(Rom) Die Entfernung des US-amerikanischen Kardinals Theodore McCarrick aus dem Kardinalskollegium zieht Kreise und wirft neue Fragen auf. Dazu gehören auch solche nach der Karriere eines anderen Kardinals, jene von Kardinal Farrell.
McCarrick, heute 88 Jahre alt, leitete als Bischof verschiedene Bistümer, zuletzt bis 2006 als Erzbischof das prestigeträchtige und einflußreiche Erzbistum Washington mit der Bundeshauptstadt der USA.
Laut offizieller Sprachregelung des Heiligen Stuhls habe McCarrick selbst um Entbindung von allen Rechten und Pflichten als Kardinal gebeten. Formalrechtlich stimmt das auch. In Wirklichkeit ließ ihm Papst Franziskus das Ultimatum ausrichten, sein Rücktrittsgesuch auf dem Schreibtisch liegen sehen zu wollen.
Obwohl Franziskus mit der Annahme des Rücktritts ein ordentliches, kanonisches Verfahren ankündigte, verhängte er gegen den bisherigen Kardinal bereits schwere Sanktionen, die einer Vorverurteilung gleichkommen. Die US-Bischofskonferenz schrieb sogar, er habe ihn „a divinis“ suspendiert. Das stimmt zwar nicht, doch kommen die Strafmaßnahmen der Sache sehr nahe.
McCarrick wird sexuelles Fehlverhalten vorgeworfen. Die Fakten seien so eindeutig, daß es keine Zweifel an seiner Schuld gibt. Er habe über Jahrzehnte homosexuelle Beziehungen zu Erwachsenen und Jugendlichen, darunter auch Minderjährigen, unterhalten, zu Priestern und Seminaristen. Obwohl, wie sich nun herausstellte, diese Perversion vielen Menschen auf allen Ebenen der kirchlichen Hierarchie bekannt war, konnte McCarrick nicht nur an seinem Doppelleben festhalten, sondern, so der Vatikanist Sandro Magister, „eine triumphale kirchliche Karriere machen“.
Der Fall war in jüngerer Zeit durch die Anzeige eines ehemaligen Seminaristen ins Rollen gekommen. Am 16. Juli berichtete die New York Times darüber. Dann ging alles ganz schnell. Am 20. Juli legte diese Tageszeitung noch einmal nach. Bereits am 28. Juli gab der Vatikan den Rücktritt McCarricks aus dem Kardinalskollegium bekannt.
Die ungläubigen Augen einer bestürzten katholischen Öffentlichkeit richteten sich schnell auf einen anderen Mann: Kardinal Kevin J. Farrell. Er gilt als engster Vertrauter McCarricks. Konnte es sein, daß er all die Jahre nichts von den sexuellen Verfehlungen seines Mentors wußte?
Am 31. Juli sprach Nicole Winfield von der internationalen Presseagentur Associated Press (AP) mit Farrell, der mit den Worten zitiert wird, „nie“ davon gewußt oder auch nur so etwas „vermutet“ zu haben.
Ein Grund für den Vatikanisten Sandro Magister, sich Farrells „wundersame Karriere“ etwas näher anzuschauen.
„Über den Fall McCarrick wurde in diesen Tagen bereits viel geschrieben, aber nur wenig darüber, wie sehr er nicht nur den Hauptakteur der Angelegenheit betrifft, sondern auch mit ihm verbundene Kirchenvertreter, die ebenfalls Nutznießer von Karrieren wurden, die hart an der Grenze zum Wunder liegen.“
Vor allem die Karriere eines Mannes werfe „ernste Fragen“ auf, so Magister: jene von Kevin Farrell. Der heute 71 Jahre alte US-Amerikaner wurde 2016 von Papst Franziskus zum Kardinal kreiert und als Präfekt an die Spitze des neugeschaffenen Dikasterium für Laien, Familie und Leben berufen.
