
Von Cristina Siccardi*
Durch unablässiges Einhämmern kann man die Menschen alles glauben machen, auch das Gegenteil vom Gegenteil, kurzum jede Falschmeldung: daß der Mensch vom Affen abstammt (Darwin), daß die Religion Opium für das Volk ist (Marx), daß die Juden auszumerzen sind (Nationalsozialismus), daß die Antikommunisten auszurotten sind (Stalinismus), daß die Homosexualität zu propagieren und die Abtreibung eine gute Sache ist, ebenso die Euthanasie, und neuerdings, daß die „ökologische Umkehr“ etwas Unerläßliches ist.
So macht man im Zeitalter der relativistischen Diktatur – eine Lüge nach der anderen – auch den großen Heiligen, John Henry Kardinal Newman (1801–1890), der wie ein Titan gegen den Liberalismus kämpfte, zu einem Liberalen. So geschehen im Osservatore Romano am Vortag zu dessen Heiligsprechung am vergangen 13. Oktober aus dem Mund von Prinz Charles, Fürst von Wales und Erstgeborener von Königin Elisabeth II., dem Oberhaupt der Anglikanischen Kirche:
„Newman repräsentierte das Geistesleben gegen die Kräfte, die die Menschenwürde und das menschliche Schicksal herabsetzten. In der Epoche, in der er zur Heiligkeit gelangt, ist sein Beispiel notwendiger denn je: für die Art und Weise, wie er es so gut verstand, zu verteidigen, ohne zu beschuldigen, im Widerspruch zu sein, ohne es an Respekt fehlen zu lassen, und vielleicht vor allem für die Art und Weise, mit der er die Unterschiede als Orte der Begegnung und nicht der Ausgrenzung zu sehen wußte.“
Fälschungen sind für Diktaturen und Totalitarismen eine unverzichtbare Aktivität, sonst wären sie keine. Der Theologe Newman, der ein ganzes Leben mit Studium und Gebet verbrachte und nur darauf abzielte, die einzige von Christus geoffenbarte Wahrheit zu finden, bekehrte sich durch einen verschlungenen und schmerzhaften, intellektuellen und spirituellen Weg, (es gab einen langen Moment, in dem er aus eigener Entscheidung von allen isoliert war) der ihn zum Glauben der Heiligen Römischen Kirche führte. Seinen Sieg erlangte er glücklich, wie aus seinen Schriften gesichert hervorgeht: vom Aberglauben zum Calvinisten, vom Calvinisten zum Anglikaner, vom Anglikaner zum Katholiken. Der Osservatore Romano hingegen skizziert Newman als einen Liberalen mit dem ökumenischen und globalistischen Geist des heutigen, ideologisierten Vatikans, der nicht mehr in der Lage ist, die Seelen zu nähren.
