Vor 120 Jahren wurde der heilige Pius X. gewählt

Herausragende Gestalt auf dem Stuhl Petri


Pius X. zeigt sich im August 1903 nach seiner Wahl zum Papst dem Volk auf dem Petersplatz
Pius X. zeigt sich im August 1903 nach seiner Wahl zum Papst dem Volk auf dem Petersplatz

Von Cri­sti­na Siccardi*

Anzei­ge

Zum 120. Jah­res­tag der Wahl des hei­li­gen Pius X. (1835–1914) auf den päpst­li­chen Thron fei­ern die Diö­ze­se Tre­vi­so, die Stif­tung Giu­sep­pe Sar­to und die Gemein­de Rie­se in der Pro­vinz Tre­vi­so den am 4. August 1903 gewähl­ten Papst mit einer Rei­he von Ver­an­stal­tun­gen. So fand in Rie­se, dem Ort in Vene­ti­en, in dem Giu­sep­pe Sar­to gebo­ren wur­de, am Mon­tag­abend des 21. August, dem Tag nach sei­nem Todes­tag vor 109 Jah­ren, die tra­di­tio­nel­le Pro­zes­si­on zu sei­nem Geburts­haus statt. Vom 6. bis 15. Okto­ber erfolgt die Pere­gri­na­tio cor­po­ris des hei­li­gen Pius X., bei der sei­ne sterb­li­chen Über­re­ste, die im Peters­dom auf­be­wahrt wer­den, der Ver­eh­rung der Gläu­bi­gen sowohl im Dom von Tre­vi­so als auch in Cen­dro­le (dem Dorf, in dem sich die Mari­en­wall­fahrts­kir­che befin­det, die Giu­sep­pe Sar­to in sei­ner Jugend auf­such­te) und in Rie­se, sei­nem Geburts­ort, aus­ge­setzt wer­den. Anläß­lich der Pere­gri­na­tio wird das Muse­um Pius X., das sei­ne Gewän­der und per­sön­li­chen Gegen­stän­de beher­bergt und in dem eine Dau­er­aus­stel­lung sein Leben ver­an­schau­licht, über einen vir­tu­el­len Rund­gang im Inter­net für jeder­mann zugäng­lich gemacht.

Ver­schie­de­ne Diö­ze­sen in Vene­ti­en wer­den Pil­ger­fahr­ten orga­ni­sie­ren, und im Geburts­haus und im Muse­um selbst sind Restau­rie­rungs­ar­bei­ten geplant. Die Aus­stel­lungs­räu­me wer­den umge­stal­tet und die Besu­cher­we­ge neu geord­net. Außer­dem wer­den Arbei­ten an der Casa Mag­gi­on durch­ge­führt, die auch als „Wäch­ter­haus“ bekannt ist und in der künf­tig das Archiv von Papst Pius X. unter­ge­bracht und Aus­stel­lun­gen gezeigt wer­den sol­len. Außer­dem baut die Gemein­de Rie­se den Curiot­to-Weg aus, den Giu­sep­pe Sar­to benutz­te, um zum Hei­lig­tum von Cen­dro­le zu gelangen.

Die Regi­on Vene­ti­en möch­te damit ihren außer­ge­wöhn­li­chen Lands­mann wür­di­gen, der einer der größ­ten und segens­reich­sten Refor­mer in der Geschich­te der Kir­che war und auch heu­te noch eine grund­le­gen­de Refe­renz sowohl für die Dia­gno­se der Pro­ble­me und Irr­tü­mer der heu­ti­gen Welt und Kir­che als auch für die Lösungs­an­sät­ze für die­se Übel darstellt.

Am 20. Juli 1903 starb Papst Leo XIII. (1810–1903) und der Patri­arch von Vene­dig, Kar­di­nal Giu­sep­pe Sar­to, ver­ließ die Stadt, um am 26. Juli am Kon­kla­ve teil­zu­neh­men. Das Kon­kla­ve hielt eini­ge Über­ra­schun­gen bereit, die im Tage­buch von Kar­di­nal Fran­çois-Dési­ré Mathieu (1839–1908) und spä­ter in den Auf­zeich­nun­gen ver­schie­de­ner ande­rer Prot­ago­ni­sten jener Stun­de, ins­be­son­de­re des Erz­bi­schofs von Mai­land Andrea Car­lo Fer­ra­ri (1850–1921), zu fin­den sind. Die Wäh­ler waren in zwei Lager gespal­ten: Auf der einen Sei­te stan­den die Kar­di­nä­le, die die Regie­rungs­li­nie des ver­stor­be­nen Pap­stes befür­wor­te­ten und der Diplo­ma­tie und den inter­na­tio­na­len Bezie­hun­gen gro­ße Auf­merk­sam­keit schenk­ten; ihr Kan­di­dat war der dama­li­ge Staats­se­kre­tär Maria­no Ram­pol­la (1843–1913). Auf der ande­ren Sei­te hoff­ten sie auf einen Tem­po­wech­sel und such­ten nach einem geeig­ne­ten Pro­fil für eine neue Linie. Der Wort­füh­rer die­ses Lagers war Kar­di­nal Mathieu, der erklärte: 

