Wiederholt ist zu hören, Papst Franziskus sei der „falsche Prophet“. Eine solche Einschätzung hat den Vorteil, daß sie für klare Verhältnisse sorgt. Ist sie deshalb aber richtig und angemessen? Die Frage beschäftigt gar nicht so wenige Katholiken, wird aber, da es den Papst betrifft, kaum öffentlich erörtert. Ein Priester und argentinischer Landsmann von Franziskus unternahm den Versuch, auf diese herausfordernde Frage zu antworten.
Seine Stellungnahme wurde unter dem Pseudonym León de Nemea vom argentinischen Blogger Caminante–Wanderer veröffentlicht. Seine These: „Ein schlechter Papst ist kein falscher Prophet“. Papst Franziskus mag der schlechteste Papst der Kirchengeschichte sein, dennoch wäre er nicht der erste „schlechte Papst“, den Gott duldet, um die Menschheit zu züchtigen. Aufgrund der in Schüben auftretenden Frage, wie nun das Pontifikat von Franziskus einzuschätzen sei, stellt der Aufsatz von León de Nemea, allein schon, weil nu wenige den Schritt wagen, einen interessanten Beitrag dar, den wir dokumentieren.
Petrus und seine Nachfolger
von León de Nemea
Als Theologe werde ich versuchen, so klar und prägnant wie möglich zu antworten. Außerdem habe ich sowohl Zivilrecht als auch Kirchenrecht studiert.
Ein Autor, der meiner Meinung nach sehr hilfreich sein kann, ist der heilige Leo der Große. In seinen Predigten und Briefen spricht er ausführlich über das Wesen des Papsttums, und in vielen seiner Texte betont er, daß das Bekenntnis des Petrus die Grundlage für die Erwählung durch Christus ist, daß es also der Glaube ist, der gepriesen wird, und nicht die Person:
„Du bist gesegnet, weil es mein Vater ist, der es dir geoffenbart hat, und dies ist keine irdische Eingebung, die dich in die Irre geführt hätte, sondern es ist die Eingebung vom Himmel, die dich unterwiesen hat; und weder Fleisch noch Blut hat dich gelehrt, sondern Er, dessen einziger Sohn ich bin (…) Unser Glaube versagt nicht, jener Glaube, der im Apostelfürsten gepriesen wurde; und so wie das, was Petrus von Christus geglaubt hat, bleibt, so bleibt das, was Christus in Petrus eingesetzt hat“ (Predigt 95).
Dieser erste wesentliche Punkt unterstreicht, daß die Erwählung nicht auf einen besonderen Akt der Tugend des Petrus zurückzuführen ist, sondern auf den Vater, der durch den Heiligen Geist in Petrus wirkt.
Auch die Päpste, die im Laufe der Geschichte ihre Mission erfüllten, taten dies nicht aufgrund ihrer eigenen Klugheit, Tugend oder Intelligenz, sondern aufgrund des Geistes, der in ihnen und durch die Fürsprache des Petrus sprach. Dieser letzte Punkt ist meiner Meinung nach derjenige, der erforscht werden sollte, um besser zu verstehen, was das Papsttum ist. Der heilige Leo bringt in seinen Predigten einen sehr starken und wichtigen Gedanken zum Ausdruck, der meiner bescheidenen Meinung nach jedoch nicht ausreichend erforscht wurde. Der heilige Leo sagt in seiner Predigt 94:
„Wenn wir etwas gut machen, erhalten wir es aus der Barmherzigkeit Gottes durch unser tägliches Gebet, das die Frucht des Werkes und der Verdienste dessen ist, der auf seinem Sitz fortfährt, der Macht Leben zu geben und die Autorität zu manifestieren.“
Auf den ersten Blick hat der Gedanke von Papst Leo dem Großen, den er in so vielen anderen Predigten zum Ausdruck bringt, zwei mögliche Erklärungen. Die erste ist literarischer Natur: Leo verwendet ein poetisches Mittel, um darauf hinzuweisen, daß der Römische Stuhl den besonderen Schutz des Heiligen Petrus genießt. Die andere ist eher juristisch und, wenn man so will, realer. In einer seiner Predigten bezeichnet Leo sich selbst – und scheint diese Aussage auf alle Päpste zu übertragen – als unwürdigen Nachfolger. Wir können hier das Beispiel der Könige Israels sehen, wenn Gott den Königen verspricht, daß sie ihren Thron behalten werden aufgrund der Verheißung, die Er seinem Diener David gegeben hat. Als Salomo sich mit Götzendiensten verdirbt, sagt Gott ihm, daß Er ihm sein Königreich wegnehmen wird, bis auf den Teil, der zu Ehren der David gegebenen Verheißung bewahrt wird. Selbst wenn das Königreich fällt und Israel seine Könige verliert, bleibt die Verheißung bestehen, daß einer aus dem Geschlecht Davids auf den Thron gesetzt wird. Und auf Grund dieser Verheißung wird Christus geboren werden.
