode gerettet hatte, gab bei der Präsentation von Amoris laetitia die Richtung vor. Und Franziskus lobte ihn dafür. Ein halbes Jahr später fiel der nächste Dominostein und die Bischöfe von Buenos Aires sagten alles deutlicher als Schönborn. Nun sagen es die Bischöfe der Emilia-Romagna noch deutlicher. Die taktisch gewählten, verhüllenden Worte werden weggelassen. Nun, man sich sicher fühlt, fallen Hemmschwellen.
Die von Johannes Paul II. in Familiaris consortio Nr. 84 genannte Verpflichtung für wiederverheiratete Geschiedene, die ihre neue Verbindung nicht aufgeben wollen oder aus triftigen Gründen (vor allem Kinder) nicht aufgeben können, zu einem Leben wie Bruder und Schwester, hört sich nach zwei Synoden unter Papst Franziskus, seinem nachsynodalen Schreiben Amoris laetitia und einem langen Katz-und-Maus-Spiel ganz anders an. Die Bischöfe der Emilia-Romagna sprechen in ihren Richtlinien nicht mehr von einer Verpflichtung, sondern nur mehr von einer „Möglichkeit“, die den Paaren nur „zurückhaltend“ genannt werden soll. Wörtlich schreiben sie zudem:
„Diese Wahl wird nicht als einzig mögliche gesehen, da die neue Verbindung, und daher auch das Wohl der Kinder, mangels ehelichen Akts in Gefahr gebracht werden könnte.“
Was bisher Voraussetzung war, ist nur mehr eine „Möglichkeit“ und eine „Wahl“ unter mehreren. Vor allem wird das von der Kirche bisher Geforderte als „Gefährdung“ dargestellt. Die Bischöfe der Emilia-Romagna bestätigen damit, was kirchenfeindliche Kreise schon lange behaupten: die kirchliche Lehre „bedroht“, „unterdrückt“ und „schädigt“ den Menschen.
Die Bischöfe der norditalienischen Region berufen sich in ihrem Dokument auf Gaudium et spes und übertragen Aussagen der Konzilskonstitution, die sich auf Eheleute beziehen, kurzerhand auf alle Paare, ob kirchlich oder nur standesamtlich verheiratet, ob geschieden und wiederverheiratet. Jede Differenzierung fehlt, und das nicht zufällig. Wenn Gaudium et spes das Ende des ehelichen Aktes als mögliche Gefährdung der Ehe nennt, sehen die Bischöfe der Emilia-Romagna sich bestätigt, daß also auch wiederverheiratete Geschiedene den ehelichen Akt fortsetzen müssen, um sich nicht zu gefährden. Der Zirkelschluß öffnet dem außerehelichen Geschlechtsverkehr Tür und Tor, denn er behauptet dessen Rechtmäßigkeit.
Mit Kardinal Caffarra undenkbar
Diese Richtlinien wären unter Kardinal Carlo Caffarra undenkbar gewesen. Die Auswirkungen seiner Emeritierung und seines Tod sind in diesem Dokument materialisiert. Es ist das Ergebnis der neuen „Straßenpriester“, die Franziskus zu Bischöfen ernennt. Mit einem solchen ersetzte er auch Kardinal Caffarra in Bologna.
In einem Aufsatz für die US-Zeitschrift First Things hatte Kardinal Gerhard Müller erst Mitte Dezember die Lehre der Kirche bekräftigt. Er schrieb, daß über den Stand der Gnade, der Voraussetzung für den Kommunionempfang ist, letztlich nur Gott befinden kann, daß aber bei offensichtlichem Widerspruch gegen die Gebote Gottes ein Ausschluß von den Sakramenten unumgänglich ist. Das gilt beispielsweise für Ehebrecher, die in einer Beziehung außerhalb der sakramental gültigen Ehe leben. Wenn keine Nichtigkeit der kirchlich geschlossenen Ehe vorliegt, aber aus schwerwiegenden Gründen eine Beendigung der neuen Verbindung nicht möglich ist, haben sie wie Bruder und Schwester zu leben, um zur Eucharistie zugelassen zu sein.