„Wir wün­schen uns einen Papst, der frei von allen Kon­tro­ver­sen ist, der sein Leben der Seel­sor­ge gewid­met hat, der sich akri­bisch um die Lei­tung der Kir­che küm­mert und der vor allem ein Vater und Seel­sor­ger ist. Ein sol­cher Pon­ti­fex steht uns zur Ver­fü­gung. Er hat sich in sei­ner wich­ti­gen Diö­ze­se her­vor­ra­gend bewährt. Er ver­bin­det ein gerech­tes Urteil mit einer gro­ßen Stren­ge der Moral und einer bewun­derns­wer­ten Güte, die ihm die Her­zen aller gewon­nen hat, wohin er auch gegan­gen ist. Wir wer­den für den Patri­ar­chen von Vene­dig stim­men“ (F.-D. Mathieu, in Revue des Deux Mon­des, 20, 1904, S. 241–285).

Kar­di­nal Sar­to war in der Kir­che bereits gut bekannt: Er mach­te mehr­fach von sich reden, auch Leo XIII. schätz­te ihn. In den ersten Wahl­gän­gen gaben die 62 anwe­sen­den Kar­di­nä­le zum Teil Ram­pol­la den Vor­zug und ver­teil­ten die rest­li­chen Stim­men auf ande­re Kan­di­da­ten, dar­un­ter Giu­sep­pe Sar­to. Am 2. August hielt der Erz­bi­schof von Kra­kau, Jan Puzy­na (1842–1911), ein Kar­di­nal der öster­rei­chi­schen Kro­ne, der das ius exclu­siv­ae in das Kon­kla­ve ein­brach­te, es für an der Zeit, das Veto gegen Ram­pol­la zu ver­kün­den, da er für die öster­rei­chi­sche Regie­rung eine unlieb­sa­me Figur war. Die Aus­zäh­lung der Stim­men ergab jedoch, daß die­se Inter­ven­ti­on nicht aus­schlag­ge­bend war, da Ram­pol­la zu kei­nem Zeit­punkt die erfor­der­li­che Stim­men­schwel­le über­schritt. Die­se Inter­ven­ti­on erreg­te jedoch so viel Auf­se­hen, daß sich der neue Papst ver­an­laßt sah, ein Doku­ment zu ver­öf­fent­li­chen, das sol­che Ein­mi­schun­gen von außen verbot.

Am 4. August fand die Schluß­ab­stim­mung statt, und Kar­di­nal Giu­sep­pe Sar­to wur­de mit fünf­zig Stim­men gegen zehn Stim­men von Ram­pol­la und zwei Stim­men von Kar­di­nal Girola­mo Maria Got­ti (1834–1916) erwählt.

Nach sei­ner Wahl ließ Pius X. den Auf­ruhr, den er in sei­nem Inne­ren ver­barg, nicht aus sei­nem Gesicht und sei­nen Wor­ten spre­chen, doch aus sei­nem ersten Brief als Papst „in Jesus Chri­stus“, den er noch am Tag sei­ner Wahl an Mon­si­gno­re Giu­sep­pe Cal­leg­a­ri (1841–1906) schrieb, dem dama­li­gen Bischof von Tre­vi­so. kann man die Dra­ma­tik eines Hir­ten ver­ste­hen, der sei­ne prie­ster­li­che Sen­dung im Dienst der Kir­che und der See­len immer ernst genom­men hat, und auch wie tief und herz­lich sei­ne Art war, das Irdi­sche und das Jen­sei­ti­ge zu empfinden:

„Noch nicht ganz erholt von der Bestür­zung über das unge­heu­re Kreuz, das mich erschüt­tert, habe ich das Bedürf­nis, mei­nem teu­er­sten Freund einen herz­li­chen Gruß zu sen­den. Wie ger­ne wür­de ich Dich sehen, um die Fül­le mei­nes Her­zens in Dein Herz zu gie­ßen! Aber ich habe nicht den Mut, Dir zu sagen: Komm nach Rom. Mit die­sem ersten Brief, den ich von Gol­ga­tha aus schrei­be, wo mich der Herr mit einem lie­be­vol­len Kuß emp­fan­gen hat, sen­de ich trä­nen­be­netzt Dir und Dei­nen Diö­ze­sa­nen und allen Dei­nen Lie­ben den Apo­sto­li­schen Segen.“