In bezug auf das Papsttum können wir etwas Ähnliches beobachten. Das Papsttum wird Petrus durch den Glauben verliehen, zu dem er sich bekennt, sodaß seine Nachfolger in gewissem Sinne unwürdige Erben sind, denn sie haben Anteil an dem, was sie nicht durch ihr eigenes Verdienst, sondern durch Erbe erhalten haben. Und wir haben gesehen, daß es mehr als das Verdienst des Petrus das Verdienst des Vaters ist, d. h. desjenigen, der Ihn dem Petrus offenbart.
In dieser Hinsicht ist das Bistum Rom etwas ganz Besonderes. Obwohl alle Bischöfe Nachfolger der Apostel sind, wird keiner so behandelt wie der Bischof von Rom. Er, und nur er, wird Petrus genannt. Der Patriarch von Konstantinopel heißt nicht Andreas, und jener von Venedig nicht Markus.
Die Person des römischen Pontifex ist in ähnlicher Weise an die Person Petri gebunden, ja ihr untergeordnet, wie die Bischöfe an den Papst selbst gebunden sind. Dieser Zusammenhang läßt sich meiner Meinung nach auf drei theologischen Wegen nachweisen.
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Von dem ersten habe ich bereits gesprochen, der der „volkstümliche“ ist, der Ausdruck des Sensum fidelium, das im römischen Pontifex jenen anerkennt, den Christus an die Spitze seines Hauses gestellt hat, und deshalb nennt ihn das Volk Petrus. Hier würde die Anekdote vom Konzil von Chalcedon ihren Platz finden, von dem es heißt, daß nach der Lektüre des Tomus ad Flavianum von Papst Leo alle sagten: „Das ist unser Glaube, das ist der Glaube der Kirche, Petrus hat durch den Mund von Leo gesprochen“.
2
Der zweite ist der kanonische Weg, der wichtigste bei Papst Leo, der eine bedeutende Ausbildung als Jurist hatte. Dieser Weg beleuchtet die besondere Mission des Apostels Petrus und den Auftrag, den er von Christus in Kapitel 21 des Johannesevangeliums erhielt. Wie der heilige Leo erklärt, handeln die Päpste bei der Erfüllung ihrer Mission von Petrus bewegt. In diesem Zusammenhang ist es bemerkenswert, daß man bei der Erklärung der kirchlichen Gemeinschaft immer davon spricht, daß man cum Petro et sub Petro ist. So sagt auch das berühmte lateinische Sprichwort: Ubi Petrus, ibi ecclesia.
