Vor siebzig Jahren wurde Pius X. heiliggesprochen

Der Modernismus, eine Spielart des Liberalismus, der in den Atheismus führt


Pius X., der Papst, der sich dem Modernismus entgegenstellte, wurde 1951 selig- und 1954 heiliggesprochen.
Pius X., der Papst, der sich dem Modernismus entgegenstellte, wurde 1951 selig- und 1954 heiliggesprochen.

Von Cri­sti­na Siccardi*

Anzei­ge

Vor sieb­zig Jah­ren, vier­zig Jah­re nach sei­nem Tod, sprach Pius XII. am Sams­tag, dem 29. Mai 1954, sei­nen Vor­gän­ger Pius X. (1835–1914) hei­lig, den er drei Jah­re zuvor, am 3. Juni, selig­ge­spro­chen hat­te. Am 17. Febru­ar 1952 wur­de sein ver­ehr­ter Leich­nam unter den Altar der Tem­pel­gang­ka­pel­le im Peters­dom gelegt.

Nach der Selig­spre­chung ging das Hei­lig­spre­chungs­ver­fah­ren zügig vor­an: Am 17. Janu­ar 1954 wur­den die bei­den für den Abschluß des Pro­zes­ses erfor­der­li­chen Wun­der aner­kannt, und am 29. Mai des­sel­ben Jah­res fand vor 800.000 Men­schen die Zere­mo­nie auf dem Peters­platz statt. Der letz­te Papst, der bis dahin hei­lig­ge­spro­chen wur­de, war der hei­li­ge Pius V. am 22. Mai 1712, und nun der hei­li­ge Pius X.: bei­de mit dem Namen Pius, bei­de feste und muti­ge Ver­tei­di­ger des Glau­bens und der Kir­che, zwei star­ke und kräf­ti­ge Boll­wer­ke gegen Irr­tü­mer und Häre­si­en. Der erste hat­te pro­te­stan­ti­sche Ideen zum Feind, die durch das Kon­zil von Tri­ent ein­ge­dämmt wur­den, der zwei­te wider­setz­te sich moder­ni­sti­schen Ideen, die spä­ter mit dem Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zil in die Kir­che ein­ge­führt wurden.

In der Anspra­che nach dem Hei­lig­spre­chungs­ri­tus fand Pius XII. Wor­te, mit denen er sowohl Anto­nio Miche­le Ghis­lie­ri OP/​Papst Pius V. als auch Giu­sep­pe Mel­chi­or­re Sarto/​Papst Pius X. wür­dig­te, die aber in der aktu­el­len Poli­tik des Vati­kans heu­te einen ziem­lich schril­len Wider­hall fin­den, eine Tat­sa­che, die alle alar­mie­ren soll­te, denen das Schick­sal der Kir­che auf Erden am Her­zen liegt: „Der unbe­sieg­te Mei­ster der Kir­che und durch die Vor­se­hung bestimm­te Hei­li­ge unse­rer Zeit […] hat­te das Aus­se­hen eines im Kampf ste­hen­den Rie­sen zur Ver­tei­di­gung eines unschätz­ba­ren Schat­zes: der inne­ren Ein­heit der Kir­che in ihrem inner­sten Fun­da­ment: dem Glau­ben. […] die Klar­heit und Festig­keit, mit der Pius X. den sieg­rei­chen Kampf gegen die Irr­tü­mer des Moder­nis­mus führ­te, zeu­gen von dem heroi­schen Grad, in dem die Tugend des Glau­bens in sei­nem hei­li­gen Her­zen brann­te. In sei­ner ein­zig­ar­ti­gen Sor­ge um die Bewah­rung des gött­li­chen Erbes für die ihm anver­trau­te Her­de kann­te der gro­ße Papst kei­ne Schwä­che vor irgend­ei­ner hohen Wür­de oder Auto­ri­tät von Per­so­nen, kein Zögern ange­sichts ver­locken­der, aber fal­scher Leh­ren inner­halb und außer­halb der Kir­che und auch kei­ne Furcht, sich per­sön­li­che Belei­di­gun­gen oder unge­rech­te Ver­leum­dungen sei­ner rei­nen Absich­ten zuzu­zie­hen.“ In der Tat hat Pius X. nicht auf die Sire­nen der Welt gehört und sich nicht von den revo­lu­tio­nä­ren sub­jek­ti­ven Theo­lo­gien jener ver­füh­ren las­sen, die die Kir­che dazu brin­gen woll­ten, sich selbst, d. h. Chri­stus, zu ver­las­sen, um von der pro­te­stan­ti­schen, anti­christ­li­chen und athe­isti­schen Welt akzep­tiert zu werden.

