(Rom) Bischof Marcello Semeraro, der neue Präfekt der Heiligsprechungskongregation mit besten Aussichten auf den Kardinalspurpur, ist ein Mann, der Papst Franziskus sehr nahesteht. So nahe, daß er mit Nachdruck die päpstliche Agenda der doppelten Familiensynode 2014/2015 unterstützte und gegen Kritik verteidigte. Msgr. Semeraro gehörte dem Redaktionskomitee an, das den Schlußbericht erstellte, aus dem das umstrittene nachsynodale Schreiben Amoris laetitia hervorging. Ähnliches wiederholte sich mit der Amazonassynode 2019.
Der Papst ernannte Msgr. Semeraro nicht zum Synodalen der ersten Familiensynode 2014, auch nicht der Jugendsynode, aber dann, als es um etwas ging, das Franziskus wichtig war, zum Synodalen der Familiensynode 2015 und der Amazonassynode 2019.
Msgr. Semeraro, bis Donnerstag Bischof von Albano, einem der sieben suburbikarischen Bistümer der Kirche, ist für seine Unterstützung des „pastoralen Paradigmenwechsels“ von Franziskus bekannt. Besonders gilt das gegenüber Homosexuellen, während er noch im Oktober 2014 Gläubigen, die Sakramente bei der Priesterbruderschaft St. Pius X. empfangen, mit der Exkommunikation drohte.
Am Tag vor seiner Ernennung zum Nachfolger von Kardinal Becciu veröffentlichte Avvenire, die Tageszeitung der italienischen Bischöfe, ein Interview mit Semeraro wegen seines Vorwortes, das er zum neuen Buch des Theologen Aristide Fumagalli beisteuerte. Der Titel des Buches lautet: „Die mögliche Liebe. Homosexualität und christliche Moral“ („L’amore possibile“, Cittadella Editrice, Assisi 2020). Der Avvenire gab dem Interview die Überschrift: „Homosexualität: notwendige Antworten“. In der Kirche drängt eine Richtung, die unter Papst Franziskus an Einfluß gewinnt, auf eine Änderung der Morallehre und die Anerkennung der Homosexualität. Das ist ein Grund dafür, weshalb auch in der offiziellen Linie des Vatikans vertuscht wird, daß der sexuelle Mißbrauchsskandal durch Kleriker vor allem und in erster Linie ein homosexuelles Problem ist.
Fumagalli und die „homosexuelle Liebe“
Fumagallis Botschaft lautet im Widerspruch zur Lehre der Kirche: „Homosexuelle Liebe ist möglich“. Semeraro unterstützt diese Position und läßt erkennen, welche pastorale Linie vom neuen Präfekten der Heiligsprechungskongregation zu erwarten sein wird.
Fumagalli wurde 1991 von Carlo Maria Kardinal Martini SJ zum Priester des Erzbistums Mailand geweiht. An der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom erwarb er das Doktorat der Theologie. Er lehrt Moraltheologie an der Theologischen Fakultät von Norditalien und an der Hochschule für Religionswissenschaften Mailand. Seit seiner Priesterweihe ist er auch in der Pfarrseelsorge tätig.
Während die Verurteilung homosexueller Handlungen durch die Kirche eindeutig ist und auch im Katechismus der Katholischen Kirche zum Ausdruck kommt, behauptet Fumagalli anderes. Er schreibt, daß der Katechismus „nicht die bis zur Jetztzeit unbekannte Möglichkeit berücksichtigt, daß die homosexuellen Handlungen der Natur der Person entsprechen und die persönliche Liebe ausdrücken“.
Die Vorgehensweise des Theologen ist nicht neu: Progressive Kreise folgen zwei Argumentationsmustern. Sie behaupten bevorzugt, daß ihre im Widerspruch zur kirchlichen Lehre oder Ordnung stehenden Positionen einem nebulösen „urkirchlichen“ Modell entsprächen, von dem die Kirche im Laufe der Jahrhunderte abgewichen sei. Oder, falls das gar nicht geht, daß die Kirche nicht mehr auf der Höhe der Zeit sei. Letzteren Weg geht Fumagalli. Und Bischof Semeraro sekundiert:
„Das Engagement ist sehr wichtig, mit dem in diesem Buch versucht wird, zu verstehen, in welchem Ausmaß die beiden Pfeiler der Lehre über die Sexualität und die Ehe im Rahmen der männlich-weiblichen Polarität, der Fortpflanzungszweck und die sexuelle Beziehung, auf die homosexuelle Situation anwendbar sind.“
Zugleich gibt sich der neue Präfekt der Heiligsprechungskongregation und höchstwahrscheinlich künftige Kardinal „besorgt“ über die mangelnde Nicht-Diskriminierung Homosexueller in der Kirche. Msgr. Semeraro sagt zwar, daß nicht klar sei, in welchem Ausmaß die beiden genannten Pfeiler der kirchlichen Morallehre auf Homosexuelle anwendbar seien, gibt jedoch zu verstehen, daß seine theologische Einstellung für neue Positionen „offen“ sei.
Bischof Semeraro und die Theologie der „offenen“ Positionen
Gleiches hatte Semeraro bereits im Zusammenhang mit der Familiensynode gesagt, die in die „offene“ Position mündete, Ehescheidung und Zweitehe „von Fall zu Fall“ zu akzeptieren und Betroffenen die Zulassung zu den Sakramenten zu gewähren. Bis zum nachsynodalen Schreiben Amoris laetitia von 2016 und der von Papst Franziskus abgesegneten Interpretation durch die Bischöfe seiner Heimatkirchenprovinz Buenos Aires lautete die kirchliche Lehre anders: Die Betroffenen, sogenannte wiederverheiratete Geschiedene, hatten, wenn eine Trennung aufgrund von Kindern nicht möglich war, ein Leben der Enthaltsamkeit zu führen.
Als Bischof Semeraro seiner Diözese die Ergebnisse der Familiensynode 2015 vorstellte, betonte er ausdrücklich, daß sich die bisherige Lehre der Kirche, wie sie Papst Johannes Paul II. in Familiaris consortio 1981 noch bekräftigt hatte, in der Relatio finalis, dem Schlußdokument der Synode, nicht mehr findet. Das sei, so Semeraro, „gemäß dem Prozedere erfolgt, das der theologischen Reflexion eigen ist“. Und weiter: „Diese Entscheidung ist eine Modalität, um einen Text ‚offen‘ zu lassen.“ Semeraro folgt dabei getreu der Linie von Papst Franziskus, „Prozesse anzustoßen“, anstatt „Räume zu besetzen“.
An „Prozessen“ mangelt es dem neuen Präfekten der Heiligsprechungskongregation nicht mehr. An der Kongregation stapeln sich die Verfahren für die Selig- oder Heiligsprechungen. Sie stellt die Weichen für die Kirche, ob und welche Seligen und Heiligen unter den Gläubigen, die durch die Gnade Gottes bereits in der seligmachenden Schau der Gerechten leben, als Vorbilder für die Nachgeborenen zu den Altären erhoben werden. Damit verbunden sind auch kirchenpolitische Akzentsetzungen.
Es wird sich zeigen, welche Akzente in diesen Prozessen Semeraro im Sinne von Papst Franziskus setzen wird. Sein Kurzzeit-Vorgänger, Angelo Kardinal Becciu, muß sich derzeit ganz anderen „Prozessen“ stellen.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: VaticanNews/Diocesi Albano/aristidefumagalli.it (Screenshots)