Auch in diesem Fall könnte man von einer poetischen und einer realen Interpretation sprechen. Die erste ist jene, die uns sagen läßt, daß es „eine Metonymie ist“. Wenn das aber der Fall wäre, würde das Sprichwort mit dem Namen eines beliebigen Papstes funktionieren, aber ich kann mir nicht vorstellen, daß irgendjemand z. B. Ubi Sisinius, ibi ecclesia oder (obwohl es heute sicher einige sagen würden) Ubi Franciscus, ibi ecclesia sagen würde. Das Subjekt der päpstlichen Autorität, dem man sich anschließen muß, um katholisch zu sein, ist Petrus, nicht Franziskus oder jemand anderes.
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Der dritte Weg ist der liturgische. Bei Feiern wie der Kathedra Petri, der Einweihung der Lateranbasilika oder dem Gedenken an den heiligen Leo den Großen sprechen die liturgischen Texte zu uns von der Bedeutung des Apostels, der bis heute den von Christus gegebenen Auftrag erfüllt. So heißt es zum Beispiel in den Laudes zum Gedenken an den heiligen Leo den Großen sowie in der Antiphon der Kommunion (wenn ich mich recht erinnere): „Stark im Wort Christi, steht Petrus fest am Ruder der Kirche“. Wir beachten an diesen Festen die gleichen Modalitäten in den Gebeten der Kollekten, Antiphonen, Lesungen und Kommentaren der heiligen Väter und Doktoren.
Wenn Franziskus Papst ist, dann nicht aufgrund seiner eigenen Verdienste und Tugenden, sondern aufgrund des Glaubens des heiligen Petrus, der der wahre Hirte der Kirche ist; der Papst wäre ein Sprecher des Petrus, sodaß er seine Funktion als Papst erfüllt, wenn er die ihm anvertraute Mission ausführt.
Nun, die Tatsache, daß es im konkreten Fall mehr als genug Gründe gibt, um zu erkennen, daß der persönliche Glaube von Jorge Mario Bergoglio nicht mit dem katholischen Glauben übereinstimmt, nimmt seiner Legitimität als Papst nichts weg: Es macht ihn nur zu einem schlechten Papst.
Papst ist man, wenn man rechtmäßig für diese Aufgabe gewählt wurde. Wie den Lesern sicherlich bekannt ist, hat sich das System im Laufe der Zeit stark verändert. Derzeit gilt ein Kardinal, der im Konklave zwei Drittel der Stimmen erhält und das Papstamt annimmt, als rechtmäßiger Papst. Die Tatsache, daß er, wie es heute leider der Fall ist, seine Macht mißbraucht und sein Amt tagtäglich mißachtet und versucht, sein Schrottdenken so zu verkaufen, als käme es von Gott selbst, ist hauptsächlich sein Problem. Es ist, als ob ein königlicher Gesandter, anstatt die Dekrete des Königs zu verkünden, sagt, was er will: Wie verwerflich er auch sein mag, er bleibt ein königlicher Gesandter, bis der König, und nur der König, ihn seines Amtes enthebt. Solange dies nicht geschieht, verfügt das Volk bereits über das, was verordnet wurde, und wenn der königliche Bote etwas anderes sagt, muß das Volk nach dem Erlaß des Königs handeln, nicht nach dem, was der Bote sagt.
Ich stütze mich hier auf den großartigen Artikel von Eck „Francisco, el Papa de los tristes destinos“ (Franziskus, der Papst des traurigen Schicksals). Der Artikel gibt getreu wieder, wer Franziskus ist, und erklärt, daß ihn ein sehr strenges persönliches Urteil erwartet, wenn er sein Verhalten nicht ändert.
Nachdem ich die aufgeworfene Frage, wie ich hoffe, beantwortet habe, bleibt mir nur noch, mich der letzten Aufforderung in Ecks Artikel anzuschließen, nämlich für Franziskus zu beten, denn wenn von jenen, denen viel gegeben wurde, auch viel verlangt werden wird, dann wird von Franziskus, dem die höchste Verantwortung übertragen wurde, sehr viel verlangt werden.
Einleitung/Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Wikicommons/Christus übergibt die Schlüssel an Petrus von Pietro Perugino, Sixtinische Kapelle, 1482