Farrells „schlechte Lehrmeister“ und eine „wunderbare“ Karriere
Farrell wurde 1947 in Dublin in Irland geboren. 1966 trat er in die Ordensgemeinschaft der Legionäre Christi ein, „als diese Organisation noch klein war, und ihr unheilvoller Gründer Marcial Maciel noch von der Aura umfassender Ehrbarkeit umgeben war“.
1978 wurde Farrell für den Orden zum Priester geweiht. Nach Aufgaben in verschiedenen Ländern wurde er Anfang der 80er Jahre in die USA entsandt. 1984 verließ er den Orden wegen „Meinungsverschiedenheiten“ und ließ sich in das Erzbistum Washington inkardinieren.
Als Maciels Verfehlungen bekannt wurden und zu dessen Verurteilung führten, äußerte sich Farrell nie dazu. Vielmehr bestritt er, je irgendeinen erwähnenswerten Kontakt zu Maciel gehabt zu haben.
„Aus glaubwürdigen Zeugenaussagen geht jedoch hervor, daß er in der Legion Aufgaben innehatte und nicht nur eine episodische Nähe zu Maciel genoß, die eine völlige Unkenntnis des ungesunden Verhaltens seines Oberen unwahrscheinlich erscheinen lassen.“
1985 wurde er vom damaligen Erzbischof von Washington zum Direktor des Spanischen Katholischen Zentrums ernannt, 1987 zum Caritas-Direktor des Erzbistums und 1989 zum Diözesanökonom. Die wirkliche Karriere begann aber 2001.
Zum Verständnis ist zunächst ein Blick auf McCarricks Karriereleiter zu werfen. Sie führte ihn zunächst in das Amt des Weihbischofs von New York, dann auf den Bischofsstuhl von Metuchen, schließlich auf den Erzbischofsstuhl von Newark und 2001 auf jenen von Washington. Obwohl es zu jener Zeit bereits sehr ernste Bedenken gab, weil Stimmen über sein ungeordnetes Sexualverhalten bekannt wurden, konnte McCarrick seine steile Karriere ungebrochen fortsetzen. Dabei waren warnende Stimmen bis Rom zu hören. Ein Erzbischof von Newark genießt jedoch hohes Ansehen und Gewicht.
In Washington angekommen, wurde ihm wegen der Bedeutung des Erzbischofssitzes auch das Kardinalspurpur verliehen.
Seine Ernennung zum Erzbischof von Washington im Jahr 2001 wurde auch zum Schlüsseljahr für einen staunenswerten Karriereschub für Kevin Farrell. McCarrick machte Farrell zum Generalvikar und elf Monate nach seiner Thronbesteigung auch zu seinem Weihbischof.
Als die Missetaten des Gründers der Legionäre Christi bekannt wurden, konnte dies Farrell, obwohl Fragen nach Komplizen und Vertuschung aufkamen, nichts mehr anhaben, denn, so Magister:
„McCarrick war inzwischen im US-Episkopat – und nicht nur dort – eine solche Macht geworden.“
Er wollte Farrell an seiner Seite haben und setzte das auch in Rom durch. Er wollte aber noch mehr. Farrell sollte nicht im erzbischöflichen Palais, sondern bei ihm im vierten Stock eines ehemaligen Waisenhauses wohnen, das entsprechend umgebaut worden war.
„Um so mehr erscheint es unwahrscheinlich, daß Farrell nichts von den wiederholten, hemmungslosen sexuellen Abenteuern seines Patrons bemerkt haben will.“
2006 wurde McCarrick wegen Erreichung der Altersgrenze emeritiert. Dennoch behielt er ein „beachtliches Gewicht in der hohen Hierarchie der Kirche“. Ein Jahr später verließ auch Farrell Washington, weil er – mit „offenkundiger Unterstützung seines Mentors“ – zum Bischof von Dallas, einem nicht unbedeutenden Bistum in den USA, ernannt wurde.