Eben des­halb hat er das Pro­gramm sei­nes Pon­ti­fi­kats bereits in der ersten Enzy­kli­ka E supre­mi vom 4. Okto­ber 1903 fei­er­lich ver­kün­det, in der er erklär­te, daß es sein ein­zi­ges Ziel sei, Instaura­re omnia in Chri­sto (Eph 1,10), das heißt, alles zur Ein­heit in Chri­stus zurück­zu­füh­ren. „‘Wel­ches aber ist der Weg’, frag­te Pius XII. an jenem Tag, als der Leich­nam des hei­li­gen Pius X. von Pfer­den durch die Stadt Rom gezo­gen wur­de, ‚der den Weg zu Jesus Chri­stus öff­net‘, und blick­te dabei lie­be­voll auf die ver­lo­re­nen und zögern­den See­len sei­ner Zeit. Die Ant­wort, die gestern wie heu­te und durch die Jahr­hun­der­te hin­durch gilt, lau­tet: die Kir­che!“. Aber die nach­kon­zi­lia­re Kir­che begann sofort unter den Schlä­gen des Moder­nis­mus zu äch­zen, der sich über die Tra­di­ti­on der Kir­che erhob, sich aber wei­ter­hin als ihr Opfer prä­sen­tier­te: Da das Wesen der Insti­tu­ti­on Kir­che (die restau­riert, aber nie­mals revo­lu­tio­niert wer­den kann) nicht revo­lu­tio­när ist, hat sich eine Kri­se auf­ge­tan, die nur mit dem Aria­nis­mus des 4. und 5. Jahr­hun­derts ver­gleich­bar ist.

Die wei­sen Wor­te von Pius XII. brin­gen uns zurück zur Rea­li­tät der Fak­ten und zum Rea­lis­mus des hei­li­gen Pius X: Pius XII. beton­te sei­ne Dank­bar­keit gegen­über Pius X. für sei­ne Feh­ler­dia­gno­sen und sei­ne The­ra­pien, und er rief sei­ne Für­spra­che an, damit die Kir­che von „neu­en Kämp­fen die­ser Art“ ver­schont blei­be, aber er beton­te auch, daß das gro­ße Werk, das er gegen den Moder­nis­mus – die töd­li­che Umar­mung zwi­schen den Men­schen der Kir­che und der Welt, zwi­schen den libe­ra­len Ideen und der katho­li­schen Reli­gi­on – voll­bracht hat­te, von sol­cher Bedeu­tung war, daß es „weit über die katho­li­sche Welt selbst hin­aus­ging. Jene, die, wie der Moder­nis­mus, Glau­ben und Wis­sen­schaft in ihrer Quel­le und ihrem Gegen­stand tren­nen, wir­ken in die­sen bei­den lebens­wich­ti­gen Berei­chen eine so schäd­li­che Spal­tung, ‚daß kaum etwas mehr Tod ist‘. Man hat es prak­tisch gese­hen: Der Mensch, der um die Jahr­hun­dert­wen­de bereits im Inner­sten gespal­ten war und noch immer dem Irr­glau­ben anhing, er besit­ze sei­ne Ein­heit im sub­ti­len Schein von Har­mo­nie und Glück, der auf einem rein irdi­schen Fort­schritt beruh­te, brach damals unter dem Gewicht einer ganz ande­ren Wirk­lich­keit zusam­men. Pius X. sah mit wach­sa­men Augen die­se gei­sti­ge Kata­stro­phe der moder­nen Welt her­an­na­hen, die­se bit­te­re Ent­täu­schung vor allem der gebil­de­ten Schich­ten.“

