von Cristina Siccardi*
Das 1975 veröffentlichte Buch “Hypothà¨se théologique d’un Pape hérétique“ (Theologische Hypothese eines häretischen Papstes) des brasilianischen Juristen Arnaldo Vidigal Xavier da Silveira, Gründer des Verlags Vera Cruz, ist damals wie heute ein ausgezeichneter Beitrag zur zeitgenössischen Theologie, aber auch eine gültige Antwort auf die Dilemmas, die wegen der doktrinellen Skandale des derzeitigen Pontifikats in verschiedenen katholischen Kreisen entstehen. Das Buch wurde damals in mehreren Sprachen verlegt. Soeben legte der Verlag Solfanello eine Neuausgabe des Buches in italienischer Sprache vor. Eine deutsche Übersetzung bleibt auch nach mehr als 40 Jahren ein bisher unerfülltes Desiderat für den deutschen Leser.
Anarchie und Bürgerkrieg herrschen in der Kirche von der hohen Hierarchie bis zu den Laien: Mißstimmung, Spannungen, wenig Spiritualität, Diesseitigkeit, ausufernde Wortlastigkeit, Zorn, allgemeines und verbreitetes Unbehagen, Verwirrung, Chaos, Unruhe, und das alles geschürt von einem Papst, von dem heute viele behaupten, er stehe im Geruch der Häresie. Häretische Ansätze, die der Papst in diesen drei Jahren seiner Petrinischen Amtsausübung geboten hat, gibt es verschiedene.
Es genügt, sich mit dem desolaten Apostolischen Schreiben Amoris laetitia zu befassen oder mit den Erklärungen, die der Papst bei seiner jüngsten fliegenden Pressekonferenz auf dem Rückflug von seinem Besuch in Armenien von sich gab, damit selbst der unbedarfteste Gläubige sich bewußt wird, daß die Lehren des derzeitigen Papstes einen Bruch mit dem immerwährenden Lehramt der Kirche geschaffen haben. Und die Seelen sind nicht mehr geschützt, weder vor der Sünde noch der Unordnung noch dem Abgrund des Bösen.
Gefragt zum gemeinsamen Gedenken mit den Lutheranern anläßlich der 500 Jahre protestantischer Reformation erklärte der Papst:
„Ich glaube, daß die Absichten Luthers nicht falsch waren. Er war ein Reformator. Vielleicht waren einige Methoden nicht richtig, aber zu jener Zeit […] war die Kirche nicht gerade ein nachahmenswertes Vorbild war: es gab Korruption, Weltlichkeit, Anhänglichkeit an Geld und Macht. Deshalb hat er protestiert. Er war intelligent und machte einen Schritt vorwärts und rechtfertigte, warum er es tat. Und heute sind wir Protestanten und Katholiken uns einig über die Rechtfertigungslehre: zu diesem so wichtigen Punkt lag er nicht falsch. Er machte eine Medizin für die Kirche, dann hat sich diese Medizin konsolidiert, zu einer Disziplin, in eine Art, zu machen, zu glauben.“
Übt Franziskus mit den Gläubigen Barmherzigkeit?
Übt Franziskus im derzeitigen Heiligen Jahr Barmherzigkeit mit den wegen seiner Äußerungen verängstigten und leidenden Seele, Äußerungen, die das Herz der katholischen Lehre angreifen, die den göttlichen Reichtum der kirchlichen Tradition untergraben und den inneren Frieden gefährden, der von höherem Wert ist, als der Frieden zwischen den Völkern?
1975 veröffentlichte Arnaldo Vidigal Xavier da Silveira in Anbetracht der Kirchenkrise, die mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil und der Liturgierevolution des Novus Ordo herangereift war, in französischer Sprache eine Studie, die nun in einer italienischen Neuauflage mit einem Vorwort des Historikers Roberto de Mattei erneut vorgelegt wurde.