Das Chamäleon
Während der Amtszeit von Papst Johannes Paul II. und Papst Benedikt XVI. hielt sich Farrell bedeckt. Er fiel nie durch progressive Stellungnahmen auf. McCarrick hingegen äußerte Kritik an der Anweisung des damaligen Glaubenspräfekten Joseph Kardinal Ratzinger an die US-Bischöfe, katholischen Politikern, die sich für die Abtreibung aussprechen und die Tötung ungeborener Kinder unterstützen, die Kommunion zu verweigern. 2004 unterstütze McCarrick die Präsidentschaftskandidatur des demokratischen Politikers und Abtreibungsbefürworters John Kerry. Diese Umstände dürften mit ausschlaggebend gewesen sein, daß Benedikt XVI. ihn 2006 sofort mit Erreichung der kanonischen Altersgrenze emeritierte.
Farrell änderte sein Verhalten schlagartig mit der Wahl von Papst Franziskus. Seither meldete er sich lautstark öffentlich zu Wort und ergriff Partei für den umstrittenen Kurs des neuen Pontifikats. Das Verhalten läßt darauf schließen, daß Farrell bereits zuvor progressive Positionen vertrat, aber aus karrieretechnischen Gründen verschwieg. Magister über Farrels Wandel nach der Wahl von Franziskus:
„Er schloß sich in den USA gleich der Gruppe der neuen progressiven Führungsriege von Blaise Cupich und Joseph Tobin an, die Jorge Mario Bergoglio zu Erzbischöfen von Chicago und Newark beförderte, und beide auch prompt zu Kardinälen machten. Und auch von diesen beiden war McCarrick der Patron.“
Farrell begrüßte mit Begeisterung das umstrittene nachsynodale Schreiben Amoris laetitia in der Lesart, daß jeder sexuell irregulär Lebende zur Kommunion zugelassen werden soll (darunter wiederverheiratete Geschiedene, aber nicht nur). Papst Franziskus berief ihn 2016 nach Rom, beförderte ihn zum Kardinal und ernannte ihn zum Präfekten des neuen Dikasteriums für Laien, Familie und Leben.
Farrell als Homo-Lobbyist
Als solcher schrieb der nunmehrige Kardinal Farrell das Vorwort und eine Empfehlung für eines der Bücher, so Magister, „die das neue Bergoglio-Klima am meisten repräsentieren“. Gemeint ist das im Juni 2017 veröffentlichte und hochumstrittene Buch des US-Jesuiten James Martin „Building a Bridge. How the Catholic Church and the LGBT Community Can Enter into a Relationschip of Respect, Compassion, and Sensitivity“. Die erweiterte Neuausgabe 2018 enthält das Farrell-Vorwort.
James Martin ist einer der bekanntesten US-Jesuiten und führender Autor der US-amerikanischen Jesuitenzeitschrift America. Mit seinem Buch will er eine grundlegende Revision der kirchlichen Lehre zur Homosexualität einleiten. Martin folgt dabei dem Weg , der von Kardinal Kasper zu den wiederverheirateten Geschiedenen vorgegeben wurde. Nicht die Lehre solle geändert werden, sondern „nur “ die Pastoral. Die verschwiegene Rechnung, die dabei angestellt wird, lautet jedoch, daß über den geänderten „pastoralen Weg“ sich dann die Lehre faktisch von selbst ändern werde.
Die unbeanstandete Unterstützung von Farrell zeigt, daß der Kurs des Jesuiten in Rom erwünscht ist. Papst Franziskus hatte James Martin bereits zuvor zum Consultor des neuen Kommunikationsministeriums. Ein untrügliches Signal des Wohlwollens. Kardinal Cupich, der Wortführer des von Franziskus installierten, progressiven Episkopats, eilte James Martim prompt zu Hilfe.
Farrell wiederum verschafft James Martin als römischer Dikasterienleiter für die Familie Zugang zum Weltfamilientreffen, das in diesem Jahr Ende August in Dublin stattfindet, und bei dem erstmals Homosexualität – ein Widerspruch in sich – mit eigenen Programmpunkten vertreten sein wird.
