Von Cristina Siccardi*
Zum 120. Jahrestag der Wahl des heiligen Pius X. (1835–1914) auf den päpstlichen Thron feiern die Diözese Treviso, die Stiftung Giuseppe Sarto und die Gemeinde Riese in der Provinz Treviso den am 4. August 1903 gewählten Papst mit einer Reihe von Veranstaltungen. So fand in Riese, dem Ort in Venetien, in dem Giuseppe Sarto geboren wurde, am Montagabend des 21. August, dem Tag nach seinem Todestag vor 109 Jahren, die traditionelle Prozession zu seinem Geburtshaus statt. Vom 6. bis 15. Oktober erfolgt die Peregrinatio corporis des heiligen Pius X., bei der seine sterblichen Überreste, die im Petersdom aufbewahrt werden, der Verehrung der Gläubigen sowohl im Dom von Treviso als auch in Cendrole (dem Dorf, in dem sich die Marienwallfahrtskirche befindet, die Giuseppe Sarto in seiner Jugend aufsuchte) und in Riese, seinem Geburtsort, ausgesetzt werden. Anläßlich der Peregrinatio wird das Museum Pius X., das seine Gewänder und persönlichen Gegenstände beherbergt und in dem eine Dauerausstellung sein Leben veranschaulicht, über einen virtuellen Rundgang im Internet für jedermann zugänglich gemacht.
Verschiedene Diözesen in Venetien werden Pilgerfahrten organisieren, und im Geburtshaus und im Museum selbst sind Restaurierungsarbeiten geplant. Die Ausstellungsräume werden umgestaltet und die Besucherwege neu geordnet. Außerdem werden Arbeiten an der Casa Maggion durchgeführt, die auch als „Wächterhaus“ bekannt ist und in der künftig das Archiv von Papst Pius X. untergebracht und Ausstellungen gezeigt werden sollen. Außerdem baut die Gemeinde Riese den Curiotto-Weg aus, den Giuseppe Sarto benutzte, um zum Heiligtum von Cendrole zu gelangen.
Die Region Venetien möchte damit ihren außergewöhnlichen Landsmann würdigen, der einer der größten und segensreichsten Reformer in der Geschichte der Kirche war und auch heute noch eine grundlegende Referenz sowohl für die Diagnose der Probleme und Irrtümer der heutigen Welt und Kirche als auch für die Lösungsansätze für diese Übel darstellt.
Am 20. Juli 1903 starb Papst Leo XIII. (1810–1903) und der Patriarch von Venedig, Kardinal Giuseppe Sarto, verließ die Stadt, um am 26. Juli am Konklave teilzunehmen. Das Konklave hielt einige Überraschungen bereit, die im Tagebuch von Kardinal François-Désiré Mathieu (1839–1908) und später in den Aufzeichnungen verschiedener anderer Protagonisten jener Stunde, insbesondere des Erzbischofs von Mailand Andrea Carlo Ferrari (1850–1921), zu finden sind. Die Wähler waren in zwei Lager gespalten: Auf der einen Seite standen die Kardinäle, die die Regierungslinie des verstorbenen Papstes befürworteten und der Diplomatie und den internationalen Beziehungen große Aufmerksamkeit schenkten; ihr Kandidat war der damalige Staatssekretär Mariano Rampolla (1843–1913). Auf der anderen Seite hofften sie auf einen Tempowechsel und suchten nach einem geeigneten Profil für eine neue Linie. Der Wortführer dieses Lagers war Kardinal Mathieu, der erklärte:
„Wir wünschen uns einen Papst, der frei von allen Kontroversen ist, der sein Leben der Seelsorge gewidmet hat, der sich akribisch um die Leitung der Kirche kümmert und der vor allem ein Vater und Seelsorger ist. Ein solcher Pontifex steht uns zur Verfügung. Er hat sich in seiner wichtigen Diözese hervorragend bewährt. Er verbindet ein gerechtes Urteil mit einer großen Strenge der Moral und einer bewundernswerten Güte, die ihm die Herzen aller gewonnen hat, wohin er auch gegangen ist. Wir werden für den Patriarchen von Venedig stimmen“ (F.-D. Mathieu, in Revue des Deux Mondes, 20, 1904, S. 241–285).
Kardinal Sarto war in der Kirche bereits gut bekannt: Er machte mehrfach von sich reden, auch Leo XIII. schätzte ihn. In den ersten Wahlgängen gaben die 62 anwesenden Kardinäle zum Teil Rampolla den Vorzug und verteilten die restlichen Stimmen auf andere Kandidaten, darunter Giuseppe Sarto. Am 2. August hielt der Erzbischof von Krakau, Jan Puzyna (1842–1911), ein Kardinal der österreichischen Krone, der das ius exclusivae in das Konklave einbrachte, es für an der Zeit, das Veto gegen Rampolla zu verkünden, da er für die österreichische Regierung eine unliebsame Figur war. Die Auszählung der Stimmen ergab jedoch, daß diese Intervention nicht ausschlaggebend war, da Rampolla zu keinem Zeitpunkt die erforderliche Stimmenschwelle überschritt. Diese Intervention erregte jedoch so viel Aufsehen, daß sich der neue Papst veranlaßt sah, ein Dokument zu veröffentlichen, das solche Einmischungen von außen verbot.
Am 4. August fand die Schlußabstimmung statt, und Kardinal Giuseppe Sarto wurde mit fünfzig Stimmen gegen zehn Stimmen von Rampolla und zwei Stimmen von Kardinal Girolamo Maria Gotti (1834–1916) erwählt.