Die Kata­stro­phe steht uns vor Augen und auch vor den Augen der Kin­der… Am ver­gan­ge­nen Sams­tag fand im Rom der Apo­stel­für­sten Petrus und Pau­lus, im Rom der Mär­ty­rer, der Kata­kom­ben und der Päp­ste, die 30. Homo-Para­de der LGBTQIA+-Welt mit ihren Kostü­men und Paro­len statt. Unter­des­sen bil­li­gen vie­le Prie­ster die Tod­sün­de der Homo­se­xua­li­tät, legi­ti­mie­ren sie und kul­ti­vie­ren sie für sich und ihre Näch­sten. Und genau in die­sem „Stolz“ („Pri­de“) wur­de Papst Fran­zis­kus ver­spot­tet und ver­un­glimpft, als er vor weni­gen Tagen die Prä­senz von Homo­se­xu­el­len in der kirch­li­chen Welt öffent­lich anprangerte.

Vier­zig mephi­sto­phe­li­sche Zir­kus­wa­gen zogen durch Rom, das Zen­trum der Katho­li­zi­tät, und das Mot­to der radi­kal­li­be­ra­len Par­tei +Euro­pa (Mehr Euro­pa) lau­te­te in Anspie­lung auf das von Fran­zis­kus gebrauch­te Wort „fro­ci­ag­gi­ne“: „Freie Schwuch­te­lei­en in einem frei­en Staat“. Das ist es, was der Libe­ra­lis­mus und die Frei­mau­re­rei in den Jahr­zehn­ten seit dem Zeit­al­ter der „Lumi­na“ (Auf­klä­rung) her­vor­ge­bracht haben, „Lumi­na“, die auch die Hir­ten „illu­mi­niert“ haben, trotz der hei­li­gen Kämp­fe von Papst Pius X.

Er erkann­te, wie uns Pius XII. sagt, wie der schein­ba­re, von revo­lu­tio­nä­ren Ideen ver­gif­te­te Glau­be, der nicht in Gott, dem Offen­ba­rer, begrün­det ist, son­dern „in einem rein mensch­li­chen Boden wur­zelt, sich für vie­le im Athe­is­mus auf­lö­sen wür­de. Er sah auch das ver­häng­nis­vol­le Schick­sal einer Wis­sen­schaft, die im Gegen­satz zur Natur und in will­kür­li­cher Selbst­be­schrän­kung den Weg zum abso­lut Wah­ren und Guten ver­sperrt und so dem Men­schen ohne Gott, ange­sichts der unbe­sieg­ba­ren Fin­ster­nis, in der sein gan­zes Sein liegt, nur eine Hal­tung der Angst oder des Hoch­muts läßt.

Papst Pius X. hat mit weit­sich­ti­gem Den­ken und schnel­lem Han­deln all die­sem Übel das ein­zig mög­li­che und wah­re Heil ent­ge­gen­ge­setzt: die katho­li­sche, bibli­sche Glau­bens­wahr­heit, die als „rationa­bi­le obse­qui­um“ (Röm 12,1) gegen­über Gott und sei­ner Offen­ba­rung akzep­tiert wird. „Indem er auf die­se Wei­se Glau­ben und Wis­sen­schaft auf­ein­an­der abstimm­te, die eine als über­na­tür­li­che Erwei­te­rung und manch­mal auch als Bestä­ti­gung der ande­ren, und die letz­te­re als Hin­füh­rung zur erste­ren, gab er dem christ­li­chen Men­schen die Ein­heit und den Frie­den des Gei­stes zurück, die unaus­weich­li­che Vor­aus­set­zun­gen des Lebens sind.

Die Fil­me des Isti­tu­to Luce sind geblie­ben, um den Jubel der Kir­che und damit auch jenes 29. Mai vor 70 Jah­ren visu­ell zu doku­men­tie­ren und zu zei­gen, wie sehr sich die von der Tra­di­ti­on geerb­te katho­li­sche Sen­si­bi­li­tät von der­je­ni­gen unter­schei­det, die seit Johan­nes XXIII. vom Moder­nis­mus über­nom­men wurde.