Es sei heute einfach, so Magister, Johannes Paul II. und den damaligen Verantwortlichen vorzuwerfen, zu unvorsichtig gewesen zu sein, indem die Warnungen unbeachtet blieben, und ein „notorisch nicht vorbildlicher“ Kirchenmann wie McCarrick befördert wurde.
„Noch gewagter scheint aber die Entscheidung von Papst Franziskus, eine Gestalt wie Farrell nach Rom zu berufen und an die Sitze des Familiendikasteriums zu setzen, der nacheinander Serientäter wie Maciel und McCarrick als seine schlechten Lehrmeister hatte, und zudem auch noch als Verfechter für die Anerkennung der Homosexualität auftritt.“
Farrell sei dabei kein Einzelfall.
Die Homo-Lobby in der Kirche
Von den neun Kardinälen, die Papst Franziskus in den C9-Kardinalsrat zur Leitung der Weltkirche berief, „sind bereits drei wegen Vorwürfen des sexuellen Mißbrauchs angeschlagen“.
Der Australier Kardinal George Pell muß sich in seiner Heimat vor Gericht verantworten. Er war allerdings ein Außenseiter im Rom Bergoglios. Zu seiner Stellung kam er nur deshalb, weil er 2013 der einzige Purpurträger Ozeaniens war. Sein Abgang aus Rom wurde von Bergoglianern nicht betrauert. Das Gerichtsverfahren wird Klarheit zu schaffen haben.
Der Chilene Kardinal Francisco Javier Errazuriz, der im Kardinalsrat Südamerika vertritt, ist ein persönlicher Freund des Papstes. Er verteidigte gegen jede Evidenz den Ex-Priester Fernando Karadima und dessen Zögling, den inzwischen abgesetzten Bischof Juan Barros Madrid. Errazuriz gelang es, Franziskus dreieinhalb Jahre zu einer nicht haltbaren Verteidigung von Bischof Barros zu bewegen und ihn damit internationaler Kritik auszusetzen.
Der Honduraner Kardinal Oscar Rodriguez Maradiaga, der Koordinator des C9-Kardinalsrates, ist einer der engsten Vertrauten des Papstes. Ihm werden sogar Ambitionen auf die Nachfolge von Franziskus nachgesagt. Sein Weihbischof führte offenbar ein homosexuelles Doppelleben und soll auch mit Priestern und Seminaristen homosexuelle Beziehungen unterhalten, ja sogar Seminaristen verführt haben, doch der Kardinal will nichts davon gewußt haben. Vielmehr wird, obwohl der Weihbischof am 20. Juli emeritiert wurde, jedes Fehlverhalten bestritten. Bereits im Frühjahr 2017 hatte ein Vertrauter des Papstes, den dieser nach Honduras schickte, um bis Rom vorgedrungene Anschuldigungen zu überprüfen, in seinem Bericht das homosexuelle Doppelleben der rechten Hand von Kardinal Maradiaga bestätigt.
„Hinzukommen“, so Magister, „die nicht wenigen Kirchenmänner mit hemmungslos homosexuellem Verhalten, die Bergoglios Hofstaat bevölkern“.
Bereits im Juni 2013 wurde der Fall von Battista Ricca bekannt, dem Direktor von Santa Marta, den Franziskus zum persönlichen Delegaten und Hausprälaten der Vatikanbank ernannte. Magister enthüllte damals das „skandalöse Verhalten“ des Vatikandiplomaten Ricca an den Apostolischen Nuntiaturen von Algier, Bern und Montevideo. Aus der Schweiz nahm er sich seinen Homo-Gespielen gleich direkt zu seinem nächsten Dienstort in Uruguay mit. Dennoch suchte er dort nebenbei auch Befriedigung in der Stricherszene.
Papst Franziskus quittierte die Anschuldigungen mit jenem berühmt-berüchtigten Satz, der seither über seinem Pontifikat lastet und für dessen Ausrichtung emblematisch wurde:
„Wer bin ich, um zu urteilen“.
„Dieser berühmte Satz wurde faktisch zum universalen Passierschein“, so Magister.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: AP/Settimo Cielo/MiL (Screenshots)