Nach seiner Wahl ließ Pius X. den Aufruhr, den er in seinem Inneren verbarg, nicht aus seinem Gesicht und seinen Worten sprechen, doch aus seinem ersten Brief als Papst „in Jesus Christus“, den er noch am Tag seiner Wahl an Monsignore Giuseppe Callegari (1841–1906) schrieb, dem damaligen Bischof von Treviso. kann man die Dramatik eines Hirten verstehen, der seine priesterliche Sendung im Dienst der Kirche und der Seelen immer ernst genommen hat, und auch wie tief und herzlich seine Art war, das Irdische und das Jenseitige zu empfinden:
„Noch nicht ganz erholt von der Bestürzung über das ungeheure Kreuz, das mich erschüttert, habe ich das Bedürfnis, meinem teuersten Freund einen herzlichen Gruß zu senden. Wie gerne würde ich Dich sehen, um die Fülle meines Herzens in Dein Herz zu gießen! Aber ich habe nicht den Mut, Dir zu sagen: Komm nach Rom. Mit diesem ersten Brief, den ich von Golgatha aus schreibe, wo mich der Herr mit einem liebevollen Kuß empfangen hat, sende ich tränenbenetzt Dir und Deinen Diözesanen und allen Deinen Lieben den Apostolischen Segen.“
Die offizielle Krönung fand am 9. August im Petersdom statt, und drei Monate nach seiner Wahl machte Pius X. in seiner Ansprache an das Konsistorium am 9. November deutlich, daß er sich nicht gegen „jeglichen menschlichen Fortschritt“ wenden würde, sondern gegen jene Form der kulturellen Erneuerung, die sich nicht in den Rahmen der thomistischen Theologie einfügt. Von Beginn seines Pontifikats an war sein Kampf gegen die Prinzipien des Modernismus eindeutig. Er verteidigte den Glauben, die Kirche, die Herrlichkeit Gottes und das Heil der Seelen gegen jene, die in Wort und Schrift Zwietracht in der Kirche säten, wie Salvatore Minocchi (1869–1943), Romolo Murri (1870–1944), Ernesto Buonaiuti (1881–1946), Antonio Fogazzaro (1842–1911); der Ire George Tyrrell (1861–1909); der Engländer Maude Petre (1863–1944) und der Austro-Brite Friedrich von Hügel (1852–1925) sowie die Franzosen Alfred Loisy (1857–1940) und Lucien Laberthonnière (1860–1932).
Einer ersten Verurteilung von 65 Äußerungen aus den Veröffentlichungen modernistischer Autoren durch das Heilige Offizium mit dem Dekret Lamentabili Sane Exitu (3. Juli 1907), das von Pius X. gebilligt wurde, folgte die Verurteilung des Modernismus als Häresie oder vielmehr als „Ausfluß aller Häresien“ mit der berühmten Enzyklika Pascendi Dominici gregis (8. September 1907), in der der Papst eine systematische und artikulierte Beschreibung dieser verwirrenden Häresie bot. Pius X., ein Mann des Gebets, der Gelehrsamkeit und der großen Praxis (er war zunächst Pfarrer, dann Bischof und schließlich Patriarch von Venedig), war der Meinung, daß eine umfassende Reform notwendig sei (keine Revolution, wie es beim Protestantismus der Fall gewesen war und beim Zweiten Vatikanischen Konzil der Fall sein sollte), um eine christliche Erneuerung einzuleiten: Die ererbten Instrumente konnten nicht länger so verwendet werden, wie sie waren, sondern mußten nach Parametern umgestaltet werden, die den dringenden Erfordernissen entsprachen, und das, was nicht funktionierte, mußte in Ordnung gebracht werden. So begann eine umfassende und zügige Tätigkeit institutioneller Veränderungen, um den Schoß der Heiligen Mutter Kirche in disziplinarischer, liturgischer, rechtlicher und pastoraler Hinsicht zu festigen und zu sichern, indem eine Neuordnung vorgenommen wurde, die Lehre, Dogmen, Katechese und Riten, die von den Stürmen der Moderne bedroht waren, besser schützen und bewahren konnte. Er hatte als Motto seines Pontifikats Instaurare omnia in Christo (Eph. 1,10) gewählt und setzte es mit Genialität, Mut, übernatürlichem Geist und Ernsthaftigkeit um.
*Cristina Siccardi, Historikerin und Publizistin, zu ihren jüngsten Buchpublikationen gehören „L’inverno della Chiesa dopo il Concilio Vaticano II“ (Der Winter der Kirche nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Veränderungen und Ursachen, 2013); „San Pio X“ (Der heilige Pius X. Das Leben des Papstes, der die Kirche geordnet und reformiert hat, 2014) und vor allem ihr Buch „San Francesco“ (Heiliger Franziskus. Eine der am meisten verzerrten Gestalten der Geschichte, 2019).
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Corrispondenza Romana
Von der Autorin zuletzt veröffentlicht:
- Heiligkeit, was sind die Gründe für die Liturgiekrise?
- Der heilige Pius V.: 450 Jahre nach seinem Tod
- Blasphemischer Auftritt auf dem Petersplatz
- Eine heldenhafte Glaubenszeugin in Albanien
- Die Epiphanie der Erlösung und der Strafe
- Der heilige Erzengel Michael siegt über die Mächte der Hölle
- Die geknebelte Heilige Messe: von Padre Pio bis Papst Franziskus
- Die Angst vor dem Coronavirus läßt den Glauben verlieren
- Die verstörende Präsenz von Pater Turoldo im neuen Römischen Meßbuch
- Die Mission, wo seit 53 Jahren nicht mehr getauft wird
- Der echte heilige Franziskus von Assisi – wie er wirklich war
- Antiliberal und antimodernistisch – Der wahre Newman
- Die Franziskaner, die sich vom heiligen Franziskus abwenden
- Das Blut der Märtyrer wird weiter vergossen