Seit der Erstveröffentlichung sind 40 Jahre vergangen. „Während zum Thema der neuen Liturgie eine diskrete Literatur aufblühte, fand die Frage eines häretischen Papstes, mit wenigen Ausnahmen, erst nach dem Amtsverzicht von Benedikt XVI. und der Wahl von Papst Franziskus die Aufmerksamkeit von Theologen und Hirten“, so de Mattei (S. 6).
Derzeitiges Pontifikat hat zahlreiche theologische Positionen entstehen lassen
Während des derzeitigen Pontifikats haben sich zahlreiche theologische Positionen gebildet, und es bleibt schwierig, wenn nicht unmöglich, der einen den Vorzug vor einer anderen zu geben, solange sich die Autorität der Kirche nicht dazu äußert, was geschehen wird, sobald sie einmal die aktuellen Stromschnellen überwunden und mit Hilfe von Theologen, die in der Orthodoxie geblieben sind und sich häretischen Lehren und/oder Praktiken entzogen haben.
Die nötige Ausgewogenheit zu bewahren und zugleich die gebotene katholische Klugheit walten zu lassen, ist nicht jedermanns Sache. In diesem Zusammenhang ist auf den inhaltlich klaren und dichten Aufsatz „L’occupant du Saint-Sià¨ge de Rome est-il aujourd’hui réellement Pape?“ des Theologen Abbé Jean-Michel Gleize im Courrier de Rome zu verweisen, der im vergangenen Februar erschienen ist. Darin führt er die verschiedenen Haltungen und Theorien zur Gültigkeit des Petrinischen Titels von Franziskus auf.
Buch hebt Diskussion auf gehobenere Ebene
Das Buch von Professor Xavier da Silveira greift nicht nur die These des heiligen Kardinals Robert Bellarmin, eines der führenden Verfechter der päpstlichen Suprematie, über die Möglichkeit eines häretischen Papstes auf, er prüft zudem die Eventualität eines schismatischen oder zweifelhaften Papstes und auch die Möglichkeit von Irrtümern und Häresien in Dokumenten des Lehramtes und in Konzilsdokumenten.
Wie haben sich in einem solchen Fall jene zu verhalten, die weiterhin Unserem Herrn Jesus Christus und seinen Lehren folgen wollen? Xavier da Silveira schreibt dazu:
„Die Kirche lehrt, daß es dem Katholiken, der sich einer unüberlegten Entscheidung der kirchlichen Autorität bewußt ist, nicht nur erlaubt ist, dieser Entscheidung seine Zustimmung zu verweigern, sondern in einigen extremen Fällen auch sich öffentlich zu widersetzen. Mehr noch: Diese Opposition kann in bestimmten Situationen sogar zur regelrechten Pflicht werden“ (S. 141).
Die „Theologische Hypothese eines häretischen Papstes“ kann als wichtiger Baustein gesehen werden, der sich in die aktuelle theologische Diskussion einfügt. Sie ist aber auch ein Instrument, um diese notwendige Diskussion auf eine gehobenere Ebene zu heben als dem, was heute in manchmal unangemessenen und auch unmöglichen Zeitungs‑, Web- und Blogartikeln geboten wird, mit denen Argumente von größter Bedeutung und Sakralität banalisiert und in den Schmutz gezogen werden, und sich in ihnen jener ketzerische und barbarische Stil eines würdigen Papstes für diese perverse Generation widerspiegelt.
*Cristina Siccardi, Historikerin und Publizistin, zu ihren jüngsten Buchpublikationen gehören „L’inverno della Chiesa dopo il Concilio Vaticano II. I mutamenti e le cause“ (Der Winter der Kirche nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Veränderungen und Ursachen, 2013); „San Pio X. Vita del Papa che ha ordinato e riformato la Chiesa“ (Der heilige Pius X. Das Leben des Papstes, der die Kirche geordnet und reformiert hat, 2014); Francesco II di Borbone, il Re Cattolico (Franz II. von Bourbon, der katholische König, 2015); „‘Sono Maria Cristina‘. La Beata regina delle Due Sicilie, nata Savoia“ („Ich bin Maria Cristina“. Die selige Königin Beider Sizilien und geborene Savoyerin, 2016).
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Verlag/Cristina Siccardi