Die offi­zi­el­le Krö­nung fand am 9. August im Peters­dom statt, und drei Mona­te nach sei­ner Wahl mach­te Pius X. in sei­ner Anspra­che an das Kon­si­sto­ri­um am 9. Novem­ber deut­lich, daß er sich nicht gegen „jeg­li­chen mensch­li­chen Fort­schritt“ wen­den wür­de, son­dern gegen jene Form der kul­tu­rel­len Erneue­rung, die sich nicht in den Rah­men der tho­mi­sti­schen Theo­lo­gie ein­fügt. Von Beginn sei­nes Pon­ti­fi­kats an war sein Kampf gegen die Prin­zi­pi­en des Moder­nis­mus ein­deu­tig. Er ver­tei­dig­te den Glau­ben, die Kir­che, die Herr­lich­keit Got­tes und das Heil der See­len gegen jene, die in Wort und Schrift Zwie­tracht in der Kir­che säten, wie Sal­va­to­re Minoc­chi (1869–1943), Romo­lo Mur­ri (1870–1944), Erne­sto Buo­nai­uti (1881–1946), Anto­nio Fogaz­z­aro (1842–1911); der Ire Geor­ge Tyr­rell (1861–1909); der Eng­län­der Mau­de Pet­re (1863–1944) und der Aus­tro-Bri­te Fried­rich von Hügel (1852–1925) sowie die Fran­zo­sen Alfred Loi­sy (1857–1940) und Luci­en Labert­hon­niè­re (1860–1932).

Einer ersten Ver­ur­tei­lung von 65 Äuße­run­gen aus den Ver­öf­fent­li­chun­gen moder­ni­sti­scher Autoren durch das Hei­li­ge Offi­zi­um mit dem Dekret Lamen­ta­bi­li Sane Exitu (3. Juli 1907), das von Pius X. gebil­ligt wur­de, folg­te die Ver­ur­tei­lung des Moder­nis­mus als Häre­sie oder viel­mehr als „Aus­fluß aller Häre­si­en“ mit der berühm­ten Enzy­kli­ka Pas­cen­di Domi­ni­ci gre­gis (8. Sep­tem­ber 1907), in der der Papst eine syste­ma­ti­sche und arti­ku­lier­te Beschrei­bung die­ser ver­wir­ren­den Häre­sie bot. Pius X., ein Mann des Gebets, der Gelehr­sam­keit und der gro­ßen Pra­xis (er war zunächst Pfar­rer, dann Bischof und schließ­lich Patri­arch von Vene­dig), war der Mei­nung, daß eine umfas­sen­de Reform not­wen­dig sei (kei­ne Revo­lu­ti­on, wie es beim Pro­te­stan­tis­mus der Fall gewe­sen war und beim Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zil der Fall sein soll­te), um eine christ­li­che Erneue­rung ein­zu­lei­ten: Die ererb­ten Instru­men­te konn­ten nicht län­ger so ver­wen­det wer­den, wie sie waren, son­dern muß­ten nach Para­me­tern umge­stal­tet wer­den, die den drin­gen­den Erfor­der­nis­sen ent­spra­chen, und das, was nicht funk­tio­nier­te, muß­te in Ord­nung gebracht wer­den. So begann eine umfas­sen­de und zügi­ge Tätig­keit insti­tu­tio­nel­ler Ver­än­de­run­gen, um den Schoß der Hei­li­gen Mut­ter Kir­che in dis­zi­pli­na­ri­scher, lit­ur­gi­scher, recht­li­cher und pasto­ra­ler Hin­sicht zu festi­gen und zu sichern, indem eine Neu­ord­nung vor­ge­nom­men wur­de, die Leh­re, Dog­men, Kate­che­se und Riten, die von den Stür­men der Moder­ne bedroht waren, bes­ser schüt­zen und bewah­ren konn­te. Er hat­te als Mot­to sei­nes Pon­ti­fi­kats Instaura­re omnia in Chri­sto (Eph. 1,10) gewählt und setz­te es mit Genia­li­tät, Mut, über­na­tür­li­chem Geist und Ernst­haf­tig­keit um.

*Cri­sti­na Sic­car­di, Histo­ri­ke­rin und Publi­zi­stin, zu ihren jüng­sten Buch­pu­bli­ka­tio­nen gehö­ren „L’inverno del­la Chie­sa dopo il Con­ci­lio Vati­ca­no II“ (Der Win­ter der Kir­che nach dem Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zil. Ver­än­de­run­gen und Ursa­chen, 2013); „San Pio X“ (Der hei­li­ge Pius X. Das Leben des Pap­stes, der die Kir­che geord­net und refor­miert hat, 2014) und vor allem ihr Buch „San Fran­ces­co“ (Hei­li­ger Fran­zis­kus. Eine der am mei­sten ver­zerr­ten Gestal­ten der Geschich­te, 2019).

Über­set­zung: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Cor­ri­spon­den­za Romana


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