Newman kämpfte fünfzig Jahre lang gegen den Liberalismus und hinterließ Werke von so hoher Theologie, daß sie ihn in die Reihe der Kirchenlehrer stellen, wenn auch vorerst in pectore. In seinem unvergeßlichen Biglietto Speech (1879), einem unerbittlichen Röntgenbild des modernen Westens:
„Der Liberalismus im religiösen Bereich ist die Lehre, daß es keine positive Wahrheit in der Religion gibt, sondern ein Glaubensbekenntnis soviel gilt wie ein anderes, und diese Überzeugung gewinnt jeden Tag mehr Beachtung und Kraft. Er ist gegen jede Anerkennung einer Religion als wahr. Er lehrt, daß alle toleriert werden müssen, denn bei allen handelt es sich nur um eine Frage der Meinung. Geoffenbarte Religion ist keine Wahrheit, sondern ein Gefühl und eine persönliche Präferenz; keine objektive oder geheimnisvolle Tatsache; und es ist das Recht jedes Einzelnen, sie alles sagen zu machen, was seine Phantasie am meisten anregt. Die Frömmigkeit beruht nicht unbedingt auf dem Glauben. Sie können evangelische und katholische Kirchen besuchen, an beiden Tischen sitzen und keiner angehören. Sie können sich verbrüdern und geistliche Gedanken und Gefühle gemeinsam haben, ohne sich selbst das Problem einer gemeinsamen Lehre zu stellen oder das Bedürfnis danach zu spüren. Da die Religion also ein so persönliches Merkmal und ein so privates Eigentum ist, muß sie in den Beziehungen zwischen Menschen unbedingt ausgeklammert werden. Auch wenn man jeden Morgen die Religion wechselt, was sollte dich das interessieren?“
Der Liberalismus, der zur Zeit Newmans von den Päpsten verurteilt wurde, hat durch den Modernismus auch Rom erfaßt. Liberalismus und Modernismus sind aber mit Newmans Denken unvereinbar. Er gelangte im Alter von 44 Jahren zur katholischen Kirche dank der Kirchenväter, der katholischen Liturgie und der katholischen Architektur, die er in Italien sah und einatmete. Noch als Anglikaner schrieb er:
„Ich habe mein Gesicht in diesem Spiegel gesehen: Es war das Gesicht eines Monophysiten“, weil das „Drama der Religion, der Kampf zwischen Wahrheit und Irrtum immer derselbe war. Die Grundsätze und Vorgehensweise der heutigen Kirche sind identisch mit jenen der Kirche damals; die Grundsätze und Vorgehensweise der Ketzer von damals waren die der heutigen Protestanten. Ich habe es fast mit Entsetzen entdeckt: Es gab eine beängstigende Ähnlichkeit – um so beängstigender, weil es so still und leidenschaftslos war – zwischen den Relikten der Vergangenheit und der fiebrigen Chronik der Gegenwart. Der Schatten des fünften Jahrhunderts lastete auf dem sechzehnten. Es war, als ob ein Geist aus dem trüben Wasser der alten Welt aufstieg mit der Gestalt und den Merkmalen der neuen Welt. Die Kirche konnte damals wie heute hart und unerbittlich erscheinen, entschlossen, autoritär und unversöhnlich; und die Ketzer waren schwer greifbar, wandelbar, zurückhaltend und tückisch; immer bereit, der weltlichen Macht zu schmeicheln, nur mit deren Hilfe sie untereinander eins waren, und die weltliche Macht strebte immer danach, Neues einzuverleiben, indem sie, das Unsichtbare loszuwerden und den Nutzen an die Stelle des Glaubens zu setzen versuchte.“
Er schloß sich der Kirche von Rom an, weil sie damals noch in der Lage war, die Irrtümer zu verurteilen („Sie konnte hart und unerbittlich erscheinen, entschlossen, autoritär und unversöhnlich“), und nicht durch äußere Irrtümer geschwächt war. Weil sie noch imstande war, den für das Seelenheil eines jeden unerläßlichen Königsweg zu weisen. Hätte Newman, intelligent wie er war, die nachkonziliare Kirche gekannt, hätte er sicher nicht so viel Energie und Mühe aufgewendet, um zu konvertieren, sondern wäre in der anglikanischen Kirche geblieben.
In dem Artikel von Prinz Charles heißt es, Newman habe sich nicht nur der Kirche, sondern auch der Welt gewidmet und eine „offene Debatte zwischen Katholiken und anderen Christen angestoßen und den Weg für den nachfolgenden ökumenische Dialog geebnet“. Das ist falsch, er suchte keinen Dialog (so wie Jesus und die Apostel und die Kirchenväter und die wahren Heiligen aller Zeiten ihn nicht suchten). Er widerlegte mit der Logik der Vernunft und der Erleuchtung des Heiligen Geistes die Irrtümer der Anglikaner und wurde durch seine eindrucksvollen Predigten und seine bewundernswerten Schriften zum Missionar, sodaß sich Persönlichkeiten wie Chesterton, Marshall, Benson, Greene und Tausende von Engländern bekehrten.