In Wirklichkeit rollt der Zug in eine ganz andere Richtung, wie die Bischöfe der Emilia-Romagna unter Beweis stellen. Und es ist Papst Franziskus der die Weichen dafür gestellt und den Zug in Bewegung gesetzt hat. Dies nicht auszusprechen und vom Papst eine Klärung zu verlangen, stellt derzeit wahrscheinlich die schwerwiegendste Form der Kapitulation dar. Das päpstliche Umfeld kennt nun den Weg, der zu beschreiten ist, um Widerstände auszutricksen, zu vereinnahmen, auszusitzen oder abzuwürgen.
Die „Straßenpriester“ von Franziskus
Die Richtlinien der Bischöfe der Emilia-Romagna wurden maßgeblich von drei Bischöfen beeinflußt. Alle drei wurden von Franziskus ernannt: Erzbischof Elio Castellucci von Modena (am 3. Juni 2015); Erzbischof Matteo Zuppi von Bologna (am 27. Oktober 2015) und Erzbischof Gian Carlo Perego von Ferrara-Comacchio (am 15. Februar 2017). Alle drei wurden von Bergoglianern in der Journalistenzunft als „Straßenpriester“ oder „Priester von den Rändern“ gerühmt. Mit Zuppi und Perego besetzte Franziskus nicht nur zwei Erzbischofsstühle, sondern verdrängte zwei herausragende Bischöfe, Carlo Kardinal Caffarra und Erzbischof Luigi Negri.
Das Beispiel zeigt die radikale Achsenverschiebung, die Franziskus in der Kirche vollzieht.
Die drei Bischöfe, Zuppi ist Vorsitzender der Bischofskonferenz der Emilia-Romagna, „mußten die Widerstände anderer Mitbrüder überwinden“, so La Nuova Bussola Quotidiana (NBQ). Und weiter:
Die „Bewegung“, Amoris laetitia in dem von Kardinal Kasper 2014 skizzierten Sinn umzusetzen, „scheint von oben auszugehen. Verschiedene Bischöfe drängen in ihren regionalen Bischofskonferenzen auf die Veröffentlichung ähnlicher Richtlinien“.
Auch die Bischofskonferenz der Lombardei gab jüngst bekannt, an ähnlichen „Richtlinien“ zu arbeiten, obwohl Angelo Kardinal Scola bereits anderslautende Richtlinien für das Erzbistum Mailand erlassen hatte. Kardinal Scola wurde am 7. Juli 2017 aber von Papst Franziskus emeritiert.
Alles neu macht … Franziskus.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: NBQ/MiL/InfoVaticana (Screenshots)
Es sieht zwar aus, als würden sich lang gehegte Wünsche einer bestimmten Richtung in der katholischen Kirche offenbar unaufhaltsam durchsetzen.
Doch gilt auch hier: Das letzte Wort wird ein anderer sprechen, nämlich der, vor welchem sich jeder Mensch irgendwann verantworten muss.
Irgendwann werden die beiden überlebenden Dubianer halt die Konsequenzen aus der Nichtbeantwortung ziehen müssen. Bergoglio wird es nicht kümmern. Aber es muss dennoch getan werden, das Ganze war ja schließlich keine Farce.
Giuseppe Nardi hat die Situation absolut richtig, klar und schonungslos dargestellt. Die kurzfristigen Folgen des bergoglianischen Handelns sind voraussehbar, besser gesagt: sie sind bereits da. Die längerfristigen Folgen hingegen jedoch dürften unabsehbar sein. Sie können von der bereits eingetretenen Verunsicherung der noch wirklich Gläubigen, einer damit einhergehenden Paralysierung, einem womöglich bevorstehenden Schisma bis hin zur Bedeutungslosigkeit der Röm.-Kath. Kirche, vielleicht sogar zu ihrem Ende reichen. Den Großen Widersacher wird’s freuen. Aber wir wissen es ja: In den Letzten Tagen wird dem Teufel freie Hand gegeben. Er darf sieben. Und wir dürfen – müssen – beten!