Die Auf­ga­be des Pap­stes besteht dar­in, die Gläu­bi­gen im Glau­ben zu bestär­ken, und die­se Auf­ga­be wur­de von Pius X. hel­den­haft erfüllt: „Sei­ne Stand­haf­tig­keit gegen­über dem Irr­tum mag viel­leicht fast als ein Stein des Ansto­ßes erschei­nen; in Wirk­lich­keit ist sie der äußer­ste kari­ta­ti­ve Dienst, den ein Hei­li­ger als Ober­haupt der Kir­che der gan­zen Mensch­heit erweist.

In erster Linie war er ein wah­rer Prie­ster: als beschei­de­ner Pfar­rer, als Bischof, als Patri­arch von Vene­dig, als Papst. Er schätz­te vor allem, daß die Hei­lig­keit die Erst­lings­frucht des Prie­sters ist, der beru­fen ist, den Hohen und Ewi­gen Prie­ster nach­zu­ah­men: den Sohn Got­tes. Der Prie­ster des neu­en Geset­zes ist Gott wohl­ge­fäl­lig in der immer­wäh­ren­den Erneue­rung des Kreu­zes­op­fers in der Hei­li­gen Mes­se, bis Chri­stus das End­ge­richt voll­zieht (1 Kor 11,24–26). Pius X. ist der Papst, der die Wesent­lich­keit des hei­li­gen Prie­ster­tums und des hei­li­gen Altar­op­fers, der Nah­rung der See­len, bekräf­tigt hat: „Wer von die­sem Brot ißt, wird in Ewig­keit leben“ (Joh 6,58).

Wenn in unse­rer trau­ri­gen Zeit vie­le See­len, die trotz des ohren­be­täu­ben­den, bös­ar­ti­gen Lärms zur Besin­nung kom­men, die über­lie­fer­te Hei­li­ge Mes­se suchen und hei­li­ge Prie­ster auf­su­chen, um im Gei­ste geheilt zu wer­den, so ist dies auch ein Ver­dienst des hei­li­gen Pius X., der in sei­ner Enzy­kli­ka Pas­cen­di Domi­ni­ci Gre­gis (8. Sep­tem­ber 1907), in kla­rer und klu­ger Wei­se die Übel der heu­ti­gen west­li­chen und anti­christ­li­chen Zivi­li­sa­ti­on dar­leg­te, die ein „Leben erzwingt, das gegen­wär­tig von der Tech­ni­sie­rung und der über­mä­ßi­gen Orga­ni­sa­ti­on der gesam­ten Exi­stenz, der Arbeit und sogar der Frei­zeit über­wäl­tigt zu wer­den droht“. Das ist genau das, was gesche­hen ist und das wir als Skla­ven erleiden.

In der tie­fen Schau, die er von der Kir­che als Gesell­schaft hat­te, erkann­te der hei­li­ge Pius X. in der gött­li­chen Hostie – Jesus Chri­stus in Leib, Blut, See­le, Gott­heit – die Kraft, das inne­re Leben eines jeden Men­schen und das Leben der Kir­che selbst zu näh­ren und sie über alle ande­ren mensch­li­chen Ver­ei­ni­gun­gen zu erhe­ben: „Ein Vor­bild der Vor­se­hung für die heu­ti­ge Welt“, nann­te ihn Pius XII. bei die­ser Gele­gen­heit, „in der die irdi­sche Gesell­schaft, die sich selbst immer mehr zu einem Rät­sel gewor­den ist, ängst­lich nach einer Lösung sucht, um sich selbst wie­der eine See­le zu geben!

*Cri­sti­na Sic­car­di, Histo­ri­ke­rin und Publi­zi­stin, zu ihren jüng­sten Buch­pu­bli­ka­tio­nen gehö­ren „L’inverno del­la Chie­sa dopo il Con­ci­lio Vati­ca­no II“ (Der Win­ter der Kir­che nach dem Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zil. Ver­än­de­run­gen und Ursa­chen, 2013); „San Pio X“ (Der hei­li­ge Pius X. Das Leben des Pap­stes, der die Kir­che geord­net und refor­miert hat, 2014) und vor allem ihr Buch „San Fran­ces­co“ (Hei­li­ger Fran­zis­kus. Eine der am mei­sten ver­zerr­ten Gestal­ten der Geschich­te, 2019).

Über­set­zung: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Cor­ri­spon­den­za Romana


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