Es ist ebenso falsch, zu behaupten, daß sein „Cor ad cor loquitur“ (das Motto, das er 1879 für seine Investitur als Kardinal wählte) sich durch „seine Gespräche jenseits von konfessionellen, kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Unterschieden“ erklärt, „die in dieser engen Freundschaft mit Gott verwurzelt waren“.
In Wirklichkeit bedeutet „Cor ad cor loquitur“, als er die Wahrheit entdeckte, daß er den Einen und Dreieinen Gott durch einen übernatürlichen Blick zu hören vermochte, ein Merkmal, das viele Kirchenmänner heute abgelegt haben. Newman konnte die Zerrissenheit nur und allein durch den katholischen Glauben überwinden, und seine Apologia provita sua beweist es in all ihrer Plastizität und Schönheit. Sie ist ein Meisterwerk von Autobiographie, die das Paradies zum Ziel hat, und das Paradies ist für den ehemaligen Oxford-Professor wie in der Kirche sein, in der ewigen Glückseligkeit der Heiligsten Dreifaltigkeit:
„Je zahlreicher die Taten der Nächstenliebe, der Selbstverleugnung und des Ertragens sind, desto offensichtlicher wird unser Geist die Form eines wohltätigen, selbstlosen und geduldigen Charakters bekommen. Je öfter wir beten, desto demütiger, geduldiger und religiöser wird unser alltägliches Handeln, und desto mehr wird diese Gemeinschaft mit Gott, werden diese heiligen Werke die Mittel sein, um unser Herz zu heiligen und uns auf die künftige Gegenwart Gottes vorzubereiten.“
Daher rührt das Bedürfnis und die Dringlichkeit, nach Heiligkeit zu streben und in ihr auszuharren: „Für ihn gibt es keinen Platz dafür, anzunehmen, wie sie eine gewisse Mode vertritt, daß alle auch ohne wirkliches Bemühen gut enden werden“ (C. Siccardi: Nello specchio del cardinale Newman. Un santo contro la religione del mondo, Fede & Cultura, Verona 2019, S.10).
Der Einsatz bei der Suche nach der einzigen, geoffenbarten Wahrheit, die von der Kirche von Rom verteidigt wird, war für das Leben Newmans ebenso von grundlegender Bedeutung wie der Einsatz beim Streben nach christlicher Vollkommenheit durch die christlichen Tugenden und das Leben der katholischen Kirche. Eine Haltung nach dem Motto, „alles paßt, alles reicht“ war ganz und gar nicht die seine. An die Wahrheit glauben heißt, frei zu sein:
„Wenn ihr in meinem Wort bleibt, seid ihr wirklich meine Jünger. Dann werdet ihr die Wahrheit erkennen und die Wahrheit wird euch befreien“ (Joh 8,31–32), wie es bei dem heiligen Kardinal der Fall war. Er wies jede Art von Relativismus von sich, gerade weil er ein unerbittlicher Gegner des Liberalismus war:
„Ich zögere nicht, zu sagen“, schrieb Ratzinger, „daß die Wahrheit im Mittelpunkt seiner geistlichen Suche steht: Das Gewissen ist für ihn zentral, weil die Wahrheit es ist. Mit anderen Worten: Die Zentralität des Gewissensverständnisses bei Newman rührt vom Verständnis der Wahrheit her und kann nur auf dessen Grundlage verstanden werden“ (Cielo e terra. Riflessioni su politica e fede, Piemme, Casale Monferrato 1997, S. 32).
Deshalb rief er sie von den Dächern, als er die Wahrheit gefunden hatte – die des katholischen Gottes, der ihn zum inneren Frieden führte. Sicher und entschlossen zeigte er mit Argumenten auf, die für den heutigen Menschen verständlich sind, daß es eine untrennbare Verbindung zwischen der katholischen Wahrheit, der Wissenschaft und dem Gewissen gibt, und daß es kein Nachgeben gegenüber der Willkür und dem Relativismus geben kann. Unter Gewissen versteht Newman nicht das subjektive (das eigene Vergnügen), sondern das objektive, also die Erkenntnis der geoffenbarten Wahrheit. Das Gewissen ist daher die Fähigkeit des Menschen, die Wahrheit zu erkennen und demütig anzunehmen.
In seinem berühmten Brief an den Herzog von Norfolk von 1874, mit dem berühmten Trinkspruch, „zuerst auf das Gewissen, dann auf den Papst!“ anzustoßen, bringt er sein Verständnis vom Gewissen klar zum Ausdruck:
„Das Gewissen hat Rechte, weil es Pflichten hat, aber heutzutage bestehen das Recht und die Gewissensfreiheit für einen Gutteil der Leute gerade darin, sich des Gewissens zu entledigen, den Gesetzgeber und Richter zu ignorieren, unabhängig zu sein von Verpflichtungen, die man nicht sieht… Das Gewissen ist ein strenger Ratgeber, aber in diesem Jahrhundert wurde es von einer Fälschung ersetzt, von der die vergangenen 18 Jahrhunderte nie etwas gehört hatten, oder von der sie, hätten sie davon gehört, sich nie betrügen hätten lassen: das Recht nach eigenem Belieben zu handeln.“
Es ist genau dieses Verständnis, das ihn dazu veranlaßt, zuerst auf das Gewissen anzustoßen – das durch die Vernunft des Glaubens und die Erleuchtung desselben im Gewissen entstanden ist – und dann erst auf den Papst. Der Papst als Stellvertreter Christi und Hüter des depositum fidei ist gehalten, sich der Wahrheit Christi unterzuordnen, die seinem Gewissen eigen ist, und dadurch zum Verteidiger der Wahrheit zu werden.
Den heiligen John Henry Newman zu verfälschen, heißt das Evangelium, die Apostel und die Kirchenväter zu verfälschen und sich dem Liberalismus zu unterwerfen, den er diagnostiziert, angeklagt und besiegt hat – und das allein durch eine ihrer Pflichten bewußte Kirche.
*Cristina Siccardi, Historikerin, die Mutter von zwei Kindern studierte Italianistik mit dem Schwerpunkt Literaturgeschichte und arbeitete mit zahlreichen Medien zusammen, darunter den Osservatore Romano, La Stampa und Avvenire. Sie schreibt regelmäßig für Radici Cristiane und Corrispondenza Romana und wirkt an Radio Roma libera und Radio Buon Consiglio mit. Sie ist Mitglied mehrerer Akademien und wurde 2007 mit dem Premio Bonifacio VIII ausgezeichnet. Zu ihren jüngsten Büchern zählen „Don Bosco mistico. Una vita tra cielo e terra“ (Der Mystiker Don Bosco. Ein Leben zwischen Himmel und Erde), 2017; 2019 ist ihre Biographie „San Francesco. Una delle figure più deformate della storia“ (Der heilige Franziskus. Eine der am meisten verzerrten Figuren der Geschichte) und soeben eine Neuauflage ihres 2010 veröffentlichten Buches „Lo specchio del Cardinale Newman. Un Santo contro la religione del mondo“ (Der Spiegel von Kardinal Newman. Ein Heiliger gegen die Religion der Welt) erschienen.
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Corrispondenza Romana
Der gute Kardinal kann es verkraften, seinem Herrn und Meister haben die klerikalen Lügenbolde viel schlimmere Verleumdungen und Schmähungen angetan, nämlich das in den anderen Religionen Wege zum Heil sind, das wir mit Moslems und Juden zum selben Gott beten,das Christi Wunder alle widerlegt sind, das sein Kreuzestod „Solidaropfer ist“, das durch Christi Geburt er Mensch für die Menschen wurde und und und
Die Kirche ist fest in Freimaurer Hand, die Wahrheit wird es überleben da sie von Gott ist und damit unabänderlich.